die kleinen probleme vor ort 3parteien heutedas parlament – nr. 15/16 – 8. april 2013 r alf schwarz möchte etwas bewe- gen und „sich einbringen“. doch dem 46-jährigen geht es nicht da- rum, das sprichwörtliche große rad zu drehen, im gegenteil: die anliegen der menschen vor ort interessieren ihn. und wenn es nur die beseitigung eines schlagloches ist. um diese kleinen dinge vor ort kümmert sich schwarz im beirat des nördlichsten bremer stadtteils blumenthal. dort ist er als sprecher der cdu-fraktion aktiv, und das aus überzeugung. „ich habe schon immer cdu gewählt“, sagt er. da war es für ihn selbstverständlich, dass er der par- tei beitrat. damals, im jahr 2004, regierten christ- und sozialdemokraten in bremen in einer großen koalition. das bündnis gehört seit 2007 auf landes- ebene der vergangenheit an. nicht jedoch in ralf schwarz’ stadtteil. hier versuchen spd- und cdu-vertreter nach wie vor, „ge- meinsam etwas für blumenthal zu errei- chen“. das klappe sehr gut, findet schwarz und lobt das engagement im beirat „über die parteigrenzen hinweg“. er sagt: „wir ent- scheiden vor ort, was gut ist!“ so ließen sich zahlreiche kleine dinge im sinne der men- schen entscheiden. vieles geschehe auf dem „kleinen dienstweg“. beispiel schlagloch: droht gefahr für die achsen der autofahrer, reiche oftmals ein anruf beim chef des stadt- teils, dem orts- amtsleiter, um das ungemach innerhalb kur- zer zeit zu be- seitigen. diesen einsatz dankten die bürger ei- nem. das macht schwarz glück- lich. so werde er stück für stück „vor ort wahr- g e n o m m e n “. und das als cdu-politiker, was angesichts der jahrzehntealten dominanz der spd bis in die quartiere hinein für ihn umso mehr zählt. bei allem engagement für die bürger legt schwarz wert darauf, nicht alles an die gro- ße glocke zu hängen. „wir machen viele sa- chen, die keiner mitkriegt“, sagt er. das al- les sei nicht nur durch die parteiübergrei- fende kooperation möglich. entscheidend sei ferner der enge kontakt zu den men- schen. von ihnen werde er angesprochen – beim einkaufen genauso wie im rahmen von veranstaltungen. das alles nütze jedoch gar nichts, wenn jemand das „kommunal- politische handwerk“ nicht beherrscht. und hierzu brauche es „vernünftige lehr- meister“, ist schwarz überzeugt. diese habe er glücklicherweise gehabt. darüber hinaus habe er erfahrungen in verschiedenen gre- mien sammeln können; unter anderem als sogenannter sachkundiger bürger im lan- desjugendhilfe-ausschuss bremens, als ei- ner von zwei vorsitzenden der kommunal- politischen vereinigung der bremer cdu und natürlich als vorstandsmitglied des blumenthaler cdu-stadtbezirksverbandes. übrigens beteiligt sich ralf schwarz natür- lich an den aktionen seiner partei, vor al- lem im wahlkampf. aber das ist für ihn selbstverständlich. ub ❚ d as jahr 1989 wird für ihn im- mer ein besonderes datum bleiben. nicht nur, weil die friedliche revolution in der ddr ihm die freiheit brachte, sich für ei- nen lebensweg zu entscheiden. „damals begann auch mein politisches engagement bei den jusos“, sagt axel brückom, „und ich war froh, dass ich dort mitmachen konnte, wo schon meine großen politischen vorbil- der helmut schmidt und willy brandt ge- wirkt haben.“ parallel zum praktischen en- gagement setzte er seine leidenschaft auch bei der berufswahl um: bei einem studium der politikwissenschaft. anders als die beiden spd-politiker aber sieht der 41-jährige seine spielwiese auf dem feld der kommunalpolitik. er ist abgeordneter im chemnitzer stadtrat, ist dort vorsitzender der spd-fraktion. „für mich ist politik auf der kommunalen ebene am greifbarsten. man kann dinge direkt vor ort beeinflussen und sieht unmittelbar, worüber man entschieden hat.“ besonders stolz mache ihn, dass es ihm mit seiner fraktion in chemnitz gelungen sei, viel geld in die sanierung von schulen und kindertagesstätten zu leiten. „inzwischen gibt es dabei auch hilfe vom freistaat, aber zu be- ginn haben wir das aus eigener kraft ge- schafft. das ist eine große sache“, sagt der dreifache vater. hauptberuflich leitet brückom die chemnitzer niederlassung einer großen bil- dungseinrich- tung. eine an- spruchsvolle aufgabe – und trotzdem nimmt er sich wöchent- lich zwischen zehn und 15 stunden zeit für die politik. eh- r e n a m t l i c h . „klar hat man auch immer wieder mal frust und fragt sich: warum tue ich mir das an? wenn man bei einer abstimmung mit pau- ken und trompeten scheitert, obwohl ganz klar ist, dass damit der falsche weg einge- schlagen wird oder sich merkwürdige mehr- heiten durchsetzen, ist das besonders gravie- rend.“ doch nie sei sein ärger so groß gewe- sen, dass er ernsthaft darüber nachgedacht habe, wirklich alles hinzuschmeißen. bei aller begeisterung: ambitionen, in die wirklich „große politik“ zu gehen, hat brück- om nicht. aus einer tiefen überzeugung: „ich bin mir sicher, dass man sich nie von der po- litik abhängig machen sollte. wer politik zum broterwerb macht, der wird teil der mandats- erhaltungs-maschinerie, der ist nicht mehr frei und hat immer im hinterkopf, dass er sich die nächste aufstellung sichern muss. das wird mit nicht passieren: wenn ich nicht mehr gewählt werde, habe ich meinen beruf und meine wirtschaftliche existenz steht nicht in frage.“ brückom hat keine lust auf strippenziehereien oder hinterzimmerge- spräche, er will sich den spaß am politischen handeln nicht nehmen lassen. wer darauf keine lust habe, dürfe hinterher nicht me- ckern: „wenn ich nicht selbst mitmache, ent- scheidet ein anderer für mich und ich weiß nicht, ob das in meinem sinne ist. also küm- mere ich mich lieber selbst.“ suk ❚ w elchen unterschied es macht, ob eine stadt kinder- gerecht ist oder nicht, erlebt federico busarello momen- tan am eigenen leib. der 39-jährige fdp- lokalpolitiker ist momentan in elternzeit mit seiner einjährigen tochter. wenn er in stuttgart mit dem kinderwagen unterwegs ist, ärgert er sich über jeden nicht abgesenk- ten bordstein. vor 14 jahren, noch als stu- dent, ist er den jungen liberalen beigetre- ten. heute ist er mitglied des stuttgarter fdp-vorstandes, vor zweieinhalb jahren wurde er in den bezirksbeirat ost gewählt. sein großes thema dort ist die beruhigung des verkehrs – in der autostadt stuttgart sind da harte bretter zu bohren. busarello möchte, dass vor jedem kindergarten und jeder schule tempo 30 und ein absolutes halteverbot für autos gilt. dafür muss er verbündete finden, denn im bezirksbeirat ost ist er der einzige vertreter der liberalen. allerdings sind die politischen bündnisse in der lokalpolitik weniger starr als in der bundespolitik. federico busarello hat des- halb gute chancen, dass seine anträge auch von grünen oder sozialdemokraten unter- stützt werden. gegen den vorwurf, als fdp-politiker ein „neoliberaler“ zu sein, verwahrt busarello sich entschie- den. er sieht sich selber als „soziallibera- ler“, den das so- ziale engage- ment seiner el- tern – seine mutter ist deut- sche, sein vater italiener – und seiner großel- tern geprägt hat. schon als kind half er mit, wenn die evan- gelische kirche essen an bedürftige verteilte, in der grund- schule ließ er sich zum klassensprecher wählen. auch bei der fdp sieht er einen „starken sozialen flügel“, der in der zu- kunft eine größere rolle spielen könnte – mittelfristig hofft er auf eine rot-gelbe ko- alition wie zu zeiten willy brandts. obwohl in stuttgart fast jeder zweite bürger aus der türkei, aus italien, griechenland oder russland stammt, spiegelt sich das in der lokalpolitik bislang nicht. federico bu- sarello bedauert das. die parteien hätten das potenzial dieser gruppen vernachläs- sigt, findet er. „ich erlebe aber auch, dass beispielsweise in der italienischen commu- nity viele gut integriert, aber unpolitisch sind“, erzählt er. allerdings wachse der an- teil derjenigen migranten, die gut deutsch sprechen, gut integriert sind und sich des- wegen auch ein politisches amt zutrauen. etwa zehn stunden in der woche bringt fe- derico busarello, der als selbstständiger im- mobilienberater arbeitet, für sein politi- sches engagement auf: für sitzungen, die vorbereitung von dokumenten und ge- spräche mit bürgern, die ihn seit seiner wahl zum bezirksbeirat häufig auch auf der straße ansprechen. trotz der minimalen aufwandsentschädigung kann busarello sich nicht vorstellen, auf sein politisches engagement zu verzichten. ktr ❚ s arah fingarow wollte am anfang vor allem anders sein als jene, die an der macht waren. „damals war das nur so ein rebellieren gegen das, was mich stört.“ zum beispiel der bun- deswehreinsatz in afghanistan. oder rechtsradikale in ihrem kiez. in der neun- ten klasse absolvierte sie ein schulprakti- kum bei einem buchhändler. „der wurde von nazis angeschossen“, erzählt die 26- jährige. im haus habe gregor gysi sein bü- ro gehabt, der händler selbst sei linksorien- tiert gewesen. 2001 tritt sie der jugendorga- nisation solid der partei die linke bei, 2006 wird sie parteimitglied. sie folgt damit ih- rem vater, der ebenfalls mitglied war. heu- te sitzt sie in der bezirksverordnetenver- sammlung in berlin-marzahn-hellersdorf. rund 20 stunden die woche engagiert sie sich für die partei. „inzwischen ist meine motivation, etwas verändern zu wollen“, sagt fingarow. einmal im monat kommt die versammlung zusammen. die lehramtsstudentin – ar- beitslehre und sozialkunde – ist sprecherin für bildung und gleichstellung ihrer frakti- on. sie engagiert sich daher auch in den ausschüssen für schule und sport sowie gleichstellung und menschen mit behinde- rung. „auch die tagen jeweils einmal im monat. meist sind es abend- termine, weil ja alle ehrenamt- lich arbeiten.“ die linke ist mit 19 sitzen die stärkste fraktion, sieht sich aber einer zählgemein- schaft aus cdu, spd und grü- nen gegenüber. so hat fingarow sich kürzlich mit ihren kolle- gen geschlagen geben müssen, als ihre geg- ner im parlament partout nicht mehr einen antrag zum equal pay day auf die tagesord- nung nehmen wollten. ja, sagt sie, die lan- gen sitzungen könnten schon ermüden. „was mich immer wahnsinnig auf die pal- me bringt: wenn ich in einer versammlung sitze und die leute etwas tausendmal wie- derholen. nach dem motto ,jeder hat es schon gesagt, nur ich nicht’“, sagt fingarow. sie hofft aber weiterhin, etwas verändern zu können. „wenn man leuten direkt helfen kann“ – das treibe sie an. „das ist das schö- ne an kommunalpolitik, da geht es um die ganz kleinen dinge.“ ihr traum: „dass der bezirk dieses schlechte image los wird. dass die menschen in diesem bezirk glücklich sind.“ seit drei jahren ist fingarow außerdem im vorstand ihres bezirksverbandes. dort orga- nisiert sie unter anderem einmal im monat ein frauentreffen. weiter engagieren will sie sich auf jeden fall. auch in der bundespo- litik? „ich würde es nicht ausschließen, stre- be es aber nicht an“, sagt sie. ihr langfristi- ges ziel: ein besseres bildungssystem. „ich schließe es auch nicht aus, bildungswissen- schaften zu studieren und später lehrpläne zu schreiben.“ letztlich komme es für sie darauf an, wo sie größere chancen hat, et- was zu verändern. sk ❚ a ls sabine mundle 1989 der sin- delfinger ortsgruppe der grünen ihre hilfe anbot, dachte sie zu- erst eher daran, plakate zu kle- ben. doch dann wurde sie gefragt, ob sie nicht lieber kandidieren will. die damals 29-jährige wurde aufgestellt und sofort in den sogenannten ortschaftsrat des stadt- teils darmsheim gewählt. „ich war keine ge- bürtige darmsheimerin, dazu noch eine frau und eine grüne, die damals den ruf hatten, alles aufmischen zu wollen.“ von manchem alteingesessenem lokalpolitiker sei sie da schon misstrauisch beäugt wor- den, erzählt sie. schnell erarbeitete sie sich aber die wertschätzung der kollegen. im gegensatz zu den ersten grünen bundes- tagsabgeordneten in bonn sei sie zu den sit- zungen allerdings nicht in selbstgestrickten pullovern, sondern eher klassisch gekleidet erschienen, erzählt die pädagogin. beruflich hatte sich sabine mundle zu- nächst zur arzthelferin ausbilden lassen, später studierte sie auf grund- und haupt- schullehramt. seit mehr als zehn jahren ist sie selber rektorin einer sindelfinger grundschule. politisiert wurde die heute 53-jährige wie viele in ihrer generation durch den reaktorunfall von tschernobyl im jahr 1986. über eine bürgerinitiative lernte sie dann grüne aktivisten kennen und schloss sich ih- nen an. in der lokalpolitik hat sie sich folge- richtig vor allem mit bildungs- und energiethe- men beschäf- tigt, erzählt sie. im sindelfinger gemeinderat, in den sie einige jahre später ge- wählt wurde, hat sie beispielsweise zusammen mit ande- ren verhindert, dass der raum für die neue kleinkindergruppe einer kita auf das dach des bestehenden gebäudes gebaut wurde – „da hätten die kleinen schließlich jeden tag endlos treppen steigen müssen“, erklärt sie. es sind erfolge, die von weitem klein er- scheinen, für die betroffenen familien aber sehr wichtig sind. stärker als bundes- oder landespolitik ist lokalpolitik vielerorts eine männerdomäne geblieben. das merkte sabine mundle vor allem im kreistag des landkreises böblin- gen. „dort haben die ganzen bürgermeister ihren sitz, überwiegend ältere männer von der cdu oder den freien wählern“, erzählt sie. anträge durchzubringen sei dort fast un- möglich gewesen, bei ihren reden wurde dazwischengerufen. sie ist stolz darauf, dass sie sich mit der zeit aber auch dort respekt und akzeptanz erarbeitet hat. was sie aller- dings schade findet: dass besonders junge mütter und väter selten den weg in die lo- kalpolitik finden. überraschend sei das nicht: die dreifachbelastung durch beruf, familie und politisches engagement wür- den eben nur sehr wenige schultern wollen oder können. sabine mundle hat selber kei- ne kinder – sich für ihre belange einzuset- zen, sei aber eine ihrer stärksten motivatio- nen in der politik, sagt sie. ktr ❚ m anchmal denkt sebastian brehm darüber nach, wie sein leben ohne politik aussehen würde. ohne lange stadtrats- sitzungen, straßenwahlkampf und diskus- sionsveranstaltungen zu schulneubauten und der zukunft des nürnberger obst- markts. „entspannter wäre es mit sicher- heit“, sagt der 41-jährige, „aber mir würde etwas ganz wichtiges fehlen. ich habe mit 13 angefangen. das prägt.“ damals kämpf- te er für kostenlose schülertickets, mehr mitbestimmung an schulen und die ab- schaffung der sperrstunde. inzwischen ist brehm vorsitzender der csu- stadtratsfraktion in nürnberg. heute argu- mentiert er gegen die idee, flächendeckend tempo 30 in der stadt einzuführen, und for- dert ein programm, um der katastrophalen hortplatzsituation zu begegnen. der selbst- ständige steuerberater will mehr: er hofft, im nächsten jahr oberbürgermeister zu wer- den. doch bis dahin ist es ein weiter weg, der spd-amtsinhaber ist beliebt. angst vor einer niederlage hat brehm nicht. „ich ma- che das, weil ich meine stadt liebe und mich darüber ärgere, dass nichts vorangeht. im moment schläft die stadt ein. da muss ich einfach versuchen, es besser zu machen und anpacken.“ auf fußballplätzen und märk- ten, in vereinen und auf bürger- versammlungen kämpft er um stimmen. dass viele auf einen solches pensum keine lust ha- ben, kann er ver- stehen. „im mo- ment arbeite ich früh morgens bis spät in der nacht. das ist natürlich an- strengend. wer dann nicht mit begeisterung und herzblut zu den veranstal- tungen geht, der schafft so ein pensum nicht.“ kommunalpolitik sei ganz sicher kärrnerarbeit, „aber eben auch genau das, was das leben konkret beeinflusst. wenn ich mit dem bus durch die stadt fahre, kann ich an jeder ecke sagen: hier haben wir das ge- macht, dort dies. kommunalpolitik bringt unmittelbare ergebnisse.“ auch an die beobachtung als politiker hat sich brehm gewöhnt. „wir sind ja auf eine bestimmte art vorbilder. ich weiß: ich muss diese vorbildrolle leben, sonst steht es mor- gen in der zeitung, aber ich lebe diese vor- bildrolle gerne.“ er habe getan, was möglich war, um sich nicht angreifbar zu machen. „ich weiß genau, dass mein hintergrund auf allen ebenen überprüft wird.“ der politikstil ändert sich, sagt brehm, „die leute wollen ja keine aalglatten politiker, die immer diesel- ben phrasen von sich geben, sondern volks- vertreter mit charakter. was man vor der wahl verspricht, sollte man nach der wahl auch zügig umsetzen.“ suk ❚ parteimitglieder suchen im straßenwahlkampf in nordrhein-westfalen im jahr 2010 das gespräch mit den passanten. ©picture-alliance/dpa die kleinen probleme vor ortkommunalpolitik an der basis engagieren sich die parteimitglieder ehreanamtlich für die anliegen der menschen weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper ©ulfbuschmann ©privat ©privat ©sandraketterer ©privat ©picture-alliance/dpa ralf schwarz (cdu) axel brückom (spd) federico busarello (fdp) sarah fingarow (die linke) sabine mundle (bündnis 90/grüne) sebastian brehm (csu)