eine frage des stils 10 familie und politik das parlament - nr. 32-33 - 07. august 2017 eine frage des stils erziehung eltern von heute stehen unter dem druck, alles richtig machen zu wollen. das führt oft zu streit bei den paaren wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte nicht unbedingt. eltern sind oft verunsichert, wenn sie ihren kindern grenzen setzen sollen. © picture-alliance/westend61 schläft die anfrage der jungen mutter klingt verzweifelt. „baby nicht durch“, hat die nutzerin des forums auf der web- seite urbia.de ihren ein- trag betitelt. das baby sei immer so hung- rig, obwohl es für nächtliche zwischen- mahlzeiten schon zu alt sei – was also tun? statt einer hilfe kommt wenige minuten später von einer anderen mutter die ant- wort: „komm von deiner erwartungshal- tung runter und gib deinem baby, was es braucht“. und schon geht eine regelrechte wortschlacht unter müttern los. erziehung ist ein umstrittenes thema, nicht nur unter müttern - und nicht nur im schutz der anonymität eines internetfo- rums. bernhard huf, leiter zweier caritas- beratungsstellen zu den themen erziehung und familie in berlin, trifft häufig auf el- tern unter druck. „wir haben es hier in der beratung oft mit eltern zu tun, die richtig gute eltern sein wollen. sie wollen es per- fekt machen.“ dass eltern unter druck stehen, liegt auch daran, dass es heute weniger als früher den einen erziehungsstil gibt. das bestätigt ve- rena wittke, referentin für familienbil- dung beim bundesverband der arbeiter- wohlfahrt. während noch vor einigen ge- nerationen im wesentlichen ein strenger stil vorgeherrscht habe, gebe es inzwischen die ganze bandbreite von autokratisch bis laissez faire. mit allen schattierungen da- »mir erscheint es schon so, dass eltern heute ver- unsicherter sind.« verena wittke, arbeiterwohlfahrt persönlichkeit zwischen, denn „man kann die stile natür- lich auch miteinander kombinieren“, sagt wittke. insgesamt lasse sich aber sagen, dass eltern heute stärker als früher versuchten, ihren kindern handlungen und anweisungen zu erklären. „es stehen nicht mehr sauberkeit und disziplin an erster stelle der erziehungsstile, sondern freie entfaltung der und gleichzeitig sollen die kin- der sozialkompetenz ler- nen“, erklärt wittke. kein einfaches unterfangen: „wenn ich mein kind zur selbständigkeit erziehen will, muss ich ihm mehr verhandlungsspielraum ge- ben“, sagt wittke. die ba- lance zu finden zwischen klaren ansagen und ver- handlungsspielräumen, sei aber nicht im- mer einfach. „mir scheint es schon so, dass eltern heute verunsicherter sind.“ neue offenheit das kann auch zu kon- flikten zwischen den eltern führen. huf berät nicht selten paare, die sich über den erziehungsstil nicht einig sind. „einer stammt aus einem rigideren haushalt, der andere aus einem laissez-faire-elternhaus. bringen sie das mal zusammen.“ statt ei- ner festen vorstellung, wie familien auszu- sehen und zu funktionieren haben, herrscht heute offenheit. eltern wollen sich auf die individuellen bedürfnisse der kinder einlassen und müssen sich außer- dem als paar einigen. diese herausforderung zeigt sich auch öf- fentlich, unter anderem in einer steten nachfrage nach erziehungstipps. die sei- ten von urbia.de, dem nach eigenen angaben größten deutschen internetportal für die themen kinder und familie, werden monatlich mehrere millionen mal auf- gerufen. auch die gedruck- ten ratgeber verkaufen sich nach wie vor gut. so heißt es beispielsweise beim grä- fe und unzer verlag in münchen, die zahl der rat- geber von kinder- und ju- genderziehung wachse. christoph klocker, verlags- leiter des „programmbereichs partnerschaft und familie“ sieht aber noch einen weite- ren aspekt: der markt ist gespalten: „es kommen verstärkt entweder bewusst pro- vokante titel, die sich gegen helikopterel- tern richten“, sagt klocker. „oder bewusst einfühlsame und sehr um das positive ver- hältnis von eltern und kindern bemühte titel.“ auch bei spielzeug orientieren sich eltern gerne an expertenmeinung. so wirbt etwa der spielehersteller ravensburger damit, was ein kind mit einem bestimmten spiel- zeug lernen kann – und preist an, wenn unabhängige experten es gut bewertet ha- ben. „eltern achten sehr auf bestimmte förderaspekte in spielen und büchern, die inzwischen klar gekennzeichnet sind“, sagt jutta lehmberg, leiterin der redaktion lernspiele. aber es seien nicht nur klassi- sche lernthemen, die eltern wichtig sind. „heutzutage sind es auch persönliche und soziale kompetenzen wie selbstbewusst- sein, selbstvertrauen oder teamfähigkeit, die mit spielen gefördert werden sollen.“ regelrechte »mami wars« die konse- quenzen aus dieser heterogenen eltern- schaft erlebt monika maruschka, chefre- dakteurin von urbia.de. in den urbia-foren können sich nutzer, in der regel mütter, über alles austauschen, das sie gerade be- wegt. und hier finden nicht selten „mami wars“ statt, also heftige streite unter müt- tern über die richtige kinderpflege und er- ziehung. stillende mütter gegen mütter, die mit fläschchen füttern – und so weiter. „vielleicht ist ein grund für diese heftigen auseinandersetzungen gerade die unglaub- liche flut an informationen, die man heu- te hat “, sagt maruschka. für viele sei diese eindeutige positionierung ein mittel zur abgrenzung. eltern, die sich mehr einmischen – das er- lebt auch heinz-peter meidinger, vorsit- zender des deutschen philologenverban- des, der interessenvertretung von gymnasi- allehrern. „was sich geändert hat in den »in der be- ratung sind oft eltern, die ihre kinder perfekt erziehen wollen.« bernhard huf, caritas vergangenen 15 jahren, ist das bewusstsein für bildung“, meint er. das sei sicher ein resultat des pisa-tests. eltern suchten häu- figer als früher das gespräch mit lehrern. „es gibt eltern, die schon bei einer einzi- gen schlechten note die schule anrufen oder nachhilfe organisieren.“ trotzdem bestätigt auch meidinger, dass die elternschaft nicht homogen ist. „pisa hat durchgeschlagen auf die ohnehin schon bildungsaf- fine mittelschicht“, sagt er. der wert von bildung sei bei ihnen noch stärker in den mittelpunkt gerückt, ebenso wie das bewusst- sein, dass eltern sich dafür engagieren müssen. er neh- me eine spreizung wahr zwischen eltern, die noch mehr tun als bisher schon, und solchen, die die schule genauso selten kontaktieren wie früher. auch die einstellung vieler lehrer habe sich gewandelt. „man hat früher eltern eher als bedrohung gesehen.“ manche kol- legen hätten mit sorge auf die eltern- sprechtage gewartet, im ungewissen, wie die eltern sind, die da kommen. „heute sieht man den kontakt zu eltern eher als chance, gemeinsam an einem strang zu ziehen.“ das gelte für den fall, dass proble- me auftreten, aber auch, wenn es um die förderung von begabungen gehe. die eltern als partner wahrnehmen – das setze sich auch in der familienbildung immer mehr durch, sagt familienexpertin wittke. „das selbstverständnis von fach- kräften, dass sie immer alles besser wis- sen, geht zurück“, sagt die referentin, die für den kitabereich zuständig ist. sicher- lich auch deswegen, weil eltern sich mehr informie- ren. „die eltern lesen mehr ratgeber als früher, sie wissen mehr“, sagt ca- ritas-vertreter huf. aller- dings seien sie weniger ge- willt, sich auf einen länge- ren beratungsprozess ein- zulassen. „lieber problem benannt und sofort eine lösung“. dieses verhalten entspreche aber auch dem zeitgeist. „wir sind alle insgesamt ge- schneller funktioniert worden.“ insgesamt stellen die experten heutigen el- tern aber ein gutes zeugnis aus. „was si- cher heute besser ist der schutz der kinder“, sagt huf. das sei ein vorteil des gestiegenen bewusstseins von eltern für ihre verantwortung. und wittke ergänzt: „die meisten familien sind wirk- lich liebevoll und bringen ganz tolle kin- sandra ketterer t der hervor.“ die autorin ist freie journalistin in berlin. »die heimlichkeit schafft das problem« kuckuckskinder es kommt vor, dass männer unwissend kinder großziehen, die nicht ihre eigenen sind. das kann zu bösen überraschungen und emotionalen verletzungen führen acht monate ist es her, dass bei andré bru- ne das bürotelefon klingelte. seine ex- freundin war dran, brune rechnete mit nichts schlimmem. „ich dachte, sie plant eine party für unseren sohn“, sagt der mitt- vierziger. denn der hatte gerade erst seine ausbildung abgeschlossen. brune ist stolz auf ihn. stattdessen erfährt er: „julian* ist nicht dein sohn.“ der sohn wisse seit zwei monaten bescheid; ebenso der leibliche vater. brune ist erschüttert. „das war ganz komisch, ganz surreal“, sagt er. niemals habe er den leisesten zweifel gehegt, dass julian sein sohn sei. sogar ähnlich sähen sich die beiden. obwohl die beziehung zur mutter ein jahr nach der geburt in die brü- che gegangen war, habe er immer kontakt gehalten, ein gutes vater-sohn-verhältnis aufgebaut. „und plötzlich ist nicht mehr klar, wie es um die beziehung zum sohn steht“, sagt brune. er spricht jetzt schneller, die stimme klingt aufgebracht. „für scheinväter bricht ganz klar eine welt zusammen“, sagt anwältin kerstin aust. in ihrer münchener kanzlei hat sie häufiger fälle von „kuckuckskindern“ auf dem tisch. besonders tragisch sei es, wenn die wahrheit spät ans licht kommt. „nach meiner erfahrung ist das in der mehrheit weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper der fälle so“, sagt die familienrechtlerin. für die kinder ist es dann besonders schwer mit der situation umzugehen. viele stürzen in eine identitätskrise – vor allem, wenn sie den leiblichen vater nicht ken- nenlernen können. dabei sei es längst nor- mal, dass der vater woanders wohnt. „erst die heimlichkeit schafft das problem.“ emotionale krise auch brunes sohn braucht erst einmal abstand – von der mutter und dem mann, der plötzlich nicht mehr sein biologischer vater sein soll. den studienbeginn hat er verschoben, auf einer asienreise denkt er über die situation nach. acht monate sind wenig zeit, um ei- ne neuordnung der familiären beziehun- gen zu verarbeiten. „es wäre überhaupt nicht nötig gewesen, nach den vielen jah- ren mit der wahrheit herauszurücken“, fin- det brune. seine exfreundin habe ihr eige- nes gewissen erleichtern wollen, die emo- tionalen konsequenzen für die anderen beteiligten aber nicht bedacht. seine ehe- frau und die töchter müssten ebenso da- mit umgehen wie der ehepartner der ex- freundin. und dann ist da noch der erzeu- ger, wie er den biologischen vater nennt. der war bei der geburt von julian erst 16 jahre alt. brune wäre damals die bessere option gewesen, bitte ihn die ex-partnerin heute um verständnis. nicht nur emotional sind die „kuckucks- kinder“-fälle verworren. wenn heraus- kommt, dass ein kind „untergeschoben“ wurde, gibt es außerdem juristisch einiges pflichten soll der biologische vater erhal- ten? wie wird der scheinvater, der für das kind eines anderen bezahlte, finanziell ge- recht entschädigt? anzufechten“, anfechtungsverfahren „ein mann, der von der scheinvaterschaft erfährt, hat ab diesem moment zwei jahre zeit, die recht- liche vaterschaft erklärt aust. ein vaterschaftstest und ein erörte- rungstermin vor gericht stehen dann an. auch der leibliche vater kann die eltern- schaft des anderen mannes anfechten. al- lerdings nur, wenn sich zwischen dem rechtlichen vater und dem kind keine so- genannte sozial-familiäre beziehung ent- wickelt hat. artikel 6 absatz 2 des grund- gesetzes, der pflege und erziehung der kin- der als natürliches recht der eltern schützt, gebe keine starre rangordnung zwischen leiblichem und sozialen vater vor, unter- strich das bundesverfassungsgericht im jahr 2003. kuckucksväter können außerdem den ge- zahlten unterhalt zurückfordern, wenn sie den namen des genetischen vaters kennen. als „wahrer unterhaltsschuldner“ wird die- ser in regress genommen, und zwar für den kompletten unterhalt seit der geburt. er muss nachträglich die summe zahlen, die er entsprechend der düsseldorfer un- terhaltstabelle gezahlt hätte. in der praxis ist das schwierig: „knack- punkt ist ein gesetzlicher auskunftsan- spruch. die mutter kann sonst die wahr- heit verschweigen“, sagt aust. weil dafür die rechtsgrundlage fehlte, hat justizminis- ter heiko maas (spd) 2016 eine neurege- lung des regressverfahrens eingebracht. doch der bundestag wird sie in dieser le- gislatur nicht mehr verabschieden können. zum glück, findet brune. denn laut ge- setzentwurf sollen nicht nur mütter nur zur auskunft verpflichtet werden, sondern gleichzeitig die unterhaltsforderungen be- schränkt werden – auf die letzten zwei jah- re vor bekanntwerden. „ein unding“, em- pört sich brune. 19 jahre lang hat er unter- halt gezahlt, 60.000 euro insgesamt. hätte die gesetzesänderung gegolten, hätte er keinen cent zurückfordern können, weil julian ab 2014 ein einkommen hatte. auch anwältin aust hält eine starre zeitliche be- grenzung für ungerecht. laut gesetzesbe- gründung hat der scheinvater ein famili- enleben genossen, das den unterhaltsan- spruch aufwiegt. „es gibt genug männer, die nur zahlväter sind“, widerspricht die anwältin. brune ärgert vor allem eins: „für entgangene vaterfreuden ist die mutter die ansprechpartnerin.“ sie habe als einzige nicht mit rechtlichen folgen zu rechnen. »kein sieger« mit dem leiblichen vater hat brune immerhin eine verständigung gefunden: monatelang gingen anwalts- schreiben hin und her, bis brune vor- schlug, sich an einen tisch zu setzen. ein gutes gespräch hätten sie geführt. „es ist nicht nur ums geld gegangen.“ die verein- barung: der erzeuger wird der rechtliche vater. ein drittel der summe zahlt er in ra- ten an brune. „das beste ist, dass keiner sich als sieger fühlt.“ das solle eine gesetz- liche neuregelung ebenso anstreben. noch besser wäre ein verpflichtender vater- schaftstest, meint brune. „der mann kann dann eine bewusste entscheidung treffen.“ dies sei ein zu starker eingriff in die per- sönlichkeitsrechte, wenden juristen ein. aust verweist zudem auf die kosten. 560 euro koste etwa ein test aktuell in münchen. „die allermeisten kinder wer- den in intakte beziehungen geboren, in de- nen niemand zweifel an der vaterschaft hat“, argumentiert sie. tatsächlich haben statistiker die schätzungen deutlich nach unten korrigiert: hieß es früher, jedes zehnte kind sei ein kuckuckskind, geht man heute von knapp einem prozent aus. für einen betroffenen wie brune ist das kein trost. im oktober wird er julian, die ex-freundin und den erzeuger vor gericht sehen. warum brune die rechtliche vater- schaft anficht? sie habe keine bedeutung mehr, weil sie aufgrund einer lüge zustan- de kam. der biologische vater habe inte- resse an einer beziehung zu julian. „das finde ich gut. das sind ja auch seine wur- zeln.“ wenn julian aus asien zurück- kommt, stehen ernsthafte gespräche an. „wir müssen sehen, wie es mit uns weiter- geht.“ emotional bestehe die vaterschaft natürlich weiter, sagt brune. „julian sagt immer noch papa zu mir. das ist extrem eva bräth t wichtig für mich.“ *name geändert l n e k n w k c i l i b / e c n a i l l a - e r u t c i p © éin kuckuck legt sein ei ins fremde nest. zu regeln. denn mit einer vaterschaft sind viele rechtliche fragen verbunden: sorge- recht, unterhaltspflicht, erbrecht und die staatsangehörigkeit sind an diese geknüpft. das abstammungsrecht, verankert im bür- gerlichen gesetzbuch, legt fest, dass einem kind nicht mehr als zwei eltern zugeord- net werden können. doch was passiert, wenn beide männer die rechtliche vater- schaft beanspruchen? welche rechte und