wende mit langer leitung www.das-parlament.deberlin, montag 18. märz 2013 63. jahrgang | nr. 12 | preis 1 € | a 5544 d ie energiewende hat noch nicht genug tempo. zwar steigt die zahl der ö k o s t r o m - a n l a g e n schnell an, doch der bau von stromleitungen kommt bisher kaum voran. die bundesre- gierung will mit einem neuen gesetz mehr schwung in den leitungsbau bringen, und auch die opposition mahnt größere an- strengungen an. in einer regierungserklä- rung im bundestag zur energieinfrastruktur anlässlich der ersten lesung eines gesetz- entwurfs der bundesregierung zum be- schleunigten ausbau des stromnetzes (17/12638) sagte bundeswirtschaftsminis- ter philipp rösler (fdp) am donnerstag, es sei besonders wichtig, die bauzeiten für stromleitungen von zehn auf vier jahre zu verkürzen. 2.800 kilometer neue leitungen der netzentwicklungsplan sehe vor, 2.900 kilo- meter leitungen zu erneuern und 2.800 ki- lometer leitungen neu zu bauen. dafür brauche man aber die „akzeptanz der be- völkerung“, sagte rösler weiter. man spre- che mit den menschen, um die dinge um- zusetzen: „so sieht bürgerbeteiligung aus.“ ein erfolg werde aber nur möglich sein, wenn der bund, die 16 bundesländer und europa zusammenstünden. außerdem brauche man „intelligente net- ze“, um stromerzeugung und stromver- brauch zusammenzubringen. rösler wies darauf hin, dass man nicht auf konventio- nelle kraftwerke verzichten könne. wer das fordere, sei unehrlich, „denn irgendwoher muss der strom für die menschen und un- ternehmen kommen“. rösler versicherte, die koalition halte sich an die drei energie- politischen grundsätze: umweltverträglich- keit, versorgungssicherheit und bezahlbar- keit. dagegen griff der spd-vorsitzende sigmar gabriel die regierung und rösler scharf an: gerade einmal 214 von den 2009 geplanten 1.834 kilometern stromleitungen seien bis- her realisiert worden. und auch keines der benannten pilotvorhaben für die erdverka- belung in der gleichstromtechnik sei in die- ser legislaturperiode umgesetzt worden. „der verantwortliche minister sind sie“, rief gabriel rösler zu und warf ihm vor, zu ver- drängen, „was sie angerichtet haben“. wenn das ausbautempo so bleibe, werde der bau von 2.800 kilometern erst im jahre 2060 und nicht wie geplant 2020 fertig. bei dem schneckentempo drohe die energiewende wirklich ein jahrhundertprojekt zu werden, warnte gabriel. michael fuchs (cdu) warf gabriel und der spd vor, maßnahmen zur energieeffizienz im bundesrat zu blockieren. das verhalten der spd sei scheinheilig, weil sie ausbau- vorhaben und auch den bau eines großen pumpspeicherkraftwerks in baden-würt- temberg blockiere. dietmar bartsch (die linke) sagte, im kern handele es sich um einen gesetzentwurf, „der die profite der energiemonopolisten weiter absichern will“. versorgungssicher- heit übersetze schwarz-gelb mit profitsi- cherheit. wer die energiewende wolle, brau- che auch einen plan dafür, und den habe die koalition nicht. die energiewende sei bei dieser koalition in schlechten händen. dem widersprach klaus breil (fdp) aus- drücklich: „die energiewende ist bei der christlich-liberalen koalition in guten hän- den.“ bärbel höhn (grüne) richtete scharfe an- griffe gegen die koalition: „schwarz-gelb vergeigt die energiewende. schwarz-gelb gefährdet arbeitsplätze in diesem land.“ rösler habe mit seiner rede gezeigt, dass er es nicht könne. der minister habe angekün- digt zu liefern. aber von 2.800 kilometern stromleitung habe er nicht einmal 300 ki- lometer geschafft. das sei ein „dramatisches debakel“. der bundestag überwies den gesetzentwurf zur weiteren beratung an die ausschüsse. ziel des entwurfs ist, den im norden deutschlands erzeugten strom aus wind- energieanlagen und neuen konventionellen kraftwerken besser zu den verbrauchs- schwerpunkten im süden und westen deutschlands zu leiten. in dem gesetzent- wurf wird für insgesamt 36 planungen für den bau von höchstspannungsleitungen die energiewirtschaftliche notwendigkeit und der vor- dringliche bedarf festge- stellt. „um das verfahren zur rea- lisierung der vorhaben zu beschleunigen, wird weiter- hin eine rechtswegverkür- zung herbeigeführt“, schreibt die regierung. künftig gebe es mit dem bundesverwal- tungsgericht nur noch eine instanz für rechtsstreitigkeiten um den leitungsbau. für die realisierung der in den bundesbe- darfsplan aufgenommenen vorhaben wür- den kosten in höhe von schätzungsweise zehn milliarden euro entstehen, schreibt die bundesregierung. dabei seien mehrkos- ten für erdkabel noch nicht berücksichtigt. grüne und sozialdemokraten fordern in ebenfalls an die ausschüsse überwiesenen anträgen (17/12518, 17/12214, 17/12681) die gründung einer „deut- schen netzgesellschaft“. die bürger sollen sich finanziell am bau neuer stromleitun- gen beteiligen können, for- dern die grünen. dazu sol- le ein anleihen-modell mit festen zinssätzen entwickelt werden. auch die spd, die die bis 2030 entstehenden kosten auf 30 milliarden euro be- ziffert, will den netzausbau bürgerfreundlich und zu- kunftssicher gestalten. für den netzausbau solle zunächst auf vorhandene trassen zu- rückgegriffen werden. die option der erd- verkabelung solle bei allen hochspan- nungs-gleichstrom-übertragungs-leitun- gen (hgü) vorgesehen werden, wird ver- langt. hans-jürgen leersch ❚ z wei jahre ist es her, dass es im ja- panischen fukushima als folge ei- nes tsunamis zu einer nuklearka- tastrophe kam. anlass für den bundestag, sich mit der atompolitik zu be- schäftigen. dabei wurde am vergangenen freitag kritik am internationalen atom-en- gagement deutschlands deutlich. die nuklearkatastrophe von fukushima im märz 2011 habe gezeigt, dass die risiken nicht zu beherrschen seien, sagte der frak- tionsvorsitzende der grünen, jürgen trittin. folge davon muss seiner ansicht nach sein: „die welt muss aus der atomtechnik aus- steigen.“ die bundesregierung, so kritisier- te trittin, unterstütze jedoch durch bürg- schaften nach wie vor den bau von atom- kraftwerken in anderen ländern. globalplayer deutschland als ein „globa- les problem“ bezeichnete dorothee menz- ner (die linke) die atomtechnik. „strahlen machen vor ländergrenzen nicht halt“, füg- te sie hinzu. deutschland sei teil des pro- blems, weil man noch immer ein „global- player“ im atomgeschäft sei und in anderen ländern in die atomtechnik investiere. deutschland gebe weiterhin viel geld für die europäische atomgemeinschaft eura- tom aus, die die atomenergie fördere, be- mängelte marco bülow (spd). euratom müsse jedoch anders aufgestellt werden. „und zwar mit blick auf effizienzerhöhung und der förderung erneuerbarer energien“, sagte er. die opposition versuche, die tragödie von fukushima „billig zu instrumentalisieren“, kritisierte christian hirte (cdu). „das hilft uns aber nicht“, sagte er. es sei das verdienst der koalition, dass der ausstieg aus der atomenergie mit dem einstieg in die erneu- erbaren energien verbunden werde. der ausstieg, habe im übrigen auch schon vor fukushima festgestanden, sagte hirte. „sie betreiben geschichtsklitterung“, warf ihm daraufhin bülow vor. union und fdp hätten kein interesse an der energiewende, sagte der spd-abgeordnete. „sie wollen zu- rück zur atomtechnik.“ beim ausbau der erneuerbaren energie sei- en union und fdp „besser als sie je zuvor“, entgegnete michael kauch (fdp). während unter umweltminister trittin der anteil der erneuerbaren energien um 2,3 prozent und unter dem amtsnachfolger sigmar gabriel (spd) um 6,5 prozent gestiegen sei, habe schwarz-gelb acht prozent erreicht. kauch verlangte jedoch auch, die preise im blick zu halten. die vergütungssätze für die einspei- sung müssten weiter abgesenkt werden, so kauch. „fukushima ist eine zeitenwende gewesen“, sagte bundesumweltminister peter altmaier (cdu). damit verbunden sei das „ganz si- chere ende der kernenergie in deutsch- land“. durch die entscheidung sei man in eine vorbildrolle gerückt. „viele staaten schauen auf uns, um zu lernen, wie es ge- lingen kann, die energieversorgung schritt- weise auf erneuerbare energien umzustel- len“, sagte der minister. götz hausding ❚ wende mit langer leitungenergie bauzeit bei stromtrassen soll auf vier jahre verkürzt werden. klagerecht wird eingeschränktjorge mario bergoglio er ist der erste je- suit und der erste lateinamerikaner auf dem petrusstuhl.und er ist der erste papst,der den name franziskus für sich wählt – in an- lehnung an den hei- ligen,den patron der armen. fünf wahl- gänge brauchten die kardinäle in der vergangenenwoche bis am mittwoch- abend der weiße rauch über der six- tinischen kapelle im vatikan aufstieg und bergoglio, der bis dahin erzbischof von buenos aires war, kurz darauf auf den balkon des petersdoms trat. „mit der wahl des ersten nichteuropäers auf den pe- trusstuhl beginnt ein neues kapitel der kir- chengeschichte und vielleicht auch eine öff- nung zur welt und den herausforderungen unserer zeit“, würdigte bundestagspräsident norbert lammert (cdu) die wahl des 76-jäh- rigen argentiniers. ver ❚ wahlgänge und zwei tage brauchten die kardinäle, um sich auf erzbischof jorge mario bergoglio als neuen papst zu einigen. beide unmittelbaren vorgänger, papst benedikt xvi. und papst johannes paul ii., wurden ebenfalls am zweitentag eines konklaves zum nachfol- ger des apostels petrus bestimmt. beim polen klappte es 1978 nach acht, beim deutschen 2005 nach vierwahlgängen. quelle: kna kopf der woche patron der armen zahl der woche 5 zitat der woche »möge gott euch vergeben, was ihr getan habt.« papst franziskus scherzt kurz nach seiner wahl mit den kardinälen beim festlichen abendessen im vatikanischen gästehaus santa marta. das parlament frankfurter societäts-druckerei gmbh 60268 frankfurt am main das stromleitungsnetz soll noch dichter werden. rund 2.800 kilometer müssen gebaut werden. die lehren aus dem gau von fukushima japanische kinder entzünden kerzen im gedenken an die opfer von fukushima. ©picture-alliance/dpa ©picture-alliance/dpa »schwarz-gelb vergeigt die energiewende. schwarz-gelb gefährdet arbeitsplätze.« bärbel höhn (grüne) weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper atomkraft umweltminister altmaier nennt ausstieg »ganz sicher«. opposition kritisiert bürgschaften für kernkraftwerke ©picture-alliance/dpa in dieser woche innenpolitik hilfe bundestag berät über mehr geld für contergan-opfer seite 5 europa und die welt etat das europaparlament lehnt den eu-finanzrahmen bis 2020 ab seite 8 wirtschaft und finanzen regulierung die bundesregierung will ein „trennbanken-system“ einführen seite 12 kultur und medien filmwirtschaft der bund soll die filmförderung fortzsetzen seite 13 mit der beilage apuzaus politik und zeitgeschichte 63. jahrgang · 12/2013 · 18. märz 2013 vorkrieg 1913 florian illies schlaglichter aus dem jahr 1913 michael epkenhanseuropa am abgrund? großmächte zwischen krisendiplomatie und aufrüstung björn opfer-klinger 1913 als kriegsjahr: südosteuropa und die balkankriege christoph nübel bedingt kriegsbereit. kriegserwartungen in europa vor 1914 robert w. cherny die vereinigten staaten vor 1914 bernd polster „tangomanie“. die erste tanzwelle wenn sich alle einig sind, dass es erstrebens- wert ist, ein ziel zu erreichen, heißt das noch lange nicht, dass dieses ziel gemeinsam und ef- fektiv angegangen wird. so verhält es sich auch mit jenem politischen projekt, das nüchtern, fast lapidar als energiewende bezeichnet wird. das klingt, als ginge es um das beiläufige um- legen eines elektro-kippschalters. tatsächlich verbirgt sich dahinter eine der größten heraus- forderungen der industriegeschichte. es gilt, den strom als treibstoff für den motor einer führenden nation der weltwirtschaft in abseh- barer zeit nicht mehr atomar zu erzeugen. technisch ist das möglich, langfristig. emotio- nal offenbar nicht, jedenfalls nicht kurzfristig. zu groß sind derzeit noch die interessenskon- flikte. stromkonzerne beklagen nicht ver- schmerzbare einnahmeverluste, anbieter er- neuerbarer energiequellen erfreuen sich tüchti- ger subventionen. netzbetreiber fordern einen baldigen ausbau des oberirdischen leitungs- systems, anlieger befürchten gesundheitlichen schaden durch elektrosmog. einige großab- nehmer beanspruchen entlastung von gestie- genen kosten für alternativen strom, private endverbraucher werden wie selbstverständlich zu einem größeren beitrag verpflichtet. kurzum: die energiewende ist ein pakt gegen- sätzlicher interessen, bei dem die bestechende sympathie für das endziel die probleme der umsetzung nur notdürftig verschleiert. und doch gibt es kein zurück. darum ist es rich- tig, wenn die bundesregierung jetzt ankündigt, die beteiligten instanzen näher zusammenrü- cken lassen und damit die kräfte bündeln zu wollen. nur wenn es gelingt, der energiewen- de bald mehr effizienz einzuhauchen, wird ihr ansehen nicht noch mehr leiden. ohnehin hat der verbraucher längst gelernt: er wird es sein, der den umbruch finanziert. im gegenzug darf dann beispielsweise mit fug und recht erwartet werden, dass die förderpo- litik für alternative energiequellen überdacht und neu justiert wird. die anstehende und nicht ganz freiwillig her- beigeführte überprüfung der regelungen für die netzentgelte ist da ein guteranfang,um po- litische glaubwürdigkeit zu stärken. dann könnte, was heute mitunter illusorisch zu sein scheint, eines tages zum wohle der nachwach- senden generationen das gemeinsame ziel er- reicht sein: der endgültige ausstieg aus der kernenergie. editorial das ziel vor augen von jörg biallas thema: netzausbau fahrplan für die energiewende seite 1-3 nach 10 jahren an der »agenda 2010« scheiden sich nach wie vor die geister seite 6 vor 80 jahren das »ermächtigungsgesetz« ebnete den weg in die ns-diktatur seite 9 www.das-parlament.deberlin, montag 18. märz 201363. jahrgang | nr. 12 | preis 1 € | a 5544