debattendokumentation 6 debattendokumentation das parlament – nr. 16/17 – 14. april 2014 fortsetzung von seite 5: katrin göring-eckardt (bündnis 90/die grünen) politischen ambitionen sind gleich mit geschmolzen. die rote jacke hat ausgedient. die klimakanzlerin von 2007 sitzt warm und trocken, und der umweltminister von damals schützt heute lieber angeblich be- drohte industriezweige als real be- drohte arten. wir stellen uns klima- politik wirklich anders vor. es ist verantwortungslos, den aus- bau der erneuerbaren zu deckeln, sodass sie gerade noch den ausstieg aus der atomkraft kompensieren. wer sich die eeg-reform anschaut, redet nur noch von einem reförm- chen. das ist übrigens nicht meine formulierung. diese können sie heute in allen zeitungen lesen. das ganze ist in wirklichkeit in erster li- nie das, was sie immer wollten, nämlich eine bestandsgarantie für die dreckige kohle. diese sollen wir weiterhin fördern. nein, eine echte energiewende, eine echte energiere- volution sieht anders aus. das trau- en sie sich nicht. auch damit ver- scherbeln sie die zukunft. herr gabriel, jetzt ist die maske gefallen. sie wollen so tun, als seien sie der große manager der energie- wende. jetzt stellt sich heraus: in wahrheit sind sie der energischste lobbyist der manager. kleine leute zahlen bei ihnen die rechnung. sie haben kaum mehr als 100 tage ge- braucht, um zum genossen der bos- se zu werden. sie haben kaum mehr als 100 tage gebraucht, um solche sätze zu sagen wie den: 40 euro, das wird ja wohl niemandem etwas aus- machen. – doch ich sage ihnen: es macht gerade den kleinen leuten et- was aus. dass die industrie heute über die ausnahmen, die sie ihr ga- rantiert haben, jubelt, zeigt genau, dass ihre energiewende nicht nur ei- ne klimapolitische schieflage hat, sondern auch eine soziale schiefla- ge. manchmal wünscht man sich schon peer steinbrück zurück, der gegenüber den industrieleuten we- nigstens einmal klare kante zeigt. dazu passt dann auch ganz gut, dass sie ein machtwort sprechen, wenn es um die frauenquote geht. das passt perfekt ins bild. frau schwesig darf jetzt nett über leitlini- en reden, weil ihnen die jungs von der industrie gesagt haben, dass ih- nen die frauenquote wirklich nicht passt. die frauen haben lange genug gewartet, es ist endlich an der zeit, dass die quote kommt. frau schwe- sig, nehmen sie bitte ihren mumm zusammen, und kämpfen sie dafür! reden sie nicht mehr weiter darü- ber! es ist genug geredet worden. wir wollen endlich taten sehen, we- nigstens an dieser stelle. das kostet noch nicht einmal etwas. ich habe den eindruck, dass hier so eine art grundkonflikt besteht. nut- zen sie eigentlich ihre große mehr- heit nur für den machterhalt, oder gibt es bei ihnen eine perspektive? ich meine eine perspektive nach dem motto: versöhnung zwischen ökolo- gisch verantworteter begrenzung und unaufgebbarer freiheit in wohlstand. freiheit in wohlstand – darum wür- de es nämlich eigentlich gehen. ich gebe zu: mir wären sogar ein paar verbote ganz lieb. wir sind exportland nummer drei, was die waffenexporte angeht. panzer nach saudi-arabien und ka- tar. beschämend ist das, und beschä- mend ist auch ihr feigenblatt von mehr transparenz. ich möchte ger- ne, dass es hier eine tatsächliche wende gibt und dass wir davon ab- sehen, waffen in länder zu exportie- ren, die weit weg von demokratie und dem sind, was wir mit menschen- rechten und men- schenwürde verbin- den. hier wäre nun wirklich ein verbot sehr sinnvoll. ich sage ihnen auch: wenn sie ei- nerseits über ener- giesicherheit und über unabhängigkeit reden, aber im gleichen atemzug den verkauf des größten gasspeichers in westeuropa ausgerechnet an die firma gazprom genehmigen, dann ist das unglaub- würdig, dann ist das absurd. wenn sie an solchen stellen nicht glaub- würdig werden, dann ist es auch mit der außenpolitik, die ich an dieser stelle wirklich überzeugend fand, auf einmal sehr schwierig. dann wird nämlich hinten wieder einge- rissen, was man vorne eigentlich richtig gemacht hat. ich habe das gefühl, sie sind in- zwischen so zufrieden auf der regie- rungsbank, dass ihnen auch visio- nen abhandengekommen sind, die vision eines modernen staates zum beispiel, der wohlstand mit anstand und zukunft mit schonung verbin- det. angesichts des kräfteverhältnis- ses im deutschen bundestag haben sie nicht nur die möglichkeit, son- dern sie haben doch eigentlich die pflicht und die verantwortung, die zukunft nicht zu verscherbeln. statt- dessen nörgeln sie lieber ein biss- chen herum, einmal am verfas- sungsgericht, ein anderes mal an griechenland oder an denen, die wenigstens den mund aufmachen. ich finde, dieses land hat etwas an- deres verdient. wenn wir in diesen tagen und stunden in richtung ukraine bli- cken, dann stellen wir fest, dass un- sere sorgen nicht kleiner geworden sind. wahrscheinlich hoffen wir hier alle gemeinsam, dass die ukraine mit dem 25. mai und demokrati- schen wahlen stabilität erlangt, nicht mehr spielball geopolitischer interessen ist und ökonomisch auf die beine kommt. eigentlich ist es tragisch, dass es erst so eine außenpolitische krise brauchte, damit allen wieder klar wird, was der wert europas eigent- lich ist, dass europa für viele men- schen gerade am rande der eu eine verheißung ist und kein zweck- bündnis, das einmal nützt und ein- mal nicht. dass sie lieber abwehr- schlachten gegen stärkere co2-re- duzierung, bei den grenzwerten für die pkw, gegen ambitionierte klima- schutzziele und, und, und geliefert haben, zeigt, dass wir an dem europa, das wir eigentlich wollen und für das wir eigentlich stehen, lange genug mit dieser regierung vorbeigeredet haben. jetzt ist europa plötzlich als friedensmacht gefordert. sie merken, eine aus- schließlich utilitaristische haltung zu europa einzunehmen, funktio- niert nicht, wenn europäische werte gefragt sind. wer ein europa will, das auch machtpolitisch ernst genommen wird, der muss dafür sorgen, dass dieses europa stark ist, statt am en- de doch noch nach der nato zu rufen. es ist eben keine ko- härente politik, wenn die verteidi- gungsministerin die ganze zeit mit ihrer militärrhetorik das krisenmanagement unterwan- dert, das der außenminister diplo- matisch auf europäischer ebene be- treibt. diese krise, frau von der ley- en, taugt nicht zur regierungsinter- nen selbstdarstellung. bleiben sie dabei, für ein starkes europa und für eine friedliche lösung zu kämpfen. wo wir schon von europäischen werten sprechen: jedes jahr fliehen tausende menschen nach europa. im mittelmeer ertrinken andere bei dem versuch, sicherheit zu finden. in der letzten nacht wurden mehr als 1.000 menschen gerettet – zum glück. in syrien tobt seit drei jahren ein fast schon vergessener bürgerkrieg. ein drittel der bevölkerung syriens ist auf der flucht. sie sollten darüber reden, was wir tun können, um die- sen menschen zu helfen. wir sind immer noch bei gerade einmal 10.000 kontingentflüchtlingen aus syrien. im libanon ist in der vergan- genen woche der einmillionste flüchtling aufgenommen worden. die türkei ist schon nah an dieser grenze. nur einmal zum vergleich - weil sie immer sagen, wir nähmen ja schon so viele auf –: wenn wir im gleichen verhältnis wie libanon und türkei flüchtlinge aufnähmen, dann würden wir hier über 18 mil- lionen flüchtlinge reden. ich sage ihnen: gemessen daran sind die an- strengungen der bundesregierung nicht mehr als ein schlechter witz. das ist nicht ausdruck der inter- nationalen verantwortung, von der sie immer so gern reden. sehen sie endlich der humanitären verpflich- tung und der realität ins auge. re- den sie mit den ländern und kom- munen. herr steinmeier, was nun wirklich gar nicht geht und was sie dringend aufklären müssen, ist, ob es wirklich missbrauch, ob es wirklich beste- chung bei der terminvergabe in deutschen vertretungen gab. falls ja, dann muss hier sehr schnell gehan- delt werden. meine damen und herren, mehr tun und weniger politik antäuschen, das würde ich mir auch wünschen, wenn es um die großen skandale geht, die wir unter den kürzeln „nsu“ und „nsa“ kennen. 104 tage dauert der nsu-prozess jetzt. frau merkel, sie haben in ihrer gedenk- rede vor den hinterbliebenen rück- haltlose aufklärung zugesagt, und sie haben versprochen, alles zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann. ich nehme ihnen ab, dass sie diese worte ehrlich gemeint haben. nur: es gibt bis heute weder eine neue sicherheitsarchitektur, noch wurden der strukturelle rassismus und die blindheit auf dem rechten auge in den sicherheitsbehörden ge- heilt. wir haben hier noch eine ech- te hausaufgabe, und ich verlange von ihnen, dass sie sie angehen und dass sie sie nicht „wegschwurbeln“ nach dem motto: es wird ja hoffent- lich nichts wieder passieren. die sicherheitsbehörden wursch- teln weiter vor sich hin. selbst ihr koalitionspartner csu macht im- mer wieder weiter mit scharfmache- rei. gestern, am internationalen ro- ma-tag, haben wir gehört, in wel- chem ausmaß sinti und roma bei uns in europa und darüber hinaus diskriminiert, beschimpft und ver- folgt werden. angesichts dessen klingt der satz „wer betrügt, der fliegt“ noch zynischer, noch kälter. dieser satz hat nichts mit men- schenwürde zu tun. hören sie damit auf, und fangen sie an, rassismus zu bekämpfen, weil es um die men- schenwürde aller geht. dazu gehört es dann auch, dass man bei der reform des staatsbürger- schaftsrechts eben nicht wieder nur den halben weg geht. willkommens- kultur, das heißt doch „ihr seid wirk- lich willkommen“. wir dürfen nicht wieder staatsbürgerschaften erster und zweiter klasse schaffen. deswe- gen sage ich ihnen klar und deutlich: lassen sie den optionszwang kom- plett fallen! erst dann haben wir ei- ne willkommenskultur. erst dann können wir sagen: ja, wir leben hier zusammen. wir tun das gern, weil wir etwas voneinander haben. im innenausschuss mussten wir von herrn ziercke erfahren, dass das bka heute so aufgestellt ist, dass die rechte hand nicht so genau weiß, was die linke tut. jede woche gibt es etwas neues, immer mehr chaos. frau merkel, was haben sie eigent- lich getan, als bekannt wurde, dass ihr handy und die telefonate und e- mails von millionen von deutschen abgehört wurden? sie haben heute hier dargestellt, es sei sehr kompli- ziert, das alles europäisch zu regeln. was haben sie getan? sie haben eine platonische brieffreundschaft mit den usa und mit großbritannien begonnen. wir wissen: sie schrei- ben, aber niemand antwortet. dieser skandal muss aufgeklärt werden. ich bin heilfroh, dass wir jetzt den nsa-untersuchungsaus- schuss haben. ich sage ihnen: es ist ein harter job, dafür zu sorgen, dass die rechte der bürgerinnen und bür- ger auf selbstbestimmung, auf ge- heimnis, darauf, dass sie über ihre eigenen daten verfügen können, in diesem land wiederhergestellt wer- den. deswegen ist es richtig, dass herr snowden aussagt. deswegen ist es richtig, dass wir aufklären, mit al- ler kraft und mit allen mitteln, die uns zur verfügung stehen. wir dür- fen uns nicht zurückziehen und sa- gen, das sei kompliziert, sondern wir müssen unsere energie dafür einset- zen und sagen: ja, das wollen wir, und zwar bei aller freundschaft. gestern war – das kann man nicht anders sagen – ein großer tag für die bürgerrechte. allen hardlinern, die so gerne davon reden, dass man durch die vorratsdatenspeicherung die sicherheit erhöhen würde, sage ich: die vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. wir sind froh, dass der euro- päische gerichtshof sehr deutlich gemacht hat, dass die anlasslose speicherung von millionen von da- ten nicht geht, dass sie nichts mit bürgerrechten zu tun hat. ich bin sehr froh, dass der europäische ge- richtshof dieses zeichen für bürger- rechte und freiheit kurz vor der eu- ropawahl gesetzt hat. heute stehe ich hier und kann sagen: auch des- wegen, wegen der freiheit, bin ich stolz, eine europäerin zu sein. es macht wirklich keinen sinn, jetzt nationale alleingänge zu star- ten. meine damen und herren, wenn man sich den streit um das renten- paket in ihrer koalition vor augen führt, muss man sagen: bei diesem paket und auch bei dem streit, den sie darüber führen, vergessen sie diejenigen, die wirklich unterstüt- zung brauchen. sie vergessen die kommenden generationen, lassen die krankenschwester und den zahntechniker aber brav ihre beiträ- ge zahlen. sie vergessen diejenigen, die 30 jahre lang wirklich hart gear- beitet haben und nun nicht mehr können. sie verfahren nach dem motto „nach mir die sintflut". die folgen ihrer politik verschieben sie auf das jahr 2018; dann wird es ja ir- gendwie weitergehen. ich sage ih- nen: das ist nichts, frau nahles, wo- rauf man stolz sein kann. da fehlen die fachkräfte. da fehlt die unter- stützung für diejenigen, die ganz draußen sind. meine damen und herren, ges- tern haben sie gesagt, die union wolle gegenüber der spd vertrags- treu sein. mir wäre es lieber, sie wä- ren vertragstreu gegenüber denen, die es wirklich nötig haben: gegen- über unseren kindern und enkeln, gegenüber der umwelt und dem kli- ma, gegenüber all denen, die wirk- lich etwas riskieren, hart arbeiten und verantwortung für sich und an- dere übernehmen. die alle werden nämlich nicht fragen: „habt ihr euch in der großen koalition damals gut verstanden?", sondern die werden fragen: habt ihr eigentlich auch an uns und unsere zukunft gedacht? deswegen: übernehmen sie verant- wortung, meine damen und her- ren! (anhaltender beifall beim bündnis 90/die grünen) die vorratsdaten- speicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch.