debattendokumentation keinen kinderzuschuss für alleiner- ziehende. dann brauchen wir auch keinen mindestlohn. ich sage ihnen nur: wer so denkt, der versteht auch nicht, warum die normalen leute in unserem land es satt haben, immer wieder zur kasse gebeten zu werden für die folgen von manchen maßlo- sigkeiten und verantwortungslosig- keiten bei den wirtschaftlichen eliten dieses landes. sie werden nicht verstehen, warum die menschen einfach nicht mehr ka- pieren und akzeptieren, dass, wenn wir über die systemrelevanz von ban- ken reden, immer opfer des steuer- zahlers gemeint sind, die anschlie- ßend eingefordert werden. da gibt es entgegen ihrer gestrigen aussage, herr schäuble, ganz viel ungerechtig- keit in unserem land. das ist kein hirngespinst. ich sage, es ist im ge- genteil so: soziale balance ist system- relevant für demokratie. wir werden das eine nicht ohne das andere ha- ben. das ist die lehre, die wir aus der krise auf den finanzmärkten ziehen sollten. nicht nur diesen zusammenhang haben sie gestern geleugnet. der haushalt, den sie diese woche prä- sentieren, ist eigentlich ein doku- ment von mutlosigkeit und auch von kurzsichtigkeit. sie stellen sich ein- fach hin und sagen den leuten über- all in europa: nehmt euch ein bei- spiel an uns! wir sind ein muster an haushaltsdisziplin. – nur, die wirk- lichkeit sieht ganz anders aus. sie pre- digen wasser und trinken wein. sie setzen die neuverschuldung jetzt mit 18,8 milliarden euro an. das ist sogar noch mehr – daran führt kein weg vorbei – als die 17,3 milliarden euro im jahr 2011. wir haben ihnen ges- tern ja zugehört. aber sie können noch so kreativ mit vergleichszahlen umgehen und hier herumdozieren, es bleibt dabei: trotz jährlich steigen- der steuereinnahmen in den letzten drei jahren steigt ihre neuverschul- dung. ich möchte einmal wissen, wem sie das in europa als beweis für haushaltsdisziplin durchgehen las- sen würden – vermutlich nieman- dem. auch wenn sie es gestern von hier aus noch einmal bestritten haben, herr barthle: nicht nur die spd und die anderen oppositionsfraktionen haben den verdacht, dass sie sich mit all dem eine sparbüchse – allerdings eine milliardenschwere sparbüchse – angelegt haben, um dann im nächs- ten jahr, im wahljahr, dem einen oder anderen schwächelnden minis- ter noch ein bisschen unter die arme greifen zu können. das ist doch der grund, weshalb nicht nur die bun- desbank, sondern auch der bund der steuerzahler ihnen sagt: dieser haus- halt zeugt von mangelndem ehrgeiz. – und das ist der grund, weshalb wir sagen: dieser haushalt stellt viel- leicht die vorbereitung auf ein wahl- jahr dar, nicht aber die vorbereitung auf ein haushaltsjahr; denn das haushaltsjahr hätten sie angesichts der enormen steuereinnahmen ganz anders, viel besser, viel ehrgeiziger an- gehen können, als sie es tun. die größte gefahr ist allerdings nach wie vor die europäische krise, zu deren lösung sie in den letzten drei jahren nichts entscheidendes haben beitragen können, noch nicht einmal zu deren eindämmung. im gegen- teil: drei jahre werkeln sie herum. die krise eskaliert von jahr zu jahr. in diesen drei jahren ist die krise – an den zahlen kann niemand vorbei – vor allen dingen in südeuropäischen staaten größer geworden. in diesen drei jahren ist auch das risiko für deutschland gestiegen. ich weiß nicht, ob sie das über den sommer hinweg verfolgt haben: das sind schon dramatische wachstumsein- brüche, die wir in einigen südeuro- päischen staaten haben, vor allen dingen in einem land, das hier rela- tiv selten zur sprache kommt, näm- lich in spanien. deshalb darf man sich mit blick auf die gesamte wäh- rungszone nicht wundern, dass es in- nerhalb der euro-zone alles in allem einen auftragsrückgang von 15 pro- zent gibt. ich spreche nicht von grie- chenland.ich spreche von der gesam- ten währungszone. sie haben auch gesehen, dass das mittlerweile in ein- zelnen branchen bei uns ankommt. kurzarbeit bei ford in köln ist nicht das einzige signal. ich bin nicht hier, um schlechte laune zu machen, sondern das sind schlicht und einfach die zahlen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. wenn sie einmal einen blick auf diese zahlen werfen – das sollten sie nach der haushaltsdebatte ernst- haft tun –, dann wissen sie auch: bei diesem europäischen krisenszenario, über das wir hier jetzt zum wiederhol- ten male sprechen, ist matthäi am letzten. jetzt mit dem finger auf an- dere zu zeigen, wie sich das in den vergangenen monaten und jahren immer bewährt hat, hilft nicht mehr, weil jeder sieht: der werkzeugkasten, auch der werkzeugkasten dieser re- gierung, ist leer. jetzt landen sie genau da, wo ich es ihnen in meiner vorletzten rede hier im deutschen bundestag vorausge- sagt habe. ich habe gesagt: „sie wer- den am ende beim anleihekauf der ezb landen“ – und das jetzt unbe- grenzt. das ist die grandiose leistung, für die sie sich, herr schäuble, ges- tern hier mit selbstlob überschüttet haben. ich bin – da können sie sicher sein – nicht mit den klagezielen des kol- legen gauweiler einverstanden. aber in einem hat er recht: es waren am ende auch sie, diese bundesregie- rung, frau merkel, die die ezb nach und nach in diese richtung gescho- ben haben. nur, jetzt, am ende dieser entwicklung, können sie sich doch nicht hinstellen und rufen: haltet den dieb. – das geht nicht. es hat einige jahre ganz gut funk- tioniert, sich hier und in der deut- schen öffentlichkeit immer als der deutsche und euro- päische sparfuchs hinzustellen. als griechenland ein 40- milliarden-euro-pro- blem war, haben sie posaunt: keinen cent für griechenland! – dann haben sie den ersten rettungs- schirm aufgespannt, dann den zweiten und dann immer neue, immer zu spät, immer zu klein. sie haben rote linien gezogen, um anschließend, nach dem überschrei- ten der roten linien, das gegenteil von dem zu machen, was am tag vor- her noch in stein gemeißelt war. was sie gemacht haben, war – vermutlich wird sich das zeigen, wenn wir in ei- nigen jahren zurück auf diese jahre schauen – die teuerste variante der antikrisenpolitik. jetzt, da rettungsschirme in milli- ardenhöhe gefüllt, verteilt, wieder aufgefüllt und wieder verteilt worden sind, kommt oben drauf, was vor ei- nem jahr für sie alle noch der gott- seibeiuns war. mit verlaub, frau mer- kel, das war aus unserer sicht immer ein wenig scheinheilig. was einen ärgert – auch das sage ich ihnen ganz offen –: sie haben sich oft auch von diesem podium aus den mund über alternativen zu ihrer po- litik zerrissen, die auch von anderen ja durchaus vorgestellt worden sind. sie haben sich über ideen empört, selbst wenn sie aus ihrem eigenen sachverständigenrat, dem rat der weisen, kamen, etwa die idee des eu- ropäischen schuldentilgungsfonds. sie haben sich nicht nur darüber em- pört, sondern sie haben das geradezu als verrat an deutschen interessen dargestellt. jetzt, nach dem scheitern der ganzen rettungsschirmpolitik, irrt dieser teil des plenums samt der regierung einigermaßen plan- und ziellos herum. jetzt auf einmal, am letzten wochenende – ich traue mei- nen augen nicht –, wird umstandslos gutgeheißen, was vor zwölf monaten noch der untergang des abendlandes war. das können sie doch der deut- schen öffentlichkeit nicht vorführen. so kann man doch glaubwürdigkeit in der politik nicht erlangen. damit ich nicht missverstanden werde: der ezb ist dabei überhaupt nichts vorzuwerfen. sie tut das, was jetzt noch zu tun ist, als die einzig noch verbliebene handlungsfähige europäische institution. sie muss das jetzt tun, weil kein anderer mehr in europa verhindert, dass die wäh- rungsunion den bach runtergeht. aber dass sie das so tut, wie es am freitag beschlossen wurde, zukünftig ohne jede begrenzung nach oben und ohne jede demokratische kon- trolle, liegt in der verantwortung auch dieser deutschen regierung, und das werden wir der öffentlichkeit sagen. ich habe es ja geahnt – herr schäu- ble, sie haben es gestern auch hier vom podium gesagt –: sie haben er- klärt, es werde deshalb alles ganz an- ders, weil ja sichergestellt sei, dass die länder, denen durch die anleihekäu- fe der ezb hilfe ge- währt werde, erst ein- mal programmland werden müssten. im übrigen könne ja nichts passieren, weil die ezb selbst auf den sogenannten primär- märkten überhaupt nicht tätig werden dürfe. ich habe es ge- ahnt, dass diese versicherung von heute an die deutsche öffentlichkeit und auch hier an das parlament geht. nur, es gibt ja schon papiere ihrer regierung, die beschreiben, wie das in zukunft anders aussehen könnte: dass die ezb spanische anleihen auf dem sekundärmarkt kauft, der esm anleihen auf dem primärmarkt, der esm dann die gekauften anleihen an drittbanken weiterverkauft und die ezb dieser drittbank die anleihen wieder abkauft. im ergebnis jeden- falls landen alle diese anleihen bei der ezb, deren anleihenportfolio auf diese weise mit schlechten anleihen immer mehr wächst. das ist das er- gebnis der entscheidung, die am frei- tag getroffen worden ist, auch wenn das handeln der ezb in dieser situa- tion notwendig ist. ob sie das wahrhaben wollen oder nicht – wenn sie es heute bestreiten, dann werden wir uns in sechs mona- ten hier wieder darüber unterhalten – : das ist nichts anderes als so etwas ähnliches wie eine banklizenz durch die hintertür. das ist natürlich unver- meidbar auch vergemeinschaftung von schulden, allerdings – das ist der unterschied zu uns – ohne demokra- tische kontrolle, ohne klare, nach- vollziehbare regeln und auflagen, oder ganz kurz: das, was sie der deut- schen bevölkerung in den letzten jah- ren immer als ziel ihrer politik vor augen geführt haben, wird jedenfalls durch die entscheidungen, die sie jetzt neuerdings begrüßen, ins ge- genteil verkehrt. das müssen wir der öffentlichkeit sagen. herr schäuble, bei alledem, worü- ber wir reden: was ist eigentlich mit der besteuerung der finanzmärkte? was die ezb jetzt zur währungssta- bilisierung in europa tut und tun muss – ich sage es noch einmal –, das ist, ob man es beabsichtigt oder nicht – das muss gar nicht das hauptziel sein –, ganz nebenbei, natürlich auch ein bankensanierungsprogramm, weil auf diese weise die banken die möglichkeit haben, schlechte papie- re, zum beispiel über den eben be- schriebenen weg, bei der ezb zu de- ponieren. deshalb ist es auch kein wunder, dass die märkte im augen- blick so reagieren. die bankenaktien schießen natürlich im augenblick mit dieser erwartung durch die de- cke. ich sage noch einmal: das kann man vielleicht gar nicht vermeiden, dass sich die banken auf diese weise mit sanieren. die frage ist nur: wo bleibt denn ihre forderung, dass der bankensektor spätestens jetzt auch ernsthaft besteuert wird? ich habe den ganzen sommer über dazu von ihnen nichts gesehen und gehört. es gab keinen druck, der irgendwie sichtbar geworden wäre, keine forde- rungen an die europäischen partner, von denen ich gehört hätte. deshalb frage ich noch einmal mit blick auf ihre gestrige rede, in der sie sich ja für die konditionalität so ge- lobt haben: wo ist denn diese kondi- tionalität, wenn es einmal nicht um sparprogramme bei der sozialpolitik geht, sondern wenn es um die betei- ligung der finanzmärkte an der be- wältigung der kosten der krise geht? dazu haben wir hier etwas vermisst. ich verstehe es nicht. ich verstehe dieses dröhnende schweigen nicht, weil wir uns gemeinsam nach schwie- rigen verhandlungen darauf verstän- digt haben, dass dies ziel unserer ge- meinsamen politik ist. was ich mich frage: wann, wenn nicht in einer sol- chen situation, wann, wenn nicht an einer solchen schwelle, an der wir so- zusagen die methode der auswege aus der europäischen krise völlig um- stellen, wann, wenn nicht jetzt, da die europäische zentralbank mit ihrer billigung neue aufgaben erhält, wann, wenn nicht jetzt, gäbe es die chance, die skeptiker innerhalb der währungsunion davon zu überzeu- gen, den weg in die finanzmarktbe- steuerung mitzugehen? jetzt wäre der weg gegeben, und jetzt wäre kondi- tionalität gefragt. ich habe jedenfalls nicht gehört, dass irgendwelche initiativen in diese richtung unternommen worden sind. das ist in meinen augen auch in diesem bereich ohne jeden ehr- geiz. es ist bei der finanzmarktbe- steuerung wie bei den anderen politi- schen feldern, über die ich gespro- chen habe: es ist die haltung dieser regierung, möglichst die ziele nicht ehrgeizig zu setzen, sondern irgend- wie darauf zu vertrauen, dass man schon durchkommt. ich sage am en- de nur: das ist zu wenig für deutsch- land. das ist zu wenig für europa. so kommen wir eben gerade nicht durch. herzlichen dank. (anhaltender beifall bei der spd – beifall beim bündnis 90/die grünen) 2 debattendokumentation das parlament – nr. 38/39 – 17. september 2012 fortsetzung von seite 1: dr. frank-walter steinmeier (spd) im plenum des bundestages wurden am 13. september 2012 folgende vorlagen ohne aussprache abschlie- ßend beraten: zustimmung haushalt anträge „entlastung der bundesregierung für das haushalts- jahr 2010“ (bundesministerium der finanzen, 17/5648, 17/6009); unterrichtungen „bemerkungen des bundesrechnungshofes 2011 zur haushalts- und wirtschaftsführung des bundes (einschließlich der fest- stellungen zur jahresrechnung 2010)“ (bundesrechnungshof, 17/7600, 17/9250, 17/10104); antrag „rechnung des bundesrech- nungshofes für das haushaltsjahr 2011“ (bundesrechnungshof, 17/9600, 17/10105); wahlvorschlag „wahl eines mitglie- des des vertrauensgremiums gemäß paragraf 10a absatz 2 der bundes- haushaltsordnung“ (cdu/csu-frak- tion, 17/10660, gewählt: stefanie vogelsang) beschlüsse der werkzeugkasten, auch der werkzeugkasten dieser regierung, ist leer.