weißer rauch und klare seen 14 deutsche einheit das parlament - nr. 36-37 - 31. august 2015 die grüne lebenslinie grünes band artenreichtum auf früherem todesstreifen die jahrzehntelange teilung deutschlands hat am ehemaligen grenzstreifen einen einzigartigen naturraum entstehen lassen. weitgehend ungestört von menschlichen aktivitäten, wurden auf dem streng abge- riegelten und überwachten, aber brachlie- genden gelände zahlreiche tier- und pflanzenarten heimisch. schon mitte der 1970er jahre, also lange vor der politischen wende 1989, erkann- ten naturschützer in bayern, dass auf und entlang dem rund 1.400 kilometer langen sogenannten todesstreifen ein refugium entstanden war und setzten sich nach der revolution in der ddr für den erhalt die- ses speziellen lebensraumes ein. so ent- stand 1989, vom bund für umwelt und naturschutz (bund) maßgeblich mit ini- tiiert, das projekt „das grüne band“. mehr als 1.200 tier- und pflanzenarten der „roten liste der gefährdeten arten“ fanden an der ehemaligen demarkationslinie ei- nen rückzugsraum, so etwa seltene vögel wie das braunkehlchen und der schwarz- storch, aber auch fischotter. der scharf be- wachte grenzstreifen zwischen ost- und westdeutschland war zwischen 50 und 200 metern breit. um die eigentlichen grenz- anlagen herum befanden sich brachflä- chen, aber auch wald, flüsse, feuchtgebie- te und moore. bund, länder, kommunen und umwelt- verbände setzten sich in den vergangenen jahren für den erhalt der flächen ein, die durch bauprojekte und die agrarwirtschaft nach wie vor bedroht sind. seit 2003 wird die idee des biotopverbundes entlang dem früheren „eisernen vorhang“ auch über deutschland hinaus als europäische initia- tive fortgeführt. das „grüne band europa“ erstreckt sich auf einer länge von rund 12.500 kilometern von russland und nor- wegen im norden über die küstenregion der baltischen staaten und polen quer durch deutschland und im süden über den balkan bis nach griechenland und in die türkei. um den neuen geist der friedli- chen kooperation zu dokumentieren, übernahm 2002 der frühere sowjetische präsident michail gorbatschow die schirmherrschaft über den größten biotop- verbund europas. das grüne band soll die natur erhalten, aber zugleich menschen über grenzen hin- weg verbinden und deutlich machen, dass ein vereintes europa nicht nur ein gemein- sames kulturelles, sondern auch ein na- turerbe umfasst. angestrebt wird die auf- nahme ist das weltnaturerbe der unesco. der bundestag beschloss 2004, das grüne band als „einzigartigen biotopverbund und als erinnerungsstätte der deutschen teilung“ zu sichern. im november 2005 wurde das naturschutzprojekt als „natio- nales naturerbe“ anerkannt. damit einher geht die verpflichtung, „gesamtstaatlich re- präsentative naturschutzflächen im eigen- tum des bundes nicht zu privatisieren, son- dern in naturschutzhände zu geben, die die flächen nach anspruchsvollen natur- schutzfachlichen vorgaben betreuen und entwickeln“. heute besteht die aufgabe vor allem darin, lücken zwischen den bioto- pen zu schließen. rund 85 prozent der flä- che gelten als intakt, der übrige teil ist durch straßen, siedlungen oder landwirt- schaftliche nutzung beeinträchtigt. laut bund entstanden die derzeit 26 „großen löcher“ überwiegend schon anfang der 1990er jahre. claus peter kosfeld t »die umwelteinflüsse waren verheerend« ulrich freese der gewerkschafter aus dem ruhrgebiet erlebte in der lausitz eine braunkohleregion im umbruch als ich am 17. april 1990 nach leipzig kam, erinnerten mich stadtteile an west- deutsche städte direkt nach dem zweiten weltkrieg. viele gebäude waren in einem schrecklichen zustand. gewöhnungsbe- dürftig war auch das wohnumfeld in leip- zig-grünau. damals kam ich als gewerk- schafter der ig bergbau und energie aus dem ruhrgebiet, geboren bin ich im nord- rhein-westfälischen drevenack. heute ist die lausitz meine heimat, ich bin bundes- tagsabgeordneter für den wahlkreis cott- bus/spree-neiße. wenn ich gefragt werde, sage ich immer: ich bin 1990 in die ddr eingewandert. die monate des umbruchs waren nicht nur für mich aufregend. auch in den be- trieben mussten menschen die gewerk- schaften erst neu erleben: nicht mehr als verlängerten arm der partei, sondern als klareren interessenvertreter der mitglieder. verändert hat sich auch die sicht auf die bergbau- und energiewirtschaft in meiner lausitzer heimat. als ich zum ersten mal die kraterlandschaften sah, die der braun- kohletagebau hinterlassen hatte, da war mir klar, dass die akzeptanz dieses wirt- schaftszweigs außer bei den bergbau- und energiearbeitern nahezu bei null lag. in der ddr wurden jährlich 300 millionen tonnen braunkohle gefördert, zu einem hohen preis für die bewohner der umlie- genden dörfer. die umwelteinflüsse waren verheerend, je- des jahr wurden dörfer weggebaggert und ihre bewohner ohne große auswahlmög- lichkeiten in plattenbausiedlungen ver- pflanzt. auch bei politikern war eine ab- lehnung des bergbaus spürbar. wer disku- tieren wollte, dass braunkohleförderung für die strukturelle entwicklung der region existenziell war, hatte es in diesen tagen schwer. ich kann mich an den tag im august 1990 erinnern, an dem in espenhain bei leip- zig die kohleschwelerei stillgelegt wurde. da hatten die besucher buchstäblich ein lachendes und ein weinendes auge, weil mit der fabrik zwar arbeitsplätze ver- schwanden, man aber gleichzeitig ein sichtbares signal zugunsten der umwelt erkannte. inzwischen erfährt die kohle in der lausitz viel zustimmung. die förder- mengen sind in der region von 200 mil- lionen auf heute 60 millionen tonnen ge- sunken. die tagebaue und kraftwerke wurden so modernisiert, dass die umwelt- belastungen erträglich sind. und wer um- gesiedelt werden muss, der wird anständig entschädigt. natürlich sind die umsied- lungen heute genauso wie früher ein schmerzlicher prozess. niemand will sei- ne heimat verlieren; aber wenn es keine arbeitsplätze mehr gibt, bedeutet das für viele eben auch den verlust ihres zuhauses. dass nun so viele so schnell wie möglich ein ende der braunkohle wollen, stößt auf mächtiges unverständnis. die menschen in der lausitz wissen, was es für sie bedeutet, wenn die energiewende gelingen sollte wie geplant. die braunkohle sichert hier direkt und indirekt rund 23.000 arbeitsplätze. deshalb kämpft man um den erhalt der braunkohleförderung. ich schätze, dass wir noch etwa 35 bis 40 jahre braunkohle fördern werden, erst dann kann, wenn überhaupt, grüner strom ausreichend gespeichert werden. ein ende der kohle vor dem jahr 2050 würde einer region, die immer noch versucht, die ver- änderungen von 1989 zu verkraften, einen weiteren strukturbruch zumuten. deshalb waren wir entschieden gegen die pläne des wirtschaftsministers, nach denen kohle- kraftwerke, die mehr als 20 jahre laufen, ab 2017 zusätzliche co2-emmissionszerti- fikate kaufen sollten. für die lausitz mit den kraftwerken hätte dies einen kahl- schlag bedeutet. kurz nach der wende verfestigte sich hier das gefühl: „wir werden geopfert.“ aber wer sich mit der geschichte der lausitz be- schäftigt, der weiß, es war immer eine ländliche und arme region mit dörflichen strukturen. in den großen kombinaten, die in der ddr gegründet wurden, arbeite- ten zwar zehntausende, deshalb waren auch die umliegenden städte enorm ge- wachsen. aber mit dem radikalen um- bruch verschwanden mit den arbeitsplät- zen auch die menschen. viele waren enttäuscht, weil nach der wen- de auch großes engagement nicht den er- hofften erfolg hatte. wir haben uns sehr um unternehmen bemüht, aber die gingen lieber in ballungszentren, wo es flughäfen und eine bessere infrastruktur gab. heute liegen unsere hoffnungen bei der bran- denburgischen technischen universität (btu) cottbus-senftenberg und dass es ge- lingt, durch forschung und entwicklung unternehmen anzusiedeln. es gab und gibt viele anstrengungen, aus den ehemaligen tagebaugebieten touristi- sche magnete zu machen. aber da muss man realistisch sein: die lausitz wird nie- mals urlaubsziel nummer eins werden. aber sie kann ein attraktives angebot für diejenigen sein, die sich auch einen zweit- oder dritturlaub leisten können und wol- len. aufgezeichnet von susanne kailitz t weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper ulrich freese (64, spd) gehört dem bun- destag seit 2013 an. © picture-alliance/zb weißer rauch und klare seen umwelt die deindustrialisierung in ostdeutschland war für die natur ein segen. aber einige altlasten bleiben noch lange d as dreieck zwischen bitterfeld, leipzig und halle gehörte vor 1990 zu den schmutzigsten re- gionen europas. hier ballte sich die chemie-industrie der ddr, kraftwerke verbrannten schwefelhaltige braunkohle zur strom- erzeugung, und der abbau der kohle im tagebau hinterließ tote mondland- schaften. das hatte auch folgen für die menschen: so hatten kinder in bitter- feld drei mal so häufig mit bronchitis zu kämpfen wie anderswo. darüber wurde eisern geschwiegen, denn eine anordnung des ministerrats der ddr von 1982 machte umweltinformatio- nen zur verschlusssache. doch die pro- bleme stanken als schweflig gelbe rauchwolken zum himmel, schlugen sich als schmutziger staub auf der wä- sche nieder, schlierten in giftigen re- genbogenfarben auf schäumenden flüssen. umweltaktivist michael ben- der, der heute bei der grünen liga in berlin arbeitet, erinnert sich: „das konnte einfach jeder schmecken, se- hen, riechen, dass es so nicht weiter- geht. auch ohne offizielle informatio- nen wusste man, dass das nicht gesund sein kann.“ es war nicht allein ignoranz, die die ddr-führung dazu brachte, die massi- ven umweltprobleme auszublenden und geheim zu halten. cord schwartau vom deutschen institut für wirtschafts- forschung aus westberlin stellte 1989 fest: „im rgw (rat für gegenseitige wirtschaftshilfe) sind viele rohstoffe nicht zu bekommen, weil der rgw auf vielen gebieten technologisch rück- ständig ist und auch rgw-länder harte währung haben wollen. ohne umstieg auf erdöl und -gas aber bleibt nur die braunkohle als rohstoff, deren nut- zung ökologisch katastrophale folgen hat.“ dreckschleudern abgeschaltet viele be- lastungen im chemie-dreieck waren schon in der ddr-zeit altlasten. im ersten welt- krieg hatten betriebe hier benzin für die kaiserliche u-boot-flotte produziert und aus braunkohle kunststoffe gemacht. die ddr führte das dann mangels alternativen fort. die leiter und mitarbeiter der betrie- be sahen die probleme tagtäglich. sie ent- wickelten auch pläne, wie durch sanierung der anlagen, abwasserreinigung und rauchgasentschwefelung die produktion sauberer und effektiver werden könnte. doch diese maßnahmen hätten hunderte millionen ddr-mark gekostet. allein für das bitterfelder chemiekombinat zum bei- spiel 850 millionen. geld, das die betriebe von der zentralen plankommission nie be- kamen. erwirtschaftete gewinne gingen in den staatshaushalt, durften nicht selbst in- vestiert werden. seit 1990 hat sich die umweltsituation deutlich gebessert, allein durch das ab- schalten der größten dreckschleudern. schwartau hatte vorhergesagt, dass durch schließung von 25 prozent der industrie- betriebe die luft- und wasserbelastung um die hälfte reduziert werden könnte. so ge- schah es, zugleich wurden zehntausende menschen arbeitslos. heute beträgt die in- dustrieproduktion im ehemaligen ddr- gebiet noch rund 20 prozent im vergleich zur wendezeit. durch den bau von kläran- lagen, die umstellung auf erdgasheizun- gen und filteranlagen an den schornstei- nen sind bitterfeld, wolfen und leipzig wieder lebenswerte, grüne städte mit sau- berer luft. wo noch braunkohle den strom erzeugt, kommt weißer rauch aus den schornstei- nen, immer mehr solaranlagen und wind- räder liefern umweltfreundliche energie. engagierte naturschützer in leipzig sorg- ten in der wendezeit zum beispiel dafür, dass der tagebau cospuden nicht weiter an die stadt heranrückte und wertvolle auwäl- der vernichtete. stattdessen ist seine einsti- ge grube heute naherholungsgebiet und badesee für die bürger. problematische altlasten über diese ent- wicklung freut sich auch der biologe und wasserexperte ernst paul dörfler: „also erst einmal können wir aufatmen, wenn wir an der mulde, der saale, der elbe stehen, steigt uns nicht mehr der gestank in die nase.“ andererseits gibt er zu bedenken: „die ökologischen probleme, die wir in der ddr hatten, sind nicht wirklich gelöst, sondern zu einem großen teil exportiert worden.“ längst nicht alles konnte in 25 jahren be- reinigt werden. einige altlasten im osten deutschlands werden noch die nächsten generationen beschäftigen. in den tage- baugebieten der lausitz etwa wurden un- vorstellbare 13 milliarden kubikmeter wasser abgepumpt, das entspricht einem drittel des inhalts des bodensees. wenn die gruben nicht mehr entwässert werden, füllt das wiederkehrende grundwasser die klaffenden wunden der landschaft. es dringt durch die einstigen abraumhalden und löst daraus stoffe, die es zu säure wer- den lassen. und wenn es auf verseuchun- gen im boden stößt, schwemmt es sie aus, nimmt sie mit, auch an saubere orte. jörg frauenstein beobachtet für das um- weltbundesamt (uba) die altlasten: „wir haben zum beispiel unter dem standort bitterfeld eine riesige schadstofffahne mit verschiedensten stoffen, die sich weiträu- mig über den untergrund verbreiten.“ nun müsse dafür gesorgt werden, dass diese stoffe nicht weiterwandern. der kalibergbau in thüringen entlässt auch heute noch massenhaft sein salziges abwasser in die werra. etwaige umwelt- schäden bezahlen bund und land. ein skandal, finden umweltschützer wie ange- lika kell vom ökolöwen in leipzig: „wenn ich mir die mitteldeutsche braunkohle ag oder die laubag ansehe: die kohleunter- nehmen greifen bodenschätze ab, die sich über jahrmillionen gebildet haben, und die realen kosten, der naturverbrauch, das umsiedeln der dörfer, das absenken des grundwassers, das wird umgelegt auf die allgemeinheit.“ zu den schweren, bis heute spürbaren alt- lasten gehört auch der uranabbau der wis- mut ag. im auftrag der sowjetischen be- satzungsmacht wurde der süden der ddr zur weltweit viertgrößten produktionsstätte von uran. rund um schneeberg, zwickau, ronneburg, königstein und freital waren radioaktiv strahlende abraumhalden und gewässer die folge. mit einem enormen sanierungsaufwand von bislang sechs mil- liarden euro konnten viele der probleme schon eingedämmt werden. bei ronneburg zeugt heute nur noch das gelände der bundesgartenschau von den alten halden. die sanierung ist aber erst zu zwei dritteln abgeschlossen, wie frauenstein sagt. neue lebensräume abseits der industrie- gebiete hatte die ddr zugleich inseln mit lebensräumen für bedrohte tier- und pflan- zenarten, die im westen deutschlands schon ausgestorben waren. prominenteste sind wohl seeadler, roter milan, biber oder sonnentau. weniger dichte besiedlung und die großflächig wirtschaftende landwirt- schaft, die kleine flecken verschonte, mach- ten diese wunder möglich. in den wenigen monaten zwischen mauerfall und deutscher einheit gelang es umweltaktivisten in ost und west gemeinsam, große, wertvolle flä- chen unter schutz zu stellen. fünf nationalparks, sechs biosphärenreser- vate und drei naturparks konnten von rü- gen bis zum erzgebirge ausgewiesen wer- den. hatte die alte republik 1990 fast 1,5 prozent ihrer landesfläche für den na- turschutz reserviert, waren es in der ddr nur etwas über ein prozent. mit den neuen schutzgebieten wurden es 4,5 prozent. landschaften ohne menschliche bewirt- schaftung entwickeln ungeahntes eigenle- ben. so siedeln sich wolfsrudel auf einsti- gen truppenübungsplätzen an. jedoch fällt es den ländern bei schlechter kassenlage immer schwerer, ihre schutzgebiete auch zu pflegen und gegen begehrlichkeiten von land- und forstwirten zu bewahren. gesamtdeutsche sorgen trotz wieder sauberer luft und klarem wasser ver- schwinden heute zudem viele tiere und pflanzen aus der landschaft außerhalb der naturreservate. die ursache sehen um- weltschützer in der angleichung der le- bensverhältnisse in ost und west. so musste früher eine vielfältige landwirt- schaft fast alle produkte selbst erzeugen. heute werden futtermittel importiert, da- für fast nur noch lukrative pflanzen wie raps, getreide und mais angebaut. da- durch sind die 500 wildbienenarten ge- fährdet, die nicht mehr ganzjährig blüten finden, vielen vogelarten fehlen futter oder brutplätze. auch die nebenberufliche landwirtschaft in den dörfern mit tei- chen, obstwiesen und kleintierhaltung lohnt nicht mehr. mit ihr verschwinden vogelarten wie die schwalben, hausrot- schwanz und viele wiesenbrüter. neue breite straßen ohne alleebäume zerschnei- den die landschaft und behindern wild- tiere bei ihrer wanderung. heutige umweltbelastungen sind weniger sichtbar als der alte qualm aus schornstei- nen. der wachsende autoverkehr bringt lärm und feinstaub mit sich, die intensive landwirtschaft belastet böden und wasser. dörfler sieht noch viele ungelöste proble- me, deutschlandweit, von nitrat und pesti- ziden im grundwasser bis zum artenrück- gang. sein fazit lautet: „es liegt noch viel arbeit vor uns.“ susanne harmsen t die autorin ist freie journalistin. der braunkohletagebau in cospuden bei leipzig wurde nach der wende eingestellt, geflutet und zu einem naherholungsgebiet mit sauberem see ausgebaut. © picture-alliance/zb