das parlament - nr. 42 - 15. oktober 2018 im blickpunkt 9 kurz rezensiert ute schaeffer: fake statt fakt. wie populismus, bots und trolle demokratie angreifen. dtv, münchen 2018; 414 s., 16,90 € statt, die leiterin für medienentwicklung der deutschen welle akademie, ute schaef- fer, hat ein großartiges buch über den informationskrieg gegen unsere demo- kratie vorgelegt. sie weist nach, wie die digitalen medien und soziale netzwerke als waffe eingesetzt werden. dank ihrer quellenreichen, gut strukturierten re- cherche erfahren die leser, wie politik und gesellschaft in den letzten jahren durch zahlreiche internetkampagnen be- einflusst wurden. es finde eine „funda- mentale veränderung des öffentlichen informationsraums“ analysiert schaeffer. die politische meinungsbil- dung werde immer öfter durch meldun- gen voller hass und häme vergiftet. im mittelpunkt des buches stehen nicht die offensichtlichen „fakes“, die mit fakten leicht widerlegt werden können. viel gefährlicher sind jene gezielt ver- breiteten und gut ausgedachten falsch- informationen, hinter denen sich politi- sche aktivisten, parteien und fremde re- gierungen verstecken. schaeffer erklärt, dass sich die medienkonsumenten zu- nehmend in ihren eigenen echokam- mern – den „informationsblasen“ – be- wegen, die diskurse ihrer gegenüber nicht mehr zur kenntnis nehmen und so- mit manipulierbar werden. erschwerend hinzu komme, dass die etablierten par- teien und die medien einen bogen um strittige themen machen: „die politi- schen debatten halten nicht schritt mit dem, was uns politisch herausfordert.“ schaeffer nennt aktuelle beispiele wie die debatte um die obergrenze für flüchtlinge und deren integration, den kampf gegen kinderarmut oder die ehe für alle. aus den über 100 großen und kleinen fällen lässt sich ableiten, warum die „in- formationskrieger“ so erfolgreich sind: für das netz gestalten die akteure ihre politischen positionen als emotionale er- zählungen. durch „liken“ und „repos- ten“ dieser geschichten wird der bürger zum mitstreiter für die angeblich gute sache. manu t tanjev schultz: nsu. der terror von rechts und das ver- sagen des staates. droemer verlag, münchen 2018; 555 s., 26,99 € reporter preisgekrönte als die polizei im oktober dieses jahres acht mutmaßliche mitglieder der rechts- terroristischen gruppierung „revolution chemnitz“ festnimmt, werden erinne- rungen an den „nationalsozialistischen untergrund“ (nsu) wach. doch aus sicht der „revolution chemnitz“ han- delte es sich beim nsu nur um eine „kindergartentruppe“. neun menschen mit migrationshintergrund und eine poli- zistin ermordete die „kindergartentrup- pe“ uwe mundlos, uwe böhnhardt und beate zschäpe zwischen 2000 und 2007, verübte drei sprengstoffanschläge und 15 raubüberfälle. angesichts dieser straftaten hätte die rassistische motiva- tion erkennbar sein können. doch weit gefehlt. der nsu wurde von den straf- verfolgungsbehörden über ein jahrzehnt nicht entdeckt. vielmehr lebten die rechtsterroristen unter falschen namen unerkannt mitten in deutschland. der tanjev schultz, der zurzeit an der johannes-gu- tenberg-universität mainz journalismus unterrichtet, zeichnet die geschichte der nsu-verbrechen detailliert nach. für die „süddeutsche zeitung“ hat er über fünf jahre den nsu-prozess beobachtet und tausende aktenseiten ausgewertet. sein gut strukturiertes buch überrascht und erschüttert zugleich: geradezu unglaub- lich mutet die tatsache an, dass ausge- rechnet in deutschland mit seiner ge- schichte und seiner funktionierenden staatsgewalt eine rechtsextremistische terrorzelle so lange ihr unwesen treiben konnte. schultz vollzieht akribisch nach, wie oft die polizei den verbrechern dicht auf den fersen war, letztlich aber immer der falschen fährte folgte. obwohl immer wieder über die klamm- heimliche unterstützung des nsu durch polizei und verfassungsschutz spekuliert wird, geht der autor diesen verschwö- rungstheorien in seinem informativen buch nicht nach. allerdings weist er nachdrücklich auf einen bei einigen poli- zisten und v-leuten tief verankerten rassismus hin. manu t zu den selbstverständnissen der demokratie gehört die freiheit der meinung, wie sie in deutschland im artikel 5 des grundgesetzes manifestiert ist. © picture-alliance/wolfram steinberg/collage: stephan roters sprache und politik populismus wie internet lassen die demokratie an ihre bruchlinien stoßen wortschatz unter druck die mahnung stand am politische sprache greift zu abge- nutzten bildern und verbrauchten floskeln. der anfang. als die abgeord- neten nach der sommer- pause wieder im plenum unter gläsernen reichstagskuppel zusam- menkamen, nutzte bundestagspräsident wolfgang schäuble (cdu) die gelegenheit für einen appell an die gewählten reprä- sentanten, wie er es ausdrückte. dieser ge- riet zu einem leidenschaftlichen plädoyer für einen starken, aber offenen rechtsstaat. „wenn wir gegenseitige toleranz und res- pekt untereinander sichern wollen, müssen wir darauf bestehen, dass gewalt oder die aufforderung zur gewalt genauso verboten sind wie die verwendung von parolen und symbolen, die den demokratisch-rechts- staatlichen grundkonsens unserer repu- blik infrage stellen.“ stark und ungehemmt die beschwören- den formulierungen begründeten sich zweifellos aus den grässlichen bildern und dem abstoßenden erlebnis des rechten mobs auf den straßen von chemnitz weni- ge wochen vorher, eben begleitet von pa- rolen und symbolen, die zugleich auf- wühlten und abschreckten. dabei reißt die kette der scheußlichen szenarien nicht ab, wie vorfälle in köthen, dort- mund, berlin oder apol- da zeigen. und gewiss ist damit das ende solcher manifestationen noch nicht erreicht. die eskala- tion der politischen ag- gressivität dringt immer stärker und ungehemmter in das öffentliche leben dieses landes ein, verbun- den mit der herben er- kenntnis, dass worte nun- mehr häufig in taten umkippen. spätes- tens hier, unter den eindruck manifester veränderungen des gesellschaftlichen dis- kurses, stellt sich die frage nach dem ge- genwärtigen stellenwert der politischen sprache, dem gebrauch wie dem miss- brauch, ebenso nach deren effizienz und wirkung. alle topthemen der letzten mo- nate, die im öffentlichen aufmerksamkeits- wie erregungspegel nach oben geschnellt sind, liefern dafür geradezu erdrückende, teilweise sogar beschämende belege. seien es die debatten um migration und asyl, der schlagabtausch zwischen cdu und csu, die aufregungen um den fußball-na- tionalspieler mesut özil und die verdruck- stheit des dfb-präsidenten reinhard grin- del, die spitzfindigkeiten beim ablauf des staatsbesuches des türkischen präsidenten recep tayyip erdogan, nicht zuletzt das krude und oft geschmacklose vokabular von donald trump, mit dem der amerika- nische präsident seine egomane rambo- politik nach innen und außen vorantreibt: immer wieder blieb die angemessene wortwahl – der agierenden wie der reagie- renden – auf der strecke. politische wirklichkeiten werden in demo- kratischen systemen über sprache geprägt und geschaffen, das ist eines ihrer wichtigs- ten wesensmerkmale. deshalb zählt das recht, „seine meinung in wort, schrift und bild frei zu äußern und zu verbreiten“, wie es in artikel 5 des grundgesetzes heißt, zu den selbstverständnissen der demokratie. kompromiss und konsens lassen sich in offen-pluralistischen gesellschaften nur über gespräch und diskussion, dialog und debatte, rede und widerrede, notfalls auch über streit und disput herstellen. nur auf diese weise gelingt der austausch unterschiedlicher argumente und gegen- sätzlicher konzepte, um schließlich zu übereinstimmungen und einverständnis- sen zu kommen. ohne solche vorkehrun- gen und einübungen ist der ausgleich wi- derstreitender interessen als kernpostulat der demokratie nicht zu erzielen. sicherlich klafft hier, wie so häufig im menschlichen dasein, eine kluft zwischen anspruch und realität. mehr und mehr ist die sprache der politik in den sog geraten, dass bürokratie und expertokratie den ton angeben, geschuldet nicht zuletzt der zu- nehmenden komplexität der thematiken. aber so legt sich über die transparenz de- mokratischer prozesse und entscheidun- gen eine decke begrifflicher unverständ- nis. dass dies zuweilen bewusst geschieht, um die absichten und ziele von maßnahmen und geset- zen zu verschleiern oder schönzureden, muss zu den relevanten defekten demo- kratischer partizipation ge- zählt werden. auch ein anderes genre er- regt neuerdings immer hefti- geres ärgernis. politische sprache greift, nicht selten sogar kumulativ, zu abge- nutzten bildern und ver- brauchten floskeln, etwa bei den „menschen draußen im lande“ oder „die sorgen der bürger ernst nehmen“ bis hin zu „wir haben verstan- den“. es ist eine phraseologie, die eigent- lich niemand mehr hören will. denn sol- che billigen leerformeln stellen eine kapi- tulation vor originellem denken und nachhaltiger reflexion dar. geradezu de- struktiv für den demokratischen prozess ist allerdings die formel von der alternativlo- sigkeit. mit einem solchen absolutheitsan- spruch wird die so notwendige debatten- kultur vorzeitig abgewürgt. es ist nicht nur margaret thatcher, die gemeinhin als pro- tobeispiel für diesen terminus steht; auch angela merkel (cdu) hat wiederholt da- rauf bestanden, dass zu ihrem handeln „keine vernünftige alternative“ bestehe. in einer demokratie keine wahl mehr zu ha- ben, ist ein symptom sprachlicher ver- ödung und intellektueller selbstaufgabe. enge verbindung denken und sprachen als enge verbindung: das hat bereits vor 200 jahren der große gelehrte wilhelm von humboldt thematisiert. sprache war für ihn das „komplement des denkens“ und „das bildende organ des gedankens“. da lässt sich durchaus der schriftsteller george orwell mit seinem roman „1984“ anfügen, in dem der „große bruder“ mit- hilfe des „ministeriums der wahrheit“, der „gedankenpolizei“ und „neusprech“ un- abhängiges denken und eigenständige sprache auszumerzen versucht. in wahl- sprüchen wie „krieg ist frieden“, „freiheit ist sklaverei“ und „unwissenheit ist stär- ke“ drückt sich der ganze irrsinn totalitärer gehirnwäsche aus. nur: aus der schauerli- chen utopie orwells ist ein halbes jahr- hundert später ein gehöriges stück gewiss- heit geworden. denn ein prüfender blick auf die politiken xi jinpings in china, pu- tins in russland, erdogans in der türkei, orbans in ungarn, maduros in venezuela offenbart die abgründe autoritärer und diktatorischer herrschaftsformen, wenn- gleich in kielförmigen abstufungen. und trump bemüht sich beharrlich, in die rie- ge dieser selbstherrlichen und bedenkenlo- sen autokraten aufgenommen zu werden. gemeinsam ist ihnen jedoch die einhe- gung politischer diskurse und einschrän- kungen der meinungsfreiheit, wenn nicht gar deren entzug oder verbot. instrument der umdeutung nun hat deutschland selbst mit diktatorischen re- gimen hinreichende erfahrung gemacht, mit dem nationalsozialismus des dritten reiches und dem sozialis- mus der ddr. auch in de- ren totalitärer ideologie war die sprache als instrument für umdeutungen und um- wertungen inkorporiert. nur zwei beispiele der sprachdiktion: die vernich- tung der europäischen ju- den lief unter „endlösung“, die berliner mauer bildete einen „antifaschistischen schutzwall“. gewiss, beide systeme sind in ihrer ge- waltdimension nicht gleich- zusetzen. aber die historische last sollte die deutschen geradezu zwingen, im poli- tischen umgang mit sprache und denken hohe sensibilität walten zu lassen. immer- hin gab es nach 1945 versuche humaner sprachpädagogik. etwa durch die journa- listen dolf sternberger, gerhard storz und wilhelm e. süskind. mit klugen erklärun- gen und intelligenten kommentaren ent- hüllten sie den monströsen wortschatz der braunen terrorherrschaft, ihre sammlung „aus dem wörterbuch des unmenschen“ blieb bis weit in die 1960er jahre aufklä- rend wie stilbildend. seitdem ist im umgang mit der politischen sprache viel ins rutschen gekommen. wenn heute jemand dem „sound der macht“, so die junge münchener politik- wissenschaftlerin astrid séville, intensiv nachhorcht, dann fällt das urteil recht de- primierend aus. „die politische sprache der letzten jahre hat zu vielen facetten und feinen schattierungen einer populistischen und vulgärdemokratischen sprache ge- führt.“ das macht sie nicht nur am voka- bular linker und rechter populisten fest, sondern auch bei vertretern in der mitte des parteienspektrums. zwei phänomene haben das verhältnis von sprache und politik völlig aus dem lot die sprache ist eines der wichtigsten wesens- merkmale einer de- mokratie. gebracht. das sind einmal digitalisierung und internet, dann der anschwellende ein- fluss der populisten, vor allem auf der rechten seite. der „strukturwandel der öffentlichkeit“, wie ihn jürgen habermas noch in den 1960er jahren skizzierte, als historischen prozess der emanzipation und partizipati- on, auch der veränderung und transforma- tion, ist inzwischen geschichte. digitalisie- rung und internet haben längst andere öf- fentlichkeiten entstehen lassen. die an- fängliche euphorie über die leichte und ungehinderte teilhabe von jedermann/je- derfrau am gesellschaftlichen diskurs über die sozialen netzwerke wird längst ergänzt durch ihre fragwürdige kehrseite: fake news und shitstorms, desinformation und verschwörungstheorien, hackerangriffe und cyberwar. der soziologe oliver nachtwey diagnostiziert eine „regressive entzivilisierung“, weil mit dem internet et- was rohes und rasendes in die politische öffentlichkeit eingezogen sei, mit scham- losem hass und gefährlichen gefühlen. daneben besteht zudem eine virtuelle schattenwelt mit einer dynamischen sub- kultur, wie die amerikanische autorin an- gela nagle detailliert für die usa dargelegt hat. sie glaubt, dass diese rechtsorientierten nerds, indem sie die linken for- mate gekapert haben und subtil trolle und bots ein- setzen, wesentlich zum wahlsieg trumps beigetra- gen haben. nicht von un- gefähr sprach die literatin eva menasse kürzlich von „digitalen gespenstern“, unter deren druck „sich die mechanismen der insti- tutionellen politik auflö- sen“. sie frage sich, „was der überall und jederzeit verfügbare sprachliche austausch auch jenseits der ex- tremismen mit den menschen macht“. dass politik und politiker diese neuen kommunikationsformen nutzen, ist allzu verständlich, bieten sie doch gelegenheit, mit einem größeren publikum leicht in kontakt zu kommen. längst tummeln sich zuhauf abgeordnete und minister, behör- den und ämter in den sozialen netzwerken. wer keinen persönlichen account hat, wirkt da schon sehr gestrig. von den versuchun- gen der selbstreferentiellen profilierung ab- gesehen, die da zuweilen zum ausdruck kommen: für den demokratischen prozess besitzt diese virtuelle beziehung eine gewis- se ambivalenz. das schnelle wort, die flotte sprache, die zügige reaktion, auch eine ver- bale überbietungsneigung: all dies kann zur zerfaserung und verwirrung im politi- schen verfahren beitragen, wo aufklärung und orientierung gefragt sind. zielen sie auf stimmung und emotion, auf affekte und erregung. es ist der grundte- nor ihres öffentlichen auftretens. der afd- vorsitzende alexander gauland hat dies mit unverblümter klarheit in einem inter- view ausgedrückt: „wir versuchen, die grenze des sagbaren auszuweiten. es gab eine lange zeit, wo der mainstream dazu führte, dass bestimmte dinge nicht ausge- sprochen wurden.“ und wenn er gleichzei- tig meint, dass sich das politische system des landes „überholt“ hat, dann stößt man mit der sprache als organ des denkens an die roten bruchlinien der demokratie. kultureller krieg in der tat: längst haben die populisten die auseinandersetzung aus der arena der politik in den rang eines kulturkampfes verschoben. in ihrer beharr- lichen betonung von identität und lebens- stil äußern sich fundamentalistische, fast schon eschatologische vorstellungen, die einer demokratischen ordnung wesens- fremd sind. es geht in dieser politischen auseinandersetzung nicht mehr um wäh- lerstimmen, sondern um kulturellen krieg – wie es der konservative us-politiker pat buchanan einmal ausdrückte – „um die seele amerikas“. das gilt für populisten auch für anderswo. verbale enthemmung, zumal wenn sie po- pulistischer rhetorik folgt, sogar überbie- ten will, generiert noch eine andere wirk- lichkeit. worte und begriffe werden keines- wegs eindimensional verstanden und ver- arbeitet, sondern in sinnzusammenhän- gen. im gehirn laufen geradezu ganze fil- me ab: auslegungen, erfahrungen, gefüh- le, erinnerungen, auch bedenken und ängste. „in worten steckt viel mehr, als wir in der regel glauben“, so die kognitions- forscherin elisabeth wehling. in politi- schen debatten seien nicht fakten ent- scheidend, sondern gedankliche deutungs- rahmen. steigerung aber dies gibt verbale sprengkraft. flüchtlingswelle, überfrem- dung, islamisierung, herrschaft des un- rechts, asyltourismus, natürlich auch der berüchtigte „vogelschiss“ über die zwölf jahre nationalsozialismus in der deut- schen geschichte: was ist da jüngst alles auf die öffentlichkeit eingeprasselt. auch verbale steigerungen erscheinen immer noch möglich. so versteigt sich der autor thilo sarrazin, der deutschland vor jahren schon abgeschafft sah, nunmehr in schre- ckensvollere dimensionen, nämlich die „feindliche übernahme“. die macht der sprache hat, unter der maß- gabe von digitalisierung und populismus, das potential, die demokratie in einer form zu beschädigen, die ihre existenz aushöhlt und erschüttert. heinz verfürth t der autor ist freier journalist in berlin. gewollte provokation denn ein faktum ist nicht zu leugnen: in der transgression, also der überschreitung und missachtung von regeln und standards, sind populisten immer schneller. ihre provokation ist ge- wollt, mit ihrer aggressiven sprache und ihren tumultuarischen formulierungen weiterführende links zu den themen dieser seite finden sie in unserem e-paper