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klasse statt masse klasse statt masse verteidigung von der leyen will soldatenberuf attraktiver machen. bundestag berät gesetzesvorlage s ie ist deutlich kleiner geworden und dennoch mangelt es ihr an nachwuchs. in der nacht auf den 3. oktober 1990 wuchsen die deutschen streitkräfte durch die eingliederung der nationalen volksarmee der ddr in die bundeswehr auf 585.000 soldaten an. gut 25 jahre später hat deutschland hingegen nur noch rund 180.000 männer und frau- en unter waffen stehen. gemäß der neu- ausrichtung sollen es zwar 5.000 soldaten mehr sein, doch es mangelt an geeignetem nachwuchs. verteidigungsministerin ursu- la von der leyen (cdu) will den soldaten- beruf deshalb attraktiver machen, um im wettbewerb mit zivilen arbeitgebern nicht ins hintertreffen zu geraten. am vergangenen freitag debattierte der bundestag über den von ihr vorgelegten entwurf eines bundeswehr-attraktivitäts- steigerungsgesetzes (18/3697). hinter dem sperrigen namen verbergen sich insgesamt 22 einzelmaßnahmen zu arbeitszeiten, besoldung, beförderungen und zur sozialen absicherung. die kosten des ge- setzes beziffert das verteidigungsministeri- um auf rund eine milliarde euro allein bis 2018. konkret sieht das gesetz die einführung der 41-stundenwoche im regelbetrieb und den ausbau von teilzeitmöglichkeiten nach dem vorbild des öffentlichen diens- tes vor, die erhöhung des wehrsolds um zwei euro pro tag, die zahlung von höhe- ren erschwerniszulagen und die einfüh- rung einer verpflichtungsprämie für jene truppenteile, die länger als sechs monate über weniger als 90 prozent des benötigten personals verfügten. verbessert werden sol- len die beförderungsmöglichkeiten von mannschaftsdienstgraden durch eine strei- chung der planstellenobergrenzen und zeitsoldaten sollen eine erhöhte nachver- sicherung in der gesetzlichen rentenversi- cherung erhalten. zudem soll der stichtag für entschädigungszahlungen für soldaten, die in auslandseinsätzen verletzt wurden, vom 1. dezember 2002 auf den 1. juli 1992 vorverlegt werden. „niemand kauft mehr die katze im sack, das gilt auch für den arbeitsmarkt“, sagte die ministerin. berufseinsteiger würden sehr genau prüfen, wie attraktiv ein arbeit- geber sei. dies sei wegen der hohen zahl offener stellen für höherqualifizierte der normalfall. die bundeswehr aber wolle den besten nachwuchs und sie brauche ihn auch. vor allem in den bereichen me- dizin, technik, logistik und informations- technologie stünde die truppe in einer harten konkurrenz mit der wirtschaft beim werben um bewerber. beifall bekam die ministerin aus den rei- hen der koalition. der verteidigungspoliti- sche sprecher der unionsfraktion, hen- ning otte (cdu), sagte, der gesetzentwurf verdiene die note „sehr gut“. gerade weil der soldatenberuf kein beruf wie jeder an- dere sei, müsse der gesetzgeber seiner für- sorgepflicht gegenüber den soldaten gerecht werden. dazu gehöre aber auch, dass den soldaten das zugesagte moderne gerät zeitnah zur verfügung gestellt werde, forderte otte mit blick auf lieferungsverzögerungen et- wa beim transportflugzeug „a 400 m“. die industrie müsse in die pflicht genom- men werden, ihre zusagen verlässlicher einzuhalten. auch der verteidigungspoli- tische sprecher der spd- fraktion, rainer arnold, lobte von der ley- en. die ministerin habe bislang ungelöste knoten gelöst. mit der einführung der 41-stunden-woche könne die hohe zahl der überstunden zurückgeführt und der dienst in der bundeswehr familienfreund- licher gestaltet werden. arnold erinnerte daran, dass die soldaten „anerkennung und wertschätzung“ verdienten. doris wagner, verteidigungs- und famili- enpolitikerin von bündnis 90/die grünen, bezweifelte allerdings, dass das gesetz die gewünschte wirkung erreichen wird. es rei- che eben nicht aus, den soldaten einen hö- heren sold und höhere zulagen zu zahlen. so sei- en die mittleren und unte- ren dienstgrade zufrieden mit ihrem einkommen. die soldaten wünschten sich vor allem eine famili- enfreundlichere armee. die einführung der 41-stunden-woche und ein zu starres teilzeitmo- dell nützen nichts, wenn diese wegen des personal- mangels in vielen berei- chen gar nicht zu realisie- ren seien, argumentierte wagner. zudem sei es unverständlich, dass unteroffiziere noch immer mit 54 jahren automatisch in den ruhestand geschickt würden. die bun- deswehr müsse ihr personal länger halten. wagner forderte zudem, dass auch solda- ten die möglichkeiten des pflegezeitgeset- zes in anspruch nehmen können. auch dies gehöre zur familienfreundlichkeit. die linksfraktion will das gesetz hingegen aus prinzipiellen gründen nicht mittragen. letztlich ginge es der ministerin nicht da- rum, den soldaten eine bessere berufsper- spektive zu bieten, sondern die einsatzfä- higkeit der armee zu erhalten, kritisierte deren sicherheitspolitische sprecherin christina buchholz. das eigentliche kern- problem für die attraktivität der bundes- wehr seien die auslandseinsätze. diese leh- ne ihre fraktion aber ebenso ab wie eine mehrheit der bevölkerung. die einführung der 41-stunden-woche sei zwar ein über- fälliger schritt, aber sie gelte eben nicht für soldaten auf see oder im auslandseinsatz, monierte buchholz. diese einsätze stellten zudem die größte belastung für die famili- en der soldaten dar. während der bundestag die gesetzesvorla- ge zur weiteren beratung in die ausschüsse überwies, lehnte er einen antrag der grü- nen (18/2874) zur vorverlegung des stich- tags im einsatzversorgungsgesetz mit den stimmen der koalitionsfraktionen bei ent- haltung der linken ab. diese forderung sei im gesetzentwurf bereits erfüllt, sagte henning otte. alexander weinlein t editorial höchste zeit von jörg biallas die bundeswehr soll attraktiver werden. da- gegen wird niemand, der den stellenwert von nationaler und internationaler sicherheit be- griffen hat, etwas einzuwenden haben. in den vergangenen jahren gab es in der deutschen armee zwar viele, aber viel zu wenige wirk- lich effektive reformen. höchste zeit also, das soldatenleben moder- nen standards anzupassen. wer will, dass die armee im vergleich zu anderen berufsgrup- pen auf augenhöhe als arbeitgeber aner- kannt wird, muss soziale bedingungen eben- so wie karriereaussichten aufwerten. es wird nicht einfach werden, das image der bundeswehr nachhaltig zu verbessern. zu lange dominierte das bild von einer bürokra- tisch schwerfälligen, unflexibel agierenden und zudem nicht hinreichend einsatzfähigen truppe die öffentliche wahrnehmung. nicht immer aus willkür oder unkenntnis. denn lei- der gab es über die jahre auch regelmäßig nachrichten, die genau dieses bild bestätigt haben. wer ehrlich resümiert, wird dennoch zuge- ben, dass die bundeswehr trotz dieser mitun- ter schwierigen umstände selbstbewusst da- rauf verweisen kann, die an sie herangetrage- nen aufgaben souverän erfüllt zu haben. das gilt zuvorderst für die zahlreichen auslands- einsätze, in denen soldatinnen wie soldaten leib und leben für ein von der politik als wichtig, mithin als durchsetzbar definiertes mandat riskieren. gewiss, diese pflichterfüllung ergibt sich aus der logik des prinzips von befehl und gehor- sam. es ist aber keineswegs selbstverständ- lich, dass sich staatsbürger freiwillig diesem prinzip unterwerfen und sich damit weitge- hend bedingungslos in den dienst der allge- meinheit stellen. wenn jetzt darüber nachgedacht wird, für frauen und männer den dienst in der bun- deswehr angenehmer und zukunftssicherer zu gestalten, ist das nur recht und billig. und obendrein notwendig, will die armee im wettstreit um qualifizierte kräfte auf dem ar- beitsmarkt nicht dauerhaft das nachsehen haben und somit zwangsläufig an leistungs- fähigkeit verlieren. es sollte gelingen, mit diesen maßnahmen aktive soldaten wie zukünftige rekruten zu motivieren, ihren dienst engagiert und gewis- senhaft zu versehen. profitieren würden wir davon letztlich alle. »wir wollen die besten, wir brauchen die besten« ursula von der leyen (cdu), verteidigungsministerin nicht nur gleichschritt: die anforderungen an die soldaten sind deutlich gestiegen. um so schwieriger ist es, geeigneten nachwuchs zu finden. © picture-alliance/dpa kopf der woche europa in aufruhr alexis tsipras er hat europas politiker vergangene woche gehörig in aufregung versetzt. der neue grie- chische ministerpräsident alexis tsipras kündigte nach dem triumphalen wahlsieg seiner linken syriza-partei nicht nur radikale änderungen im eigenen land an. der 40-jährige will auch einen weiteren schuldenerlass bei den euro-partnern und dem iwf durchsetzen. und das bei massenweiser wiedereinstellung ent- lassener beamter und aufstockung von mindestrenten wie mindestlöhnen. die „bevormundendetroika-herrschaft“ soll beendet werden und obendrein widersetzt sich die neue athener regierung aus linken und rechten auch weiteren sanktionen gegen russland. hektische be- triebsamkeit ist im düpierten europa ausgebrochen. am donnerstag sondierte eu-parlamentspräsident martin schulz (spd) bei dem früheren kommunisti- schenaktivisten, einentag darauf eurogruppen-chef jeroen dijsselbloem (seite 9). kru t ©picture-alliance/dpa zahl der woche 320 milliarden euro beträgt die schuldenlast grie- chenlands. das entspricht 176 prozent des brut- toinlandsprodukts und liegt somit deutlich über den in der währungsunion erlaubten 60 prozent. rund 260 milliarden der schulden athens wer- den inzwischen von öffentlichen gläubigern wie den eu-rettungsfonds getragen. zitat der woche »ich werde sicherlich tacheles mit ihm reden.« martin schulz (spd), eu-parlamentspräsident, vor seinem besuch beim neuen griechischen ministerpräsidenten alexis tsipras in der ver- gangenen woche in athen. in dieser woche innenpolitik führungspositionen frauenquoten in der wirtschaft und beim staat seite 4 innenpolitik u-ausschuss zeugen stützen aussagen von sebastian edathy seite 5 wirtschaft und finanzen regierungserklärung minister gabriel präsentiert wirtschaftsbericht seite 10 kehrseite bundestag ein planspiel erklärt berliner schülern den parlamentsbetrieb seite 12 mit der beilage das parlament frankfurter societäts-druckerei gmbh 60268 frankfurt am main thema: attraktivere bundeswehr bundestag berät regierungs-plan seite 1-3 gedenken die erinnerung an den holocaust im zeichen eines jubiläums seite 6-7 empörung debatte über die folterpraktiken des us-geheimdienstes cia seite 8 berlin, 02. februar 2015 www.das-parlament.de 65. jahrgang | nr. 6 | preis 1 € | a 5544 truppe wandelt auf einem schmalen grat wehrbeauftragter zahl der eingaben bleibt auf hohem niveau. königshaus warnt vor überbelastung der soldaten die zahl der eingaben von soldaten und soldatinnen an den wehrbeauftragten des bundestags bewegt sich mit 4.645 im jahr 2014 weiterhin auf einem sehr hohen ni- veau. dies sind zwar 450 eingaben weniger als im jahr zuvor, allerdings sank im glei- chen zeitraum auch die durchschnittliche truppenstärke der bundeswehr von 184.000 auf 173.000 soldaten. die einga- benquoten von 26,8 je tausend soldaten im jahr 2014 und 27,7 im jahr 2013 stellen historische höchstwerte in der geschichte der bundeswehr dar. dies geht aus dem jahresbericht 2014 (18/3750) hervor, den der wehrbeauftragte hellmut königshaus in der vergangenen woche an bundestags- präsident norbert lammert (cdu) und den verteidigungsausschuss übergab. der ausschussvorsitzende hans-peter bartels (spd) übernimmt im mai das amt des wehrbeauftragten von königshaus, dessen fünfjährige amtszeit dann endet. wie bereits im vorjahr bemängelt königs- haus auch in seinem aktuellen jahresbe- richt die doppelbelastungen für die solda- ten durch auslandseinsätze und die neu- ausrichtung der streitkräfte. „die bundes- wehr wandelt durch die hohe einsatzbelas- tung auf einem schmalen grat“, erklärte er gegenüber der presse. als besonders kri- tisch bewertet er den alterungsbedingten ausfall von material und den verspäteten zulauf von ersatzteilen, betriebsstoffen und vor allem neuem gerät. dies werde sich negativ auf die personelle einsatzfä- higkeit und den ausbildungsstand der truppe auswirken. nicht viel besser sieht es nach ansicht des wehrbeauftragten beim „maroden zustand“ vieler bundes- wehrliegenschaften aus: 269 von 3.000 ge- bäuden seien derzeit „eigentlich nicht nutzbar, aber dennoch teilweise bewohnt“. die derzeit im haushalt bereitgestellten mittel für den erhalt und den neubau von kasernen hält königshaus für „bestenfalls ausreichend, die dynamik des verfalls auf- zuhalten“. aus der truppe werde zuneh- mend die kritik laut, dass bei der umset- zung des neuen stationierungskonzeptes aufwändig sanierte liegenschaften ge- schlossen und gleichzeitig liegenschaften mit einem großen sanierungsbedarf in räumlicher nähe weiterhin genutzt wür- den. für ihn sei nicht erkennbar, moniert königshaus, dass die evaluation der neu- ausrichtung genutzt worden wäre, um das stationierungskonzept in einzelfällen nochmals zu überprüfen. kritisch beurteilt königshaus auch das festhalten am „prinzip breite vor tiefe“ bei der neuausrichtung der bundeswehr. dies führe zu „unzumutbaren überforderun- gen“ einzelner truppenteile, da deren fä- higkeiten in den vielen kleinen auslands- einsätzen immer wieder angefordert wür- den, ohne dass diese bereiche gezielt ver- stärkt worden wären. aw t weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper königshaus bei der übergabe seines berichts an bundestagspräsident norbert lammert und den vorsitzenden des verteidigungsausschusses, hans-peter bartels. © bundestag/melde 4 194560 401004 1 0 6 0 6 4194560401004 10606