debattendokumentation 7debattendokumentationdas parlament – nr. 25/26 – 17. juni 2013 wiensahensieeinen„völkermord“an deutschen in sogenannten „todesla- gern“ und „vernichtungslagern“. sie wissen ganz genau, was sie damit tun: sie setzen das zweifellos harte schick- sal, das viele deutsche in osteuropa erfahren haben, mit den verbrechen gleich, die deutsche in osteuropa an- gerichtet haben. sie setzen die aus- siedlung der deutschen mit der er- mordung der europäischen juden durch das ns-regime gleich. ich sage: wer eine solche gleichsetzung vor- nimmt, der betreibt geschichtsrevisio- nismus, der relativiert die naziverbre- chen,unddemmussmanentschieden in die parade fahren. meine damen und herren, ich ha- be eingangs gesagt, dem erinnern an unrecht werde sich die linke nicht wi- dersetzen. nun herrscht in deutsch- land kein mangel an erinnerung – an denkmälern, biografischen werken und so weiter – zum thema vertrei- bung, auch wenn das der bdv-lobby immer noch nicht genug ist; tatsäch- lich aber hat sie ihre eigene revisionis- tische sicht schon lange etabliert. aber wenn man über vertreibung redet, muss man auch über die deutschen verbrechen in osteuropa reden und darüber, welche politische funktion deutsche minderheiten vor dem krieg hatten, beispielsweise im sudeten- land, wo sie sich zum großen teil of- fen gegen die tschechische demokra- tie gestellt haben. die befreiten völ- ker in osteuropa wollten diesen hebel zur zerschlagung ih- rer staaten neutrali- sieren. an diese histo- rischen zusammen- hänge muss erinnert werden, sonst ver- dreht man die ge- schichte und die poli- tischen verantwortlichkeiten. aus ge- nau diesem grund darf die erinne- rung an die nachkriegsereignisse nicht dem bund der vertriebenen überlas- sen werden. nun will die koalition den welt- flüchtlingstag um das gedenken an heimatvertriebene erweitern. ich hal- te das, ehrlich gesagt, für keine gute idee; denn wer den tag des flüchtlings ernst nimmt, hat schon bisher an die- sem tag ohnehin aller menschen ge- dacht, die vor gewalt und unmensch- licher behandlung fliehen mussten oder müssen. aber ganz offenbar passt es den vertriebenenfunktionären nicht, sich gemein zu machen mit dem somali, der vor gewalt und hun- ger flieht, oder der kurdin, die vor staatsterror und unterdrückung flieht. siewolleneinendeutschengedenktag für deutsche kriegs- opfer. ich habe keinen zweifel, was passiert, wenn sie den 20. juni um das spezielle ge- denken an die hei- matvertriebenen er- weitern. dann wird in deutschland nämlich nur noch an die hei- matvertriebenen erinnert, und das kann ja wohl nicht sein. statt dem bdv seinen eigenen feier- tag zu schenken, will die linke, dass der 20. juni ein tag der weltweiten so- lidarität mit flüchtlingen bleibt, auch mit vertriebenen, das ist selbstver- ständlich. deswegen lehnen wir die- sen antrag der koalition ab. ich komme nun zum letzten punkt, zum gesetzentwurf des bundesrates zur änderung des bundesvertriebe- nengesetzes. grundsätzlich ist unsere haltung: es wäre endlich an der zeit, das bundesvertriebenengesetz abzu- schaffen und seine einwanderungsre- gelung in den katalog des aufenthalts- gesetzes zu überführen. die linke ist sehr für liberalisierte zuwanderung. aber wir sehen überhaupt nicht ein, dass dies nur für sogenannte volks- deutsche gelten soll. die koalition und mehr noch der bundesrat zeigen jetzt endlich eine ge- wisse bereitschaft, den familiennach- zug von spätaussiedlern zu erleich- tern. wir sind dafür. das ist nämlich im interesse der menschen, und das wirdvonderlinkenbegrüßt.derbun- desrat unternimmt einen schritt in die richtige richtung, indem er einen här- tekatalogvonfällenvorstellt,indenen auf den nachweis deutscher sprach- kenntnisse verzichtet werden soll. wir halten einen solchen nachweis ohne- hin für unangemessen. die deutsche sprache lernt man am besten in deutschland. aber was macht die koalition? sie will mit einem änderungsantrag die vorschläge des bundesrates teilweise wieder zurücknehmen und die rege- lungen verschärfen. alter, lern- schwäche, bildungsferne und andere härten will sie nicht als ausnahme- gründe anerkennen, die einen ver- zicht auf den sprachnachweis be- gründen. im klartext heißt das, dass diesen personengruppen verwehrt wird, zu ihren bereits in deutschland lebenden verwandten zu ziehen. das ist ganz klar familienfeindlich und inhuman. deshalb werden wir uns bei diesem gesetzentwurf auch nur enthalten. wir haben stattdessen einen eige- nen änderungsantrag zum vorschlag der regierungskoalition in den innen- ausschuss eingebracht. dort schlagen wir vor, diese erleichterung für alle ins aufenthaltsgesetz aufzunehmen. es geht hier, wie gesagt, um spätaussied- ler, aber es geht nicht nur um sie, son- dern es geht auch um migranten. es ist überhaupt nicht einzusehen, wa- rum diese sprachhürden für viele menschen aus anderen ländern exis- tieren müssen. generell empfiehlt die linke: las- sen sie uns die im vergleich zu nicht- deutschen großzügigen zuwande- rungsbestimmungen des vertriebe- nengesetzes in den allgemeinen rege- lungsbereich der zuwanderung überführen. gleiches recht für alle, auch im bereich der zuwanderung, statt völkisch motivierter privilegie- rung. (beifall bei der linken) w ir begehen heute in dieser sitzung ein besonderes er- eignis. wir erinnern näm- lichaneinegroßartigeerfolgsgeschich- te in den letzten 60 jahren. mit dem bundesvertriebenengesetz, das vor 60 jahren im deutschen bundestag be- schlossenwurde,habenwirdiegrund- lagen dafür gelegt, dass 14 millionen menschen,dieausganzeuropavertrie- ben wurden, im nachkriegsdeutsch- land eine neue heimat finden konn- ten. das war eine riesige aufgabe, eine gewaltige herausforderung. die vertriebenen waren nicht über- all und immer willkommen. auch das gehört zur ganzen wahrheit. das land war zerbombt, es war zerstört, und je- der hatte genügend damit zu tun, sich seine existenzgrundlage wieder aufzu- bauen. dann kommen 14 millionen menschen hinzu, die auch heimat, unterkunft und chancen suchen. ich rede heute deshalb, weil ich aus einerfamiliekomme,derenelternver- triebene waren. meine eltern als deut- sche im ehemaligen jugoslawien ka- men auf einer langen reise nach deutschland. ich selbst habe mich nie als vertriebenen bezeichnet, weil ich 1949 in hoffenheim auf die welt kam. aber ich habe, als ich in die schule kam, sehr wohl gemerkt, dass ich nicht von anfang an dazugehört habe. welchekonsequenzhatmandaraus ziehen können? wie wurde das ganze dannzudiesergroßenerfolgsgeschich- te? indem wir, die kinder von vertrie- benen, die selber auch als vertriebene bezeichnet wurden, uns völlig darüber im klaren waren, dass wir selbst unse- ren beitrag leisten müssen, um in die- se neue heimat, in diese gesellschaft hineinzuwachsen, dass wir nicht er- warten konnten, dass diejenigen, die schon immer in diesem land gelebt haben, ausschließlich sagen würden: herzlich willkommen! die integrati- on ist nur geglückt, weil die einen es wollten und die anderen alles darange- setzt haben, in dieser gesellschaft hei- misch zu werden. das ist ein aspekt dieser erfolgsge- schichte,vondemwirauchfürdieheu- tige zeit etwas lernen können. ohne den starken willen, in diese gesell- schaft hineinzuwachsen, einen beitrag zur entwicklung dieser gesellschaft zu leisten, wäre auch mit dem bundesver- triebenengesetz die integration nicht gelungen. die vertriebenen haben über ihr leid relativ wenig gesprochen. wahrscheinlichsindsiegarnichtbe- troffen. aber ich spre- che als einer, der das alles miterlebt hat. das wird auch einmal zulässig sein. ich kann dazu nur sagen: die väter ha- ben über das, was sie im krieg erlebt haben, in der regel nicht ge- sprochen. das hat im übrigen dazu geführt, dass ende der 60er-jahre eine intensive diskussion begonnen hat. dieser teil der diskus- sion der sogenannten 68er-jahre war auch völlig berechtigt, weil wir wissen wollten, was damals geschehen war. aber unsere mütter haben davon ge- sprochen. meine mutter hat immer er- zählt, dass für sie das dritte reich und die nationalsozialisten das unglück ihres lebens waren. denn sie hat sich in jugoslawien wohlgefühlt, sie wollte gar nicht woandershin. sie hat immer gesagt: wenn die nazis nicht gekom- men wären, hätten wir ein anderes le- ben führen können. sie hat uns, den kindern, gesagt: ihr müsst alles daransetzen, dass so etwas indiesemlandnichtnocheinmalpas- sieren kann. das war die botschaft von vertriebenen aus ganz europa. natürlich hat vertreibung stattge- funden. immer in der geschichte hat es vertreibung gegeben. aber wenn man die geschichte des zweiten welt- krieges,desnationalsozialismus,unse- res deutschlands anschaut, sieht man, dass natürlich – da hat kollege veit recht – die vertreibung damit begon- nen hat, dass zunächst einmal die ju- den aus ihrer heimat vertrieben und dann in den tod geschickt wurden. das war der erste akt von vertreibung in dieser unglaublichen verbrecherge- schichte des nationalsozialistischen regimes. das war un- rechtinhöchstemma- ße. aber es war auch mit viel leid für die vertriebenen verbun- den. meine mutter hatte mit dem natio- nalsozialismus über- haupt nichts am hut. sie hat das alles ver- achtet. dennoch war sie leidtragende. sie hat nicht nur darunter gelitten, dass sie aus ihrer heimat vertrieben wurde, sondern auch darunter, dass sie über ihr leid nicht sprechen konnte, ohne dass man ihr den vorwurf, der mit der sache gar nichts zu tun hatte, gemacht hat, dass sie das leid von juden und all das, was im dritten reich passiert ist, relativieren wollte. die allermeisten vertriebenen waren sich bewusst, wie ich am beispiel meiner mutter sagen kann, was ausgangspunkt ihres dra- mas war. dessen waren sich alle be- wusst. dass man ihnen aber verwehrt hat, auch über ihr individuelles leid zu sprechen, hat sie ein zweites mal ver- trieben. ich zitiere: die politische linke hat in der ver- gangenheit, das läßt sich leider nicht bestreiten, zeitweise über die vertrei- bungsverbrechen, über das millionen- fache leid, das den vertriebenen zuge- fügt wurde, hinweggesehen, sei es aus desinteresse, sei es aus ängstlichkeit vor dem vorwurf, als revanchist ge- scholten zu werden, oder sei es in dem irrglauben, durch verschweigen und verdrängen eher den weg zu einem ausgleich mit unseren nachbarn im osten zu erreichen. dieses verhalten war ausdruck von mutlosigkeit und zaghaftigkeit. bundesinnenminister otto schily am 29. mai 1999. ähnlich formuliert es günter grass in seiner bemerkenswerten novelle im krebsgang in gleicher richtung. wir haben mit dem bundesvertrie- benengesetz nach dem krieg die vo- raussetzungen dafür geschaffen, dass eine integration der vertriebenen statt- finden konnte. wir vergessen nicht die verbrechen, die deutsche an juden be- gangen haben und die im namen der deutschen an juden verübt wurden. deshalb gehört die union als einzige partei, vielleicht noch zusammen mit der fdp, zu denen, die unverbrüchlich zu israel stehen und die sicherheit is- raelsalsteilunsererstaatsräsonbegrei- fen. wenn ich so manche diskussionen erlebe,kannichnursagen–ichwilldas niemandem abstreiten; aber bei uns ist dasso–:wirwissenumdieverantwor- tung, die aus unserer geschichte er- wächst. wir blicken auch nicht zurück, son- dern wir sagen: diejenigen, die deut- volker kaudern (*1949) wahlkreis rottweil – tuttlingen volker kauder, cdu/csu: das vertriebenengesetz ist eine großartige erfolgsgeschichte die allermeisten vertriebenen waren sich bewusst, was ausgangspunkt ihres dramas war. ©lichtblick die aussiedlung der deutschen aus osteuropa war ein unmittelbare folge des zweiten weltkrieges. fortsetzung auf seite 8