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geeint und doch getrennt www.das-parlament.deberlin, montag 29. april 2013 63. jahrgang | nr. 18 bis 20 | preis 1 € | a 5544 d er gemeinsame gegner aller demokraten trifft im bundestag auf eine fraktionsübergreifend klare verurteilung: „ver- abscheuenswürdig“ sei die npd, sagte unions-fraktionsvize gün- ter krings (cdu) am vergangenen don- nerstag in der plenardebatte über ein mög- liches verbot der rechtsextremen partei. „zutiefst widerlich“ nannte sie der fdp-par- lamentarier stefan ruppert, „zutiefst verfas- sungswidrig“ ulla jelpke (linke), „men- schenverachtend“ der parlamentarische grünen-fraktionsgeschäftsführer volker beck. „diese partei ist antidemokratisch, sie ist antisemitisch, sie ist ausländerfeindlich, sie ist in teilen gewaltbereit“, urteilte becks spd-kollege thomas oppermann. vorbei mit der einigkeit war es im bundes- tag indes bei der frage, ob das parlament beim bundesverfassungsgericht einen eige- nen antrag auf ein npd-verbot stellen soll, so wie es der bundesrat für sich bereits en- de 2012 beschlossen hat – oder wie die bun- desregierung als drittes antragsberechtigtes verfassungsorgan auf diesen schritt verzich- ten soll. einen eigenen verbotsantrag des bundestages forderte die spd-fraktion in einem antrag (17/13227), als zusatzpunk- te standen je ein antrag der koalitionsfrak- tionen (17/13225), der links- (17/13231) und der grünen-fraktion (17/13240) auf die tagesordnung. darin sprachen sich uni- on und fdp gegen einen eigenen verbots- antrag des bundestages aus, die linke für ei- nen solchen antrag und die grünen gegen eine entsprechende entscheidung „im hau- ruck-verfahren ohne beratung in ausschüs- sen und anhörungen“. eine mehrheit fand am ende nur die koali- tionsvorlage mit 318 ja- und 259 nein- stimmen. darin heißt es nach einem ver- weis auf den bundesratsbeschluss vom 12. dezember vergangenen jahres: „die bun- desregierung hat am 20. märz 2013 festge- stellt, dass ein eigener verbotsantrag nicht erforderlich ist. der deutsche bundestag teilt diese auffassung und stellt ebenfalls keinen eigenen antrag auf verbot der npd.“ zugleich wird in dem bundestagsbe- schluss begrüßt, dass die bundesregierung „die län- der auch weiterhin im rah- men des verfahrens vor dem bundesverfassungsgericht unterstützen“ werde. krings sagte, die npd sei „menschenfeindlich“ und „demokratiefeindlich“, doch sage dies nichts darüber aus, ob ein verbotsverfahren ge- gen diese partei politisch klug ist. man könne „weder eine rechtsextreme gesinnung noch rechtsradikale men- schen per hoheitsakt verbie- ten“. nötig sei mehr engage- ment, wie es die koalition mit ihrem antrag fordere. „wir wollen den rechtsextremismus vor allem politisch ent- schlossen bekämpfen“, unterstrich krings. ruppert mahnte, man müsse „der npd über- all entschlossen entgegentreten“, was „zual- lererst die aufgabe der gesellschaft“ sei. die koalition sei indes „nach reiflicher abwä- gung aller argumente“ der auffassung, dass der bundestag keinen eigenen verbotsantrag stellen sollte: „die risiken sind hoch, der ausgang ist ungewiss und das problem des rechtsextremismus löst ein npd-verbotsver- fahren eben nicht“. »sorgfältig geprüft« dagegen betonte op- permann, hinsichtlich der erfolgsaussichten des verbotsverfahrens gehe die spd-bundes- tagsfraktion „davon aus, dass die innenmi- nister von bund und ländern sie sehr sorg- fältig geprüft haben“. die fakten besagten, dass die npd „in aggressiv-kämpferischer weise menschenrechtsverletzungen in deutschland organisiert und betreibt“. ein npd-verbot sei nicht deshalb überflüssig ge- worden, weil sie „durch mitgliederschwund, finanzdebakel und schlechte wahlergebnis- se schwächer geworden“ sei. unzutreffend seien zudem behauptungen, eine partei dür- fe nur verboten werden, wenn sie unmittel- bar vor der machtübernahme stehe. jelpke argumentierte, die npd sei die wich- tigste rechtsextreme kraft in deutschland. sie fungiere als „rückgrat für militante nazika- meradschaften“, die ohne die partei nur halb so gut organisiert wären. ein npd-verbot trä- fe „nahezu die ganzen rechtsextremen struk- turen in deutschland“. beck sagte, in der grünen-fraktion setzten viele abgeordnete darauf, dass die nähe der npd zum nationalsozialismus und den ge- walttätigen kameradschaften sowie ihre entschlossenheit zur abschaffung von de- mokratie und rechtsstaat ausreicht, „um das bundesverfassungsgericht und europäi- sche gerichte von der möglichkeit eines parteiverbots zu überzeugen“. andere frag- ten, ob mit dem vorhandenen material nachgewiesen werden könne, dass die npd für den bestand von demokratie und rechtsstaatlichkeit eine ernsthafte gefähr- dung darstelle. diese fragen verdienten ei- ne ernsthafte erörterung. seine fraktion se- he aber nicht, „dass das entsprechend seri- ös diskutiert wurde“. helmut stoltenberg ❚ d ie möglichkeit der strafbefreien- den selbstanzeige bei steuerhin- terziehung sowie das absehen von strafverfolgung in beson- ders schweren fällen von steuerhinterzie- hung bleiben vorerst erhalten. der bundes- tag lehnte am freitag mit der mehrheit der koalitionsfraktionen cdu/csu und fdp ei- nen antrag der fraktion die linke (17/13241) ab. die fraktion hatte sich für ei- ne sofortige abschaffung der strafbefreienden selbstanzeige ausgesprochen. linken-fraktionschef gregor gysi warf der bunderegierung vor, seit 2002 nichts gegen steuerhinterziehung getan zu haben. „damit muss jetzt schluss sein. der zeitgeist beginnt sich zu ändern“, sagte gysi, der das deutsch- schweizerische steuerabkommen als „skan- dal“ bewertete: „gegen einen kleinen obulus wären die größten steuerhinterzieher ein- schließlich uli hoeneß legalisiert worden.“ der dem freistaat bayern vorwarf, er wolle sich mit dem hinweis auf wenig betriebsprü- fungen bei den reichen beliebt machen. klaus-peter flosbach (cdu) warf gysi eine „schäbige schmutzkampagne“ vor. es gebe aber keine steueroasen in deutschland. „steuerhinterziehung ist ein straftatbestand. es ist nicht zu ertragen, wie viele hier steuern hinterziehen. da müssen wir scharf durch- greifen. und das tun wir auch“, sagte flos- bach. zu dem am bundesrat gescheiterten steuerabkommen mit der schweiz stellte flosbach fest, inzwischen seien sechs bis 15 milliarden euro verloren gegangen, weil rot- grün nicht zugestimmt habe. auch fdp-fraktionsvize volker wissing wies den vorwurf von gysi zurück, keine regie- rung habe etwas nennenswertes gegen steu- erhinterziehung getan. das sei „geballter un- sinn. jede bundesregierung hat bisher nach kräften gegen steuerhinterziehung gekämpft. das ist die wahrheit", sagte wissing. der fdp-politiker warf der opposition vor, das deutsch-schweizerische steuerabkommen und damit die bekämpfung der steuerhinter- ziehung nur abzulehnen, um aus dem the- ma „politisch kapital zu schlagen. das ist die eigentliche schweinerei.“ dagegen verteidigte spd-fraktionsvize joa- chim poß die ablehnung des steuerabkom- mens. schwarz-gelb habe damit steuerkrim- nelle in der anonymität lassen wollen. das habe nicht akzeptiert werden können. die selbstanzeige solle nur noch für eine über- gangszeit zugelassen und dann auf bagatell- fälle beschränkt werden. thomas gambke (grüne) warf konzernen vor, steuern zu re- duzieren, wo es gehe. so hätten deutsche großbanken von 1999 bis 2009 vier milliar- den euro steuern bezahlt, sparkassen und volksbanken 40 milliarden. da wisse man, „wie ernst das problem ist“. auch ein weiterer antrag der linksfraktion (17/13129) mit dem ziel, alle steueroasen trockenzulegen, wurde mit mehrheit der ko- alitionsfraktionen zurückgewiesen. hle ❚ geeint und doch getrenntnpd-verbot bundestag argumentiert einhellig gegen die partei, schließt sich aber dem bundesratsvorstoß nicht anandreas voßkuhle der präsident des bun- desverfassungsgerichts selbst leitet das neue npd-verbotsverfahren, denn er ist auch vorsit- zender des zweiten senats in karlsruhe, der für fragen der staatsorganisation zuständig ist. dabei hat voßkuhle nur ei- ne stimme im acht- köpfigen senat, des- sen relevante ent- scheide in parteiver- botsverfahren mit zwei-drittel-mehr- heit, also sechs stimmen, getroffen werden müssen. mit seiner offensiven medienpräsenz hat der eloquente 49-jährige in der politik zu- letzt irritationen ausgelöst. voßkuhle ist seit 2008 richter beim bundesverfassungsgericht und wurde 2010 zu dessen jüngsten präsiden- ten gewählt.in einem interview ließ er jetzt nur wenig begeisterung für den prozess gegen die npd anklingen: „um bestimmte verfahren rei- ßen wir uns nicht“ sagte der ostwestfale. sie müssten dennoch entschieden werden. kru ❚ mitglieder gehören derzeit der npd an, wie parteichef holger apfel beim bundesparteitag in weinheim vor gut einer woche berichtete. damit hat die npd seit ihrem zeitweisen hoch im jahr 2007 rund 1.800 mitglieder verloren. zur zeit ihrer größten popularität in den 1960-er jahren, als die rechtsextreme partei in sieben landtagen saß, hatte sie 28.000 mit- glieder (1969). kopf der woche eloquent und mediengewandt zahl der woche 5.400 zitat der woche »die npd soll aus allen parlamenten verschwinden.« günter krings (cdu), stellvertretender vorsitzender der unions-fraktion, in der bun- destagsdebatte über ein neues npd-verbots- verfahren das parlament frankfurter societäts-druckerei gmbh 60268 frankfurt am main zukunft ungewiss: das klingelschild der npd-zentrale in berlin. bei einem verbot der partei hat es ausgedient. kampf gegen steuerhinterziehung geht weiter selbst in den schweizer bergen ist schwarzgeld kaum noch sicher. ©picture-alliance/dpa ©picture-alliance/dpa weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper finanzen linke fordert vergeblich das ende der strafbefreienden selbstanzeige. koalition verteidigt schweizer abkommen ©picture-alliance/dpa in dieser woche innenpolitik contergan initiative billigt geschädigten höhere renten zu seite 5 wirtschaft und finanzen mittelstand unternehmer werden künftig besser gefördert seite 7 europa und die welt italien sozialdemokrat enrico letta soll die krise im land beenden seite 10 kultur und medien lehrer abgeordnete sehen reformbedarf bei ausbildung der pädagogen seite 13 mit der beilage apuzaus politik und zeitgeschichte 63. jahrgang · 18–20/2013 · 29. april 2013 wissen markus gabrielwissen und erkenntnis hubert knoblauch wissenssoziologie, wissensgesellschaft und wissenskommunikation daniela pscheida wissen und wissenschaft unter digitalen vorzeichen christiane bender die geburt der wissensgesellschaft aus dem geist des kalten kriegeslaura kajetzke · anina engelhardt leben wir in einer wissensgesellschaft? rembert unterstell science center: wissen als erlebnis peter wehling soziale praktiken des nichtwissens nico stehr wissen und der mythos vom nichtwissen manche politische fragen lassen sich ohne zu- geständnisse an die jeweils andere seite nicht eindeutig mit richtig oder falsch beantworten. so ist es auch bei der frage, die in der politik nunmehr seit jahren immer wieder aufs neue diskutiert wird: ist es zielführend, ist es klug, ei- nen weiteren verbotsantrag gegen die npd auf den weg zu bringen? ja, sagt die große mehrheit im bundesrat, es ist hinreichend nachweisbar, dass diese partei ver- fassungsfeindlich ist. nein, befürchtet die re- gierung, die gefahr eines erneuten scheiterns vor gericht ist groß. ein sieg dort würde den rechtsextremisten ungewollt popularität be- scheren. diese meinung hat sich in der vergan- genen woche nun auch bei der abstimmung im plenum des bundestages durchgesetzt. wohlgemerkt: es geht nicht um ein grundsätz- liches votum für oder gegen die npd. alle de- mokraten im land sind sich einig, dass die re- publik auf deren ebenso verwirrte wie verwor- rene programmatik gut verzichten könnte.viel- mehr geht es darum, einer unheilvollen und menschenverachtenden gesinnung möglichst effektiv das wasser abzugraben. auf den ers- ten blick mag da ein verbot das weitestgehen- de sein. schon weil damit auch die parteienfi- nanzierung gekappt wäre. auf den zweiten blick ist aber nicht zu überse- hen, dass die npd aktuell kaum in der lage ist, mit ihrem ungeist schaden anzurichten. die or- ganisation ist finanziell am ende. sie findet nur unter größten schwierigkeiten einen tagungs- raum für ihren bundesparteitag. ein schulter- schluss der demokratischen kräfte stellt die npd in den landtagen von sachsen und meck- lenburg-vorpommern kalt. und der wählerzu- spruch ist, wie zuletzt in niedersachsen, mitt- lerweile ausgesprochen überschaubar. auch wenn der bundestag sich dem votum der länderkammer nicht angeschlossen hat, wird das verbotsverfahren kommen. dessen befür- worter beklagen jetzt, die abgeordneten im reichstagsgebäude hätten die chance eines einheitlichen politischen signals verstreichen lassen. freilich ließe sich ebenso argumentie- ren: ist es nicht auch ein starkes signal, die überzeugung zu vertreten, dass diese republik rechtsradikales gedankengut vom stadtrat bis zum landtag ganz offensichtlich effektiv in schach halten kann? ganz ohne verbot, aber mit vernunft und vor allem mit der kraft demo- kratischer geschlossenheit. editorial die kraft der demokratie von jörg biallas thema: verbot der npd bundestag streitet über antrag seite 1-3 zu wenig geld ein gesetzlicher mindestlohn soll millionen arbeitnehmern helfen seite 6 zu viel geld opposition will steueroasen für die vermögen der reichen austrocknen seite 9 in parteien finden menschen mit gleicher meinung da- rüber zusammen, wie deutschland regiert werden soll. bei wahlen können die bürger sich dann für eine par- tei entscheiden. parteien sind also wichtig für die po- litik. in bestimmten fällen kann eine partei aber auch verboten werden. zum beispiel dann, wenn sie nicht will, dass die menschen in deutschland friedlich zu- sammenleben. für dieses zusammenleben gibt es grundregeln. dass diese eingehalten werden, darauf achtet das bundesverfassungsgericht.nur dieses ge- richt kann eine partei verbieten. zuvor muss jemand ein solches verbot beantragen. das dürfen nur der bundestag,der bundesrat und die bundesregierung. parteiverbot lesen sie mehr zu diesem thema auf seite 9 und unter www.das-parlament.de www.das-parlament.deberlin, montag 29. april 201363. jahrgang | nr. 18 bis 20 | preis 1 € | a 5544