chronist der jungen republik 560 jahre »das parlament«das parlament – nr. 35 bis 37 – 27. august 2012 wiederaufbau, wiedergutmachung, wirtschaftswunder und vw käfer: die wochenzeitung „das parlament“ berichtete hautnah über alle wichtigen weichenstellungen in der jungen bundesrepublik. ©picture-alliance/dpa 19.september 1951die ersteausgabe der wochenzeitung „das parlament“ erscheint als prototyp. gegründet wird sie auf initiati- ve des bundesinnenministeriums und des verlags giradet & co. in hamburg. die kurz darauf gegründete bundeszentrale für hei- matdienst sorgt für die fachliche betreuung. von anfang an bestimmt die tagesordnung des bundestagsplenums die themenge- wichtung im blatt. in der ersten ausgabe geht es etwa um familienhilfen, das tarif- vertrags- und das bundesbaugesetz. die debatten werden im wortlaut wiedergege- ben – inklusive der zwischenrufe. die re- dakteure sorgen für den umbruch, schmie- den die überschriften und wählen die bil- der aus. und sie formulieren in einem ge- leitwort in der ersten ausgabe ein anliegen, das die wochenzeitung auch heute noch für sich in anspruch nehmen kann: „die wochenzeitung ‚das parlament’ will dir helfen, dir eine selbständige politi- sche meinung über deine volksvertretung und deinen abgeordneten zu bilden, die parlamentarische arbeit aus unmittelbarer anschauung kennenzulernen (…). ‚das parlament’ berichtet nicht nur über den bundestag, es führt dich selbst in ihn hi- nein. du hörst und liest, was die abgeord- neten der verschiedenen parteien wirklich gesagt und getan haben. du siehst sie im bilde und kannst dir eine vorstellung von ihnen machen. und du kannst dich selbst mit ihnen unterhalten, sie fragen und ihnen deine meinung zu ihrer rede sagen.“ november 1952 herausgeber von „das parlament“ wird die „bundeszentrale für heimatdienst“, die später in „bundeszentra- le für politische bildung“ umbenannt wird. damit wird „das parlament“bundesweit be- kannt. die redaktion wird zwar in die bun- deszentrale integriert, die redakteure ver- bleiben jedoch vorerst noch „auf weisung und rechnung der bundeszentrale“ imange- stelltenverhältnis beim verlag giradet & co. 1953 die redaktion führt als festen be- standteil die sparte „das politische buch“ ein, in der politische und zeitgeschichtliche neuerscheinungen besprochen werden. 1961 die redakteure werden in das bun- desangestelltenverhältnis übernommen. 1963 die zeitungsherstellung (umbruch) und die redaktionsräume werden vom köl- len-verlag in die bonner universitäts-buch- druckerei (bub), baunscheidtstraße 6, ver- legt. hier verbleibt die redaktion bis zum umzug 1999 nach berlin. ❚ chronik albert einstein hat es selbst zugegeben: als es um die größte frage von allen ging, den ur- sprung des universums, lag er lange völlig da- neben. erst als edmund hubbles observato- rium nachweisen konnte, dass alle entfernten galaxien weiter auseinander streben, gab ein- stein das modell von der ewigkeit des univer- sums auf. keine überzeugung war für ihn sa- krosankt, auch nicht seine eigene. er kämpf- te sein leben lang gegen den unverstand und für die aufklärerische kraft des wissens. nachzulesen ist das im heft 25-26/2005 der zeitschrift „aus politik und zeitgeschichte“ (apuz) zu einsteins 50. todestag. das blatt wurde 1953 in bonn von der bundeszentra- le für heimatdienst gegründet. es würde nicht überraschen, wenn es zu einsteins lieblingslektüre gezählt hätte. denn seit seither versorgt die apuz mit hin- tergrundwissen und debattenbeiträgen und befähigt den bildungswütigen bürger, sich kritisch und auf höhe der forschung mit his- torischen, politischen und gesellschaftlichen fragen auseinanderzusetzen. kostenlos und für jeden erreichbar, erscheint sie alle zwei wochen gedruckt als beilage zur wochenzei- tung „das parlament“ und auch online. eine intellektuelle wundertüte, die sich stets ei- nem thema aus verschiedenen perspektiven nähert und dabei ganz unterschiedliche au- toren und meinungen zusammenbringt. die redaktion greift aktuelle diskussionen und ereignisse auf, und besonders verdienst- voll: große aufregerthemen, bei denen die karawane des öffentlichen interesses schon wieder weitergezogen ist, setzt die apuz ver- lässlich auf wiedervorlage. wer sie liest, kann jedenfalls nicht sagen, er hätte von nichts ge- wusst. alleine eine auflistung der bisherigen hefte dieses jahres zeigt ihr enormes spek- trum: griechenland, nationalsozialismus, qualitätsjournalismus, wohlstand ohne wachstum?, protest und beteiligung, rechts- extremismus, ungleichheit, vollbeschäfti- gung?, schuldenkrise, populismus, europa – um nur einige zu nennen. wissensspeicher man kann die apuz als le- xikalischen wissensspeicher nutzen oder sich einfach darin verlieren. so gilt sie inzwi- schen als eines der wichtigsten fachjourna- le im feld der sozialwissenschaft, der poli- tologie und der zeitgeschichte. wer sich in- formieren möchte, wer einen artikel, eine seminararbeit, eine gesetzesvorlage zu ver- fassen hat – dem sei die stichwortsuche im archiv der apuz empfohlen. open access – freier zugang zu wissen in bester form! wissenschaftler, gedenkstättenleiter, schrift- steller, lehrer, journalisten, politiker, ent- wicklungshelfer, unternehmer – sie alle pu- blizieren in der apuz. allgemeinverständlich sollen sie schreiben, so lautet die wichtigste vorgabe der redaktion. naturgemäß halten sich manche mehr, andere weniger daran. in der regel aber öffnen sich die artikel wirk- lich dem interessierten leser. der idealtypi- sche beitrag in der apuz ist wissenschaftlich fundiert, beseitigt unklarheiten und verweist auf wichtige fragen zu einer aktuellen dis- kussion. und bei manchem artikel geht nach dem erscheinen in der apuz der meinungs- austausch zwischen lesern und verfassern erst los. hier liegt auch die einzig wirkliche veränderung, die man der zeitschrift wün- schen möchte: dass debatten über die arti- kel, dass widersprüche, bekräftigungen, er- gänzungen, kurzum: dass das, was die texte auslösen, im heft auch sichtbar abgebildet oder im internet fortgeführt wird. eine der wichtigsten errungenschaften unse- rer demokratie seit 1945 besteht darin, dass sich niemand am politischen leben beteili- gen muss. das wissen auch die macher der apuz, und sie würden diesen grundsatz si- cher verteidigen. zugleich stemmen sie sich gegen die unwissenheit, denn die ignoranz des menschen ist antastbar. albert einstein hätte jedenfalls seine freude daran gehabt – daran, die apuz zu lesen, wo- möglich hätte er auch für sie geschrieben. auf jeden fall hat uns der geniale denker einen aphorismus hinterlassen, der als slogan für die apuz insgesamt gelten könnte: „man muss die welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden.“ tobias winstel ❚ der autor ist programmleiter beim siedler verlag. intellektuelle wundertüte beilage wer »aus politik und zeitgeschichte« liest, kann nicht sagen, er hätte nichts gewusst s ollte da jemand die redaktion belauschen? als die mitarbeiter von „das parlament“ 1952 aus- gelassen auf der weihnachtsfeier plauderten, wurde der aspirant für den posten des chefredak- teurs zufällig dabei ertappt, wie er heimlich ein band mitlaufen ließ. das war damals selbst dem magazin „der spiegel“ eine nachricht wert, wohl auch, weil der kandi- dat vom bundeskanzleramt empfohlen wor- den war. „das parlament“ erschien erstmals im spät- sommer 1951 – nicht auf initiative des deut- schen bundestags, sondern des innenminis- teriums. dass eine vom bund finanzierte zeitung die arbeit der legislative zum schwerpunkt der berichterstattung machen würde, war keinesfalls selbstverständlich. es sei vor allem den beteiligten bundestagsaus- schüssen zu verdanken gewesen, dass die zeitung nicht beim bundespresseamt als ein bulletin der bundesregierung angesiedelt wurde. so erinnerte sich später carl h. lü- ders, referent des ersten innenministers gustav heinemann, und sozusagen der gründungsvater der zeitung. beirat mit der überparteilichkeit nahm man es von anfang an sehr genau. eigens wurde ein parlamentarischer beirat einge- richtet, dem jeweils ein vertreter der regie- rungs- und der oppositionsfraktionen ange- hörten, später auch der direktor des bundes- rates und der präsident der bundeszentrale für heimatdienst, die ab november 1952 als herausgeber fungierte. mit dieser übernah- me wurde die wochenzeitung bundesweit bekannt. die mitglieder des beirats nahmen ihre auf- gabe peinlichst genau und kontrollierten die länge der wortbeiträge von opposition und regierungsfraktionen bis auf den millimeter. später ließ der beirat mehr großzü- gigkeit walten, 1969 wurde das gre- mium abgeschafft. eines war zwischen beirat und re- daktion stets unumstritten: die ta- gesordnung des bundestags gibt im blatt den takt an. wichtige debat- tentexte wurden, ungekürzt und im wortlaut, von den redakteuren in den satz gegeben. unter der über- schrift „abgeordnete fragen – die re- gierung antwortet“ räumte die re- daktion der fragestunde platz ein, unmittelbar nachdem im januar 1952 bundestagspräsident hermann ehlers (cdu) die erste fragestunde eröffnet hatte. zusätzlich berichtete „das parlament“ über wichtige de- batten und entscheidungen anderer parlamente der welt, fasste interna- tionale konferenzen zusammen und druckte reden von staatsmännern und -frauen aus aller welt. mit der fortschrei- tenden integration europas kamen weitere aufgaben hinzu: die berichterstattung aus dem europäischen parlament etwa, über den europarat und die weu-versammlung. der auftrag, objektive dokumentation zu bieten, kollidiere häufig „mit der forderung des lesers und der erkenntnis des journalis- ten, dass die wahrheit genießbar zu servie- ren sei“, notierte der redakteur friedrich kippenberg zum 20. jubiläum der zeitung. schon in den ersten ausgaben war es des- halb usus, prominente wissenschaftler und politiker für beiträge zu verpflichten, „auf deren allgemeininteresse man hoffen durfte“, wie es der erste direktor der bundeszentrale, paul franken, nannte. aus diesen ansätzen entwickelte sich die zeit- schrift „aus politik und zeitgeschichte“, die seit november 1953 und bis heute ununter- brochen als beilage zu „das parlament“ er- scheint (siehe beitrag unten). nach sitzungs- freien wochen erschien „das parlament“ mit themenausgaben. allein 1953, im jahr der zweiten bundestagwahl, wurden 21 sol- cher schwerpunkt-hefte produziert: „die rohstoffe der welt“ standen ebenso auf der agenda wie das „ermächtigungsgesetz“ im jahre 1933, „das rathaus – keimzel- le der demokratie“ und zwei son- derausgaben zur wahl. »schicksalsfragen« jede zeit neigt zur zufriedenheit mit den eigenen begriffen und überzeugungen, und davon ist auch „das parlament“ nicht frei. so ist in den frühen jahren von „schicksalsfragen des volkes“ die rede, wo heute wohl eher von bevöl- kerung, von bürgern und von heraus- forderungen gesprochen würde. da wird der aufstand vom 17. juni 1953 in der ddr als „mitteldeutscher“ auf- stand bezeichnet, im august 1955 soll die „atomkraft der welt zu segen ge- reichen“ , und eine afrika-themen- ausgabe macht mit der schlagzeile „des weißen mannes weg im ‚schwar- zen kontinent’“ auf. bis in die späten 1960er jahre hinein dürfen außerdem zigarettenmarken und fabrikanten von sekt und schnaps recht unverblümt mit anzeigen in „das parlament“ reklame ma- chen. und dennoch: ein blick in die frühen aus- gaben von „das parlament“ hilft auch, um mit einigen vorbehalten gegenüber der jun- gen bundesrepublik aufzuräumen, der häu- fig nachgesagt wird, dass vor allem die bäu- che runder und die läden voller, der krieg und die jüngste vergangenheit aber von ei- ner mehrheit der deutschen verdrängt wur- den. allein die zahl von mehr als 1.000 ge- setzentwürfen, die in den ersten beiden wahlperioden beraten und beschlossen wurden, zeugt davon, welches arbeitspen- sum der bundestag zu schultern hatte. die wochenzeitung dokumentiert, mit welcher leidenschaft die parlamentarier über die wichtigen weichenstellungen der jungen re- publik stritten: wiederbewaffnung, westbin- dung, die europäische integration, der ver- such der aussöhnung mit den nachbarn, später die heikle frage, ob nationalsozialis- tische schwerverbrechen verjähren dürfen. heimkehrende kriegsgefangene und zehn millionen flüchtlinge und vertriebene soll- ten eingegliedert, opfer des nationalsozia- lismus versorgt, die wohnungsnot beseitigt, die renten auf eine solide grundlage gestellt werden. und weil „das parlament“ all diese demo- kratischen entscheidungen in ihrer entste- hung begleitete und nicht nur als ergebnis abbildete, vermitteln die frühen jahrgänge das bild einer bundesrepublik, in der vieles heute selbstverständliche noch im fluss und offen war. eines haben alle re- daktionen stets beherzigt: politik machte „dass parlament“ nie. das ist und bleibt aufgabe der abgeordenten, deren sachge- treuer chronist die wochenzeitung seit an- beginn ist. alexander heinrich ❚ gründerzeiten »das parlament« der 1950er und 1960er jahre ist ein fundus leidenschaftlicher debatten chronist der jungen republik präsidentschaftswahl usa 2012 what a president can – barack obama und reformpolitik im systemkorsett der usa herausgegeben von christoph haas und wolfgang jäger 2012, 220 s., brosch., 34,– €, isbn 978-3-8329-7130-4 (neue amerika-studien, bd. 1) www.nomos-shop.de/14273 vonobamasiegenlernenoder„yes,wegähn!“? der jahrhundertwahlkampf und die lehren für die politische kommunikation in deutschland von jan philipp burgard 2011, 256 s., geb., 49,– € isbn 978-3-8329-6670-6 www.nomos-shop.de/13696 neue amerika-studien l 1 nomos what a president can – barack obama und reformpolitik im systemkorsett der usa haas | jäger [hrsg.] jan philipp burgard nomos von obama siegen lernen oder „yes, we gähn!“? der jahrhundertwahlkampf und die lehren für die politische kommunikation in deutschland „allen, die wissen möchten, wie wahlkämpfe aus ihrem lähmenden dornröschen- schlaf erwachen und zu spannenden wettbewerben werden können, sei dieses buchvonherzenempfohlen.“ tom buhrow anzeige die erste ausgabe von „das parlament“ „das parlament“ ist eine ganz besondere zeitung. denn sie wird vom deutschen parlament, dem bundes- tag, gemacht. die politiker im bundestag sollen die meinung aller bürger vertreten. deshalb berichtet „das parlament“ ganz neutral. es gibt niemandem recht oder unrecht. „das parlament“ erscheint jeden montag nach einer sitzungswoche. in der treffen sich die abgeordneten aus ganz deutschland im bundestag. sie diskutieren zum beispiel neue gesetze. über ihre arbeit wird dann in „das parlament“ berichtet. und weil heute viele menschen ihre zeitung auch am computer le- sen, gibt es „das parlament“ auch im internet. „das parlament“ ©picture-alliance/dpa