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keine panik! drei porträts zwei auszubildende und eine studentin schauen auf ihre zukunft seite 3 wandel in der medizin mit modernsten methoden den krankheiten auf der spur seite 5 digitalisierung und globalisierung zuku nft der arbeit so n derthe m a: berlin, montag 18. april 2017 www.das-parlament.de 67. jahrgang | nr. 16-17 | preis 1 € | a 5544 beschäftigung ein plädoyer für einen konstruktiven umgang mit dem wandel der arbeitswelt keine panik! die in den print- und tv- kopf der woche in sorge um die arbeiter a p d / e c n a i l l christine lagarde in der vergangenen woche legte der internationale währungs- fonds (iwf), dessen chefin christine lagar- de seit 2011 ist, sei- nen aktuellen welt- wirtschaftsbericht vor. darin stellt der iwf fest: obwohl die wirtschaft seit jahren wachse, sin- ke das einkommen der arbeiter gemes- sen an der wirt- schaftsleistung. „langfristige maß- nahmen zur umverteilung könnten erforder- lich sein“, schreibt der iwf und revidiert da- mit deutlich seine bisherige politik. in einem vortrag in berlin äußerte sich lagarde ver- gangene woche ähnlich. sie forderte, wei- terbildung schlecht ausgebildeter arbeit- nehmer stärker zu fördern und gezielt in neue technologien zu investieren, dann müsse man innovationen nicht fürchten. „exzessive ungleichheit ist unvereinbar mit stabilem wachstum“, sagte lagarde. che t a - e r u t c i p © zahl der woche 40 prozent der arbeitnehmer in deutschland ha- ben 2015 real weniger verdient als mitte der 1990er jahre. die beschäftigten zählen zum un- teren lohnsegment. dies steht im neuen ar- muts- und reichtumsbericht der bundesregie- rung, der vergangene woche vom kabinett ver- abschiedet wurde und alle vier jahr erstellt wird. zitat der woche »wir brauchen einen pakt für anständige löhne.« andrea nahles (spd), bundesarbeitsminis- terin, zum aspekt des niedriglohnsektors im neuen armuts- und reichtumsbericht der bundesregierung in dieser woche thema automobilindustrie branche im autoland deutschland seite 4 die lage der anpassungen sind angesichts sozialstaat der veränderten arbeitswelt nötig seite 6 gesundheit jahrzehntelanger arbeit die körperlichen leiden nach seite 10 duales ausbildungssystem schlager muss sich anpassen ein export- seite 12 bangladesch es besser als vor einigen jahren den textilarbeiterinnen geht seite 13 mit der beilage das parlament frankfurter societäts-druckerei gmbh 60268 frankfurt am main 2 1 7 1 6 4 194560 401004 medien immer wieder zi- tierte osborne-frey-stu- die aus dem jahre 2013 hat sich auf die offenheit der gesellschaft für den digitalen wandel der wirtschaft, der arbeit und des berufsmarktes sehr kontraproduk- tiv ausgewirkt. seitdem bestimmt die aus- sage, dass 47 prozent „der arbeitsplätze“ wegfallen könnten, die debatten dieses landes. aufgrund der prägnanz der studi- energebnisse sind diese medial schnell ver- wertet worden. kritische stimmen, die auf die fehlende internationale vergleichbar- keit der berufe und arbeitsmärkte und die statik der betrachtung hingewiesen haben, gingen unter. politik fühlt sich von der technischen entwicklung vor sich herge- trieben. das generelle problem bei dem versuch der politik, dieser entwicklung zu begeg- nen, ist dabei die vorstellung, man könne eine disruptiv wirkende, technologisch bedingte änderung der beruflichen tätig- keiten in einem linearen modell abbil- den. dies muss zum scheitern verurteilt sein. es nützt nichts, das automatisie- rungspotenzial in der deutschen autoin- dustrie abschätzen zu wollen, wenn diese industrie durch neue akteure an sich in ihrer existenz bedroht wird, da sie ele- mentare entwicklungen der digitalisie- rung, der elektromobilität und der kun- denwünsche (umweltschutz, verzicht auf eigentum als statussymbol) anscheinend verschlafen hat. wir sollten, um uns ein realistisches bild von der digitalisierung der arbeitswelt machen zu können, von der vorstellung verabschieden, dass flächendeckend ganze berufe wegfallen werden. sicherlich gibt es ein großes fragezeichen hinter man- chen berufen wie den des kassierers oder des lkw-fahrers. überwiegend wird es aber eher darum gehen, dass einzelne tä- tigkeitsabschnitte innerhalb eines berufes durch technik ersetzt werden. so ist die firma ibm mit ihrer künstlichen intelli- genz ibm watson zurzeit dabei, die krebsdiagnostik und -heilung zu verbes- sern. die anamnese und medikation wird so in na- her zukunft vom arzt auf die künstliche intelligenz übergehen. dafür aber kann sich der arzt viel bes- ser auf das patientenge- spräch fokussieren und sich hierfür fortbilden. in der wissenschaft wird das auffinden, sichten und in- terpretieren von studien in zukunft besser durch software erledigt werden können. die zukunft der arbeit beschränkt sich nicht auf einzelne bereiche der wirtschaft, einer firma oder einer branche. es geht nicht nur um die kassiererin oder den lkw-fahrer, deren tätigkeiten innerhalb der nächsten 20 jahre verschwinden wer- den. es geht nicht nur um die industrie- kauffrau, deren tätigkeiten zunehmend durch software oder die ausweitung der tätigkeiten formal höhergestellter ange- stellter überflüssig werden wird. es geht eben auch um den formal gut ausgebilde- ten angestellten im höheren management oder sogar im vorstand. dessen entschei- dungskompetenz wird durch teambasierte entscheidungsprozesse zunehmend seiner basis beraubt. vor dem hintergrund, dass „arbeit“ für die allermeisten menschen ein konstitutives element des selbstverständnisses ist, wird klar, dass wir es mit einer janusköpfigkeit der digitalen arbeit zu tun haben. auf der einen seite zwingt sie uns in einen mögli- cherweise härteren wettbewerb auf dem arbeitsmarkt; auf der anderen seite bietet sie aber die chance, uns zu vergewissern, wofür wir stehen, oder zu klären, was uns antreibt. arbeitgeber gefragt der von der bertels- mann-stiftung unterstützte „d21 digital index“ des jahres 2016 offenbarte dabei wir sollten uns von der vorstellung verabschieden, dass ganze berufe wegfallen. roboter packen schon kräftig mit an in der industrie. automatisierung und digitalisierung bergen große chancen, aber auch viele herausforderungen. © picture-alliance/frank may aber massive defizite der arbeitgeber und der personalabteilungen, wenn es darum geht, arbeitnehmer auf das digitale arbei- ten vorzubereiten. so bringen sich 78 pro- zent der arbeitnehmer und führungsmen- schen in deutschland digitale kompeten- zen selbst bei. nur 38 prozent werden da- bei von ihrem arbeitgeber unterstützt. 70 prozent der befragten könnten mobil ar- beiten – aber nur 24 prozent sind dazu be- reit oder wird es ermöglicht. männer erhal- ten dabei dreimal häufiger als frauen zu- gang zu mobilen endgeräten oder aber entsprechender software, um überhaupt digital arbeiten zu können. um eine zukünftige spal- tung des arbeitsmarktes weit zu verhindern, wäre es demnach erstens dien- lich, wenn frauen sehr viel besserer zugang zu digita- len werkzeugen ermög- licht würde. die digitale spaltung zwischen männ- lichen und weiblichen ar- beitnehmern ist kontra- produktiv für das heben von internen ressourcen in firmen. zweitens sollten arbeitnehmer und füh- rungsmenschen sehr viel besser von ihrem personalabteilungen „an die hand“ ge- nommen würden, um in das zeitalter des digitalen arbeitens aufzubrechen. drittens müssen instrumente geschaffen werden, die der immer größeren bedeutung infor- mellen lernens rechnung tragen. nicht mehr nur das zertifikat kann ausweis der eigenen bildungsanstrengungen sein. viertens müssen wir die realitäten an den schulen anerkennen. wenn das internet durch die schüler genutzt wird, geht es vor allem um soziale medien, computerspiele und videonutzung. leider sind sich me- dien, politik und viele eltern einig darin, diesen sachverhalt zu verurteilen. das ist das falsche signal! wir sollten sie vielmehr bei der produktiven nutzung des netzes unterstützen. fünftens ist das mediale klima nicht ge- rade förderlich, dem digitalen wandel der arbeitswelt gegenüber eine offenheit zu erzeugen. so dominieren immer neue horrormeldungen die schlagzeilen. wieso fin- den sich nur äußerst sel- ten berichte über positive beispiele der nutzung des netzes für den menschen, etwa beim einsatz für menschenrechte und mei- nungsfreiheit, erdbeben- hilfe via sozialer medien, open government, spen- denkampagnen etc.? las- sen sich schlechte nach- richten vielleicht einfach besser verkaufen? sechstens benötigen wir eine bessere in- frastruktur. die durchschnittliche band- breite des internetzugangs in deutsch- land reicht allenfalls für einen platz im mittelfeld. ländliche regionen könnten sehr viel besser gegen abwanderungs- trends angehen, wenn sie besseren inter- netzugang hätten. all diese änderungen der arbeitswelt fin- den natürlich in einem internationalisier- es fehlt bisher die bereit- schaft zum kulturellen wandel in der schul- landschaft. ten kontext statt. beispielsweise hat sich gezeigt, dass die flüchtlinge, die in den vergangenen beiden jahren deutschland erreicht haben, digital deutlich weiter sind als die betriebe im handwerk und die klei- nen und mittleren unternehmen, die unter fachkräftemangel leiden. 90 prozent der handwerksunternehmen nutzen keine di- gitalen (kommunikations-)werkzeuge. wäre das deutsche handwerk digitaler un- terwegs, so wäre es möglich, sie besser mit flüchtlingen, die arbeit suchen, zusam- menzubringen. die alterung der gesellschaft und die da- mit schwindenden steuer- sozialversicherungs- und aufkommen (pro kopf) führen zudem tendenziell zu einem finanziellen druck auf das bildungssys- tem. diesem druck könnte durch eine ausweitung der bildungsinhalte digitalen kosten- und -werkzeuge günstig – bei entsprechen- der nutzung von etwa offe- nen bildungsressourcen – begegnet werden. allein: es fehlt bisher die bereitschaft zu diesem kulturellen wandel in der schul- landschaft. globale werte setzen wir müssen uns in einer globalisierten welt immer vor au- gen halten, dass sich die welt nicht mehr nach unseren wertevorstellungen richtet. fragen des arbeitsrechts, des arbeitsschut- zes, der lohngerechtigkeit, der qualität von produkten, der bereitschaft, sein un- ternehmen dem globalen wandel anzu- passen und des kulturellen umgangs mit der digitalisierung werden heute weltweit diskutiert und entschieden. die diskussion um den datenschutz und den schutz der privatsphäre haben aber gezeigt, dass es möglich ist, für menschli- che werte zu werben. dass am ende beim wandel der arbeitswelt der mensch im zentrum stehen muss, ist ein solcher wert, für den wir weltweit eintreten soll- ten. ole wintermann t der autor ist senior project manager bei der bertelsmann-stiftung. er schreibt zudem für die netzpiloten und für die journalisten-plattform piqd.de. weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper editorial nicht alle sind flügge von jörg biallas der mensch, schrieb der in diesem jahr gefei- erte martin luther vor 500 jahren, sei „zur ar- beit geboren wie der vogel zum fliegen“. und: „arbeit ist ein sinnerfülltes gut.“ auch wenn die historische entwicklung in den vergange- nen jahrhunderten die euphorie des reforma- tors relativiert, gilt noch heute: arbeit ist ein wesentlicher bestandteil unseres lebens. aber arbeit hat sich verändert. in mehrfacher hinsicht. für viele menschen gehört arbeit zwar nach wie vor zum dasein; allein seligma- chender lebensinhalt ist sie jedoch längst nicht mehr. viel ist die rede von „work-life- balance“, also dem wunsch, beruf und privat- leben so zu vereinbaren, dass ausreichend zeit für familie und freizeit bleibt. gerade junge menschen sind bereit, dafür kompromisse bei karriere und einkommen zu machen. vielen bleibt das ohnehin nicht erspart. denn die arbeitswelt ist komplizierter geworden. war es vor generationenfrist noch gang und gäbe, das berufsleben bei einem einzigen ar- beitgeber zu fristen, sind heute wechsel der anstellung eher die regel als die ausnahme. nicht immer geschieht das freiwillig. zeit- und werkverträge sind in manchen branchen, etwa in der wissenschaft, üblich geworden. sie füh- ren dazu, dass die lebensplanung erschwert wird, weil eine perspektive fehlt. wer nur we- nige jahre mit einem gesicherten einkommen kalkulieren kann, wird sich schwertun, eine fa- milie zu gründen, eine immobilie zu erwerben oder für das alter vorzusorgen. inzwischen häufig im niedriglohnsektor mehr als ein job nötig, um den lebensunter- halt finanzieren zu können. die folge sind un- zumutbare wochenarbeitszeiten. an sich zu begrüßender technischer fortschritt gilt gerade älteren arbeitnehmern als eine he- rausforderung, der sie sich nicht gewachsen fühlen. ständig müssen im zuge der zuneh- menden digitalisierung neue arbeitsabläufe erlernt werden. nicht wenige bleiben dabei auf der strecke. wie auch die langzeitarbeits- losen, aktuell fast eine million menschen. viele davon werden nie mehr erwerbstätig sein. schicksale, die von den eigentlich positiven ar- beitsmarktdaten übertüncht werden. die zukunft der arbeit enthält also viel un- wägbares. nicht alle sind, um luthers worte abzuwandeln, im arbeitsleben so flügge, dass sie dem ohne sorge begegnen können. ist