debattendokumentation das parlament - nr. 38-39 - 14. september 2015 debattendokumentation 11 oder nicht, wird von den kommis- saren verfolgt und vor gericht ge- bracht. ich finde aber, dass es jetzt nicht um die frage geht, ob da ein bisschen mehr oder weniger an bürokratie oder an konsequenzen zu fordern ist, sondern darum, dass wir uns alle miteinander sa- gen: dieses europa ist nicht nur die größte friedenssicherung, son- dern dieses europa ist auch in der lage, größte herausforderungen zu bewältigen, für die der eine oder andere nationalstaat viel- leicht tatsächlich zu klein ist. und darum sage ich, dass es bei europa um die frage geht, ob die menschen den eindruck gewin- nen: wenn es wirklich ernst und schwierig wird, dann ist dieses europa tatsächlich da. viertens. wir alle erkennen in diesen tagen, dass außenpoliti- sche konflikte und außenpoliti- sche fragen, die wir als weit weg betrachtet haben, für die wir uns nicht zuständig fühlten, auf ein- mal ganz nah an uns heranrücken und wir uns deshalb mehr um diese fragen kümmern müssen. – um diese vier botschaften geht es in der nächsten zeit. lassen sie mich auf die erste botschaft zurückkommen: für die da zu sein, die ein bleiberecht ha- ben und über längere zeit in deutschland bleiben werden. hier geht es darum, dass wir die not- wendigen aufgaben gemeinsam lösen, und zwar jeder die aufgabe, die er hat. wir haben uns in der großen koalition zunächst ein- mal darauf verständigt, darüber zu sprechen: was muss getan wer- den? wer muss es tun? welche in- strumente brauchen wir? erst dann reden wir über das geld. ich muss schon sagen: vor diesem hintergrund kann ich manche einlassung aus dem einen oder anderen bundesland nicht nach- vollziehen. wir wollen uns doch auf dem flüchtlingsgipfel von bund und ländern darüber ver- ständigen, welche aufgaben von wem erledigt werden müssen. aber bevor darüber überhaupt ei- ne einigung erzielt ist, kommen schon einige und sagen: die 3 milliarden euro reichen nicht aus. – ja, woher wollen die das denn wissen? wir müssen uns doch erst darüber verständigen, was gemein- sam zu tun ist. im übrigen: nicht nur der bund hat steuermehrein- nahmen, auch die länder und kommunen. wenn es heißt: „wir alle müssen uns konzentrieren“, dann gilt das nicht nur für den bund, sondern auch für länder und kommunen. ich bin mir sicher, dass wir da- rüber in den nächsten tagen eine verständigung erzielen werden. frau göring-eckardt, sie haben darauf hingewiesen, dass alles viel schneller gehen müsse. da kann ich nur sagen: ihre par- tei ist in den vergangenen jahren nicht gerade als diejenige partei aufgefallen, die alles viel schneller gemacht hat. sie haben davon ge- sprochen, dass wir einen investiti- onsstau haben. das stimmt; das wissen wir. deswegen wollen wir mehr geld für investitionen ausgeben, die notwendig sind, um unseren wirt- schaftsstandort voranzubringen. aber ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass investitionen von ihrer partei geradezu aufgehalten worden sind. alle plätze für die schnecke, und der rest bleibt auf der strecke – so hieß es doch im- mer, wenn wir über den straßen- bau gesprochen haben. deswegen bin ich froh, dass sie jetzt von diesem pult aus anmah- nen, dass investitionen schneller vorangetrieben werden müssen. richtig! ich hoffe, dass sie bei den planungen für den straßenbau und den leitungsbau für schnelles internet mit mir an der spitze ste- hen, und zwar nicht, um die pro- teste zu unterstützen, sondern die investitionen. herzlichen dank für diese bereitschaft. ich möchte darauf hinweisen, dass wir, um die anstehenden auf- gaben zu bewältigen, nicht nur bürokratie abbauen, sondern auch standards senken müssen. als ich vor 35 jahren im landratsamt tä- tig war, stand ich vor einer großen aufgabe, als hunderttausende von menschen zu uns gekommen sind. auch damals mussten kon- krete aufgaben gelöst werden. wir haben nicht danach gefragt, ob je- mand hundertprozentig qualifi- ziert ist, etwa durch ein pädagogi- sches studium, um kinder zu be- treuen oder sprachkurse durchzu- führen. gestern abend habe ich gehört, wir müssten schnellstens 20 000, 30 000 lehrer ausbilden. ich kann nur sagen: so lange, bis diese lehrer ausgebildet sind, können die menschen, die jetzt hilfe brauchen, nicht warten. menschen, die bisher qualifizier- ten sprachunterricht an einer volkshochschule gegeben haben, können doch auch deutschunter- richt in integrationskursen geben. sie müssen kein akademisches studium absolviert haben. ich bitte darum, dass wir die standards auch in diesem bereich reduzieren; denn wir brauchen jetzt eine große kraftanstrengung. herr kollege oppermann, ja, wenn es um die stärkung der wirtschaft geht, muss auch die frage „wo bekomme ich qualifi- zierte arbeitskräfte her?“ beant- wortet werden. jetzt muss ich aber einmal folgendes sagen: ich kann nicht verstehen, wenn jetzt, da in diesem jahr 800 000 menschen erwartet werden – im letzten jahr sind 400 000 gekommen –, so ge- tan wird, als seien unter diesen 800 000 menschen keine 10 000, 20 000, 30 000 oder 40 000 men- schen, die in den arbeitsmarkt in- tegriert werden können. bevor wir uns lange diskussionen und kraft- anstrengungen leisten, um auf der welt arbeitskräfte zu suchen, ist es zuvörderst unsere pflicht und auf- gabe, uns darum zu kümmern, dass von den jungen menschen, die jetzt in unser land gekommen sind, so viele wie möglich in ar- beit kommen und qualifiziert wer- den. das ist die aufgabe der stun- de. darüber sind wir uns einig. sicher sind wir uns auch darü- ber einig, dass noch eine andere aufgabe angepackt werden muss, die ich seit jahren anmahne und bei der es im ergebnis nicht zu verbesserungen gekommen ist – und dafür ist, um es sehr vorsich- tig zu formulieren, nicht der bund zuständig. ich finde, dass wir es nicht hinnehmen können, dass jahr für jahr etwa 70 000 junge menschen aus unseren schulen ohne abschluss in die gesellschaft entlassen werden. jeder weiß: wer bei uns keinen qualifizierten abschluss hat, hat bei uns kaum eine chance. das können sie in thüringen ja jetzt besser machen. deswegen kann ich nur sagen: bevor wir über einwanderung re- den, sollten wir über diese 70 000 und über die tausende, die jetzt in unser land gekommen sind, re- den. sie brauchen eine chance, um auf eigenen füßen stehen zu können. wenn wir darüber reden, wer ei- nen beitrag leisten kann, bin ich immer einigermaßen erstaunt da- rüber, dass die reichen arabischen länder bisher nur einen geringen beitrag leisten. in einem filmbericht gestern abend sagten muslime in ägyp- ten: gott sei dank gibt es das christliche deutschland; denn von unseren glaubensbrüdern in der arabischen welt werden wir nicht aufgenommen. – dazu muss ich sagen: da müssen sich die islami- schen staaten einmal etwas über- legen. das ist kein gutes bild in der welt. wenn ihre glaubensbrü- der sagen: „außer dem christli- chen europa hilft uns niemand in dieser welt“, dann muss in der arabischen welt einmal darüber nachgedacht werden, ob das der richtige weg ist. ich nehme die meldung nicht besonders ernst; trotzdem möchte ich darauf hinweisen, damit nicht etwas falsches auf den weg ge- bracht wird: ein hilfsangebot aus der arabischen welt, das da lautet: „wir bauen in deutschland 200 moscheen“, können wir als hilfe nicht akzeptieren. wir brauchen schon ein biss- chen mehr als so etwas. eine ausnahme muss man aller- dings machen: jordanien leistet ei- nen großartigen beitrag. wir hat- ten in der letzten woche den jor- danischen außenminister bei uns zu gast. er hat gesagt, was jorda- nien trägt. dieses land mit 6 mil- lionen einwohnern hat dauerhaft bereits 2,5 millionen palästinen- ser im land und nimmt jetzt noch 1,5 bis 2 millionen flüchtlinge, vor allem aus syrien, auf. das ist ein großartiges beispiel dafür, dass auch ein kleines land – zwei drit- tel des landes sind wüste – in der lage ist, flüchtlinge aufzuneh- men. jetzt komme ich zu einem wich- tigen punkt. als isis letztes jahr im august die große stadt mosul gestürmt und eingenommen hat, als die menschen zu hunderttau- senden geflohen sind, als sie ver- trieben wurden, vor allem chris- ten und jesiden – sie sind nach kurdistan, insbesondere nach er- bil und dohuk, gegangen –, war ich in dieser region. ich habe tau- sende von menschen in der katho- lischen kirche und noch viel mehr in den regionen vor dohuk gese- hen. diese menschen – sie saßen dort in zelten bei hitze – haben gesagt, dass sie ganz genau wissen, dass sie in absehbarer zeit nicht in ihre heimat zurückkönnen. sie haben gesagt, sie wünschten sich so sehr, dass sie eines tages wieder in ihre heimat können. da war nicht pauschal die rede von „wir hauen alle ab“, sondern eher: vielleicht können wir in unsere dörfer zurück. – viele fragen wur- den diskutiert, auch flugverbots- zonen. aber sie haben auch gesagt – ich habe es hier im deutschen bundestag gesagt; das war ein schwerfälliger gang –: wenn wir in unseren flüchtlingslagern keine perspektive für ein einigermaßen angemessenes leben sehen, dann machen wir uns auf den weg. ich war in jordanien in dem großen flüchtlingslager, in dem schon einige andere kolleginnen und kollegen waren. dort sind 80 000 bis 100 000 menschen, viele aus dem süden syriens, einfache bauern, die sagen: wir können mit unserer qualifikation in europa gar nicht viel anfangen. wir möchten wieder zurück. wir warten hier jetzt einmal. – aber wenn die erkennen, dass die ver- sorgung von tag zu tag schlechter wird, dann werden sie nicht dort bleiben. deswegen kann ich nur sagen: flüchtlingspolitik, die wir in unserem land betreiben, kann sich nicht darin erschöpfen, denen zu helfen, die da sind. vielmehr müssen wir alle, die weltgemein- schaft und europa, stärker als bis- her dafür sorgen, dass die men- schen, die zu millionen in den la- gern sitzen, eine perspektive ha- ben und sich nicht auch noch auf den weg machen, liebe kollegin- nen und kollegen. auch dafür muss geld zur verfügung gestellt werden. in wenigen tagen, frau bundes- kanzlerin, tagt die vollversamm- lung der uno in new york. viel- leicht wäre es auch einmal ein thema, sich damit zu beschäfti- gen, dass die weltgemeinschaft hier unterstützung leistet. meine sehr verehrten damen und herren, natürlich müssen wir uns auch darum kümmern – des- wegen wird außenpolitik so wich- tig –, dass die bedingungen in ein- zelnen staaten besser werden. ich finde, wir dürfen nicht mehr schweigen, wenn in ländern, de- nen wir entwicklungshilfe geben, die bedingungen so miserabel sind, dass die menschen das land verlassen. da müssen wir sagen: jede regierung, jeder staatschef ei- nes landes, aus dem die men- schen weggehen, weil sie keine perspektive haben, muss sich da- für schämen, dass das land in ei- nem solchen zustand ist. das muss einmal gesagt werden. deswegen glaube ich schon, dass wir jetzt nicht nur in deutschland, sondern in der gan- zen welt vor einer großen heraus- forderung stehen. ich bin sicher, dass wir sie meistern werden. zur zeit der letzten großen ko- alition haben in einer phase wie heute viele gefragt: was macht ihr eigentlich noch in den nächsten zwei jahren? jetzt ist halbzeit, und ihr habt den koalitionsvertrag abgearbeitet. – als wenn sich eine regierungskoalition ausschließ- lich darauf verständigt, einen ko- alitionsvertrag abzuarbeiten! während der letzten großen ko- alition kam die finanz- und wirt- schaftskrise, und wir mussten han- deln und haben, ohne dass es im koalitionsvertrag stand, gemacht, was richtig war und deutschland wieder auf den weg gebracht hat. jetzt haben wir wieder eine aufga- be, die wir uns nicht gesucht ha- ben, aber annehmen. ich habe so manchen koalitionsausschuss er- lebt, nicht nur in der letzten gro- ßen koalition, sondern auch in der letzten kleinen koalition, auch schon in dieser großen koalition, und ich muss sagen: selten waren wir uns so einig wie am vergange- nen wochenende, was gemacht werden muss. wenn dies in zu- kunft so weitergeht, thomas, dann bin ich ganz sicher, dass wir sagen können: wir schaffen es. (anhaltender beifall bei der cdu/csu – beifall bei der spd) dies ist eine gekürzte version der de- batte. es sprachen außerdem noch bettina hagedorn (spd), gerade has- selfeldt (cdu/csu), martin gerster (spd), ewald schurer (spd), monika grütters (cdu), sigrid hupach (spd), burkhard blienert (spd), anja hajduk (b90/die grünen), rüdiger kruse (cdu/csu), ulle schauws (b90/die grünen) und eva högl (spd). 20000, 30000 lehrer ausbilden. diesem jahr 800000 menschen sind 400000 gekommen –, so ge- 800000 menschen keine 10000, 20000, 30000 oder 40000 men- jahr für jahr etwa 70000 junge den, sollten wir über diese 70000 000 bis 100000 menschen, viele