der stolze ackersmann das parlament - nr. 46-47 - 13. november 2017 landwirtschaft 3 „sommer“ von pieter brueghel dem jüngeren (entstanden nach 1622, ausschnitt) © picture-alliance/akg-images historie melkesel, leibeigener, revolutionär – der bauer ist eine der wichtigsten figuren der menschheitsgeschichte der stolze ackersmann m an begegnet ihm als knecht und als skla- ven, als herr seiner scholle, als abhängi- gen hintersassen, und als ackerbürger, mal gilt er als revolutionär, mal als ein gimpel oder gar als reaktionär. der bauer ist eine der ältesten figuren der mensch- heitsgeschichte, die ohnehin in weitesten teilen bauerngeschichte ist: romantisiert, mythologisch beladen, überfrachtet mit wünschen und zuschreibungen. sein beruf tritt in erscheinung, als die menschheit sess- haft wird, im zweistromland und im alten ägypten – schon aus diesem grund wird frühgeschichtlichen geraune ihm immer zuteil. die folgen der „neolithischen“ (jungsteinzeitlichen) revolution vor rund 10.000 jahren, als der mensch zum land- wirt wurde, sind ja auch gar nicht zu unter- schätzen: aus jägern und sammlern werden ackerbauern und viehhalter. der menschli- che wildbeuter wird sesshaft. er produziert nun auf vorrat, macht nahrung haltbar. aus wildpflanzen werden kulturpflanzen, tiere werden domestiziert. mehr menschen pro flächeneinheit können ernährt werden. auch der blick auf natur ändert sich. natur wird etwas „gemachtes“, sie wird land- schaft. man lebt nicht nomadisch im bio- top, nicht mehr wie ein wildbeuter, der durchs unterholz schleicht. die bäuerliche kultur kolonisiert lebensräume – legt sümpfe trocken, holzt wälder ab, zieht ka- näle, befreit äcker von steinen. dass der bauer seit alters her auf einer art hofidylle mit schnatternden gänsen lebte, gehört vielleicht zu den größten missverständnis- sen. natur, das ist für den landwirt ein res- pektabler aber grimmiger gegner, dem es etwas abzuringen gilt: gegen dürren, hagel- schlag und frost, gegen die zahlreichen mit- esser und kulturfolger, die man weniger als gottes geschöpfe wahrnimmt denn als schädlinge oder unkraut fürchtet. zivilisation ohne bauern keine stadt. mit dem anbau und der bevorratung von nah- rung wird überhaupt erst die grundlage für das zusammenleben in großen auf dauer- haftigkeit ausgelegten siedlungen geschaf- fen. bauern denken in hektar, in erträgen, in jahreszeiten. keinesfalls leben sie wie wildbeuter-ahnen von der hand in den mund. das mehrprodukt von feld und wei- de lädt ein zum sammeln und ansparen von eigentum. die frühe bäuerliche kultur befördert soziale ungleichheiten und be- stimmt das verhältnis zu besitz und erbe. sie liefert den menschen der natur aber an- dererseits auch wieder aus: die lebenserwar- tung des frühen agrarischen menschen steigt nicht, sondern sinkt. das enge zusammenle- ben mit rind und schaf und huhn schafft zahlreich wege für zoonosen, die übertra- gungen von infektionskrankheiten vom tier zum mensch. nicht nur im stall lauern die gefahren. wo nomadenvölker notfalls auf andere biotope ausweichen, müssen immo- bile bauernsippen die tragischen folgen von dürren und missernten kennenlernen. die sesshaftigkeit fordert hier ihren tribut. das und doch ist die neolithische revolution von durchschlagendem erfolg: sie gilt als einer der wichtigsten umbrüche in der menschheitsgeschichte, vergleichbar mit den industriellen revolutionen seit dem 19. jahrhundert. zentrum der frühen bäu- erlichen kultur ist seit dem jahr 9000 v. chr. der fruchtbare halbmond zwischen persischem golf und dem nil, es sind die entwicklungsräume der frühen hochkulturen, me- sopotamien, zwei- stromland zwischen eu- phrat und tigris, die alten ägypter am nil. auch re- gionen in china und neu- guinea (seit etwa 7000 v. chr.), mexiko, südamerika und afrika südlich der sa- hara (3000-2000 v .chr.) entwickeln sich zu trei- bern menschlicher zivili- sation. in europa dringt der ackerbau vom balkan ausgehend entlang der donau nach norden und westen. an- gebaut werden zum beispiel dinkel und lein sowie linsen und erbsen, entlang der antiken mittelmeerküste wachsen später weizen, wein und ölbäume, auf der ibe- rischen halbinsel führen araber in der spätantike baumwollanbau und zucker- rohranbau ein. zu einigem reichtum und der beruf des bauern tritt in erscheinung, als die mensch- heit sesshaft wird. jagd- ein wie bereits in der antike südlich der alpen geht es ab dem hohen mittelalter dem frei- en bauern nördlich der alpen an den kra- gen: die feudale ordnung mit ihren stän- den von klerus, adel und bauernstand wird porös. der niedere adel wird nicht mehr als waffenträger gebraucht, das kriegshand- werk besorgen nun die söldnerheere der landesherren. wer ritter ist, besinnt sich auf sein lehen, kehrt auf sein gut zurück, ist herr über gut und leute. die neuen alten gutsherren sind nicht zimperlich: sie inter- pretieren gewohnheitsrecht zuungunsten der bauern, sie althergebrachte kassieren holzschlag-, und fischfangrechte und schlagen die allmende, das gemeineigentum des dor- fes, zu ihrem besitz. es be- ginnt das große bauernle- gen. der „gebure“, wie es im mittelhochdeutschen heißt, meint stets schlicht und einfach „mitbewohner“ oder „nachbar“ – er gerät als pachtbauer in im- mer größere abhängigkeit von gutsherren. bauern sind ja überhaupt der melkesel im heiligen römischen reich: kleinzehnt, großzehnt, steuern, zölle, zinsen, dazu tribut in form von naturalien oder hand- und spanndiensten auf dem grundherrli- chen besitz. dort, wo sie zusätzlich der ge- richtsherrschaft des gutsherren unterliegen und „erbuntertänig“ und „schollenpflich- tig“ sind, gehören sie einem höheren her- ren mit leib und leben – sie sind leibeige- ne: rechtlose landarbeiter, die man an- dernorts und in einer anderen zeit auch plantagensklaven genannt hat. d l i b i n e t s l l u / a p d / e c n a i l l a - e r u t c i p © reformator und bauern-revolutionär thomas müntzer (kupferstich von chr. van sichem) einfluss lässt es sich in der antiken land- wirtschaft bringen, das natürlich auch. in latium, bei den frühen römern und etruskern, bezeugte der besitz ausgedehn- ter güter und großer viehherden rang und wohlstand. nicht umsonst hat der begriff „pecunia“ – das geld – mit „pe- cus“ – dem vieh – zu tun. römische sena- toren sind in der späten republik ganz überwiegend großbäuerliche unterneh- mer, es sind besitzer ausgedehnter lati- fundien. (see-)handelsgeschäfte sind den senatoren verboten. es ist der versuch, im zeitalter römischen expansion und des zunehmenden maritimen handels die oberschicht „nach sitte der vorfahren“ an die überlieferten agrarisch geprägten wer- te zu binden. bauernhaufen um 1500 begegnet man dem bauern vor allem im süddeutschen als sich selbst ermächtigende, wütende gestalt: in einer reihe von erhebungen, die später als bauernkriege bezeichnet worden sind, wehrt sich die bauernschaft gegen die bedrückungen und belastungen und gegen die schamlose privilegien von adel und verhasstem klerus. kein krieg war das, sondern eine „revolution des ge- meinen mannes“ (peter blickle). und auch wenn martin luther 1525 sich auf die seite des landesherren schlagend „wi- der die mörderischen räuberischen rotten der bauern“ agitiert, die man „zerschmeis- sen, würgen, stechen, heimlich und öf- fentlich, wer da kann, wie man einen tol- len hund erschlagen muss“: es waren re- formatoren wie er, die den bauern über- haupt erst die argumente in die hand ga- ben, sich mit dem „willen gottes“ gegen kirchstand und adel zu erheben. die eigentliche bauernbefreiung kommt aber erst um jahrhunderte später, als die leibeigenschaft dem aufgeklärten denken suspekt und anachronistisch erscheint. richtig schwung bekommt diese befrei- ung aus der bäuerlichen knechtschaft aber erst, als ein neues zeitalter die land- bevölkerung in die manufakturen und fa- briken schleust. die im 19. jahrhundert noch einsetzende industrialisierung findet ja nicht nur dort statt, sondern auch auf dem land, wo sie arbeitskraft freisetzt. hochleistungszuchtsorten ersetzen über generationen weitergereichtes saatgut, synthetischer dünger steigert die erträge, pestizide halten fäule, pilze, unkraut in schach. nach dem motto „wachsen oder weichen“ steigt die zahl der landwirt- schaftlichen großbetriebe zu lasten kleinbäuerlicher strukturen, maschinen- fortschritt ersetzt das zug- tier. im 19. jahrhundert arbeiteten in deutschland acht von zehn menschen in der landwirtschaft. in der ge- genwart sind es gerade noch 1,4 prozent – und forstwirtschaft und fische- rei sind hier schon einge- rechnet. die bilder von schollen- bauern und hofidyllen werden in dem historischen augenblick populär, als der fortschritt das leben auf dem land buch- stäblich aus den angeln hebt. in den 1930er jahren bedienen sich die natio- nalsozialisten solcher bilder als versatz- stücke ihrer „blut-und boden“-ideologie: während in der realität sämtliche akteure der agrarwirtschaft im „reichsnährstand“ inkorporiert und unter aufsicht gestellt werden, amalgamieren die ns-ideologen aus großstadtfeindschaft, agrarromantik und elementen der lebensreformbewe- gung die behauptung einer rückkehr zu einem – so nie existiert habenden – „blut- reinen“ deutschen bauerntum als „le- bensquell der nordischen rasse“. zur gleichen zeit wird der bauer in der sowjetunion unter ver- dacht gestellt: wohlhaben- de, weil zupackende bau- ern („kulak“ – „fäustling“) werden enteignet, verfolgt, in den gulag verfrachtet. die „liquidierung der ku- laken als klasse“ ist staatli- ches programm. sie führt zu einer der großen hun- gerkatastrophen des 20. jahrhunderts: „holo- domor“, dem millionenfa- chen hungertod ausge- rechnet in der so fruchtba- ren ukraine, der „kornkammer“ des euro- päischen kontinents. dem marxistischen blick bleibt der bauer stets suspekt. er ist einerseits potentieller bündnispartner der arbeiterklasse, weshalb man etwa in der ddr großzügig an den bauern-revolutio- när thomas müntzer erinnert. und ander- seits eine angeblich am bestehenden und sonst nur an der eigenen furche interes- sierte und deshalb rückständige figur. mit zwangskollektivierung machte der „arbei- ter- und bauernstaat“ seine bauern zu an- gestellten genossenschaftlicher landwirt- schaftsbetriebe – mit urlaub, babyjahr, konstantem gehalt und fortbildungen freilich nicht ausschließlich immer zu de- ren nachteil. widersprüche und heute? die wünsche, launen, und widersprüchlichen zuschrei- bungen der abnehmer landwirtschaftli- cher produkte haben gewiss nicht abge- nommen: erwünscht sind ökologische anbaumethoden, ackerböden sollen ge- schont und umweltgerecht bewirtschaftet werden. gekauft werden andererseits in der großen mehrheit produkte, die diese kriterien für den landwirt nicht erfüllbar machen. im fernsehen werden linkisch auftretende bauern oder bäuerinnen bei ihrer suche nach einem partner dem amüsement der zuschauer preisgegeben, während man doch eine vorstellung hat, dass in der wirklichkeit der klügste und bald wohl auch der digitalste bauer die dicksten kartoffeln ernten dürfte. dabei müssen bauern überhaupt niemandem et- was beweisen. sie sitzen seit generationen auf ihren höfen und werden das voraus- sichtlich auch noch tun, wenn heute wichtige industrien dereinst geschichte sein werden. alexander heinrich t um das jahr 1500 herum begegnet man dem bauern als revolutionäre und wütende gestalt. nicht nur für bäuerinnen landfrauenverband interessensvertretung für 500.000 frauen aus dem ländlichen raum im nächsten jahr wird gefeiert. der deut- sche landfrauenverband (dlv) kann 2018 auf sein 70-jähriges bestehen zurückblicken. in bundesweit 22 landesverbänden, rund 430 kreis- und mehr als 12.000 ortsverei- nen sind derzeit rund 500.000 frauen aus dem ländlichen raum organisiert. „bei uns sind alle möglichen berufs- und altersgrup- pen vertreten“, sagt daniela ruhe, hauptge- schäftsführerin des deutschen landfrauen- verbandes. hausfrauen, krankenschwestern, rentnerinnen aber auch anwältinnen und natürlich bäuerinnen gehören zu den mit- gliedern. wie hoch der anteil der in der landwirtschaft tätigen frauen genau ist, ver- mag ruhe nicht zu sagen. dies sei von lan- desverband zu landesverband unterschied- lich. „grob geschätzt liegt der anteil bun- desweit zwischen 20 und 30 prozent“, sagt sie. den landfrauen gehe es um das miteinan- der, um die interessenvertretung. „es geht um den austausch mit anderen frauen auf dem land, aber auch um die teilhabemög- lichkeiten, bildungsangebote und netzwer- ke, die über den verband angeboten wer- den“, sagt ruhe. schaut man auf die the- men, mit denen sich der verband beschäf- tigt, so lassen diese sich mit den schlagwor- ten „erhalt und ausbau der infrastruktur im ländlichen raum“ zusammenfassen. dazu gehören mobilitätsfragen, die breitbandver- sorgung, der ärztemangel, kinderbetreu- ungsmöglichkeiten und die schulische ver- sorgung auf dem land. nicht zu vergessen die frauenpolitischen themen wie etwa die entgeltlücke, die laut der dlv-hauptge- schäftsführerin „im ländlichen raum noch ausgeprägter ist“. bündnisse um mit ihren forderungen auch auf die bundespolitische ebene durchzu- dringen, braucht es einen langen atem, weiß ruhe. „wir müssen hartnäckig bleiben und bündnisse schmieden – wie etwa seit 2011 im rahmen der ,berliner erklärung 2017‘ mit mehreren frauenverbänden, als es um das thema frauenquote ging.“ zudem pfle- ge der verband kontakte „zu allen parteien und in alle relevanten ministerien“. dass es den landfrauenverband braucht, ist für daniela ruhe völlig klar. „es tut frauen im ländlichen raum gut, einen eigenen ver- band zu haben und er ist auch notwendig.“ außerdem sind da noch die verschiedenen blickwinkel. frauen würden auf viele sa- chen anders als männer schauen. so würde beispielsweise die entscheidung, den schul- bus in der kommune abzuschaffen, oft von männern gefällt, weil sie mehrheitlich in den zuständigen gremien sitzen. „die aus- wirkungen auf das praktische leben spüren aber vor allem frauen, weil sie zumeist die kinder in die schule bringen.“ womit noch ein weiteres problem genannt ist: im ländli- chen raum sind frauen in entscheidungs- gremien noch geringer vertreten als ohne- hin. „je ländlicher eine kommune ist, umso seltener hat sie eine bürgermeisterin“, sagt die dlv-vertreterin. die frage: ökolandbau oder konventionelle landwirtschaft stellt sich für den landfrau- enverband nach aussage ruhes nicht. „das spielt keine rolle. wir haben landwirtinnen aus beiden bereichen im verband.“ gelebtes miteinander also. mit spannung blickt natürlich auch der landfrauenverband auf die derzeitigen be- mühungen um eine regierungsbildung. „wir hoffen, dass es auch künftig ein eigenständi- ges landwirtschaftsministerium mit einem starken ressort ,ländlicher raum‘ geben wird“, sagt ruhe und gibt sich optimistisch, da sowohl union als auch fdp und grüne dies zugesagt hätten. ein wenig anders sieht das bei der frauenpolitik aus. nach den er- folgen von familienministerin manuela schwesig (spd) gebe es die befürchtung, dass es „eher ein zurück als ein vorwärts“ geben könnte. „da schauen wir – wie alle verbände der berliner erklärung – schon ein bisschen mit sorge hin“, sagt ruhe. götz hausding t weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper