reise in das land der roten linien das parlament - nr. 14-15 - 04. april 2016 naher osten 11 ziemlich feste feinde regionalmächte die erbitterte rivalität zwischen saudi-arabien und dem iran hat eine lange vorgeschichte. im moment ist sie eine der größten bedrohungen für den nahen osten der streit beginnt bereits bei den begriffen: persischer golf, arabischer golf, „islami- scher golf“ – das gewässer, dass die arabi- sche halbinsel vom iranischen hochland trennt, trägt viele namen. diplomaten zwingt es regelmäßig zum navigieren zwi- schen begrifflichen untiefen. seit jahrzehn- ten konkurrieren saudi-arabien und der iran offen um die rolle als führungs- und gestal- tungsmacht am golf. stets geht es dabei auch um den hohen anspruch, für die ge- samte muslimische welt zu sprechen: das vorwiegend sunnitische saudi-arabien als hüter der heiligen stätten von mekka und medina, der schiitisch geprägte iran mit sei- nem emanzipationsversprechen und seinem islamischen revolutionsexport. während sich saudi-arabien als stabilitätsfaktor sieht, als fürsprecher sunnitischer muslime welt- weit und als einer der engsten verbündeten der usa im nahen osten, versammelte der iran lange zeit all jene akteure in der regi- on, die in den usa nichts anderes als den „den großen satan“ sehen wollten. er ver- stand und versteht sich in diesem sinne auch als anwalt jener schiitischen minderheiten, denen die mit den usa verbündeten sunniti- schen herrscher am golf die partizipation verweigern. genau diesen versuch einer kon- fessionellen patenschaft wertet aber insbe- sondere saudi-arabien als einmischung in innerarabische angelegenheiten und als be- weis iranischer expansionsgelüste. in riad fürchtet man nichts mehr als eine von außen gesteuerte mobilisierung der eigenen schiiti- schen minderheit, die im osten des könig- reiches – und damit über den größten ölfel- dern – zu hause ist. iran, so der vorwurf, wolle die aufstände in der arabischen welt gegen die vom westen unterstützten autori- tären regime und damit gegen die saudis vereinnahmen. teheran wiederum kontert, dass man den iran schwerlich für korrupti- on, die unterdrückung religiöser minderhei- ten und schlechte regierungsführung verant- wortlich machen könne, die zu eben diesen aufständen geführt hätten. geländegewinne ins rutschen gekommen sind die dinge allerdings schon vorher. als in der folge des einmarschs von us-truppen im irak und des sturzes saddam husseins 2005 eine schiitisch geprägte und iran- freundliche regierung in bagdad ins ruder kam, sah riad darin bereits einen gelände- gewinn für den erzkonkurrenten teheran. hinzu kam in dieser zeit die befürchtung, dass sich der iran mit seinem atompro- gramm tatsächlich zur nuklearmacht am golf aufschwingen könnte – später abgelöst durch die sorge, dass man dem iran bei den e3+3 verhandlungen viel zu weit entgegen- komme. seit 2011 erlebten die saudis zu- dem, dass langjährige verbündete wie ägyp- tens präsident husni mubarak vom volk in die wüste geschickt wurden. besonders irri- tiert war man in riad offenbar, dass man das in washington achselzuckend zur kenntnis nahm oder offen begrüßte. gerade das bei- spiel ägyptens stellte 2012/2013 das saudi- sche königshaus außerdem vor eine durch- aus auch machtpolitische herausforderung. dort demonstrierte präsident mohammed mursi als vertreter der muslimbrüder, wie man auf demokratischem wege eine mehr- heit hinter sich versammelt – ein womöglich attraktiveres modell des politischen islams, als es die feudale erbmonarchie am golf bie- ten kann. heute bringen die aus dem öl- preisverfall und aus verschleppten reformen resultierenden wirtschaftlichen probleme die saudische führung innenpolitisch zusätzlich in erklärungsnot. dazu kommen kosten, die sich das land für die offen ausgetragene ri- valität mit dem iran leistet: einerseits finan- ziell und militärisch etwa im krieg im jemen gegen die vom iran unterstützen huthi-mili- zen, andererseits politisch, etwa durch die offene unterstützung des sunnitischen herr- scherhauses in bahrain gegen die dortige schiitische bevölkerungsmehrheit. außenpolitisch zeigt das beispiel syriens und der aufstieg des „islamischen staats“ (is), wie eng der spielraum für die saudische führung ist: sie möchte die achse syrien- iran aufbrechen, kann aber anderseits nicht akzeptieren, dass sich auf dem syrischen trümmerfeld mit dem is ein islamistischer akteur mit kalifatanspruch etabliert. offensi- ver gegen den is vorzugehen, verbietet sich jedoch wiederum, um sich im eigenen land nicht dem vorwurf wahhabitischer hardliner auszusetzen, die „sunnitischen brüder“ des is mit ihrer verwandten auslegung des is- lams ans messer zu liefern. für den iran stellt sich die situation unter- dessen womöglich weit weniger günstig dar, als man es in saudi-arabien annimmt: de facto hat das land bis auf das assad-regime, den irak und die hisbollah-milizen im liba- non keine wirklichen verbündeten in der re- gion. knapp drei viertel aller iranischen ex- porte gehen in die vereinigten arabischen emirate und nach china. ob sich das land mit dem möglichen ende der atomsanktio- nen in diesem jahr von dieser abhängigkeit befreien kann und seinen großen, bisher iso- lierten markt internationalen investoren öff- net, ist längst noch nicht ausgemacht: zu eng sind die einflussreichen revolutionsgarden mit den einträglichsten geschäften im lande verflochten, zu stark womöglich auch die ideologischen beharrungskräfte, zu wir- kungsmächtig die ablehnung der usa als ordnungsmacht in der region. der „oberste religionsführer“ ali khamenei hat kurz nach dem abschluss der atomverhandlungen klar- gestellt, dass eine annäherung an den erz- feind usa keinesfalls gewünscht ist. nicht ausgemacht ist zudem, ob frei werden- de gelder nach dem ende der sanktionen für die entwicklung des landes eingesetzt werden, so wie es der moderate präsident hassan rohani offenbar anstrebt, - oder ob hardliner die mittel nicht für den revoluti- onsexport nutzen wollen. klar ist, dass auch der iran einen hohen preis für die rivalität im nahen osten zahlt – finanziell und mili- tärisch etwa für das assad-regime, aber auch politisch, wenn die iranische führung die aufstände in der arabischen welt zwar be- grüßt, sich andererseits aber zum komplizen der brutalitäten assads macht. beide seiten, iran und saudi-arabien, dürf- ten eigentlich ein gemeinsames interesse an einer politischen lösung für syrien haben und vor allem auch daran, den is in die schranken zu weisen. die gemeinsamkeit scheint sich aber bisher vor allem in der fest- stellung zu erschöpfen, dass diese ziele je- weils nur mit iran und mit saudi-arabien und nicht gegen sie zu erreichen sind. ahe t weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper > stichwort rivalen am golf > wirtschaft saudi-arabien erwirtschaftet mit seinen rund 30 millionen einwohnern ein jährliches bip von rund 20.000 us-dol- lar, iran mit seinen rund 78 millionen ein- wohnern rund 5.000 us-dollar pro kopf. > erdöl die monarchie am golf ist mit 530 millionen tonnen pro jahr größter ölförderer der welt und hat nach heuti- gem stand die zweitgrößten ölreserven. der iran belegt mit rund 162 millionen tonnen platz sechs unter den ölförder- ländern und gilt als land mit dem dritt- größten reserven. s chwarz-weiß. so erlebt der fremde saudi-arabien auf den ersten blick. frauen müssen die knöchellange schwarze abaya und dazu ein kopftuch tragen, männer sind in weiße kutten ge- hüllt. ebenso streng reglementiert er- scheint das konservative wahhabitische weltbild: dazu gehören öffentliche hin- richtungen, inhaftierte menschenrechtsak- tivisten, frauen, die nicht auto fahren dür- fen, das verbot von kinos und theatern. als westliche journalisten dürfen wir uns im land nicht ohne begleiter bewegen. ei- nen tag, nachdem wir gegenüber spazier- gängern am strand das wort ,,menschen- rechte“ erwähnen, bekommen wir arbeits- verbot. doch es gibt auch menschen, die quer denken und dem land farben geben: künstler, unternehmer und menschen- rechtler. einwohner saudi-arabiens, die zeigen, dass die grenzen der meinungsfrei- heit durchaus dehnbar sind. wenn man glück hat. strenge regeln rot ist heute verboten. am valentinstag dürfen die saudis keine rote kleidung tragen und keine roten ge- schenke machen. alles teufelszeug, sagt ein imam in riad. „eines war ihm dabei durchgerutscht“, feixt der unternehmer khalid al-khudair. „was sollen wir nur mit der schimak machen?“ das tuch, das die saudis in traditioneller weise auf dem kopf tragen, ist rot-weiß. gleich am mor- gen verkünden staatstreue zeitungen eilig, das tuch sei selbstverständlich von der re- gel ausgenommen. al-khudair ist der chef von glowork, einer privaten arbeitsagentur für frauen in der hauptstadt riad. 90 prozent der mitarbei- ter sind hier weiblich – so etwas gibt es mittlerweile in saudi arabien. der arbeits- markt für frauen boomt, in den vergange- nen fünf jahren ist die zahl der arbeiten- den frauen von 40.000 auf aktuell eine halbe million gestiegen. „wir unterziehen uns im königreich gerade einem sozialen experiment“, sagt al-khudair. „das verhal- ten frauen gegenüber hat sich in den ver- gangenen jahren verändert.“ seine agentur gleicht amerikanischen start-up-unternehmen: helle große räu- me, modern eingerichtet, die mitarbeiter kaum älter als 30. wie von der religions- polizei verlangt, gibt es einen extra frauen- raum, in dem ohne schleier gearbeitet wird. als ein männlicher mitarbeiter was- serflaschen bringt, greift niemand zum kopftuch. doch kaum nehmen wir die ka- mera in die hand, verschleiern sich alle – es geht um das bild, das man nach außen abgibt. mit kleinem nasenschmuck und großer brille berät die 26-jährige ifrah eine jobsu- chende. „wir jungen leute wollen heute mehr“, sagt sie. „die neue generation hat sich verändert, denkt anders.“ ifrah sprüht vor energie und hat ihr ziel klar vor au- gen: „ich will eine bedeutende frau in sau- di-arabien werden. wir frauen bilden doch 50 prozent der gesellschaft, wir wer- den etwas bewegen. bald schon.“ wahlrecht für frauen im vergangenen dezember durften saudische frauen zum ersten mal seit der gründung des könig- reichs vor 84 jahren an der wahl der ge- meinderäte teilnehmen. sie sind die einzi- ge politische vertretung im königreich, über deren zusammensetzung die bürger mitbestimmen können, ihr einfluss ist je- doch begrenzt. „wir haben eine große kampagne gestartet und den frauen ihre rechte erklärt“, sagt die 33-jährige shaika al sudairy vom verein al-nahda, der arme, meist allein erziehende frauen unterstützt. doch allen bemühungen zum trotz gin- gen am ende von rund fünf millionen wahlberechtigten frauen nur 130.000 zur wahl. vielleicht, weil sie noch nicht an ih- re eigene stimme glaubten, vielleicht aber auch, weil männliche familienmitglieder sie davon abhielten. dass von den 2.100 abgeordneten in den stadt- und gemein- deräten jetzt immerhin 20 frauen sind, ist mutigen vorkämpferinnen wie samar ba- dawi zu verdanken. die schwester des in- haftierten bloggers raif badawi klagte 2011 als erste frau in saudi-arabien ihr wahl- recht bei den damaligen wahlen ein. „mein mann durfte sich registrieren. mir haben sie gesagt, dass frauen sich nicht eintragen dürfen. ich war schockiert. gleich am nächsten tag habe ich be- schwerde eingelegt“, erklärte badawi uns damals in ihrem kleinen apartment in der hafenstadt dschidda. ihr bruder raif brachte tee, ihr ehemann waleed abu al khair übersetzte und stellte klar: „die re- gierung behauptet, dass die frauen zu hause am herd bleiben möchten, aber das ist einfach nicht wahr. samar und viele an- dere frauen wollen dringend den wandel.“ vor fünf jahren war die klägerin zuver- sichtlich: „ich hoffe, dass wir frauen bald wählen dürfen und vertraue jetzt auf unse- re rechtsprechung, die ich für fair und ge- recht halte.“ das würde die 34-jährige heu- te wohl nicht mehr so sagen. bruder und ehemann, ein renommierter menschen- rechtsanwalt, sitzen für zehn und 15 jahre im gefängnis. die menschenrechtsorgani- sation, die ihr mann mitgegründet hatte, wurde verboten, acht der elf gründungs- mitglieder sitzen hinter gittern. samar ba- dawi lebt heute allein mit ihrer kleinen tochter, die zwei monate nach der inhaf- tierung ihres vaters zur welt kam. bei der polizei musste samar unterschreiben, dass sie nicht mehr mit der presse spricht. zu einer solchen selbstverpflichtung wur- de auch die frauenrechtlerin aziza al you- sef gedrängt. mit dem auto war sie wieder- holt durch die ruhige straße in der nähe ihres hauses in riad gefahren. „bis vor zwei jahren bin ich regelmäßig gefahren, es war sicher, nichts ist passiert“, berichtet sie. ein video von ihrem ausflug stellte sie auf das videoportal youtube, das bei sau- dis extrem beliebt ist; es bekam 400.000 klicks und stieß auf viele positive reaktio- nen. vor zwei jahren wurde al yousef dann beim autofahren verhaftet. um freizukom- men, musste ihr mann sie auslösen und unterschreiben, dass sie nie mehr fahren wird. nun wartet al yousef auf einen erlass des königs, der frauen das autofahren er- laubt. „wir leben von der hoffnung“, sagt sie. auf youtube machen sich saudische co- medians über das fahrverbot lustig. bob marleys song haben sie umgedichtet zu: „no woman, no drive“. ironisch wiederho- len sie die wilde behauptung eines imams, dass frauen ihre eierstöcke durch eigenes fahren gefährden – humor als mittel, um missstände aufzuzeigen. doch die truppe repräsentiert nur eine kleine, liberale min- derheit in saudi-arabien. „die meisten sind dagegen, dass frauen fahren, mindes- tens die hälfte“, schätzt der unternehmer alla yoosef vom internetkanal telefaz 11, der das video online gestellt hat. viel druck mit ein paar freunden sitzt yoosef rauchend auf der couch in einem künstlerstudio, in dem sich querdenker, künstler, galeristen treffen. gegründet hat es abdulnassar gharem, der 23 jahre lang in der saudischen armee gedient hat. seit zwei jahren widmet er sich ausschließlich kunst. „es gibt eine menge druck von der gesellschaft, der familie, der schule“, sagt er. „niemand sagt hier freiwillig, was er wirklich denkt.“ gharems kunst ist meist im ausland zu se- hen, doch über die sozialen netzwerke, die im land äußerst populär sind, findet sie den weg zurück ins land. er arbeitet an großformatigen bildern, deren basis kleine stempel sind – eine anspielung auf die saudische bürokratie, die vieles zu verhin- dern weiß. „ich schaffe mir lieber meine eigenen stempel“, sagt gharem. eines sei- ner ersten werke ist das foto einer brücke, die im nichts endet. behörden hatten sie bauen lassen, nur zwei jahre später stürzte sie ein. es gab tote. „mit freunden habe ich nächtelang nur ein wort auf diese brü- cke gesprüht: der „weg“. er nimmt damit bezug auf die predigten der muezzins, in denen die gläubigen im- mer wieder aufgefordert werden, den rich- tigen weg nicht zu verlassen. was aber ist der richtige weg? diese frage treibt gha- rem um. „geht es darum, blindlings zu folgen, oder kannst du selber einen weg vorgeben, anderen ein beispiel sein?“ künstler wie gharem setzen sich in saudi- arabien einem hohen risiko aus. ungläu- bigkeit, aufwiegelung und ungehorsam gegenüber dem königshaus werden nicht selten mit dem tode bestraft. gharem meint: „ich überschreite die rote linie nicht, ich teste sie nur aus.“ weltweite proteste gharems freund, der dichter ashraf fayad, ist in den augen des regimes zu weit gegangen. 2013 gestaltete er auf der biennale in venedig noch den saudischen pavillon. im november 2015 wurde er zum tode verurteilt. der vorwurf: apostasie – abfall vom glauben. in seinen gedichten will das gericht gotteslästerung und propagierung des atheismus entdeckt haben – für viele beobachter ein vorwand, um den kritischen künstler zum schwei- gen zu bringen. „das schicksal hat ashraf gewählt“, sagt gharem, „aber es hätte je- den von uns treffen können. gott sei dank haben sie die strafe jetzt auf acht jahre ge- fängnis reduziert.“ dutzende künstler und intellektuelle hat- ten sich weltweit für den dichter einge- setzt. auch viele organisationen aus europa und den usa hätten für ashraf ge- kämpft, sagt gharem. eine erfahrung, die ihm hoffnung gemacht hat: „nun fühle ich mich als künstler sicher – ich weiß, es gibt da ein paar menschen, die auf uns auf- passen.“ felicitas von twickel t die zdf-autorin reiste anfang des jahres für eine reportage 14 tage lang durch saudi-arabien. „weg“ heißt eine arbeit des saudischen künstlers abdulnasser gharem (bild unten links), sie zeigt eine brücke ins nichts. das bild rechts zeigt die junge ifrah (vorne), die in einer privaten arbeitsagentur frauen auf jobsuche berät. © studio gharem/von twickel reise in das land der roten linien saudi-arabien wie künstler, frauenrechtlerinnen und menschenrechtsaktivis- ten die engen grenzen der meinungsfreiheit austesten