das präsidium des bundestages 4 5der neue bundestag das parlament – nr. 44 – 28. oktober 2013 e s war eine mehr als überzeugen- de bestätigung im protokolla- risch zweithöchsten staatsamt, über die sich bundestagspräsi- dent norbert lammert vergange- ne woche bei der konstituieren- den sitzung des parlaments freuen konnte: von den 625 abgeordneten, die ihre stimme abgaben, votierten 591 für eine dritte amtszeit des 64-jährigen an der spitze des hohen hau- ses – das sind stolze 94,56 prozent. bei seiner ersten wahl zum präsidenten des höchsten deutschen parlamentes im jahr 2005 hatten 92,9 prozent der abgeordneten für den cdu- parlamentarier gestimmt; vier jahre später war er auf immerhin 84,6 prozent gekommen. die fraktionsübergreifende anerkennung, die in dem neuerlichen votum deutlich wird, gilt einem mann, der sich immer wieder als unab- hängiger und bisweilen auch für das eigene lager unbequemer geist gezeigt hat. so zeig- te sich der vater von vier kin- dern nach der wahl nicht nur beeindruckt von dem abstim- mungsergebnis, das er „so- wohl als ermutigung wie als verpflichtung“ empfinde, sondern richtete auch einen besonderen dank an seine ei- gene fraktion. diese habe ihn erneut für das amt nominiert, „obwohl sie weiß und damit rechnen muss, dass mein ver- ständnis der damit verbunde- nen aufgaben in den eigenen reihen nicht immer stürmische begeisterung erzeugt“. souveräne unabhängigkeit nicht zur freu- de seiner fraktionsspitze hatte der gebürtige bochumer etwa bei den debatten über die euro-rettung auch koalitionsinternen kriti- kern des schwarz-gelben regierungskurses im bundestag das wort erteilt. im jahrelangen tauziehen um eine reform des wahlrechts, bei dem auch eine vom bundesverfassungsge- richt gesetzte frist verletzt wurde, hatte er öf- fentlich eine frühere lösung angemahnt. und die föderalismusreform ii lehnte er im bun- destag als einziger seiner fraktion ab, weil ihm die damit verbundenen grundgesetzergän- zungen „unmaßstäblich“ erschienen. dass der doktor der sozialwissenschaften und honorarprofessor gleichwohl nun schon zum dritten mal zum bundestagspräsidenten ge- wählt wurde, darf auch als bestätigung solch souveräner unabhängigkeit gewertet werden, die im politikbetrieb der hauptstadt keines- falls von allen akteuren gepflegt wird. schon 2005 hatte der sohn eines bäckermeisters das beste ergebnis verbucht, das ein bundestags- präsident je bei seiner ersten wahl erreichte; zuvor schon hatte sich der ausgewiesene kul- turexperte drei jahre als vizepräsident des par- laments mit seiner so souveränen wie humor- vollen und sprachlich eleganten sitzungslei- tung profiliert. zunächst kommunalpolitik lammerts poli- tisches interesse sei „früh im elternhaus und in der schule entstanden“, schreibt er auf sei- ner homepage, habe sich aber als berufsent- scheidung „erst durchgesetzt, nachdem ich einsehen musste, dass meine begeisterung für musik und fußball als grundlage für einen beruf vermutlich nicht ausreichen würde“. 1964 wurde das älteste von sieben geschwis- tern mitglied der jungen union und trat 1966 in die cdu ein, für die er später fünf jahre im rat seiner heimatstadt sitzen sollte, zeitweise zusammen mit seinem vater. mehr als 20 jah- re, von 1986 bis 2008, war er bezirksvorsitzender der cdu ruhr, deren ehrenvorsitzender er seitdem ist; von 1991 bis 1997 fungierte er zudem als vizevorsitzender des nord- rhein-westfälischen landes- verbandes der partei. dem bundestag gehört lam- mert seit 1980 an, stets ge- wählt über die landesliste der nrw-cdu. von 1996 bis 2005 vorsitzender der ein- flussreichen cdu-landes- gruppe nordrhein-westfalen, galt er vielen als „strippenzieher“. regierungserfahrung sam- melte der katholik, der als private interessen sport, musik und literatur angibt, zwischen 1989 und 1998, als er als parlamentarischer staatssekretär erst im bildungs-, dann im wirt- schafts- und schließlich im verkehrsministeri- um arbeitete. anschließend war lammert bis zu seinem wechsel ins bundestagspräsidium 2002 kul- turpolitischer sprecher der unionsfraktion. 2005 in angela merkels wahlkampfteam zu- ständig für kultur und als möglicher kultur- staatsminister im gespräch, rückte er statt des- sen als zwölfter bundestagspräsident an die spitze des parlamentspräsidiums. als 2010 der damalige bundespräsident horst köhler, im vorjahr wiedergewählt, überra- schend zurücktrat, war auch lammert als nachfolgekandidat im gespräch. auf köhler folgte indes christian wulff, und mit dessen rücktritt 2012 wurde norbert lammert der erste bundestagspräsident, der binnen einer wahlperiode gleich zwei bundesversammlun- gen geleitet hat. helmut stoltenberg ❚ »ich empfinde dieses votum sowohl als ermutigung wie als verpflichtung.« norbert lammert (cdu) norbert lammert (cdu) m iteinander“ lautete der slogan, mit dem johan- nes singhammer in den zurückliegenden wahl- kampf gezogen war. mit erfolg. singhammer stei- gerte sein erststimmenergebnis gegenüber der vorangegangen bundestagswahl um 6,7 pro- zentpunkte und verteidigte seinen zuletzt nur um haaresbreite eroberten wahlkreis im mün- chener norden souverän. wohl auch, weil er dieses „miteinander“ glaubwürdig verkörpert. mehrfach wirkte er maßgeblich an fraktions- übergreifenden initiativen mit. auf diese wei- se fand sich 2009 eine mehrheit für eine ge- setzliche regelung von spätabtreibungen, welche „betroffenen familien wichtige hilfen anbietet“, wie singhammer betont. auch 2011 im kampf gegen die präimplantations-diag- nostik fand er verbündete in allen fraktionen. dass sich der csu-parlamentarier in fragen der bioethik und des lebens- schutzes so engagiert, mag auch damit zu tun haben, dass das jüngste seiner sechs kinder mit down-syndrom geboren wurde. vor allem aber ist es seiner verankerung im christ- lichen glauben geschuldet. singhammer wurde 1953 in eine arbeiterfamilie geboren und wuchs in giesing auf, ei- ner vorstadt, über die bewoh- ner anderer münchener viertel damals gern die nase rümpf- ten. aufs gymnasium schickten ihn seine el- tern ins „bessere“ harlaching, wo er die kin- der von franz josef strauß kennenlernte und durch sie auch den vater, „eine faszinierende persönlichkeit“. politisch interessiert war er da längst. 1972 wurde er mit 18 jahren csu-mit- glied, 1980 vorsitzender der jungen union münchen. zugleich engagierte er sich in der christlich-sozialen arbeitnehmerschaft. nach dem abitur 1973 studierte singhammer in münchen jura, wobei er seine frau kennen- lernte, und legte 1981 das zweite staats- examen ab. er wurde stellvertretender bürolei- ter von oberbürgermeister erich kiesl (csu) und wechselte nach dessen wahlniederlage ins ausländeramt der stadt. als sein dortiger chef peter gauweiler (csu) staatssekretär wurde, nahm er singhammer mit ins bayeri- sche innenministerium und später, als minis- ter, ins umweltministerium. die arbeitsweise von ministerialverwaltungen kennengelernt zu haben, habe ihm später als abgeordneter viel genützt, sagt singhammer. 1994 zog er erstmals für den münchener nor- den in den bundestag ein. bei den drei folgen- den wahlen unterlag er seinem spd-konkur- renten und kam nur über die landesliste ins parlament, 2002 sogar erst als nachrücker, nachdem edmund stoiber als geschlagener kanzlerkandidat sein mandat zurückgegeben hatte. 2009 konnte singhammer den wahl- kreis zurückerobern. engagiert für religionsfreiheit im parla- ment hatte er sich da längst einen namen ge- macht. seit 1998 arbeits- und sozialpoliti- scher sprecher der csu-landesgruppe, wurde er 2005 familienpolitischer sprecher der uni- onsfraktion. zu dieser funktion gehörte auch die frauenpolitik, und so wurde er zur welt- frauenkonferenz in kigali, der hauptstadt ru- andas, entsandt, wo er der ein- zige männliche delegierte war. dabei scheint er sich, wenn man ihn erzählen hört, keineswegs unwohl gefühlt zu haben. seit 2009 war sing- hammer als fraktionsvize zu- ständig für gesundheit sowie ernährung, landwirtschaft und verbraucherschutz. er sei stolz, sagt er, dass es in dieser zeit gelungen sei, „erstmals die gesetzliche krankenversi- cherung von einem notleiden- den zu einem überschuss-system zu bringen“. stark engagiert hat sich der katholik singham- mer zuletzt zusammen mit seinem protestan- tischen fraktionschef volker kauder (cdu) und kollegen auch aus anderen fraktionen für die weltweite religionsfreiheit. besonders die situation von christen in der arabischen welt macht ihm sorgen. sie habe sich in jüngster zeit dramatisch verschlechtert. anfang 2013 war singhammer daher mit kollegen in kairo, um mit den damals regierenden muslimbrü- dern zu sprechen. dieses engagement will singhammer fortset- zen und sieht dafür als vizepräsident des bun- destages sogar noch bessere möglichkeiten. vor allem aber versteht er sein neues amt als interessenvertretung des parlaments und der parlamentarier. es sei in der öffentlichkeit nicht immer genügend sichtbar, dass das par- lament die „herzkammer der demokratie“ sei. er wolle sich deshalb darum bemühen, die manchmal komplizierten parlamentarischen entscheidungsprozesse für die allgemeinheit verständlicher zu machen. bei seiner neuen aufgabe dürfte singhammer eines entgegen- kommen: es geht dabei sehr stark ums mitei- nander. peter stützle ❚ »ich will das parlament als herzkammer der demokratie sichtbarer machen.« johannes singhammer (csu) johannes singhammer (csu) d ie szene war nicht unty- pisch: sie habe sich „ernst- haft vorgenommen, es so zu machen, wie ich bin“, antwortete claudia roth vergangene woche nach ih- rer wahl zur vizepräsidentin des parlaments auf die frage, ob sie das amt annehme. diese bemerkung, konstatierte daraufhin bundes- tagspräsident norbert lammert (cdu), habe „im präsidium die spontane reaktion erzeugt: das berechtige ja zu den schönsten hoffnun- gen“. keine frage, man darf gespannt sein auf die bundestagsvizepräsidentin claudia roth, die frau, die 2001/02 sowie seit 2004 als grünen- vorsitzende gewissermaßen gesicht und stim- me ihrer partei war: bunt, leidenschaftlich, schrill, wie sie manche beschreiben. eine streitbare moralistin, deren talent zu offener empörung wie zu ehrlicher herzlichkeit glei- chermaßen ausgeprägt ist. am samstag vor der konstitu- ierung des bundestages hatte sich roth auf dem jüngsten grünen-parteitag in berlin aus dem alten amt verabschiedet, das sie mit insgesamt elf jah- ren weit länger inne hatte als alle ihre zahlreichen vorgän- ger. die „emotionale wahr- heit“ grüner politik habe sie verkörpert, wurde ihr in einer lobrede bescheinigt. roth, hieß es in einer weiteren lau- datio mit blick auf das neue parlamentspräsi- dium, werde „anstrengend“, aber „claudia roth rockt das amt“. sie selbst schrieb in ih- rer bewerbung um die nominierung für den präsidiumsposten an die grünen-fraktion, „eines der wichtigsten anliegen“ wäre es ihr, „die parlamentarische idee“ wieder für die bürger „erlebbar zu machen und die distanz zwischen politik und gesellschaft zu verrin- gern“. nur platz vier den verzicht auf den parteivor- sitz hatte die 58-jährige nach dem mageren abschneiden der grünen bei der bundestags- wahl vom 22. september verkündet; mit dem gedanken an einen solchen schritt hatte sie schon im vergangenen november gespielt, als sie bei der grünen-urwahl der spitzenkandi- daten mit nur gut 26 prozent der stimmen le- diglich auf dem vierten platz landete. nur ein virtueller „candy-storm“, der ihr eine riesen- welle des zuspruchs bescherte, bewegte sie da- mals, eine woche danach doch wieder für das amt der parteivorsitzenden zu kandidieren. auf dem parteitag in hannover konnte sie dann wieder strahlen, als 88,4 prozent der de- legierten die einstige managerin der polit- rock-gruppe „ton steine scherben“ an der parteispitze bestätigten. dabei wird roth den tagungsort zunächst nicht gerade in guter erinnerung gehabt ha- ben: zehn jahre zuvor, ende 2002, war sie in der eilenriedehalle im hannover congress centrum zusammen mit ihrem damaligen co-vorsitzenden fritz kuhn zur abgabe der parteiführung gezwungen worden. gestolpert waren sie über die von den grünen später ge- lockerte trennung von amt und mandat. gan- ze acht stimmen fehlten auf dem parteitag zur zweidrittelmehrheit für eine satzungsände- rung, die ihnen trotz des frisch errungenen bundestagsmandats den verbleib an der par- teispitze ermöglicht hätte. roth wurde an- schließend menschenrechtsbeauftragte der rot-grünen bundesregierung, um 2004 wieder in den parteivorsitz zurückzukehren, dieses mal mit bundestagsmandat. 1955 im schwäbischen ulm als älteste toch- ter einer lehrerin und eines zahnarztes geboren, wuchs sie in einer linksliberalen familie auf. den jungdemokraten, bis 1982 ein fdp-jugendverband, gehörte sie von 1971 bis 1990 an. in münchen studierte sie theaterwissenschaften; später arbeitete sie als dramaturgin. bevor roth 1987 den grünen beitrat, war sie schon zwei jahre lang pressesprecherin der grünen-bundestagsfrakti- on; dies blieb sie bis zu ihrer wahl ins europaparlament 1989. bei der fol- genden europawahl 1994 erfolgreiche spit- zenkandidatin, avancierte sie anschließend zur fraktionsvorsitzenden. rekordergebnis hatte sie sich schon in brüs- sel insbesondere als menschenrechtspolitike- rin hervorgetan, übernahm sie nach ihrem wechsel in den bundestag 1998 den vorsitz des neu geschaffenen ausschusses für men- schenrechte und humanitäre hilfe. eigentlich war das ein „traumjob“ für claudia roth, doch 2001 legte sie ihr abgeordnetenmandat nieder, um für die nachfolge der in die regie- rung gewechselten parteivorsitzenden renate künast zu kandidieren. bei ihrer ersten wahl zur grünen-chefin fuhr die damalige vorzei- gefrau der parteilinken dann mit satten 91,5 prozent das beste ergebnis in der grünen-ge- schichte überhaupt ein, was freilich auch als vertrauensvorschuss des realpolitischen flü- gels zu werten war. ganz so groß war die zustimmung ihrer bun- destagskollegen bei der wahl zur vizepräsi- dentin dann doch nicht: da kam roth auf 415 ja-stimmen bei 128 neinstimmen und 69 enthaltungen. helmut stoltenberg ❚ »ich habe mir ernsthaft vorgenommen, es so zu machen, wie ich bin.« claudia roth (grüne) claudia roth (grüne) g roße, unbequeme aufgaben haben edelgard bulmahn noch nie angst gemacht. als bundesministerin für bil- dung und forschung legte sich die heute 62-jährige im- mer wieder unerschrocken mit den bundeslän- dern an, die ihre pläne zur umgestaltung des deutschen bildungswesens beharrlich ablehn- ten. dennoch gelang es der gebürtigen peters- hagenerin in ihrer amtszeit von 1998 bis 2005, den ausbau der ganztagsschulen voranzutrei- ben. die deutsche hochschullandschaft verän- derte sie mit der einführung der juniorprofes- sur, einer reform der professorenbesoldung und der umsetzung des bologna-prozesses nachhaltig. seither studieren junge menschen in deutschland in bachelor- und masterstu- diengängen, deren abschlüsse in den europäi- schen staaten anerkannt werden. auch das bundesausbildungsförderungsgesetz (bafög) wurde von bulmahn reformiert: als bildungsminis- terin erhöhte sie bedarfssätze und freibeträge. gern hätte sie auch eine elternunabhängige studienförderung eingeführt, scheiterte dabei aber am wider- stand des kanzlers. ihr verbot von studiengebühren kippte das bundesverfassungsgericht im jahr 2005. nicht zuletzt wegen dieser plei- ten hatte sie es im kabinett ger- hard schröders nicht leicht: als „aschenputtel“ wurde sie selbst von parteige- nossen bezeichnet, weil sie ihre projekte schlecht verkauft habe – bulmahns stärke war immer die fleißige arbeit im hintergrund, we- niger das brillieren in der öffentlichkeit. beharrlich kämpfte sie um mehr mittel für den bereich bildung und forschung. allzu gern hät- te sie für den bund deutlich größere kompeten- zen in diesem bereich erstritten. dass die bil- dungspolitik mit der föderalismusreform der großen koalition 2005 eindeutig ländersache wurde, schmerzte sie: themen von so großer gesellschaftlicher bedeutung dürfe man nicht allein in der verantwortung der länder lassen, lautete ihre feste überzeugung. undenkbar war für sie die vorstellung, dass der bund zum geldgeber ohne inhaltliche kompetenzen de- gradiert werde. bestes ergebnis nun hat die studienrätin sich für das parlament großes vorgenommen: um nicht weniger als eine verbesserung seines an- sehens geht es ihr. sie sei „eine leidenschaftli- che parlamentarierin“, sagt sie, und es freue sie, dass sie als vizepräsidentin die erfahrungen und kompetenzen einbringen könne, die sie seit ihrem einzug in den bundestag im jahr 1987 erworben habe. bulmahn wurde vergan- gene woche mit 534 von 626 stimmen in das neue amt gewählt; sie fuhr damit das beste er- gebnis aller bewerber um die vizepräsidenten- posten ein. abgeordnetenrechte stärken in dieser legis- laturperiode sei es ein „besonders wichtiges thema“, die rechte der einzelnen abgeordne- ten zu stärken, „nicht nur gegenüber der exe- kutive, sondern gelegentlich auch gegenüber ihren fraktionen“. unterschiedliche argumen- te und sichtweisen müssten sichtbarer werden, nur so würden sie für die bürger nachvollzieh- bar. nach der ersten sitzung des neuen präsidi- ums habe sie den eindruck gehabt, man sei sich einig darüber, dass es in dieser legislatur vor al- lem auch um eine stärkung der minderheiten- rechte gehe. ob dazu das grundgesetz geändert werden muss, wie einige abgeordnete fordern, sei zu prüfen. „auf jeden fall muss aber die ge- schäftsordnung geändert wer- den“, damit klar würde, „dass diese rechte nichts sind, was man erst gewährt und dann wieder zurücknimmt“. stärken will bulmahn auch die rechte der abgeordneten ge- genüber der regierung. „es wä- re besser, die parlamentarier hätten zu bestimmten politi- schen themen nicht nur ein fragerecht gegenüber den staatssekretären, sondern auch gegenüber der kanzlerin oder den ministern.“ nur so sei eine effektive kon- trolle der exekutive möglich. bulmahn hält große stücke auf die deutsche le- gislative. sie repräsentiere ein stabiles, demo- kratisches land. das aber müsse deutlicher werden: geht es nach der ehemaligen ministe- rin, sollen debatten zu themen, die für men- schen von großer bedeutung seien, dann statt- finden, wenn diese menschen und die medien sie auch verfolgen könnten. mehr noch: auch die arbeit der ausschüsse will bulmahn öffentlicher machen. „wenn es da- rum geht, politische entscheidungsprozesse nachvollziehbar zu machen, sollten wir uns nicht nur aufs plenum konzentrieren, sondern auch die ausschüsse in den fokus rücken. wir sind ein arbeitsparlament – und die diskussio- nen in den ausschüssen sind oft viel aufschluss- reicher als die debatten.“ bulmahn hat ein herzensprojekt: das büro für technikfolgenabschätzung beim bundestag. diese selbständige einrichtung, die wissen- schaftliche politikberatung bietet, hat sie vor 23 jahren mit ins leben gerufen – und wünscht sich bis heute, dass die abgeordneten es stärker nutzen. als vizepräsidentin wird sie dafür wer- ben. susanne kailitz ❚ »diese rechte sind nichts, was man erst gewährt und dann wieder zurücknimmt.« edelgard bulmahn (spd) edelgard bulmahn (spd) m it lobbygruppen kennt sie sich aus und hat als bundesgesundheitsmi- nisterin diesen gegenüber eine standfestigkeit be- wiesen, die ihr selbst von ihren kritikern respekt abnötigte. und der wind, der ihr in diesen jahren, von 2001 bis 2009, entgegenschlug, war eisig: pharmaver- bände, ärzte, krankenkassen, apotheker, aber auch politik-kollegen liefen sturm gegen ihre pläne für eine reform des gesundheitswesens. sie wolle eine bevormundende „staatsmedi- zin“, hieß es, als die pläne für den 2009 in kraft getretenen gesundheitsfonds bekannt wurden. denn seitdem erheben alle gesetzlichen kran- kenkassen den gleichen beitragssatz, der zu- dem nicht an die kassen, sondern eben in ei- nen gesundheitsfonds fließt und von dort wei- terverteilt wird. doch ulla schmidt (spd) ließ sich nicht beirren: „es kann nicht sein, dass je- der im gesundheitssystem im- mer nur nach mehr geld ruft“ – nach dieser maxime handel- te sie, egal, welche interessen- gruppe sich empörte. so wurde die anfangs in diesem amt be- lächelte die bisher am längsten amtierende gesundheitsminis- terin der bundesrepublik. nun hat sie ein neues amt: am 22. oktober wählten sie 520 abgeordnete zur vizepräsiden- tin des bundstages. schon die- ses gutes ergebnis deutet darauf hin, dass die kommenden vier jahre harmoni- scher zugehen könnten als ihre ministerzeit. aber „harmonie ist ja nicht schlecht. man muss ja nicht nur kämpfen“, sagt eine gelassene ulla schmidt. die befürchtung, auf dieser position zu sehr aufs repräsentative beschränkt zu sein, hat sie nicht. „die aufgaben sind natürlich an- dere. das ist klar. jetzt geht es darum, sich für die belange der abgeordneten und für deren rechte gegenüber der regierung einzusetzen.“ ganz oben auf ihrer agenda stehen die minder- heitenrechte der opposition. es sei aufgabe des präsidiums, darauf zu achten, dass diese ge- wahrt werden. dazu gehöre auch eine regelung zur redezeit einer sehr kleinen opposition im falle einer übermächtigen großen koalition. außerdem, ergänzt die 64-jährige, müsse man darüber nachdenken, wie man die fragestun- den interessanter gestalten kann. konsequenter weg dieser einsatz für frakti- onsübergreifende parlamentarische belange gründet sich auf einer langen erfolgreichen kar- riere als parteipolitikerin. ihr weg dahin be- gann allerdings ziemlich abseits des bundes- deutschen parlamentarismus: bei der bundes- tagswahl 1976 trat sie in ihrer heimatstadt aa- chen für den kommunistischen bund west- deutschlands als direktkandidatin an – und verlor. mitglied der spd wurde schmidt erst 1983. da lag hinter der damals 34-jährigen ei- ne berufsbiografie, die auch in zukunft ihr en- gagement als sozialpolitikerin prägen sollte. als tochter einer alleinerziehenden fabrikar- beiterin war ihr beruflicher aufstieg hürden- reich. das abitur machte sie auf dem aufbau- gymnasium, studierte schließlich psychologie und sonderpädagogik in aachen. sie arbeitete schon als lehrerin, als sie nebenbei noch ein fernstudium für das lehramt zur rehabilitati- on lernbehinderter und erziehungsschwieriger kinder absolvierte. mit diesem profil konnte sie sich als sozialpo- litikerin innerhalb der spd einen namen ma- chen. ihrem engagement auf kommunaler ebene folgte 1990 der einzug in den bundes- tag, wo sie in ihrer fraktion schnell vorne mit- mischte. schon 1991 wurde sie mitglied im vor- stand der spd-fraktion und vorsitzende der gruppe „gleichstellung von frau und mann“. in dieser zeit setzte sie sich für den straftatbestand der vergewaltigung in der ehe ein und machte sich erfolgreich für die neufassung des artikels 3 des grundgesetzes stark, in dem der staat verpflichtet wird, die tatsächliche gleichstellung von mann und frau zu fördern. als fraktionsvize (1998 bis 2001) boxte sie die rentenplä- ne des damaligen sozialministers walter ries- ter (spd) gegen erhebliche widerstände bei den genossen durch. inklusive gesellschaft neben diesen sozial- politischen gefechten verlor sie ein anliegen nicht aus den augen: die rechte von menschen mit behinderungen. nachdem 2009 ihr minis- teramt endete, widmete sie sich wieder stärker dem thema „inklusive gesellschaft“, unter an- derem als mitglied im ausschuss für kultur und medien. geht es nach ihr, soll sich daran als vi- zepräsidentin des bundestages nichts ändern. „ich möchte gerne weiter in einem oder zwei ausschüssen mitarbeiten, wenn dies geht“, sagt sie. denn die frage, wie eine inklusive gesell- schaft beschaffen sein soll, stelle das gemein- wesen in den kommenden jahren vor große herausforderungen. „der bundestag sollte vor- bild darin sein, hier zu einem umdenken in den köpfen beizutragen, in dem er selbst stär- ker barrierefrei wird, nicht nur im bau, sondern auch in der kommunikation und vermittlung der inhalte.“ für diese ziele werde sie ihr amt als vizepräsidentin auf jeden fall auch nutzen. „langweilig wird mir also bestimmt nicht“, fügt sie zuversichtlich hinzu. claudia heine ❚ »der bundestag muss noch barrierefreier werden. vor allem in der vermittlung.« ulla schmidt (spd) ulla schmidt (spd) p etra pau saß mal ganz hinten links im bundestag, ohne tisch und wenig beachtet. die saaldie- ner rückten zwei stühle heran, den einen für sie, den anderen für ihre kollegin gesine lötzsch. die beiden pds-frauen hatten 2002 in berlin di- rektmandate erzielt, während ihre partei es nicht über die fünf-prozent-hürde brachte. die damen traten als politische einzelkämpferin- nen auf – ohne gruppenstatus, geschweige denn fraktionsrechte. seither ist vieles anders geworden am spreebo- gen in berlin. pau ist seit 2006 vizepräsidentin des parlaments und bei der konstituierenden sitzung des 18. bundestages wiedergewählt worden. aus der pds wurde die linkspartei, die am 22. september mit 8,6 prozent in das neue parlament eingezogen ist. „ich habe den bun- destag aus ganz unterschiedlichen perspektiven erlebt“, sagt die 50-jährige rückblickend und sieht zufrieden aus. wenn die frau mit der diestel- frisur durch den bundestag schlendert, freundliche blicke verteilend, markiert sie einen auffälligen kontrast zu jenen promis, die gerne mit entoura- ge kommen, mit bodyguards oder presseanhang. den gro- ßen auftritt überlässt pau ande- ren, was dazu verleiten könnte, sie zu unterschätzen. aber die- se frau ist hartnäckig und wuss- te früh, was sie wollte. ddr-laufbahn pau stammt aus einem ost- berliner arbeiterhaushalt, ihr vater war maurer, ihre mutter fließbandarbeiterin in einem werk für fernsehelektronik, später arbeitete sie als tierpflegerin. als petra pau am 9. august 1963 zur welt kam, stand die mauer gerade zwei jah- re. pau absolvierte bis zum mauerfall 1989 ei- ne ebenso typische wie umwegfreie ddr-lauf- bahn. von der polytechnischen oberschule kam sie 1979 an das zentralinstitut der pionier- organisation „ernst thälmann“ (zipo) in droyßig (sachsen-anhalt), wo sie ihr studium 1983 als freundschaftspionierleiterin und un- terstufenlehrerin für deutsch und kunsterzie- hung abschloss. im selben jahr trat sie in die sed ein. es folgte ein studium an der partei- hochschule karl marx (phs) in berlin, das pau 1988 ein diplom in gesellschaftswissenschaf- ten eintrug. noch bis 1990 arbeitete sie im zen- tralrat der fdj, bis die ddr-jugendorganisati- on abgewickelt wurde. im bundestagshandbuch ist lehrerin vermerkt, als pädagogin gearbeitet hat pau aber nur über- gangsweise. ihr lebensweg verlief zu ddr-zei- ten an kaderschmieden entlang und scheint ein ziel gehabt zu haben: politik. der untergang des sed-dickschiffs zur wendezeit verursachte heftige wellen, brachte aber auch chancen mit sich. pau, zielstrebig, zäh, dickfellig, stieg die parteileiter hinauf, an der jetzt pds stand: be- zirksvorsitzende in berlin-hellersdorf 1991, im selben jahr vize-landesvorsitzende, 1992 bis 2001 berliner landeschefin, 2000 bis 2002 vi- ze-bundesvorsitzende. seit 1998 gehört pau dem bundestag an. sie hat fünf mal in folge in berlin ein direktmandat ge- holt. 2000 bis 2001 war sie vizefraktionschefin der pds, 2005 bis 2008 hatte sie das amt erneut inne, diesmal unter die linke firmierend. dort bestimmtenöftermachtkämpfederflügel-akro- baten den politischen alltag. das kann zermür- ben. pau, dem reformflügel verhaftet, blieb. sie ist eine konstante geworden in einer partei, die mühsame metamorphosen erlebt hat. stolz und dankbarkeit wenn pau über ihre arbeit im bundestagspräsidium spricht, ist ihr stolz anzumerken, dankbar- keit und auch ein stück ver- wunderung, es bis dahin ge- bracht zu haben. in ihrer typi- schen unbefangenheit merkt sie an: „wenn mir jemand 1990 gesagt hätte, du wirst mal bundestagsabgeordnete oder gar vizepräsidentin, hät- te ich ihn zum arzt geschickt.“ als ihr im mai 2010 plötzlich die stimme versagte, erlebte sie nicht nur den größten an- zunehmenden unfall im poli- tischen geschäft: nämlich die sprachlosigkeit, sondern auch solidarität im kleinen kreis des präsidiums. es war ausgerechnet der csu-kol- lege eduard oswald, der sofort helfend zur seite sprang. „er hat sich immer angeboten, zu übernehmen, wenn er merkte, es wird schwie- rig für mich.“ ihre früher sonore altstimme hat pau noch nicht zurück, aber mit hilfe ei- nes headsets fühlt sie sich nun sicher und den aufgaben gewachsen. als einzige verbliebene ost-repräsentantin im präsidium will die fachfrau für bürgerrechte probleme benennen, „die es eben nur in ost- deutschland gibt“. so sei die rentenanglei- chung „ein dauerbrenner, wo die menschen nicht nur ungeduldig sind, sondern ungehal- ten“, wie sie aus vielen bürgerrunden wisse. und dann ist da die aufarbeitung des rechts- terrorismus. mit dem nsu-untersuchungsaus- schuss verbindet die innenexpertin eine „wun- derbare erfahrung: einigkeit und zusammen- arbeit“. daran will sie anknüpfen mit der um- setzung der empfehlungen des ausschusses. und wenn es mal nicht so läuft? „ich habe in meiner jugend mal judo betrieben. und das erste, was man da lernt, ist: hinfallen und wie- der aufstehen.“ claus peter kosfeld »ich habe den bundestag aus ganz verschiedenen perspektiven erlebt.« petra pau (die linke) petra pau (die linke) e s ist der bisherige höhepunkt seiner politischen berufskarriere: mit 449 ja-stimmen, 122 nein- stimmen und 51 enthaltungen wurde peter hintze in der konsti- tuierenden sitzung des neuen bundestages zum vizepräsidenten des parla- ments gewählt. einstieg in die politik zum beruf wurde die politik für hintze 1983, als der damalige bun- desfamilienminister heiner geißler (cdu) den theologen zum bundesbeauftragten für den zivildienst ernannte. in seinem amt för- derte hintze unter anderem den einsatz von zivildienstleistenden bei der betreuung von schwerstbehinderten. acht jahre später zog peter hintze in den bundestag ein. seit 1990 kandidiert er im wahlkreis wuppertal, kein günstiges pflaster für einen christdemokra- ten: der wahlkreis ist seit 1965 in spd-hand. deshalb kam hintze bisher immer über die landesliste nordrhein-westfalen in das parlament. bei der bundestag- wahl 2009 hätte er es fast ge- schafft, das direktmandat zu erringen; 1,5 prozentpunkte fehlten noch zu seinem spd- kontrahenten. bei der wahl vor fünf wochen konnte er sein erststimmen-ergebnis zwar verbessern, das direkt- mandat allerdings blieb ihm wieder verwehrt. 1991 avancierte hintze zum parlamentari- scher staatssekretär im bundesministerin für frauen und jugend unter der jungen ressort- chefin angela merkel. das blieb er für ein jahr, seitdem gilt er als vertrauter der heutigen kanzlerin und cdu-chefin. cdu-generalsekretär deren vorvorgänger helmut kohl machte den rheinländer 1992 zum generalsekretär der cdu. hier orches- trierte er 1994 die „rote-socken-kampagne“, die vor einem möglichen bündnis zwischen spd und pds warnte und in seinen augen den damaligen wahlsieg der union sicherte. die- ser zusammenhang sei hinreichend belegt, sagte er später. eine ähnliche kampagne im bundestagswahlkampf 1998, die „rote-hän- de-kampagne“, konnte indes nicht die nie- derlage der union und das ende der ära kohl abwenden; auf hintze folgte merkel im amt der generalsekretärin. der überzeugte europäer hintze war von 1998 bis 2005 vorsitzender der arbeitsgruppe für die angelegenheiten der europäischen union der cdu/csu-bundestagsfraktion und mitglied des europaausschusses des bun- destages. seit november 2001 ist er zudem vi- zepräsident der christlich-demokratischen internationale und seit oktober 2002 vizeprä- sident der europäischen volkspartei. der sohn eines landgerichtsrates wurde am 25. april 1950 in bad honnef nahe bonn ge- boren, wo er auch sein abitur ablegte. schon damals hatten sich zwei themen herauskris- tallisiert, die sein leben bestimmen sollten: politik und religion. regelmäßige lektüre war der „spiegel“, für den er sein ganzes taschen- geld opferte, gleichzeitig engagierte er sich im kindergottesdienst seiner gemeinde. von 1968 bis 1977 studierte er evangelische theo- logie an der universität bonn, arbeitete da- nach als vikar. seine zweite theologische prü- fung legte er 1979 ab, danach war er bis 1983 als pfarrer in königswinter tätig. auch von der politik ließ er nicht los. 1969 trat er der cdu bei. als student gab er führungen durch das wohnhaus von konrad adenauer in rhöndorf und engagierte sich im ring christlich-demo- kratischer studenten (rcds). als pastor war er in der kom- munalpolitik aktiv, später ge- hörte er dem evangelischen arbeitskreis der union an. der theologe hintze genießt in ethischen fragen hohes an- sehen. der in zweiter ehe mit einer promovierten biologin verheiratete cdu-parlamenta- rier setzte sich 2011 gegen ein verbot der präimplantations- diagnostik ein. die „ethik des helfens“ sei für ihn ausschlag- gebend, sagte der vater eines kindes damals. nrw-landesgruppenchef 2005 wurde hint- ze parlamentarischer staatsekretär im wirt- schaftsministerium und zusätzlich 2007 koor- dinator der bundesregierung für luft- und raumfahrt. seit 2006 führt er die nrw-lan- desgruppe der cdu/csu-fraktion. als er 2009 als staatssekretär im kanzleramt im ge- spräch war, bat er unter hinweis auf „private gründe“ noch darum, auf seinem posten zu bleiben. nicht verweigert hat sich der 63-jäh- rige indes dem nächsten schritt auf der karrie- releiter, der ihn nun in das parlamentspräsidi- um beförderte. dort will er gerne „einen bei- trag zu einer lebendigen diskussionskultur leisten“. sein wunsch sind „spannende und fruchtbare plenarberatungen, die wir im geis- te des respekts und eines fairen miteinanders führen“. julian burgert ❚ »ich wünsche mir fruchtbare plenar- beratungen im geiste des respekts.« peter hintze (cdu) peter hintze (cdu) ©dbt/achimmelde weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper sie wurden vergangene woche auf der konstituierenden sitzung des neuen parlaments gewählt: bundestagspräsident norbert lammert (mitte) und seine stellvertreter johannes singhammer, claudia roth, edelgard bulmahn, ulla schmidt, petra pau und peter hintze (von links nach rechts). das präsidium des 18. deutschen bundestagesim porträt präsident und sechs vize: vier frauen und drei männer stehen in den kommenden vier jahren an der spitze des parlaments