die kür der neuen staatsspitze christoph butterwege der parteilose professor (66), bis juli 2016 hochschullehrer für politikwissen- schaft an der universität köln, war 2005 aus der spd ausgetreten. © picture-alliance/bernd von jutrczenka/dpa frank-walter steinmeier der sozialdemokrat (61) war von 1999 bis 2005 kanzleramtschef und danach bis 2009 sowie von 2013 bis vergangene woche außenminister. © picture-alliance/kay nietfeld/dpa der neu gewählte bundespräsident joachim gauck in der bundesversammlung vor fünf jahren © picture-alliance/dpa/ michael kappeler alexander hold der jurist (54) , bekannt geworden durch die tv-gerichtsshow „richter alexander hold“, ist fraktionschef der freien wäh- ler im stadtrat von kempten. © picture-alliance/zb albrecht glaser der stellvertretende parteisprecher der afd (75) war bis 2012 cdu-mitglied und unter anderem mehrere jahre stadtkäm- merer in frankfurt am main. © picture-alliance/sammy minkoff weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper die bundespräsidenten roman herzog 1994 - 1999 er gilt als präsi- dent mit der ruck- rede: der im janu- ar dieses jahres verstorbene her- zog (cdu) hatte 1997 in seiner ber- liner rede erklärt, dass angesichts verkrusteter struk- turen ein „ruck“ durch deutschland ge- hen müsse, um ein weitverbreitetes gefühl der stagnation zu überwinden. der staats- rechtler herzog war seit 1983 mitglied des bundesverfassungsgerichts und seit 1987 dessen vorsitzender. 1996 führte er den 27. januar als tag des gedenkens an die opfer des nationalsozialismus ein. johannes rau 1999 - 2004 „versöhnen statt spalten“ - diese maxime des lang- jährigen spd-mi- nisterpräsidenten nordrhein-west- falens galt auch für seine amtszeit im schloss belle- vue. rau setzte sich für die integration ein und verband dieses anliegen mit dem plädoyer für ei- ne geregelte einwanderungspolitik. als erstes deutsches staatsoberhaupt sprach er vor der knesset und bat das jüdische volk und israel in deutscher sprache um vergebung für die verbrechen des holo- caust. horst köhler 2004 - 2010 er war chefunter- händler von bun- deskanzler helmut kohl (cdu) und geschäftsführen- der direktor des internationalen währungsfonds. 2004 wurde er als kandidat von uni- on und fdp zum bundespräsidenten ge- wählt und 2009 im amt bestätigt. 2010 reichte er überraschend seinen rücktritt ein. köhler prägte die formulierung von deutschland als „land der ideen“, au- ßenpolitisch setzte er sich für entwick- lung und armutsbekämpfung auf dem afrikanischen kontinent ein. christian wulff 2010 - 2012 der einstige nie- dersächsische cdu-ministerprä- sident war der bislang jüngste bundespräsident und auch derjeni- ge mit der kürzes- ten amtszeit. presseberichte nährten den verdacht der vorteilsnahme, im februar 2012 stand die aufhebung der immunität im raum. wulff trat da- raufhin zurück. 2014 wurde er freige- sprochen. in seiner antrittsrede sprach wulf von der „bunten republik“, akzen- te setzte er mit seinem plädoyer für inte- gration und mit dem satz, dass auch der islam inzwischen zu deutschland gehö- re. joachim gauck 2012 - 2017 in der flüchtlings- krise warnte er vor einem „dunkel- deutschland“ der brandstifter, dem das „helle deutsch- land“ der hilfsbe- reiten gegenüber- stehe. außenpoli- tisch forderte er, dass sich deutschland „früher, entschiede- ner und substanzieller“ zur lösung interna- tionaler konflikte einbringen solle – und in sachen menschenrechte nahm der einstige beauftragte für die stasi-unterlagen gegen- über russland und china kein blatt vor den mund. seine unverstellte art brachte gauck den vorwurf ein, er agiere zu parteiisch. aber auch viele kritiker gestehen ihm zu, dem amt ansehen zurückgegeben zu haben, das durch die rücktritte seiner beiden vor- gänger beschädigt worden war. © bundesregierung/josef darchinger © bundesregierung/julia faßbender © picture-alliance © picture-alliance/dpa © picture-alliance/soeren stache/dpa 4 bundesversammlung das parlament - nr. 5-7 - 30. januar 2017 5 weder plebiszit noch präsidium grundgesetz bei den verfassungsberatungen lehnten letztlich alle fraktionen eine direktwahl des staatsoberhauptes ab d ie us-präsidentenwahl, die bre- xit-abstimmung in großbritan- nien, das verfassungsreferen- dum in italien – das vergange- ne jahr hat eine ganze reihe spannender urnengänge geboten. die österreicher wurden sogar gleich zweimal in die wahl- kabinen gerufen, um über ihr staatsober- haupt zu entscheiden: in der alpenrepu- blik wird – anders als in deutschland – der dort mit mehr befugnissen ausgestattete bundespräsident per direktwahl vom wahlvolk bestimmt. das fänden auch hier- zulande viele gut: 69 prozent der befragten deutschen sagten bei einer repräsentativen umfrage im vergangenen juni, eine direkt- wahl des staatsoberhauptes „voll und ganz“ oder „eher“ zu befürworten. mehr macht für den bundespräsidenten wollten indes nur 30 prozent, und die frage, ob deutschland überhaupt einen präsidenten braucht, beantworteten 30 prozent mit nein und lediglich 58 mit ja. beide debatten, die über eine abschaffung des höchsten amtes im staate als auch die über eine direktwahl, flackern immer wie- der auf; schon im parlamentarischen rat, der 1948/49 das grundgesetz ausarbeitete, waren sie ein thema. dennoch entschie- den sich die väter und mütter des grund- gesetzes anders: „der bundespräsident wird“, so steht es in artikel 54 der verfas- sung, „von der bundesversammlung ge- wählt“. warum aber hat die bundesrepu- blik überhaupt einen doch weitgehend auf repräsentative aufgaben beschränkten bundespräsidenten? und weshalb wird er durch eine nur zu diesem zweck einzube- rufende versammlung gewählt statt wie der bundeskanzler vom bundestag oder eben direkt vom volk? was heute vielen selbstverständlich schei- nen mag, war vor bald 70 jahren bei den beratungen über das grundgesetz so un- umstritten nicht. die sehnsucht nach ei- nem „ersatzkaiser“, der nach dem sturz der monar- chie mit dem 1919 geschaf- fenen amt des reichspräsi- denten noch rechnung ge- tragen worden war, schien nach den schlechten erfah- rungen der weimarer re- publik diskreditiert. statt dessen wurde bei den bera- tungen über „richtlinien für ein grundgesetz“ im august 1948 auf der insel herrenchiemsee erwogen, angesichts des „provisori- schen charakters der zu schaffenden staat- lichen ordnung“ die aufgaben des staats- oberhauptes einem „bundespräsidium“ zu übertragen. zwar machte sich in der expertenrunde nur eine minderheit für ein solches dreier- kollegium aus bundestagspräsident, bun- desratspräsident und bundeskanzler mit regelmäßig wechselndem vorsitz stark, doch griffen die sozialdemokraten den vorschlag bei der ausarbeitung der verfas- sung im parlamentarischen rat wieder auf. aus ihren reihen kam auch der gedanke, auf eine solche institution ganz zu verzich- ten und statt dessen „für das provisorium des grundgesetzes“ dem bundestagspräsi- denten die funktionen des staatsober- hauptes zu übertragen – so wie vier jahr- zehnte später ja auch in der endphase der ddr die damalige volkskammerpräsiden- tin sabine bergmann-pohl als staatsoberhaupt fungie- ren sollte. der parlamentarische rat indes entschied sich gleich- wohl dafür, die staatsspitze mit einer eigens zu wählen- den persönlichkeit zu be- setzen. die cdu argumen- tierte, dass „ein gut funktio- nierender bundesstaat grundsätzlich auch eines bundespräsidenten“ zur re- präsentation nach innen und außen bedürfe; auch könne ein solcher präsident „der morali- sche repräsentant der volkseinheit“ sein. und für die freien demokraten warnte theodor heuss vor dem „provisorium ei- nes direktoriums“. das würde „in der be- völkerung gleich wieder so ausgedeutet (...): man will also die verschiedenen leute und parteien mit daran beteiligt haben“. angesichts der lehren aus der weimarer republik wurde das bundespräsidenten- amt indes mit deutlich geringeren kompe- tenzen ausgestattet als zuvor der reichsprä- sident. aus denselben gründen wird der bundespräsident auch nicht direkt vom volk gewählt, was im parlamentarischen rat einige fdp-vertreter zur diskussion stellten. eine direktwahl hätte die position des staatsoberhauptes gegenüber der re- gierung erheblich gestärkt, doch sollte ja gerade das weimarer nebeneinander von präsidialsystem und parlamentarischer de- mokratie vermieden werden. hinzu kamen die bitteren erfahrungen der ersten repu- blik mit den demagogie-potenzialen von volksabstimmungen, weshalb eine direkt- wahl des präsidenten schließlich von allen fraktionen abgelehnt wurde. das künftige staatsoberhaupt sollte sich aber gleichwohl auf ein „breites funda- ment“ stützen können. wenn schon kein „plebiszitärer bundespräsident“ erwünscht sei, argumentierte im parlamentarischen rat der fdp-politiker thomas dehler, solle der erste mann im staate doch „vom ver- trauen einer größeren zahl von vertretern des volkes getragen werden“. schon auf herrenchiemsee war der vorschlag aufge- kommen, den bundespräsidenten durch bundestag und bundesrat wählen zu las- sen. unterstützung fand dies im parlamen- tarischen rat bei unions-vertretern, die die länderkammer an der präsidentenwahl be- teiligt sehen wollten. das aber stieß bei so- zial- und freidemokraten auf ablehnung mit der begründung, es sei „irgendwie sys- temwidrig“ und „eines freien staates un- würdig“, dass die wähler des staatsober- hauptes „nach instruktionen ihrer landes- regierungen handeln“. von wählern, die an weisungen gebunden seien, könne man nicht erwarten, „dass sie die stimme des volkes wiedergeben“. eine echte wahl setze voraus, „dass die wähler ihre stimmen nach bestem wissen und gewissen abge- ben“. schließlich kam es zur idee einer „bundes- versammlung“ von gewählten vertretern des bundes und der länder – eine „persön- liche erfindung“ von theodor heuss, der dann von diesem gremium als erster ins höchste staatsamt gewählt werden sollte. dehler brachte dann für die fdp im hauptausschuss des parlamentarischen ra- tes den auch von der spd befürworteten vorschlag ein, „dass ein nationalkonvent, eine bundesversammlung zusammentritt, dass also ein besonderes wahlgremium den bundespräsidenten wählt“. damit nun aber der bundesrat bei der kür des staatsoberhauptes nicht gänzlich au- ßen vor bleiben musste, wiesen die verfas- sungsmütter und -väter der länderkammer wenigstens eine art zeugenrolle bei der vereidigung des neu gewählten zu. aus diesem grunde leistet jeder bundespräsi- dent bei antritt der neuen tätigkeit seinen amtseid, wie es in artikel 56 des grundge- setzes vorgeschrieben ist, „vor den versam- melten mitgliedern des bundestages und des bundesrates“. helmut stoltenbergt die wahl durch die bundes- versammlung geht auch auf lehren aus der weimarer zeit zurück. die bundespräsidenten theodor heuss 1949 - 1959 dem liberalen ab- geordneten der weimarer zeit und ersten fdp-vorsit- zenden gelang es, brücken zu bauen in einer welt, die der jungen bundes- republik noch mit viel misstrauen be- gegnete. bereits im parlamentarischen rat hatte heuss eine vermittelnde position ein- genommen und so zu einer verständigung über das grundgesetz beigetragen. mit sei- ner parteiübergreifenden amtsführung präg- te er das ideal eines bundespräsidenten. heinrich lübke 1959 - 1969 auch er war be- reits in weimarer zeit abgeordneter im reichstag – für die zentrumspar- tei, nach 1949 dann cdu-abge- ordneter im bun- destag, ab 1953 landwirtschafts- minister der regierung konrad aden- auers (cdu). in seinen beiden amtszei- ten als bundespräsident machte sich lübke insbesondere für die entwick- lungszusammenarbeit stark. gustav heinemann 1969 - 1974 als cdu-innenmi- nister überwarf er sich mit der regie- rung adenauer, weil der die wie- derbewaffnung deutschlands nicht mittragen wollte. seit 1957 spd-mit- glied wurde er 1966 justizminister. heine- mann verstand sich als „bürgerpräsident“ mit dem mündigen und engagierten bürger als ideal. außenpolitisch war er befürwor- ter der ostpolitik der spd/fdp-koalition. walter scheel 1974 - 1979 als außenminister zwischen 1969 bis 1974 betrieb scheel (fdp) ge- meinsam mit bun- deskanzler willy brandt (spd) die entspannungspoli- tik, noch als minis- ter legte er den grundstein für seine musikalische promi- nenz als interpret des liedes „hoch auf dem gelben wagen“ – und seinen späteren ruf als „singender bundespräsidenten“. scheel strebte keine zweite amtszeit an. er verstarb 2016 im alter von 97 jahren. karl carstens 1979 - 1984 er war jurist, di- plomat und hoher beamter, bevor er mit 57 für die cdu in den bundestag zog. dort war er zwischen 1973 und 1976 unions- fraktionschef und wurde 1976 bun- destagspräsident. im gegensatz zu amts- vorgänger scheel schlug carstens wegen seiner einstigen nsdap-mitgliedschaft kritik entgegen. vertrauen erwarb er sich durch seine volksnähe – bekannt sind sei- ne wanderungen durch das ganze land. richard vonweizsäcker 1984 - 1994 seine berühm- teste rede hielt er 1985 zum 40. jahrestag des endes des zwei- ten weltkrieges. vor dem bundes- tag sprach er vom „tag der befreiung“ und vom menschenverachtenden system der nationalsozialistischen gewaltherr- schaft. weizsäcker wurde 1969 mit- glied des bundestages und war zwi- schen 1981 und 1984 regierender bürgermeister von berlin. nach seiner wiederwahl 1989 war er seit der deut- schen einheit am 3. oktober 1990 ers- ter gesamtdeutscher bundespräsident. weizsäcker verstarb anfang 2015 im alter von 94 jahren. © bundesregierung/lothar schaack © bundesregierung/e. reineke © bundesregierung/josef darchinger ©bundesregierung/egon steiner © bundesregierung/theo schafgans © bundesregierung/georg bauer das »one-man-organ« amt der bundespräsident verkörpert die einheit des staates. dabei kommen ihm vor allem, aber nicht nur repräsentative aufgaben zu f ünf ständige verfassungsorgane hat die bundesrepublik: den bundestag mit seinen aktuell 630 abgeordne- ten, den bundesrat mit 69 ordentli- chen mitgliedern, die bundesregierung, der neben der kanzlerin derzeit 14 bundesmi- nister angehören, das bundesverfassungs- gericht mit seinen aus je acht richtern be- stehenden zwei senaten, und den bundes- präsidenten. er ist als einziges der fünf kein kollegial-, sondern sozusagen das „one-man-organ“ des staates: es besteht nur aus der person des amtsinhabers. da- bei ist das kleinste organ das protokolla- risch höchste, aber auch mit vergleichswei- se beschränkten, überwiegend repräsentati- ven befugnissen verbunden. das liegt nicht zuletzt an den schlechten erfahrungen der weimarer republik, die dem reichspräsidenten in der verfassung eine starke stellung zuwies. unmittelbar vom volk gewählt, stellte er ein gegenge- wicht zum reichstag dar, den er jederzeit auflösen konnte und auch nicht bei der er- nennung oder entlassung des kanzlers und seiner minister beteiligen musste. mit so- genannten notverordnungen war ihm eine „ersatzgesetzgebung“ möglich, was für den ausnahmezustand gedacht war, aber vor allem nach 1930 in anspruch genommen wurde und seinen traurigen höhepunkt in der sogenannten reichstagsbrandverord- nung vom 28. februar 1933 fand, die die bürgerrechte schleifte und den weg in die ns-diktatur ebnete. angesichts solcher lehren ist das amt des bundespräsidenten mit deutlich be- schränkteren kompetenzen versehen wor- den (siehe auch beitrag oben rechts). da- bei ist er „nach der ausgestaltung seines amtes“ keiner der drei klassischen staats- gewalten – also exekutive, legislative und judikative – zuzuordnen, wie das bundes- verfassungsgericht in einem urteil von 2014 festhielt. er ist das staatsoberhaupt und „ver- körpert die einheit des staates“, heißt es darin wei- ter. „autorität und würde seines amtes kommen ge- rade auch darin zum aus- druck, dass es auf vor allem geistig-moralische wirkung angelegt ist“, konstatierten die karlsruher richter. über die dem präsidenten von der verfassung zugewiese- nen befugnisse hinaus kommen ihm laut urteil „vor allem allgemeine repräsentations- und integrationsaufgaben zu“. da ihm im krisenfall auch „politische leitentschei- dungen“ zustehen, weist das amt daneben eine art „reservefunktion“ auf. aufgaben und befugnisse des bundespräsi- denten sind zum teil im grundgesetz fest- geschrieben oder auch im einfachen recht, zum teil haben sie sich durch ständige übung entwickelt. zur repräsentations- funktion seines amtes gehört die völker- rechtliche vertretung des bundes nach au- ßen; er schließt in dessen namen die ver- träge mit anderen staaten, beglaubigt die diplomatischen vertreter deutschlands und nimmt die beglaubigungsschreiben der ausländischen diplomaten entgegen. in der praxis bevollmächtigt er ein regie- rungsmitglied zur abgabe völkerrechtlich verbindlicher erklärungen. zudem reprä- sentiert er die bundesrepu- blik nach innen und außen etwa durch reden, visiten in ländern und kommu- nen, staatsbesuche im aus- land und den empfang von staatsgästen. dabei wirkt er vor allem mit der vielzitierten „kraft des wortes“, wobei er sich in der regel mit stellungnah- men zu parteipolitisch um- strittenen fragen der tages- politik zurückhält. ferner schlägt der präsi- dent dem bundestag den bundeskanzler zur wahl vor und ernennt den gewählten. auf dessen vorschlag hin ernennt oder ent- lässt er auch die bundesminister. auch die bundesrichter, bundesbeamten, offiziere und unteroffiziere ernennt der präsident, wobei dies zum teil anderen behörden übertragen ist. im gesetzgebungsverfahren werden die bundesgesetze vom bundespräsidenten ausgefertigt und im bundesgesetzblatt ver- kündigt, nachdem er geprüft hat, ob sie nach den vorschriften des grundgesetzes zustande gekommen sind. „nach der staatspraxis und der herrschenden mei- nung umfasst dieses prüfungsrecht sowohl formelle gesichtspunkte (zuständigkeits- und verfahrensvorschriften) als auch mate- rielle fragen (grundrechte, staatszielbe- stimmungen, staatsorganisationsrecht)“, heißt es dazu auf der internetseite des staatsoberhauptes. acht mal hat bislang ein bundespräsident die ausfertigung eines gesetzes abgelehnt, zuletzt im jahr 2006, als horst köhler entschied, das gesetz zur neuregelung der flugsicherung sowie we- nige wochen später auch das gesetz zur neuregelung des rechts der verbraucherin- formation nicht auszufertigen. die reservefunktion zeigt sich in den be- sonderen befugnissen, die das grundgesetz dem präsidenten für verfassungsrechtliche ausnahmefälle zuweist. findet bei einer kanzlerwahl kein bewerber die absolute mehrheit, hat der bundespräsident einen mit einfacher mehrheit gewählten kandi- daten zu ernennen oder das parlament auf- zulösen. auch kann er den bundestag auf antrag des bundeskanzlers auflösen, wenn dessen vertrauensfrage im parlament keine mehrheit findet. löst der bundespräsident in diesem fall den bundestag nicht auf, kann er laut grundgesetz „auf antrag der bundesregierung mit zustimmung des bundesrates für eine gesetzesvorlage den gesetzgebungsnotstand erklären, wenn der bundestag sie ablehnt, obwohl die regie- rung sie als dringlich bezeichnet hat“. das gleiche gilt, wenn eine gesetzesvorlage ab- gelehnt worden ist, obwohl der kanzler mit ihr die vertrauensfrage verband. nach erklärung des gesetzgebungsnotstands gilt das gesetz unter bestimmten vorausset- zungen trotz ablehnung durch den bun- destag als zustande gekommen. zu den weiteren kompetenzen des staats- oberhauptes zählt laut verfassung auch für den bund das begnadigungsrecht auszu- üben. in einfachen gesetzen geregelt ist beispielsweise seine zuständigkeit, den tag der bundestagswahl zu bestimmen; zu den ungeschriebenen kompetenzen gehört et- wa die verleihung von orden des bundes. zum bundespräsidenten gewählt werden kann jeder wahlberechtigte deutsche, der 40 jahre oder älter ist. der regierung oder dem bundestag beziehungsweise einem landtag darf der bundespräsident ebenso wenig angehören wie der leitung oder dem aufsichtsrat eines unternehmens; auch darf er kein besoldetes amt, kein ge- werbe und keinen beruf ausüben. die amtsdauer beträgt fünf jahre, eine wieder- wahl ist nur einmal zulässig. ein vorzeiti- ges ende finden kann die amtszeit etwa durch den rücktritt des staatsoberhauptes oder auch durch ein urteil des bundesver- fassungsgerichts, dem eine präsidentenan- klage durch bundestag oder bundesrat vor- hergehen muss. zu letzterem ist es freilich noch nie gekommen. sto t in ausnahme- fällen hat das staatsober- haupt besondere befugnisse. stimmabgabe bei der 15. bundesversammlung am 18. märz 2012 © picture-alliance/dpa / rainer jensen die kür der neuen staatsspitze bundesversammlung am ausgang der wahl des nächsten bundespräsidenten besteht kein zweifel. dennoch wird das ergebnis mit interesse erwartet e s wird eng werden, wenn am 12. februar unter der kuppel des reichstagsgebäudes in berlin die 16. bundesversammlung zur wahl des zwölften staatsoberhauptes der bun- desrepublik zusammenkommt. die enge bezieht sich freilich nur darauf, dass im plenarsaal des bundestages dann nicht nur dessen 630 mitglieder platz finden müssen, sondern auch ebenso viele von den 16 landtagen bestimmte wahlleute (siehe sei- te 14). ein enges rennen zwischen den vier kandidaten für die nachfolge von bundes- präsident joachim gauck ist dagegen nicht zu erwarten; alles andere als die kür des von cdu/csu und spd nominierten sozi- aldemokraten frank-walter steinmeier, bis vergangenen freitag noch außenminister, darf getrost als ausgeschlossen gelten. immerhin muss sich steinmeier drei ge- genkandidaten stellen: neben dem kölner politikwissenschaftler und armutsforscher christoph butterwegge, der für die linke antritt, stellen sich der stellvertretende afd-bundesvorsitzende albrecht glaser so- wie der von den bayerischen freien wäh- lern nominierte jurist und tv-darsteller alexander hold zur wahl. seit der 15. bundesversammlung im jahr 2012 haben bundestagswahl und landtags- wahlen die zusammensetzung dieses gre- miums neu bestimmt. so ist die npd an- ders als vor fünf jahren nicht mehr in der bundesversammlung vertreten, dagegen als neue partei erstmals die afd. ähnlich wie gauck 2012 kann sich aber auch steinmei- er am übernächsten sonntag auf ein breites parteienspektrum aus union, spd, grünen und fdp stützen. schon cdu/csu und spd stellen zusammen die große mehrheit der insgesamt 1.260 wahlleute: 539 wer- den von der union entsandt und 384 von den sozialdemokraten – macht zusammen 923 stimmen und damit satte 292 mehr als zur absoluten mehrheit erforderlich. auch die 147 wahlleute der grünen dürf- ten mehrheitlich für den spd-mann votier- ten, der schon der rot-grünen bundesregie- rung diente, damals noch als kanzleramts- chef. nicht rechnen kann er auf die linke mit ihren 95 wahlleuten. dagegen hat die fdp, die 36 wahlleute in die bundesver- sammlung entsendet, ebenfalls angekün- digt, steinmeiers bewerbung zu unterstüt- zen. selbstverständlich indes ist die breite auf- stellung des steinmeier-lagers gut ein hal- bes jahr vor der bundestagswahl nicht. überlegungen, dem von der spd schon ins rennen geschickten außenminister mit der bündnisgrünen marianne birthler, einst chefin der stasi-unterlagen-behörde, eine schwarz-grüne gegenkandidatin gegen- überzustellen, scheiterten dem vernehmen nach im herbst erst an deren absage – im- merhin hätten schwarze und grüne mit zusammen 686 wahlleuten auch eine mehrheit zusammengebracht mit 55 stim- men mehr als zur wahl für die gauck- nachfolge nötig. die bundesversammlung, deren einzige aufgabe die wahl des staatsoberhauptes ist, besteht laut grundgesetz aus den – der- zeit 630 – bundestagsabgeordneten „und einer gleichen anzahl von mitgliedern, die von den volksvertretungen der länder nach den grundsätzen der verhältniswahl bestimmt werden“. einberufen und geleitet wird die versammlung vom präsidenten des bundestages; zusammentreten muss sie im normalfall spätestens 30 tage vor ablauf der amtszeit des amtierenden staatsoberhauptes, die im fall von joachim gauck am 17. märz endet. ebenfalls in der verfassung festgelegt ist, dass die wahl des bundespräsidenten oh- ne aussprache erfolgt. ge- wählt ist, heißt es im grundgesetz weiter, „wer die stimmen der mehrheit der mitglieder der bundes- versammlung erhält“. dazu wären in der 16. bundesversammlung 631 stimmen erforderlich, also eine mehr als die hälfte aller wahlleute. wird diese hür- de in den beiden ersten wahlgängen von keinem kandidaten genommen, reicht im dritten durchgang die einfache mehrheit für die wahl ins höchste staatsamt. wahlvorschläge kann übrigens jedes mit- glied der bundesversammlung beim bun- destagspräsidenten schriftlich einreichen. für den zweiten und dritten wahlgang können neue wahlvorschläge unterbreitet werden. nach den fünf im bundestag vertretenen parteien und der fdp stellt am 12. februar die afd mit 35 wahlleuten das größte kontingent, gefolgt von den piraten mit elf wahlleuten und den im bayerischen lan- desparlament sitzenden freien wähler mit zehn. deren kandidat kann auch mit der unterstützung der im pots- damer landtag vertretenen vereinigung „brandenbur- ger vereinigte bürgerbewe- gungen/freie wähler“ rech- nen, die in der bundesver- sammlung mit einem wahlmann vertreten ist. ebenfalls einen wahlmann entsendet der in schleswig- holstein mitregierende südschleswigsche wähler- verband (ssw) der däni- schen minderheit, auf des- sen stimme wiederum steinmeier zählen kann. auch die jüngst aus der cdu ausgetretene und nun frakti- onslose bundestagsabgeordnete erika steinbach ist stimmberechtigtes mitglied der bundesversammlung. auch wenn es rein rechnerisch keine zwei- fel an der wahl steinmeiers gibt, wird das wahlergebnis mit großem interesse beäugt werden. so gilt das augenmerk insbeson- dere der frage, welcher kandidat mögli- cherweise mehr oder weniger stimmen er- hält, als die ihn unterstützenden gruppie- rungen an wahlleuten zählt. für überra- schungen sorgt zudem auf bundesver- sammlungen bisweilen die praxis der par- teien, neben aktiven und ehemaligen poli- tikern bei den länder-delegierten auch gerne mehr oder minder prominente aus dem öffentlichen leben als wahlleute zu entsenden: unternehmer, gewerkschafter, sportler, künstler. unvergessen ist als wahlfrau etwa fürstin gloria von thurn und taxis, die 2004 von der csu in die bundesversammlung geschickt worden war, dort indes nicht für horst köhler als kandidat von union und fdp votierte, sondern für die rot-grüne bewerberin gesi- ne schwan, und dies öffentlich kundtat. auch in der 16. bundesversammlung fehlt es nicht an prominenz jenseits der politik: die verlegerin friede springer etwa nimmt ebenso wie die schauspielerinn veronica ferres oder der komiker und autor hape kerkeling für die union teil, während auf der liste der spd-wahlleute beispielsweise vw-betriebsratschef bernd osterloh, tv- star iris berben oder der sänger peter maf- fay zu finden sind. fußball-bundestrainer joachim löw wählt auf dem ticket der grünen. einen anderen hintergrund wie- derum hat die nominierung von semiya simsek-demirtas: die tochter eines der mordopfer des rechtsterroristischen „nsu“ nimmt für die linke an der bundesver- sammlung teil. helmut stoltenberg t der favorit kann sich auf ein breites parteien- spektrum stützen. pfui-rufe, heiterkeit und familiengeschichten rückblick mal spannend, mal langweilig: ein streifzug durch 15 bundesversammlungen. kandidatinnen standen stets auf verlorenem posten f ür eine mögliche zweite amtszeit hat bundespräsident joachim gauck aus altersgründen nicht zur verfügung stehen wollen, die erste aber absolviert er bis zum 17. märz über die volle distanz von fünf jahren. das mag beim blick auf die gesamtheit seiner zehn vorgänger nicht ungewöhnlich sein, war aber zuletzt die ausnahme: als ihn die 15. bundesversammlung 2012 zum nach- folger des zurückgetretenen christian wulff kürte, lag dessen wahl zum staats- oberhaupt erst etwas mehr als 20 monate zurück, und nur gut 13 weitere monate wa- ren zuvor vergangenen, seit der später gleichfalls demissionierte horst köhler im höchsten staatsamt bestätigt worden war. drei bundesversammlungen in weniger als drei jahren – das hatte es bis dahin noch nicht gegeben: heinrich lübke, vor köhler der einzige zurückgetretene bundespräsi- dent, hatte von seiner zweiten amtszeit schon mehr als vier jahre absolviert, als er 1968 seinen vorzeitigen abschied zum 30. juni 1969 ankündigte, zehn wochen vor ablauf der regulär fünfjährigen amtsdauer. eine andere premiere bot köhlers wieder- wahl 2009, als mit ihm und seiner spd- herausforderin gesine schwan erstmals zwei kandidaten antraten, die bereits bei der vorherigen präsidentenwahl aufeinan- dergetroffen waren. wie 2004 setzte sich köhler auch 2009 – jeweils von union und fdp nominiert – im ersten wahlgang ge- gen seine kontrahentin durch. zugleich erinnerte die konstellation von 2009 an die spannendste aller bisherigen bundespräsidentenwahlen: die vom 5. märz 1969. damals regierten wie im mai 2009 union und spd in einer großen ko- alition die bundesrepublik. in der bundes- versammlung aber ließen sie zwei kabi- nettsmitglieder gegeneinander antreten. für die union kandidierte gerhard schrö- der (nur nahmensgleich mit dem späteren kanzler), erst innen-, dann außen-, schließlich verteidigungsminister. für die spd bewarb sich justizminister gustav heinemann, einst selbst cdu-innenminis- ter und mittlerweile sozialdemokrat. in den zwei ersten wahlgängen verfehlten beide die erforderliche absolute stimmen- mehrheit, wobei heinemann knapp vor seinem kabinettskollegen lag. im dritten wahlgang, bei dem die relative mehrheit reicht, gewann er mit 50,0 prozent der ab- gegebenen stimmen. ausschlaggebend war die fdp, die den ersten spd-politiker ins höchste staatsamt wählte – ein vorbote der sozialliberalen koalition. nicht jede bundesversammlung bot einen solchen krimi. 1979 und 1984 etwa war das ergebnis von vornherein klar, da die union die absolute mehrheit in dem gre- mium hatte. da half es der spd 1979 nichts, mit ex-bundestagspräsidentin annemarie renger erstmals eine frau ins rennen zu schicken. renger, die dem cdu-mann karl carstens unterlag, war da- bei für ihre partei nur „zweite wahl“: ur- sprünglich hatte die spd die kandidatur dem physiker und philosophen carl-fried- rich von weizsäcker angetragen, der indes abwinkte. sonst hätte er wohl mit seinem bruder richard die erfahrung einer nieder- lage in der bundesversammlung geteilt. richard von weizsäcker nämlich stand 1974 als unions-bewerber auf verlorenem posten gegen den sozialliberalen mehr- heitskandidaten walter scheel. dafür be- kam er dann 1984 auch zahlreiche spd-stimmen und 80,9 prozent. bei sei- ner wiederwahl 1989 gab es zum einzigen mal keine gegenkandidaten: der amtsinhaber wurde mit 86,2 prozent bestätigt – ein wert, den nur gründungs- präsident theodor heuss bei seiner wiederwahl 1954 mit 88,2 prozent übertraf. heuss hatte dabei ebenfalls die zustimmung auch der meisten sozialde- mokraten gefunden. bei seiner ersten wahl 1949 konnte er sich dagegen erst im zwei- ten wahlgang gegen spd-chef kurt schu- macher durchsetzen. „pfui“-rufe gab es bei seiner wiederwahl 1954 bei bekanntgabe des wahlergebnis- ses, als sich eine stimme für den noch als kriegsverbrecher inhaftierten karl dönitz fand, 1945 kurzzeitiger nachfolger hitlers als reichspräsident. dass auf einem weite- ren stimmzettel der damalige chef des hauses hohenzollern als staatsoberhaupt gewünscht wurde, erregte 36 jahre nach ende der monarchie nur noch heiterkeit. auch auf konrad adenauer entfiel 1954 ei- ne stimme, obwohl er wie dönitz und der kaiser-enkel gar nicht nominiert war. eng verknüpft ist der name des ersten bundes- kanzlers mit der folgenden präsidenten- wahl von 1959, für die er zunächst seine bewerbung angekündigt hatte.. drei wochen vor der wahl machte adenauer ei- nen rückzieher, um weiter die „richtlinien der poli- tik“ bestimmen zu können. heuss-nachfolger wurde stattdessen heinrich lübke (cdu). bei dessen wieder- wahl 1964 verzichtete die spd – anders als die fdp – auf einen gegenkandida- ten: die erste große koali- tion kündigte sich an. mit vier gegenkandidaten hatte es dagegen 1994 roman herzog zu tun. als unions-bewerber für deren ur- sprünglichen, dann aber zurückgezogenen kandidaten steffen heitmann aus sachsen angetreten, konnte sich herzog gegen den spd-mann johannes rau erst im dritten wahlgang behaupten – mit untersützung der fdp, die ihre bewerberin hildegard hamm-brücher nach dem zweiten wahl- gang aus dem rennen genommen hatte. rau gelang fünf jahre später der sprung an die staatsspitze. verheiratet mit der enke- lin seines politischen ziehvaters heine- mann, musste er sich dabei auch gegen dessen von der damaligen pds nominier- ten tochter uta ranke-heinemann durch- setzen, der tante seiner frau. der zweite sozialdemokrat im höchsten staatsamt nahm es launig: „an dem wort ,familien- bande‘ ist viel wahres dran“, bemerkte rau – nach seiner wahl, wohlgemerkt. wie rau und weizsäcker fand auch der amtierende bundespräsident gauck erst im zweiten anlauf 2012 eine mehrheit der bundesversammlung, bei dem er als schwarz-rot-gelb-grüner kandidat ins ren- nen ging: 79,9 prozent langten ihm schon im ersten wahlgang. 2010 dagegen musste sich gauck, damals von spd und grünen nominiert, noch wulffs mehrheit von uni- on und fdp beugen, wenn auch erst im dritten wahlgang. mit einer breiten mehrheit kann am 12. februar auch außenminister frank- walter steinmeier rechnen, auf dessen no- minierung sich union und spd verständigt haben. er wäre nicht nur (nach dem fdp- mann scheel) der zweite außenamtschef, der ins präsidentenamt wechselt, sondern auch der zweite sozialdemokrat, der 2009 so wie rau 1987 als kanzlerkandidat sei- ner partei eine niederlage einstecken musste, um dann mit dem höchsten staats- amt einen anderen karrieregipfel zu er- klimmen. sto t nur bei der wiederwahl weizsäckers 1989 gab es keine gegen- kandidatur. 4 bundesversammlung das parlament - nr. 5-7 - 30. januar 20175