zwischen kreuz und burka das parlament - nr. 2-3 - 09. januar 2017 christentum im lutherjahr 7 »rente« seit zwei jahrhunderten privilegien die beiden großkirchen werden vom staat mit milliardengeldern begünstigt – das geht zurück bis zu napoleon es begann mit napoleon. als ausgleich für die gebietsabtretungen an den franzosen- kaiser wurden mit dem reichsdeputations- hauptschluss (1803) die deutschen fürsten- tümer unter anderem mit kirchlichem besitz und vermögen entschädigt. kirchenjuristen dient diese „enteignung“ als begründung dafür, auf staatlichen geldleistungen als ei- ne art schadensersatz zu bestehen – obwohl bereits die weimarer reichsverfassung (1919) in artikel 138 auf eine „ablösung“, bei angemessener entschädigung, durch die landesgesetzgebung pochte und erklärte: „die grundsätze hierfür stellt das reich auf.“ das grundgesetz übernahm diesen auftrag in artikel 140. erfüllt wurde er indes nicht. steuergeld fließt weiter ohne zweck- bindung an die kirchen. 2015 hatten die bundesländer mehr als 500 millionen euro dafür eingeplant. experten schätzen, dass seit 1949 etwa 15 milliarden euro gezahlt wurden. erregungsthema wie viel an geld an beide großkirchen insgesamt schon geflossen ist, kann niemand so genau sagen. und unbe- antwortet bleibt die frage, ob die zahlungen noch in irgendeinem verhältnis zu den ver- mögensverlusten im 18. und 19. jahrhun- dert stehen. die (kirchenkritische) huma- nistische union spricht von einer „ewigen rente“ für die kirchen. die katholische bi- schofskonferenz und die evangelische kir- che in deutschland (ekd) beteuern seit jah- ren ihre „gesprächsbereitschaft“ über eine änderung. doch müsste der impuls von staatlicher seite ausgehen, wie der bonner staatskirchenrechtler ansgar hense 2010 im auftrag der katholischen oberhirten erklär- te. zugleich wurde den ländern signalisiert, dass eine ablösung sehr teuer werden wür- de. in der spd heißt es deshalb, solange aus den ländern keine signale kommen, die auf die länderhaushalte zukommenden folgen tragen zu wollen, könne der bund nicht mit einer rahmengesetzgebung vorpreschen. und die cdu/csu betonte, man sehe kei- nen handlungsbedarf, durch ein bundesge- setz die länder zu verpflichten, „die von diesen gewährten staatsleistungen an die kirchen abzulösen“. so bleibt „napoleons vermächtnis“ (überschrift eines kommen- tars in „die zeit“) noch mitte des 21. jahr- hunderts ein kirchenpolitisches erregungs- thema. nicht zu den staatsleistungen zählt die kostenerstattung aus staatlichen mitteln für die wahrnehmung öffentlicher ausgaben (kindergärten, altenheime und kliniken), gelder für religionsunterricht an öffentli- chen schulen, für theologische fakultäten, kirchliche hochschulen. kirchliche entwick- lungsdienste und hilfswerke etc. und auch nicht die kirchensteuer, die vom staat einge- zogen wird und beiden kirchen zusammen derzeit rund elf milliarden euro im jahr er- bringt; auch diese abgabe der kirchenmit- glieder wurde aus der weimarer zeit ins grundgesetz übernommen. dass das bun- desverteidigungsministerium die seelsorge an soldaten finanziert, geht auf artikel 27 des weiter geltenden reichskonkordats vom 20. juli 1933 zurück. apropos konkordate. als apostolischer nun- tius in münchen hat der spätere papst pius xii. mit dem freistaat bayern einen vertrag abgeschlossen, in dem unter anderem steht, dass etwa 50 hochrangige katholische geist- liche vom staat eine „ihrem stande und ih- rer würde angemessene“ wohnung gestellt bekommen. für den münchner erzbischof war das das palais holnstein. in ihm wohnt heute, nach einer millionen euro teuren re- novierung, kardinal reinhard marx. aller- dings wird marx, wie 138 andere hochrangi- ge bayerische geistliche, nicht mehr direkt aus der besoldungskasse des landes bezahlt: das geld wird an die erzbischöfliche finanz- kammer überwiesen, welche dann die pau- schalsumme aufteilt. der evangelische lan- desbischof heinrich bedford-strohm wird auf ähnliche weise besoldet. mit ausnahme der hansestädte hamburg und bremen zah- len die bundesländer aus ihren etats einen großteil der gehälter kirchlicher würdenträ- ger. neuerdings war vermehrt die frage auf- getaucht, ob konkordate möglicherweise eu- ropäischem recht widersprechen, heißt es doch im bayern-konkordat: „im hinblick auf die aufwendungen des bayerischen staa- tes für die bezahlung der geistlichen wird die kirche nur geistliche verwenden, die die deutsche staatsangehörigkeit haben“ und an einer deutschen oder päpstlichen hochschu- le studiert haben. und wie steht es um die „staatsnähe“ zum beispiel bei der bischofswahl? das reichs- konkordat bestimmt in art. 14 abs. 2, dass die bulle für die ernennung erst dann ausge- stellt wird, nachdem der name des gewähl- ten dem „reichsstatthalter“ (heute den mi- nisterpräsidenten) mitgeteilt und festgestellt wurde, dass gegen ihn „bedenken allge- mein-politischer natur nicht bestehen“. wenn nach 20 tagen der staat sich nicht äu- ßert, kann der heilige stuhl annehmen, dass keine bedenken vorliegen. ein vetorecht steht dem staat also nicht zu. nach der „freundschaftsklausel“ haben beide seiten allerdings einen einigungsversuch zu unter- nehmen. sollte der versuch erfolglos blei- ben, so ist rom in der ernennung frei. der heilige stuhl, so heißt es bei gerhard hart- mann in seinem buch „der bischof“, habe gegenüber politischen bedenken die „höchs- te moralische verpflichtung“, sie zu würdi- gen, sei aber an sie rechtlich nicht gebun- den. das sei auch verfassungsrechtlich von bedeutung, hält der konkordatsexperte fest. denn damit sei gesichert, dass es „keinerlei mitwirkung des staates an innerkirchlichen personalentscheidungen gibt“. fac t standesgemäßes domizil für den erzbischof: palais holnstein in münchen © picture-alliance/dpa freiraum für glauben parteien von staatsferne bis striktem anti-islam-kurs religion ist in allen (wahl-)programmen der parteien ein thema. cdu und csu beken- nen sich „ausdrücklich zur christlichen prä- gung unseres landes wie auch zum respekt vor jeder glaubensüberzeugung“. dabei sei das „bewährte staatskirchenrecht“ auch eine geeignete grundlage für eine umfassende partnerschaftliche zusammenarbeit mit al- len religionsgemeinschaften, hieß es etwa zur bundestagswahl 2013. an den aus dem 19. jahrhundert herrührenden staatsleistun- gen hält die union im grundsatz fest, be- grüßt es aber, wenn möglichkeiten zur ablö- sung einzelner dieser zahlungen an die kir- chen genutzt werden, wie es einige bundes- länder getan haben. für die spd ist wichtig, dass religionen „freiraum zur entfaltung ih- res glaubens“ haben. sie unterstützt daher bemühungen islamischer gemeinschaften, den status einer körperschaft des öffentli- chen rechts zu erlangen. am staatskirchen- recht hält sie ebenfalls fest. im einverneh- men von bund, ländern und kirchen sollten gespräche über eine ablösung von staats- leistungen geführt werden. auch die fdp nimmt das „ablösungsgebot des grundge- setzes ernst“, befürwortete eine regelung „unbedingt im gegenseitigen einverneh- men“. an der kirchensteuer will die partei nach den worten ihrer zuständigen sprecher „nicht rütteln“. diese steuer werde nicht als privileg, sondern als eine „der möglichen optionen der kirchenfinanzierung“ gesehen. die grünen haben sich auf ihrem jüngsten parteitag in münster für die ablösung der staatsleistungen an die kirchen ausgespro- chen, zudem müsse transparenz bei den fi- nanzen herrschen: „unser ziel ist, dass kör- perschaften des öffentlichen rechts sowohl ihr vermögen als auch die einnahmen und ausgaben offenlegen.“ der kirchenaustritt soll kostenlos sein. auch kirchliches arbeits- recht müsse überarbeitet werden. „außer- dienstliches und privates verhalten“ dürfe für bedienstete der kirchen keine arbeits- rechtlichen auswirkungen haben. dazu sagte der religionspolitische sprecher der grünen- bundestagsfraktion, volker beck: „wie wir le- ben und lieben, geht den arbeitgeber nichts an.“ in den in münster verabschiedeten grundsätzen wird auch eine – inzwischen vom bundesverfassungsgericht erlaubte – lo- ckerung des „tanzverbotes“ an religiös be- gründeten „stillen tagen“, etwa an karfrei- tag, gutgeheißen: „alles, was nicht stört, soll erlaubt sein.“ eine überprüfung der feiertagsgesetze ver- langte auch die partei die linke, die die komplette institutionelle trennung von staat und kirche anstrebt und die kirchlichen „pri- vilegien“ abschaffen will, wie sie schon in ihrem programm zur bundestagswahl 2013 ankündigte. auch die verfassungen sollen keine religiösen bezüge mehr aufweisen dür- fen. die linke betont dabei „das recht aller menschen auf ein bekenntnis zu einer welt- anschauung oder religion“ sowie den „schutz weltanschaulicher und religiöser minderheiten“. gleichzeitig trat sie für die abschaffung der militärseelsorge, für die ent- fernung religiöser symbole in staatlichen schulen und für eine überprüfung des blas- phemiegesetzes (paragraph 166 strafgesetz- buch) ein. einen strikten anti-islam-kurs steuert die afd in ihrem grundsatzprogramm: „der is- lam gehört nicht zu deutschland.“ bestimm- te muslimische praktiken und symbole ge- hörten verboten. das minarett und der ruf des muezzin seien „ausdruck eines politi- schen anspruchs an die gesellschaft, den wir nicht haben wollen und den wir natürlich nicht teilen“, sagte afd-vize alexander gau- land. die ekd-spitze wirft der partei vor, die religionsfreiheit infrage zu stellen. fac t weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper zwischen kreuz und burka religiöse symbole heute wird vor allem um kopftücher und ganzkörperschleier gestritten d eutschland im jahr des großen reformationsge- denkens: pluralistisch, multikulturell und multi- religiös. mehr als zwei jahrzehnte nach dem „kruzifix-urteil“ des bundesverfassungsge- richts, das wie ein blitz in die kirchliche landschaft einschlug, wird wieder über be- griffe wie religionsfreiheit und neutralität des staates gestritten. doch anders als in den späten 1990ern geht es diesmal nicht mehr so sehr um das zentrale symbol der christenheit, dem seine verteidiger eine überreligiöse bedeutung als zeichen von humanität und ethischer gesinnung bei- messen. die debatte ist auf das kopftuch und die burka von muslimen fokussiert. ein blick zurück: im sommer 1995 hatten die verfassungsrichter die in bayern gelten- de pflicht für unzulässig erklärt, in klassen- räumen staatlicher volks- schulen ein kreuz aufzu- hängen. 256.000 wütende proteste gingen in karlsru- he ein. csu und katholi- sche bischöfe organisierten demonstrationen, „kreuze gehören zu bayern wie die berge“, rief der damalige ministerpräsident edmund stoiber (csu). erinnert wurde an das vorgehen der nazis, die 54 jahre vorher die kreuze aus den schulen verbannt hatten. in der „süddeutschen zeitung“ schrieb heribert prantl von einem „aufstand der aufgereg- ten“. denn karlsruhe hatte zwar von einem „appellativen charakter“ des kreuzes ge- genüber jungen menschen gesprochen, die in ihrem weltbild noch nicht gefestigt sei- en, zugleich aber betont, dass der staat nicht völlig auf religiöse bezüge verzichten müsse. moniert wurde nicht, dass kruzifixe in klassenzimmern hingen, sondern dass der staat dies verordnete. der staat, so der leitgedanke des senats, sollte sich nicht mit einem religiösen symbol identifizieren. empfohlen wurde ein „schonender aus- gleich“ der interessen. das eröffnete raum für kompromisse. bayern machte davon gebrauch. es hielt zwar an der pflicht zum aufhängen von kreuzen fest, ließ aber eine widerspruchsmöglichkeit für eltern zu, wenn sie „ernste und einsehbare gründe der religion oder weltanschauung“ vor- bringen. diese „konfliktlösung“ hat bis heute bestand. und wenn man so will, führt von dem karlsruher „kreuz-urteil“, das genauer ein beschluss war, ein direkter weg zu den diversen kopftuch-entschei- dungen. das gemeinsame daran: keine flä- chendeckenden, pauschalen gebote (zum kruzifix in schulen), keine flächendecken- den pauschalen verbote (von kopftüchern etwa bei muslimischen lehrerinnen). und 2011 befand der europäische gerichtshof für menschenrechte in seiner auf italien be- zogenen entscheidung, kruzifixe in klas- senzimmern („passive symbole“) verletzten keine grundrechte. aktuell ist die ganzkörperverschleierung muslimischer frauen streitfall nummer eins. ist sie durch die vom grundgesetz ge- schützte religionsfreiheit abgedeckt? ja, sagte der wissenschaftliche dienst des bun- destags, die burka gehöre für bestimmte muslimische gruppen zu ihrem glaubens- verständnis. in dem gutachten von 2010 heißt es: „das tragen einer burka fällt (da- mit) in den schutzbereich des artikel 4 gg, soweit die trägerin dies als verbindlich von den regeln ihrer religion vorgeschrieben empfindet.“ dieser satz führte natürlich zu kritischen nachfragen: kann die burka nicht auch als be- wusstes zeichen von man- gelnder integrationsbereit- schaft verstanden werden? dem halten die fachleute in der parlamentsverwaltung allerdings entgegen: diese zumutung müsse ertragen werden, der einzelne habe kein recht darauf, von fremden religionsüberzeu- gungen verschont zu blei- ben. im übrigen sei es schwierig, jeweils konkret festzustellen, ob die burka aus religiösen überzeugungen getragen werde oder als politische demonstration. allerdings spre- chen die gutachter von einer schwierigen abgrenzung. deshalb komme ein verbot „nur im einzelfall als ergebnis einer abwä- gung mit kollidierenden verfassungsgütern in betracht“. ein spannungsfeld, das nicht leicht aufzulösen ist. der bayerische justiz- minister winfried bausback (csu) riet in der „faz“, höhere anforderungen an die plausibilität der behauptung zu stellen, ei- ne bekleidung sei teil der religionsaus- übung: „wenn der koran eine solche be- kleidung nicht unmissverständlich vor- schreibt und nur fundamentalistische is- lamgelehrte dies herauslesen, zählt sie in keinem fall zum kernbereich der religions- ausübung, sondern allenfalls zu ihrem randbereich.“ fabeln und lügen vor allem im protestan- tismus tut man sich schwer, in der islam- debatte auf einen nenner zu kommen. martin luther hatte wortstarke reden gegen den islam („eine schändliche ketzerei“) ge- halten: der koran sei voller fabeln und lü- gen. in ihm möge vieles zunächst nach christlicher lehre klingen, aber es fehle al- les, was wichtig sei, oder es werde grotesk verzerrt: die lehre von jesus christus, vom sohn gottes, von der trinität (dreifaltig- keit), von der sünde, vom kreuz, von der auferstehung, von der vergebung allein aus gnade. das war die position des reforma- tors, die von seinen geistlichen erben nicht mehr so klar vertreten wird. islam und christentum, meint etwa martin hein, bi- schof der evangelischen kirche von kurhes- sen-waldeck, seien „geschwister, die sich näher sind, als ihnen oft bewusst und auch lieb ist“. hein zeigt sich auch offen für mul- tireligiöse feiern. vor einem gemeinsamen gebet von christen und muslimen warnt der ekd-ratsvorsitzende heinrich bedford- strohm. warum? „weil wir unterschiede im glauben nicht einfach zur seite wischen wollen. ich kann als christ nicht einfach darüber hinweggehen, wenn man mir ganz ausdrücklich sagt ‚christus kann nicht got- tes sohn sein‘. deswegen bin ich zurückhal- tender und spreche vom ‚multireligiösen gebet‘. ich sehe das aber nicht als distan- zierung oder abwertung von anderen reli- gionen, sondern ich trete gerade dafür ein, die eigene identität nicht aus der abgren- zung heraus zu definieren.“ wolfgang hu- ber, einer der amtsvorgänger von bedford- strohm, hatte stets davor gewarnt, die un- terschiede zwischen christentum und is- lam zu verdunkeln: „wir haben als chris- ten keinen grund zu sagen, wir würden uns zum gleichen gott wie die muslime beken- nen.“ in hubers amtszeit entstand 2006 die islam-„handreichung“ des ekd-rates mit dem titel „klarheit und gute nachbar- schaft“. darin wurde unmissverständlich klargestellt, dass das interreligiöse beten aus theologischen gründen nicht in be- tracht komme. auch jegliches missverständ- nis, es finde ein gemeinsames gebet statt, sei zu vermeiden: „ihr herz werden chris- ten schwerlich an einen gott hängen kön- nen, wie ihn der koran beschreibt und wie ihn muslime verehren.“ auch beim thema kopftuch nahm der rat der ekd unter bi- schof huber eine haltung ein, die in den eigenen reihen heftigen widerspruch her- vorrief: das kopftuch begründe zweifel an der eignung einer bewerberin für den öf- fentlichen .dienst und den lehrerberuf. in interviews legte der damalige ratsvorsitzen- de nach: das kopftuch sei zwar ein religiö- ses zeichen, symbolisiere aber auch eine haltung im verhältnis der geschlechter, die mit dem grundgesetz nicht vereinbar sei: „wer sagt, mit dem kleinen kreuz an mei- nem revers dürfe ich nicht in die schule, muss begründen, warum das ein antidemo- kratisches zeichen sein soll. nur dann ist es vergleichbar.“ verteidigt wurde die umstrit- tene „handreichung“ vom damaligen bun- desinnenminister wolfgang schäuble (cdu), der die islamkonferenz ins leben rief. sein appell, an kirche und politik glei- chermaßen gerichtet: „nicht nur geben, sondern auch fordern.“ gernot facius t der autor war stellvertretender chefredakteur der „welt“ religiöse symbole wie die burka (links, eine frau in berlin) oder das kreuz wie in einer schule in bayern sind in der säkularen gesellschaft umstritten. © picture-alliance/360-berlin/dpa »wie dürfen die unter- schiede im glauben nicht zur seite wischen.« heinrich bedford-strohm, ekd-ratsvorsitzender