bürgerprojekt energiewende www.das-parlament.de berlin, montag 12. mai 2014 64. jahrgang | nr. 20/21 | preis 1 € | a 5544 d ie energiewende ist nicht aufzuhalten. allein die zahl der windkrafträder nahm in letzten jahr um 1.145 auf 23.645 zu. ih- re gesamtleistung be- trägt 33.722 megawatt und wird bald die der verbliebenen atomkraftwerke (12.696 megawatt) um das dreifache übertreffen. starke steigerungsraten werden auch von der photovoltaik gemeldet. insgesamt stieg der anteil der erneuerbaren energien am brutto-stromverbrauch in deutschland in den ersten drei monaten dieses jahres auf etwa 27 prozent (vorjahr: 23 prozent), be- richtete der bundesverband der energie- und wasserwirtschaft. das liegt besonders am werk der bürger. „allein privatpersonen und landwirte ha- ben bisher fast die hälfte der investitionen in die erneuerbaren energien im strom- markt getätigt“, berichtete die grünen-ab- geordnete julia verlinden in der debatte des bundestages über die novelle des erneuer- bare-energien-gesetzes (eeg, 18/1304) am vergangenen donnerstag. die vier großen energiekonzerne hatten gerade einen anteil von fünf prozent. 650 energiegenossen- schaften gibt es, und es wird geschätzt, dass sich über 250.000 bürger am bau von rund 2.500 windparks beteiligt haben, die als fondsmodell betrieben werden. die energiewende soll auch in bürgerhand bleiben. „niemand – darauf lege ich wert – muss angst davor haben, dass bürgerwind- parks oder energiegenossenschaften keine chance auf teilhabe mehr erhalten“, sagte wirtschaftminister sigmar gabriel (spd) zu befürchtungen, die von ihm eingebrachte eeg-novelle werde durch instrumente wie ausschreibungen oder direktvermarktung die teilhabe der bürger unmöglich machen. „im gegenteil: wir werden einen gesonder- ten gesetzentwurf in den bundestag ein- bringen, mit dem wir diese beteiligung der bürgerinnen und bürger nachhaltig sichern werden“, versprach gabriel. kosten steigen gewaltig allerdings müs- sen die gewaltigen kostensteigerungen durch den schnellen ausbau der erneuerba- ren begrenzt werden. so hat die eeg-umla- ge mit 6,24 cent pro kilowattstunde einen rekordwert erreicht und belastet die privat- haushalte enorm. mit 22,8 milliarden euro sind die subventionen für die betreiber von erneuerbaren energieerzeugungsanlagen so hoch wie der verkehrshaushalt von minis- ter alexander dobrindt (csu). gabriel erklärte, die hohen ausbaupfade für windenergie und photovoltaik würden durch die novelle nicht, wie gelegentlich behauptet, verringert, sondern verstetigt und weiter ausgebaut. niemand müsse die sorge haben, „die energiewende würde aus- gebremst oder die ausbauziele der erneuer- baren energien würden insgesamt be- grenzt“. kostengünstige energieträger wie windenergie an land würden ausgebaut, überförderungen jedoch abgebaut. „nur durch diese kombination machen wir die energiewende erfolgreich, sicher und be- zahlbar“, sagte gabriel. im zusammenhang mit den rabatten für stromintensive industrien, die 5,1 miliar- den euro betragen sollen, warnte der wirt- schaftminister davor, „die interessen der verbraucher gegen die interessen am erhalt industrieller arbeitsplätze auszuspielen“. das sei „grundfalsch“. es gehe jetzt um 2.000 unternehmen, deren energieintensi- tät dazu führen würde, dass steigende eeg- umlagen zu einem massiven wettbewerbs- nachteil würden. wenn diesen 2.000 unter- nehmen alle ausnahmen gestrichen wür- den, könnte ein drei-personen-haushalt um 40 bis 45 euro im jahr entlastet werden. „der preis dafür wären hunderttausende in- dustrielle arbeitsplätze“, warnte gabriel. ganz anderer ansicht waren die oppositi- onsfraktionen, die vor einer gefährdung der energiewende und einer zu starken be- günstigung der industrie warnten. „es bleibt dabei, dass die rentnerin und der student für wiesenhof und die steinkohle-industrie die stromrechnung mit bezahlen", kritisier- te caren lay (linke). das sei sozial nicht ge- recht. auch mit der neure- gelung der industrierabatte müsse der bäcker an der ecke für die großbäckerei die stromrechnung mit be- zahlen: „das ist doch wirt- schaftspolitischer unsinn." allerdings will auch die lin- ke die industrierabatte nicht komplett abschaffen, aber verlangt in einem ebenso wie der gesetzentuwrf an die ausschüsse überwiese- nen antrag (18/1331) klare kriterien und eine deutliche reduzierung. oliver krischer (grüne) warf gabriel vor, das ausbautempo um die hälfte gegenüber den plänen der alten regierung zu reduzie- ren. das sei ein „armutszeugnis“. das eeg werde jetzt zum bestandsschutzinstrument für die fossile energieerzeugung. „sie ma- chen damit aus der energiewende eine braunkohlewende. dagegen werden wir uns wehren“, kündigte krischer an. zu den in- dustrieausnahmen sagte er, die regelung sei bürokratisch und biete zu viele schlupflö- cher, während die privaten verbraucher mit milliardenbeträgen belastet würden. was gabriel und die koalition vorhätten, „ist ein anschlag auf die ener- giewende, auf die arbeits- plätze, auf den klima- schutz“. michael fuchs (cdu) warf der linken vor, unterneh- men „wissentlich und wil- lentlich“ zu zerstören, wenn sie strompreise nach linkem muster zu zahlen hätten. grundstoffindustrien und wertschöpfungsketten würden kaputtge- macht, wenn sich die opposition durchset- ze. hubertus heil (spd) sprach sich auch dafür aus, den ausbau der stromnetze mit dem ausbau der erneuerbaren zu synchro- nisieren. "wir brauchen keinen wegwerf- strom", warnte heil. hans-jürgen leersch ❚ s ignale der entspannung, gefolgt von unfreundlicheren gesten: mitte ver- gangener woche empfahl der russi- sche präsident wladimir putin über- raschend den pro-russischen kräften im os- ten der ukraine, ihre geplanten unabhängig- keits-referenden zu verschieben, um dem dialog mit der übergangsregierung in kiew den weg zu ebnen. am freitag besuchte pu- tin anlässlich des tages des sieges über das nationalsozialistische deutschland dann erstmals die abtrünnige krim: für die ukrai- ne eine ausgemachte provokation. „ich finde es schade, wenn ein solcher tag genutzt wird, um in einem solchen spannungsfeld eine pa- rade abzuhalten“, hatte bundeskanzlerin an- gela merkel (cdu) im vorfeld gesagt. auch die bundestagsabgeordneten trieb an- gesicht immer neuer zusammenstöße zwi- schen pro-russischen kräften und ukraini- schen sicherheitskräften die sorge um eine weitere eskalation um. in einer aktuellen stunde warben sie fraktionsübergreifend für eine friedliche lösung. „noch kann vernunft die oberhand gewinnen, aber sie kann eben nur die oberhand gewinnen, wenn alle be- teiligten bereit sind, auf den weg von politi- schen lösungen zurückzufinden – allen vo- ran in moskau und in kiew“, sagte außenmi- nister frank-walter steinmeier (spd). „wir spüren, dass die nachrichten nicht nur im- mer schlechter, sondern immer schneller schlechter werden.“ steinmeier warnte davor, die situation mit einer säbelrasselnden rhe- torik zu verschlimmern. eine militärische lö- sung wäre keine lösung, „sondern ein weg in die größere katastrophe“. wolfgang gehrcke (die linke) stimmte steinmeier zu, dass es „keine sinnvollen al- ternativen zu diplomatischen lösungen“ ge- ben könne. aber wenn das so sei, müsse man zuallererst die regierung in kiew auffordern, „die armee und die nationalgarde nicht ge- gen das eigene volk einzusetzen“. gehrcke kritisierte zudem die mission von bundes- wehrsoldaten in der ukraine im rahmen der organisation für sicherheit und zusammen- arbeit in europa (osze), deren teilnehmer von prorussischen aktivisten festgesetzt wor- den waren und erst nach tagelangen diplo- matischen bemühungen anfang mai freige- lassen wurden. statt zur deeskalation habe diese mission zur eskalation beigetragen. verteidigungsministerin ursula von der leyen (cdu) mahnte daraufhin, die dis- kussion wieder „vom kopf auf die füße zu stellen“. die mission sei mit den osze-re- geln konform gewesen. es sei „ihr völlig un- verständlich“, wenn „die völkerrechtliche legitimität und völkerrechtliche basis infra- ge gestellt werden“, sagte von der leyen. „wenn jemand einen rechtsbruch began- gen hat, dann waren das nicht unsere in- spektoren“, sondern jene, die sie entführt und festgesetzt haben. auch frithjof schmidt (grüne) wies die kri- tik an der osze zurück: „hier irren herr gauweiler und herr gehrcke gemeinsam.“ auch peter gauweiler (csu) hatte den ein- satz der militärbeobachter kritisiert. die rol- le der organisation müsse gestärkt werden, sagte schmidt. „es braucht viele osze-beob- achter im ganzen land“ – gerade für die durchführung der geplanten präsident- schaftswahl am 25. mai. karl-georg wellmann (cdu) forderte, der „tatsache ins auge zu schauen“, dass im fal- le der krim „russische panzer über fremde grenzen gerollt sind“ und im osten der ukraine ein „asymmetrischer krieg“ stattfin- de. man könne diese vorgänge nicht ignorie- ren, „nur weil es unserem ruhebedürfnis“ oder „deutscher sentimentalität“ entspreche. die solidarität mit der ukraine sei nicht ein- fach eine freundliche geste, es gehe um die verteidigung des hohen guts der unverletz- lichkeit von grenzen und staaten: „wenn europa der zerstörung der ukraine tatenlos zusähe, würde es sich aufgeben.“ (siehe auch seite 7) ahe ❚ bürgerprojekt energie wirtschaft novelle des eeg-gesetzes soll den ausbau der »erneuerbaren« begrenzen, aber nicht beenden axel schneider niemals hatte sich oberst axel schneider vorstellen können, als leiter ei- nerosze-militärmissioninderukrainederartin die schlagzeilen zu geraten, wie es ihm und seinen kamera- den nach der festset- zung durch prorussi- sche milizen ge- schah. er sei „sehr glücklich, aber auch beträchtlich er- schöpft“, sagte der 54-jährige nach der ankunft in berlin, als die gruppe auf russische vermittlung hin nach einer woche geiselhaft in der ostukraine frei- gelassen worden war. danach entbrannte in berlin eine heftige debatte darüber, was deut- schemilitärsindervombürgerkriegzerrütteten ostukraine zu suchen hatten.verteidigungsmi- nisterin ursula von der leyen (cdu) stellte sich im bundestag vor die militär-inspektion: „oberst schneider und sein team haben unse- re hochachtung und unseren respekt.“ kru ❚ wahlbeobachter will die organisation für sicherheit und zusammenarbeit in europa (osze) am 25. mai zur überwachung der ge- planten präsidentschaftswahlen in die ukrai- ne schicken. rund 100 von ihnen schon be- reits vor ort. für die zivile beobachtermissi- on der osze sind 140 beobachter im land, um sich einen überblick über die sicherheits- lage zu verschaffen. kopf der woche plötzlich in den schlagzeilen zahl der woche 1.000 zitat der woche »das sind terroristen. manche sind geisteskrank.« petro poroschenko, aussichtsreicher ukrai- nischer präsidentschaftskandidat und indus- trieller, bei seinem berlin-besuch vergangene woche über die prorussischen milizen das parlament frankfurter societäts-druckerei gmbh 60268 frankfurt am main der energiewende in bürgerhand wird nicht der stecker gezogen, verspricht die regierung. mit druck an den verhandlungstisch russlands präsident putin auf der krim © picture-alliance/dpa © picture-alliance/dpa „der bäcker an der ecke muss für die großbäckerei den strom mit bezahlen.“ caren lay (die linke) weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper ukraine bundestagsfraktionen dringen auf eine diplomatische lösung der krise. steinmeier: militäreinsatz wäre katastrophe © picture-alliance/dpa in dieser woche innenpolitik krankenkassen zusatzbeiträge sollen nach der lohnhöhe erhoben werden seite 5 europa und die welt somalia der antipiraterie-einsatz der bun- deswehr wird verlängert seite 8 kultur und medien wende in der ddr parlament erinnert an gefälschte kommunalwahlen 1989 seite 11 kehrseite jubiläum bundestag feiert „zehn jahre mentoring-programm“ seite 12 mit der beilage apuz wohnen robert kaltenbrunner · matthias waltersbacher wohnsituation in deutschland björn egner wohnungspolitik seit 1945 michael voigtländer herausforderungen der wohnungspolitik andrej holm wiederkehr der wohnungsfrage susanne gerull wohnungslosigkeit in deutschland christine hannemann zum wandel des wohnens isabel finkenberger · christoph schlaich zusammenleben in integrierten nachbarschaften janice perlman urbanisierung, megastädte und informelle siedlungen aus politik und zeitgeschichte 64. jahrgang · 20–21/2014 · 12. mai 2014 apuz_2014-20-21 _print.indd es ist kompliziert. und es geht um geld, viel geld: stattliche fünf milliarden euro. mit dieser summe werden besonders energieintensive unternehmen von der ökostrom-umlage des erneuerbare-energien-gesetzes (eeg) entlas- tet. das soll nach den plänen der bundesregie- rung zwar so bleiben. aber es wird neue krite- rien geben, um die nutznießer dieser regelung zu definieren. deshalb werden zukünftig wohl mehr unternehmen ein stück vom förderku- chen beanspruchen. das wiederum bedeutet für andere, lukrative krümel vom eigenen teller abzugeben. in der industrie ist folglich futter- neid aufgekommen, ausangst, im internationa- len wettbewerb nicht ausreichend konkurrenz- fähig zu sein. genau das sollte die befreiung von der öko- strom-umlage aber ursprünglich verhindern. aus heutiger sicht ist ärgerlich, dass das eeg seinerzeit ausgerechnet in diesem punkt mit zu heißer nadel gestrickt wurde. mitunter musste die logik schon sehr fantasievoll bemüht wer- den, um zu verstehen, warum das ein oder an- dere unternehmen förderfähig sein sollte. der ärger von kleinverbrauchern, die selbst keine aussicht auf finanzielle zugeständnisse haben, war ebenso programmiert wie nachvollziehbar. deshalb leuchtet es ein, dass die kriterien für die rabatte jetzt neu justiert werden. dies soll schnell geschehen: kabinettsbeschluss am vergangenen mittwoch; tags darauf debat- te im bundestag;verabschiedung des gesetzes noch vor der sommerpause des parlamentes anfang juli. damit nimmt die energiewende aus sicht der bundesregierung eine weitere hürde in eine ökologischere zukunft. was sei- nerzeit unter dem eindruck der atom-katastro- phe im japanischen fukushima einigen zu zü- gig, manchen gar überstürzt auf den weg ge- bracht wurde, gewinnt damit zumindest weiter an kontur. die jetzt angestoßene eeg-reform wird mut- maßlich nicht die letzte korrektur im prozess der energiewende sein. während die einen be- klagen,die ursprünglich formulierten ziele wür- den zunehmend aus den augen verloren, spot- ten andere über die nachteile alternativer ener- giegewinnung, die gewiss auch unübersehbar sind.und doch:deutschland hat dieabkehr von der kernenergie mit einem breiten politischen und gesellschaftlichen konsens beschlossen. schon deshalb kann der weg nicht zurück zum atomstrom führen. editorial futterneid der industrie von jörg biallas thema: reform der energiewende strompreisanstieg wird gebremst seite 1-3 feinde in der politik die destabilisierung der ukraine vor der präsidentschaftswahl seite 7 freunde in der politik ein essay über echte und inszenierte gesten in der welt der mächtigen seite 9 berlin, montag 12. mai 201464. jahrgang | nr. 20/21 | preis 1 € | a 5544