frischer wind 8 europa und die welt das parlament - nr. 23-25 - 06. juni 2017 private investitionen als allzweckwaffe? afrika kritik an plänen der bundesregierung »die menschen- rechte bleiben dabei völlig auf der strecke.« niema movassat (die linke) »man muss einen anreiz setzen, damit ein unter- nehmer nach afrika geht.« charles m. huber (cdu) drei tage lang bereiste angela merkel (cdu) im herbst 2016 mali, niger und äthiopien. zurück von ihrem schnelltrip auf den afrikanischen kontinent war die kanzlerin voller optimismus: „afrika ist ein zukunftskontinent“, befand sie, war sich aber auch sicher: „die entscheidenden weichen für eine tatsächlich gute zukunft gilt es in der gegenwart zu stellen. und da- bei stehen deutschland und die europäi- sche union als partner gern zur seite.“ wie ernst es merkel damit ist, will sie in den kom- menden wochen zeigen: deutschland hat in diesem jahr die g20-präsident- schaft inne und die bun- desregierung hat die vertie- fung der partnerschaft mit afrika dabei ganz oben auf die agenda gehievt. wenige wochen vor dem g20-gipfel in hamburg lädt merkel des- halb afrikanische staatschefs und vertreter der deutschen wirtschaft nach berlin ein. erklärtes ziel ist es, deutschen unterneh- men investitionen in afrika zu erleichtern und investitionen insbesondere im bereich der infrastruktur zu fördern. untermauert wird das durch die vom finanzministeri- um koordinierte „compact with afri- ca“-initiative, über die es auf der website des ministeriums heißt: „zur konkreten verbesserung der rahmenbedingungen sol- len zwischen interessierten afrikanischen ländern, internationalen organisationen und partnerländern investitionspartner- schaften entwickelt werden.“ schließlich seien investitionen „eine grundvorausset- zung für starkes, ausgewogenes und nach- haltiges wachstum“. im juli eine „konstruktionsfehler“ »konstruktionsfehler« die opposition im bundestag kann die bundesregierung damit nicht überzeugen, wie in der vergan- genen woche einmal mehr bei der debatte über einen grünen-antrag (18/12543) zum g20-afrikagipfel deutlich wurde. zwar begrüßte frithjof schmidt ausdrück- lich, dass afrika ein schwerpunkt der deut- schen g20-präsidentschaft ist, warf der ko- alition aber vor. „die förderung und hebelung privater in- vestitionen wird quasi als allzweckwaffe der finanzie- rung präsentiert, und die konzentration auf einige länder mittleren einkom- mens propagiert.“ private investitionen gingen eher dahin, „wo stabile marktbe- dingungen sichere rendite versprechen“, warn- te er, und dies sei nun mal gerade nicht in den ärmsten und fragilen staaten der fall. die regierung überlasse da- mit faktisch den marktmechanismen die entscheidung über die schwerpunkte der entwicklungszusammenarbeit, konstatierte schmidt. er forderte die bundesregierung auf, mindestens die hälfte der mittel der entwicklungszusammenarbeit den ärmsten und fragilen staaten einzusetzen und für gute entwicklungspolitische kon- ditionen zu sorgen, wenn sie private inves- titionen subventioniere. außerdem solle sie wirkungsvolle maßnahmen gegen die steuerflucht von multinationalen unter- nehmen aus afrikanischen ländern entwi- ckeln, da deren volumen vielen expertisen zufolge die höhe der entwicklungsgelder inzwischen deutlich übersteige. in regeln für konzerne nach ansicht von niema movassat (die linke) dient die g20-afrikakonferenz dazu, „die wirt- schaftsinteressen reicher staaten und ihrer konzerne mithilfe afrikanischer märkte ab- zusichern. dabei wäre es endlich an der zeit, aufzuhören, afrikas staaten und men- schen auszubeuten“. das „compact with africa“-konzept von finanzminister wolf- gang schäuble (cdu) enthalte „viele kru- de ideen, viel neoliberale ideologie“, ur- teilte er. afrikanische länder sollten die märkte weiter öffnen, „sie sollen ihre sozi- alausgaben kürzen, die öffentliche da- seinsvorsorge, also wasser, telekommuni- kation und energie, privatisieren, und man will auch auf ppps, also auf öffentlich-private partner- schaften setzen“. menschen- rechte wie der zugang zu wasser oder zu gesund- heitsversorgung blieben da- bei auf der strecke. movas- sat forderte unter anderem verbindliche regeln für das handeln von konzernen im ausland. grüne und linke hatten dazu auch anträge (18/12454, 18/12366) vor- gelegt, die der bundestag aber mit den stimmen der koalitionsfraktionen ablehnte. beide an- tragsteller forderten die bundesregierung auf, sich in den „treaty-prozess“ der ver- einten nationen einzubringen, der auf die schaffung eines verbindlichen abkom- mens zu wirtschaft und menschenrechten zielt. »fairer statt freier handel« sympathien für die kritik der opposition an der afrika- politik der bundesregierung kam auch aus den reihen der spd. so urteilte sascha raabe: „wenn auf dem g20-gipfel nur das lied über mehr private investitionen ge- spielt wird, dann bringt das nichts; denn so wird das problem verschärft.“ mit blick auf die in vielen ländern afrikas verbreite- te kinderarbeit verwies der spd-abgeord- nete auf einen persönlichen brief, den er dem parlamentarischen staatssekretär beim bundesentwicklungsminister, hans- joachim fuchtel (csu), am 3. november 2014 geschrieben habe. in diesem habe er „eindringlich davor gewarnt, das freihan- delsabkommen mit der westafrikanischen wirtschaftsunion zu unterzeichnen; denn zum beispiel in ghana und der elfenbein- küste müssen millionen kinder schuften“. am 3. dezember 2014 habe es minister gerd müller (ebenfalls csu) als verant- wortliches kabinettsmit- glied dennoch unterzeich- net. „es ist schön, wenn der herr minister von fai- rem handel redet“, sagte raabe, „aber er muss auch endlich fair und gerecht handeln.“ charles m. huber (cdu) warf den kritikern einen „rückschritt in die klassi- sche entwicklungspolitik“ vor. „wenn sie es den afri- kanern nicht ermöglichen wollen, normale, entwi- ckelte volkswirtschaften wie die europäi- schen aufzubauen und zu gestalten und auch alternativen bei der finanzierung über die kapitalmärkte in anspruch zu nehmen, dann verstehen sie wenig von fi- nanzpolitik, und dann sollten sie am bes- ten überhaupt nicht darüber reden“, urteil- te er. man müsse anreize setzen, damit deutsche unternehmer nach afrika gingen. stattdessen unterstelle die opposition ih- nen „per se, dass sie die menschenrechte nicht einhalten“. weitere anträge neben den drei abge- lehnten anträgen von linken und grünen scheiterte die opposition in der vergange- nen woche noch mit drei weiteren initiati- ven zur entwicklungspolitik (18/12343, 18/12383, 18/8657). ein antrag der links- fraktion (18/12548) mit der forderung, das globalabkommen mit mexiko auszu- setzen, wurde zur weiteren beratung an die ausschüsse überwiesen. johanna metz t frischer wind junge partei von frankreich die präsident macron könnte in der nationalver- sammlung die absolute mehrheit bekommen. die wähler wollen neue gesichter – und keh- ren den etablierten parteien den rücken jubel für macron: kaum vier wochen im amt, gewinnt die partei des neuen staatspräsidenten laut umfragen immer mehr anhänger. © picture-alliance/claude prigent/maxppp/dpa durcheinander bisher war die französische na- tionalversammlung übersicht- lich aufgeteilt: rechts die kon- servativen, links die sozialis- ten. doch nach den wahlen am 11. und 18. juni dürfte die sitzordnung kommen. denn in der mitte des saals mit seinen dunkelroten samtbänken wird dann die vermutlich größte fraktion platz nehmen – die abgeordneten von „la république en marche“ (rem). umfragen sagen der par- tei von präsident emmanuel macron mit gut 30 prozent der stimmen und rund 320 sitzen die absolute mehrheit im parlament voraus. „macron profitiert von den erfol- gen seiner ersten tage, dem zerfall der po- litischen landschaft und dem amtsbo- nus“, kommentiert der direktor des mei- nungsforschungsinstituts kantar, emmanu- el rivière, in der zeitung „le figaro“. um sieben prozentpunkte legte macrons partei, die nachfolgerin seiner bewegung „en marche“, innerhalb weniger wochen zu. eine gute nachricht für den staatschef, der frankreich grundlegend reformieren will und bereits mit gesprächen über eine reform des arbeitsrechts begonnen hat. dass die hälfte seiner parlamentskandida- ten aus der zivilgesellschaft kommt, scheint die wähler nicht zu stören – im gegenteil. sogar die wahlbeteiligung, die bei 2012 bei gut 57 prozent lag, könnte da- durch ansteigen. „die lust, neue gesichter zu sehen, könnte mehr wähler zu den ur- nen bringen“, bemerkt rivière, der mit ei- ner beteiligung von 63 prozent rechnet. nach ihrem misserfolg bei den präsident- schaftswahlen hatten eigentlich die konser- vativen republikaner auf die absolute mehrheit in der 577 sitze zählenden ersten parlamentskammer gehofft. das hätte ma- cron zu einer kohabitation gezwungen, ei- ner politischen zwangsehe mit der oppo- sition, die seine reformpläne deutlich er- schweren würde. aber nur 42 prozent der franzosen wollen eine solche allianz. „die idee, dass der präsident eine mehrheit ha- ben sollte, setzt sich fest und wirkt sich de- mobilisierend auf die anderen politischen kräfte aus“, sagt rivière. die republikaner (lr) sieht sein institut bei mindestens 140 sitzen und rund 18 prozent der stimmen. viele überläufer das wäre ein debakel für die partei von ex-präsident nicolas sar- kozy, deren schlechtestes ergebnis bisher bei 158 abgeordneten lag. doch die kon- servativen wähler kehren lr den rücken: fast ein drittel will für die partei macrons stimmen. die überläufer folgen der logik des sozialliberalen staatschefs, der sich als „weder rechts noch links“ versteht und sei- ne regierung mit politikern verschiedener parteien besetzt hat. aus den reihen der republikaner warb er regierungschef edouard philippe, finanzminister bruno le maire und haushaltsminister gérald darmanin ab. ein schwerer schlag für die konservativen, die seit dem ausscheiden ihres kandidaten françois fillon in der ersten runde der präsidentschaftswahlen ohnehin in einer krise stecken. „die rechte wird durch die offensive macrons doppelt geschwächt, weil sie keinen anführer hat und ohne ideologische erneuerung tief gespalten ist“, analysiert der meinungsforscher brice tein- turier in der zeitung „le monde“. mehr als 170 prominente mitglieder der republika- ner sprachen sich bereits für eine konstruk- tive zusammenarbeit mit macron aus. auch françois baroin, der den lr-parla- mentswahlkampf anführt, will das land im falle eines sieges nicht blockieren. nach der ersten wahlrunde kündigte der ex-minister einen rückzug der lr-kandi- daten in den wahlkreisen an, in denen ein sieg des rechtspopulistischen front natio- nal droht, denn: „die partei von charles de gaulle ist der historische gegner des front national.“ in den vergangenen jah- ren hatten die konservativen diese „repu- blikanische front“ gegen den fn allerdings immer mehr hinterfragt. so hatten sich die republikaner vor der stichwahl um das präsidentenamt zwar gegen die fn-kandi- datin marine le pen ausgesprochen, aber nicht ausdrücklich zum votum für macron > st i c hw o r t frankreichs nationalversammlung > wahlrecht die franzosen wählen in zwei wahlgängen am 11. und 18. juni die abgeordneten für die assemblée na- tionale. 577 sitze sind insgesamt zu ver- geben. es gilt das mehrheitswahlrecht, die legislaturperiode dauert fünf jahre. > fraktionen aktuell gibt es fünf fraktio- nen im parlament, die stärkste stellen mit 270 mitgliedern die sozialisten. eine besonderheit in der assemblée nationale sind die „apparentés“. das sind abge- ordnete, die sich zwar einer fraktion zu- ordnen, dieser aber nicht angehören. aufgerufen. der partei von marine le pen werden rund 17 prozent der stimmen und zehn bis 15 sitze in der neuen national- versammlung vorhergesagt. damit könnte sie ihr ziel verfehlen, den fraktionsstatus zu erlangen, der bei 15 abgeordneten liegt. bisher ist der fn mit zwei parlamentariern im palais bourbon vertreten, was am kom- plizierten wahlrecht liegt. wer die erste wahlrunde überstehen will, muss entweder die absolute mehrheit haben oder 12,5 prozent der stimmen aller wahlberechtig- ten bekommen. für diesen fall ergeben sich dann in der zweiten runde häufig dreierkonstellationen, die zur niederlage des fn-kandidaten führen, wenn ein ande- rer bewerber zugunsten des aussichtsrei- cheren dritten verzichtet. für den sieger ist in der stichwahl nur eine relative mehrheit nötig. abstieg der sozialisten le pen bewirbt sich im wahlkreis hénin-beaumont, einer ehemaligen bergbaustadt im norden, um einen parlamentssitz. 2012 hatte die an- wältin das mandat dort knapp gegen den sozialistischen kandidaten verfehlt. die sozialisten, die bisher mit 284 sitzen die absolute mehrheit in der nationalver- sammlung hatten, dürften diesmal die gro- ßen verlierer sein. umfragen sagen der par- tei von ex-präsident françois hollande nur noch 40 bis 50 sitze voraus. auch die par- tei des linkspopulisten jean-luc mélen- chon dürfte nur auf rund 20 sitze kommen – zu wenig, um macron das regieren schwer zu machen. christine longin t die autorin ist freie korrespondentin in paris. ungenutzte potenziale auf dem wachstumskontinent entwicklung beim erschließen von märkten in afrika wollen die ressorts wirtschaft und wirtschaftliche zusammenarbeit an einem strang ziehen am konfliktpotenzial hat es vermutlich nicht gelegen, dass an die vier jahre zwi- schen einladung und besuch verstrichen sind: kurz vor dem ende der legislaturpe- riode kam bundesentwicklungsminister gerd müller (csu) zu einem austausch in den wirtschaftsausschuss. bei einem har- monischen treffen, bei dem auch opposi- tionsvertreter dem minister vereinzelt the- matische nähe bescheinigten, standen möglichkeiten und herausforderungen der deutschen wirtschaft bei der entwicklung von ländern etwa in afrika im fokus. „afrika ist der zukünftige wachstums- weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper markt“, unterstrich der minister die bedeu- tung des kontinents. „er braucht deutsches und europäisches engagement.“ die bevöl- kerung in afrika werde sich prognosen zu- folge bis 2050 verdoppeln, dann würden 20 millionen arbeitsplätze pro jahr not- wendig. große chancen nach meinung müllers nutzen deutsche firmen dieses potenzial bisher unzureichend – aus derzeit knapp 1.000 dort aktiven firmen müsse ein hun- dertfaches werden, forderte der minister. chancen lägen vor allem im bereich ener- gie, bei neuen mobilitätslösungen und im bau. die politik unterstütze firmen nicht nur mit bewährten instrumenten wie ex- portkreditgarantien, die auf eine größere anzahl von ländern ausgedehnt werden sollen. mit dem im januar 2017 vorgeleg- ten eckpunktepapier für einen „marshall- plan mit afrika“ schlägt das bundesminis- terium für wirtschaftliche zusammenarbeit und entwicklung (bmz) zudem eine neue partnerschaft mit dem nachbarkontinent vor; das programm zielt auf mehr investi- tionen der wirtschaft, auf fairen handel und reformen in afrika. zugleich seien die dortigen regierungen gefragt, etwa wenn es um die förderung der eigenen wirtschaft geht – anstatt billigimporte zuzulassen. afrika müsse sich selbst entwickeln.“ von ökologischen und sozialen grund- standards im internationalen handel pro- fitierten menschen und wirtschaft auch in deutschland, fügte müller hinzu und ver- wies auf die flüchtlingsdiskussion. die zahl der klimaflüchtlinge könne sich ohne weiteres verfünffachen, wenn etwa für die palmölproduktion riesige flächen gerodet und so menschen ihrer lebensgrundlage beraubt würden. das durchschnittliche wirtschaftswachs- tum in afrika lag 2016 bei etwa 3,7 pro- zent und war damit höher als das weltwirt- l i e d e m m h c a / t b d © entwicklungsminister gerd müller (csu) zu gast im wirtschaftsausschuss schaftswachstum mit 3,1 prozent. das bila- terale handelsvolumen mit afrika lag bei 41 milliarden euro, der bestand deutscher direktinvestitionen bei 9,2 milliarden euro. die cdu/csu-fraktion unterstrich im ausschuss, wie wichtig die verzahnung von experten der wirtschaftlichen zusammen- arbeit mit privaten unternehmen sei. letz- tere spielten eine erhebliche rolle bei der markterschließung von entwicklungslän- dern. ein vertreter der spd-fraktion be- grüßte es ebenfalls, privatunternehmen bei ihrem engagement zu unterstützen – ohne dabei parallelstrukturen zu schaffen. es ge- be ausreichend instrumente, die verstärkt werden könnten, hieß es auch im hinblick auf eventuelle bausteine des marshall-eck- papiers. vertreter der opposition würdigten die ar- beit des entwicklungsministers. vertreter von linken und grünen sehen indes man- ches freihandelsabkommen kritisch und wünschen sich mehr gesetzliche regelun- gen, da freiwillige vereinbarungen etwa beim bündnis für nachhaltige textilien nicht greifen würden. müller erklärte, das textilbündnis sei der versuch, auch anderen wirtschaftszweigen zu zeigen, dass die einführung von stan- dards und transparenz möglich sei. noch setzt er auf das verantwortungsbewusstsein von unternehmen; zustände zu billigen, wie sie in deutschland im frühen 19. jahr- hundert geherrscht hätte, könne kein ak- zeptables modell der heutigen zeit sein. zugleich ließ der minister erkennen, dass der dissens mit der oppositionsfraktion sich auch bei diesem thema im rahmen hält. „wenn es freiwillig nicht geht, müs- sen verbindliche regelungen folgen“, sagte müller. kristina pezzei t