2017 schon fest im blick 13kultur und mediendas parlament – nr. 43 – 24. oktober 2011 was lange währt, wird nicht immer gut. das gilt auch für die enquete-kommission „in- ternet und digitale gesellschaft“ und ihren versuch, handlungsempfehlungen zum thema netzneutralität zu verabschieden. es geht um die vom netzbetreiber zu ge- währende grundsätzliche gleichbehand- lung aller inhalte bei der durchleitung im internet. trotz zweimaliger verschiebung fand auch während der sitzung am 17. ok- tober weder die von der projektgruppe „netzneutralität“ in ihrem zwischenbericht enthaltene vorlage noch der von der oppo- sition eingebrachte alternativtext eine mehrheit. bei den abstimmungen nach fünfstündiger sitzung gab es ein unent- schieden. ein unentschieden, das wohl nie- mandem hilft. mag die opposition es als kleinen erfolg verbuchen, dass die koaliti- on mit ihrer eigentlich vorhandenen mehr- heit ihre forderungen nicht durchbringen konnte, so steht die enquete-kommission im bereich netzneutralität doch ohne ech- tes ergebnis da. statt mehrheitlich verab- schiedeter handlungsempfehlungen gibt es nun lediglich zwei sondergutachten. vertrauen in den markt strittigster punkt war die frage, ob die netzneutralität gesetz- lich festgeschrieben werden solle. nein, sag- te während der sitzung beispielsweise peter tauber (cdu), vorsitzender der projekt- gruppe „netzneutralität“. die gegebenen in- strumente seien durchaus ausreichend, ha- be auch der präsident der bundesnetzagen- tur im gespräch mit den projektgruppen- mitgliedern bestätigt. derzeit gebe es in deutschland keine akute gefährdung der netzneutralität, urteilte tauber. auch der fdp-abgeordnete jimmy schulz sieht der- zeit keine verstöße gegen die netzneutrali- tät und daher auch keinen bedarf an einer gesetzlichen verankerung. „der markt kann das sehr wohl regeln“, sagte schulz. sei es bisher zu verletzungen der netzneutralität gekommen, habe die bundesnetzagentur „vermittelnd eingegriffen“. gesetzliche lösung aus sicht der opposi- tion muss hingegen die netzneutralität ge- setzlich festgeschrieben werden. diese for- derung sei im sondervotum der opposition enthalten, sagte martin dörmann (spd). im text der von der bundesregierung vorge- legten novelle des telekommunikationsge- setzes finde sich noch nicht einmal das wort netzneutralität, kritisierte er. hier nur auf die bundesnetzagentur zu vertrauen, ohne konkretere vorgaben zu machen, sei nicht ausreichend. von einer überregulie- rung durch die gesetzliche festschreibung könne zudem nicht die rede sein. vielmehr werde so die benötigte rechtssicherheit ge- schaffen, betonte dörmann. unterstützung erhielt er von der durch die linksfraktion benannten sachverständigen constanze kurz vom chaos computer club. sie ver- wies darauf, dass es gerade im bereich des mobilfunkmarktes eine „partielle machtlo- sigkeit der bundesnetzagentur“ gebe. ebenfalls heftig umstritten war, ob künftig unterschiedliche diensteklassen für unterschiedliche entgelte durch die netzbe- treiber angeboten werden dürfen. hier sagt die koalition ja. unterschiedliche dienste- klassen und das best-effort-prinzip, was eine bestmögliche datenweiterleitung durch die diensteanbieter vorsieht, könn- ten laut peter tauber nebeneinander beste- hen. der von der fdp nominierte sachver- ständige hubertus gersdorf urteilte, „dass sehr wohl eine differenzierung von diens- ten zulässig ist“. entscheidend sei, so der ju- rist, „dass es sachlich gerechtfertigt ist“. blogger markus beckedahl, von den grünen als sachverständiger benannt, sagte hinge- gen: „die etablierung von diensteklassen, zumal mit bevorzugtem transport gegen aufpreis, ist für uns kein zukunftsweisender weg für die architektur des freien und offe- nen internets.“ der „mythos der kapazitäts- engpässe“ sei zudem entzaubert, sagte be- ckedahl. die einführung von diensteklas- sen sei daher nicht nötig. auch constanze kurz konnte keine kapazitätsengpässe er- kennen. auf nachfrage der enquete-kom- mission hätten die provider keine zahlen nennen können, die den verdacht erhärtet hätten, sagte sie. götz hausding ❚ ein unentschieden, das niemandem hilft internet-enquete keine mehrheit für handlungsempfehlungen zu netzneutralität ©picture-alliance/dpa blick in den luthergarten der stadt wittenberg. dort sollen 500 neu gepflanzte bäume 500 jahre reformation symbolisieren. 1517 schlug martin luther in der schlosskirche (im hintergrund) seine berühmten thesen an. frederick kempe berlin 1961. kennedy, chruschtschow und der gefährlichste ort der welt. siedler verlag münchen 2011 671 s., 29,99 € die menschheit sah sich zum ersten mal mit der gefahr eines atomkrieges konfrontiert: im oktober 1961 rollten zuerst amerikani- sche, dann sowjetische panzer zum grenz- übergang in berlin und nahmen gegenei- nander aufstellung. ddr-volkspolizisten hatten zuvor die westlichen alliierten beim betreten der sowjetischen besatzungszone aufgefordert, ihre ausweise vorzuzeigen. dieser „ausweiszwang“ verletzte das vier- mächte-abkommen. us-präsident kenne- dys „sonderbeauftragter“ in berlin, general lucius d. clay, entschied deshalb, moskaus provokation entgegenzutreten. dass die sowjetunion nicht angreifen wür- de, leitete clay aus moskaus reaktion ab: gegenüber den 30 in berlin stationierten us-panzern positionierten die „russen“ 30 sowjetische – mehr nicht. die übrigen pan- zer blieben in den kasernen. das berichtete der general seinem präsidenten in einemte- lefonat. „verlieren sie nur nicht die ner- ven“, sagte kennedy daraufhin. „wir ma- chen uns sorgen über die von euch dort drü- ben in washington“, antwortete clay. mit seinem „berlin-ultimatum“ – der forde- rung nach einem abzug der alliierten trup- pen auswest-berlin und einer änderung der verträge über den status von berlin – un- terstützte der kreml seit 1961 die ddr-plä- ne für eine isolierung west-berlins. „berlin ist der gefährlichste ort derwelt“, sagte re- gierungschef nikita chruschtschow im juni. er wollte „durch eine operation an diesem schlimmen ort diesen dorn, dieses krebsge- schwür entfernen“. den bau der mauer am 13. august hatte kennedy eher positiv be- wertet, da sie die berlin-krise beenden konnte. deshalb verzichtete er auf eine mo- bilmachung der us-truppen. in seinem hervorragenden buch hat kempe die hintergründe der berlin-krise im jahr 1961 umfassend dargestellt. dazu analy- sierte er zahlreiche unbekannte amerikani- sche und sowjetische dokumente, die er in einen globalen kontext stellt. sein fazit: die weiche haltung der usa in der berlin-fra- ge veranlasste die sowjetunion zur statio- nierung der atomraketen auf kuba. manu ❚ stefan karner u. a. (hrsg.) der wiener gipfel 1961. studienverlag innsbruck 2011 1056 s., 39,90 € „womit sollen wir anfangen? vielleicht be- sprechen wir zuerst die frage der einstel- lung der kernwaffenversuche und der ab- rüstung, oder wollen wir mit der deutschen frage anfangen?“ der gesprächspartner will mit dem thema abrüstung beginnen und dann um 12 uhr zur deutschen frage übergehen. „einverstanden“. zitiert wird nicht ein ausschnitt aus der us- fernsehserie „the west wing“, sondern ein gespräch der beiden mächtigsten männer der welt: us-präsident john f. kennedy und regierungschef nikita chruschtschow aus der udssr. sie kamen am 3. und 4. juni 1961 inwien zusammen,um die brennends- ten internationalen probleme zu bespre- chen. auf der tagesordnung standen unter anderem die berlin frage, die krise in laos und die nukleare abrüstung. rückblickend markierte das wiener treffen einen wendepunkt im kalten krieg: chruschtschow betrachtete den jungen prä- sidenten als politisches leichtgewicht.„die- se wahrnehmung bestimmte seine politik bis zur kuba-krise im herbst 1962, als ihm dasverhalten des präsidenten kennedy res- pekt abnötigte“, schreibt der direktor des ludwig boltzmann-instituts für kriegsfol- gen-forschung, stefan karner, in seiner ein- leitung. „wenn sie unsere bestrebungen nicht rich- tig verstehen,so kann das zu einerverschär- fung unserer beziehungen führen“. mit die- ser diplomatisch formulierten drohung ver- suchte chruschtschow, kennedy in der ber- lin-frage unter druck zu setzen.dann wurde er aggressiv: „auch eine direkte konfronta- tion“ werde diese frage nicht zu gunsten der usa entscheiden. als kennedy vor dem „risiko der offenen konfrontation zwischen usa und udssr“ warnte, antwortete der russe lapidar: „wir wollen keinen krieg, wenn sie ihn uns aber aufnötigen, wird es ihn geben.“ der kreml-chef unterstellte dem präsidenten, dass er in der berlin-fra- ge „unter adenauers druck“ handelte. nicht nur die erstmals veröffentlichten ste- nographischen protokolle des treffens sind lesenswert, sondern auch die zahlreichen begleittexte. manu ❚ angelesen e s ist eine kombination, die nicht nur auf den ersten blick schwer zusammen zu gehen scheint: kirche und flashmob. geht es aber nach dem hanno- veraner pastor christoph röm- hild, sollen genau diese beiden dinge sich am 31. oktober verbinden. unter dem mot- to „kommt ein segen geflogen“ sollen am reformationstag, pünktlich um 15:17 uhr, überall in deutschland menschen zusammen- finden, um kleine papier- flieger von balkonen oder brücken, kirchtür- men oder aus rathaus- fenstern zu werfen. bedruckt mit einem se- genswort und der infor- mation „reformations- tag 2011“ sollen die „se- gensflieger“ als teil der lutherdekade an den thesenanschlag martin luthers in wit- tenberg im jahr 1517 erinnern. „wir haben uns überlegt, wie luther heute auf seine bot- schaft aufmerksam machen würde“, sagt pastor römhild, „und wir sind uns sicher, dass er dafür die modernsten methoden ver- wendet hätte. immerhin hat er das damals schon getan, indem er den buchdruck für sich nutzte.“ angekündigt wird die aktion über facebook und twitter – auch hier ist der pastor sicher, „das würde auch luther so machen“. römhild verbindet mit der aktion die hoff- nung, die lutherdekade stärker ins öffentli- che bewusstsein zu rücken. sie startete am 21. september 2008 und soll zum 500. ju- biläum des thesenanschlags im jahr 2017 mit vielen veranstaltungen, tagungen und ausstellungen ihren höhepunkt finden. schon jetzt steht jedes jahr unter einem an- deren motto: „reformation und bildung“ war es 2010, in diesem jahr geht es um „re- formation und frei- heit“. die 95 the- sen, die lu- ther 1517 an die pforte der schloss- kirche in wittenberg a n s c h l u g , wandten sich gegen den ablasshandel und lösten eine diskussion aus, die letztlich zur reformation führte, an deren ende die spal- tung des westlichen christentums in ver- schiedene konfessionen stand. sie wirkte nicht nur innerhalb der kirche, sondern in- nerhalb der gesamten gesellschaft – und mündete schließlich in die trennung von staat und kirche. noch wenig öffentlichkeit an das wirken dieses mannes und die großen veränderun- gen, die seine auseinandersetzung mit rom ausgelöst haben, will die evangelische kir- che in dieser luther-dekade erinnern. doch bislang bekommt das thema noch wenig breite öffentlichkeit – wohl auch deshalb, weil das eigentliche jubiläum noch weit in der zukunft liegt. „wir sind einfach sehr früh dran“, sagt pastor römhild, „es ist klar, dass wir da noch viel werbung machen müssen.“ schwung in die kampagne soll nun ein be- kanntes gesicht bringen: ab dem kommen- den frühjahr wird die ehemalige ekd-rats- vorsitzende margot käßmann botschafterin des rates der ekd für das reformationsju- biläum sein. ein so herausragendes ereignis brauche „eine person, die in überzeugender weise die damit verbundenen reformatori- schen kernanliegen vermittelt“, ließ der prä- sident des kirchenamtes der ekd, hans ul- rich anke wissen. käßmann selbst teilte mit, hinter der reformation, die 1517 durch martin luther ihren ausgang genommen habe, verberge sich „nicht nur eine impo- nierende, zuweilen auch herausfordernde geschichte, sondern auch ein großes poten- tial für heute und für die zukunft“. martin luther habe vor 500 jahren festgestellt, dass ein mensch nicht deshalb eine angesehene person sei, „weil er reich, klug oder schön ist, sondern weil gott ihn ansieht“. es sei teil des kirchlichen auftrages zu fragen, wie die kirchen dem biblischen auftrag gerecht würden, die einheit der christenheit zu le- ben – dabei sei luther ein vorbild, „für uns heute, aus dem glauben heraus, stand- punkte zu finden“. die reformation sei ein „ereignis von weltgeschichtlicher be- deutung“. kulturelles erbe anerkennen diese ein- schätzung teilen auch die abgeordneten des deutschen bundestags. sie haben am 20. oktober den interfraktionellen antrag „das reformationsjubiläum im jahre 2017 – ein ereignis von weltrang“ (17/6465) ein- stimmig verabschiedet und um unterstüt- zung für das projekt geworben. fünf millio- nen euro stellt der bund allein in diesem jahr für die vorbereitung zur verfügung – dafür dankte der sachsen-anhaltinische mi- nisterpräsident reiner haseloff (cdu), mit- glied im kuratorium zur vorbereitung des jubiläums, im bundestag ausdrücklich. be- sonders erfreut zeigte er sich darüber, dass der antrag fraktionsübergreifend getragen wurde. staatsministerin cornelia pieper (fdp) betonte, die reformation habe „kul- turgeschichtlich bedeutende veränderun- gen“ angestoßen. wolfgang börnsen, kul- turpolitischer sprecher der unionsfraktion, stellte fest, die „europäische kulturidenti- tät“ sei „ohne das christentum nicht denk- bar“. weil die „entchristlichung unseres abendlandes“ anhalte, sei es nötig, die „geistig-moralischen grundlagen des konti- nents“ zu revitalisieren. das freiheitsver- ständnis martin luthers nehme dabei „eine schlüsselrolle ein“. für die fdp führte patrick kurth aus, die re- formation sei auch die voraussetzung „für die entwicklung hin zum mündigen men- schen“ gewesen. daneben sehen die libera- len in der luther-dekade auch andere vor- teile: sie habe auch, „wirtschaftliche, touris- tische und gesellschaftliche aspekte“. für die spd betonte der sprecher der ar- beitsgemeinschaft kultur und medien der fraktion, siegmund ehrmann, die von lu- ther angestoßene reformation habe „der aufklärung den weg geebnet“. man müsse die zeit der lutherdekade dafür nutzen, sich mit „der reformation als teil unseres kultu- rellen erbes“, zu der auch blutige religions- kriege gehört hätten, auseinanderzusetzen. gegen eine „verherrlichung martin luthers“ wandte sich die kulturpolitische sprecherin der fraktion bündnis 90/die grünen, agnes krumwiede. man müsse sich sowohl mit sei- ner person als auch der institution kirche kritisch auseinandersetzen. die abgeordne- te betonte, es müsse bei einer trennung der geschäftsstellen für das jubiläum in eine kirchliche und eine staatliche bleiben. getrennt bleiben einmal mehr auch die bundestagsfraktionen: lukrezia jochimsen, kulturpolitische sprecherin der linken, be- klagte, dass ihre fraktion von dem antrag ausgeschlossen worden sei und ihn nicht habe mittragen dürfen. sie sagte, wer sich mit der reformation beschäftige, müsse sich auf mehr konzentrieren als die person lu- thers. susanne kailitz ❚ reformationsjubiläum bundestag und evangelische kirche würdigen »ereignis von weltrang« 2017 schon fest im blick bitte bestellen sie im buchhandel oder versandkostenfrei unter www.nomos-shop.de für alle fragen unmittelbarer demokratie jahrbuch für direkte demokratie 2010 herausgegeben von prof. dr. lars p. feld, prof. dr. peter m. huber, pd dr. otmar jung, prof. dr. christian welzel und prof. dr. fabian wittreck 2011, 429 s., brosch., 59,– € isbn 978-3-8329-6612-6 (jahrbuch für direkte demokratie) nomos-shop.de/13638 das „jahrbuch für direkte demokratie“ versteht sich als kritisches interdiszipli- näresforumfürallefragenunmittelbarer demokratie. fundierte wissenschaftliche beiträge,eineverlässlichedokumentation der praxis im in- und ausland und der nachweis neuester literatur verschaf- fen allen interessierten jahr für jahr handlichen aufschluss über den aktuel- len stand von theorie und praxis direkter demokratie. jahrbuch für direkte demokratie 2010 herausgegeben von lars p. feld | peter m. huber | otmar jung christian welzel | fabian wittreck nomos anzeige »die reformation hat der aufklärung den weg geebnet« siegmund ehrmann (spd) ©bundestag/berndbrundert