4 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 13-14 - 25. März 2019 Bis zu 200 Millionen Euro zahlte die Bundeswehr zwi- schen 2015 und 2018 für Ver- träge mit externen Firmen zwecks Beratung und Unter- stützung. Ob der Bedarf in al- len Fällen bestand, ob die Bundeswehr manche Aufgaben nicht mit eigenen Kräf- ten hätte erledigen können, ob teils der Wettbewerb zwischen konkurrierenden Fir- men umgangen wurde: Der Bundesrech- nungshof hat massive Verstöße gegen Vor- gaben der Bundeshaushaltsordnung und des Vergaberechts ausgemacht. Damit be- fasst sich seit Ende Januar 2019 der Vertei- digungsausschuss, der sich dazu selbst als Untersuchungsausschuss eingesetzt hat – ein Recht, das das Grundgesetz nur ihm zugesteht. Er soll klären, ob es womöglich Fälle von Vetternwirtschaft gegeben hat. Nach vorbereitenden Sitzungen tagte der Ausschuss vergangene Woche erstmals öf- fentlich und begann damit die inhaltliche Arbeit. Der Vorsitzende Wolfgang Hell- mich (SPD) belehrte die Zeugen, dass bei Falschaussagen Geldstrafen oder gar Haft drohten. Damit war denn auch angespro- chen, warum es überhaupt zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses kam. Der Verteidigungsausschuss kann nämlich nie- manden zwingend als Zeugen vorladen. Und so blieb am 12. Dezember vergange- nen Jahres jener Stuhl leer, auf dem eigent- lich die frühere Staatssekretärin im Vertei- digungsministerium, Katrin Suder, hätte Platz nehmen sollen. Die hatte den Abge- ordneten einen Korb gegeben. Allenfalls schriftlich wollte sie sich äußern. Penibel formuliert Da platzte den Parla- mentariern der Kragen, was einige von ih- nen auch offen bekundeten. Der Weg zur Einsetzung eines Untersuchungsausschus- ses erwies sich anfangs als holprig, FDP, Linke und Grüne sahen sich zunächst aus- gebremst. Schließlich gab es eine Einigung auf den Untersuchungsauftrag. Er ist peni- bel formuliert, und Hellmich achtet auch pedantisch auf seine Einhaltung: Die Ver- gabe solle unter vertraglichen, rechtlichen, haushalterischen, geheimschutzrelevanten, militärischen, technologischen und politi- schen Gesichtspunkten geprüft werden. Ferner sollen die persönlichen und politi- schen Verantwortlichkeiten der Leitungs- ebene sowie die Aufklärungs- und Infor- mationspraxis des Verteidigungsministeri- ums untersucht werden. Damit bescherte Suder ihrer früheren Che- fin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), einen ungemütlichen Som- mer. Ende August solle der Abschlussbe- richt vorliegen, wurde zunächst angepeilt. Schließlich erschien es nicht sonderlich knifflig, den vom Bundesrechnungshof in Prüfberichten festgehaltenen Sachverhalt nachzuvollziehen. Doch zwischenzeitlich weitete sich die Materie aus. 150 Ordner, gefüllt mit jeweils 500 Seiten, hat das Mi- nisterium dem Ausschuss bereits zur Verfü- gung gestellt, 1.500 weitere könnten es noch werden. 36 Personen stehen schon jetzt auf der Liste der zu befragenden Zeu- gen, darunter die Ministerin, die wohl aber nicht mehr vor der Sommerpause geladen wird. Somit ist Ende August wohl noch lange nicht Schluss. Der Auftakt geriet zur schallenden Ohrfei- ge für die Vergabe-Verantwortlichen bei der KURZ NOTIERT Grüne wollen Rechte der Behinderten stärken Die Bundesregierung soll nach dem Wil- len der Grünen-Fraktion unter Beteili- gung von Betroffenen Maßnahmen er- greifen, um das Recht von Menschen mit Behinderungen auf selbstbestimmte Le- bensführung ohne Wenn und Aber zu gewährleisten. Das fordert die Fraktion in einem Antrag (19/8288), den der Bun- destag vergangene Woche zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwies. Danach soll unter anderem im Bundes- teilhabegesetz ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht im Hinblick auf Unterstützungsleistungen und den Ort ihrer Erbringung eingeführt werden. Gesetz zu Ratsempfehlung für mehr Sozialschutz Der Bundestag hat sich vergangene Wo- che erstmals mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/8460) zu einer Empfehlung des Rates für einen besse- ren Zugang zum Sozialschutz für Arbeit- nehmer und Selbständige befasst. Der Vorschlag soll vor allem dem Grundsatz 12 der Europäischen Säule sozialer Rechte dienen, wonach alle Arbeitneh- mer, aber auch Selbständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz haben. Der Gesetzentwurf schafft die Grundlage dafür, dass der deutsche Vertreter im Rat dem Vorschlag zustimmen darf.er. che T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper Ruf nach fairer Beschaffung VERGABEPRAXIS Verpflichtende Kriterien gefordert Um welche Dimension es vergangene Wo- che in der Bundestagsdebatte über die Re- gierungsantwort (19/7567) auf eine Große Anfrage der Grünen zur öffentlichen Be- schaffung (19/3166) ging, machte Uwe Ke- keritz (Grüne) zu Beginn der Aussprache deutlich: Laut Schätzungen tätigten Bund, Länder und Kommunen jährlich Beschaf- fungen im Wert von mehr als 350 Milliar- den Euro, von denen „heute schon ein Sechstel fair sein“ könnte, rechnete er vor. Dies zeige das große Potenzial fairer Be- schaffung auch für Entwicklungsländer, be- tonte er und forderte eine „Stärkung öko- logischer, sozialer und menschenrechtli- cher Kriterien im Vergabeprozess“. Petra Nicolaisen (CDU) betonte, das The- ma „nachhaltige Beschaffung“ sei in der Bundesverwaltung doch angekommen, müsse die Akzeptanz dafür bei den Ent- scheidungsträgern ausgebaut werden. Sas- kia Esken (SPD) mahnte die Einführung verpflichtender Kriterien „für soziale und ökologische Nachhaltigkeit bei der öffent- lichen Beschaffung“ an. Auch Michel Brandt (Linke) warb für eine öffentliche Beschaffung, „die verpflichtend soziale, ökologische und menschenrechtliche Stan- dards zur Grundlage nimmt“. Christoph Hoffmann (FDP) plädierte dafür, durch multilateralen Druck den „Standards bei Menschenrechten, Ökologie, Arbeitsrecht“ in den jeweiligen Nationalstaaten Geltung zu verschaffen. Markus Frohnmaier (AfD) kritisierte, der „von den Grünen erdachte und allen anderen Altparteien übernom- mene Ökosozialismus“ lasse „jeglichen Be- zug zur Realität vermissen“. sto T »Ein Anwalt der Sache« INNERES I Zank um Forderung nach Polizeibeauftragtem Die Forderung der Grünen nach einem un- abhängigen Polizeibeauftragten des Bun- des spaltet den Bundestag. Während die Befürworter im Parlament es begrüßen würden, wenn Polizisten und Bürger sich gleichermaßen an eine solche Stelle wen- den können, um Fehlverhalten oder struk- turelle Missstände anzeigen zu können, se- hen Gegner darin ein Misstrauensvotum gegenüber der Polizei. Dies wurde am Frei- tag in der ersten Debatte des Parlaments über einen entsprechenden Gesetzentwurf der Grünen (19/7928) deutlich. Irene Mihalic (Grüne) betonte, ein Poli- zeibeauftragter sei im besten Sinne „ein Anwalt der Sache“ und würde die Mög- lichkeit der parlamentarischen Kontrolle der Polizei deutlich verbessern. Benjamin Strasser (FDP) konstatierte, ein unabhän- giger Polizeibeauftragter könne durchaus ein „Element der Qualitätssicherung“ sein. Niema Movassat (Linke) betonte, es sei nötig, „endlich“ die Diskussion um „strukturelle Fehlentwicklungen in der Polizei“ zu führen. Susanne Mittag (SPD) sagte, der Vorschlag der Grünen sei „an sich eine gute Idee“ – allerdings gebe es bereits vergleichbare An- laufstellen in den Ländern und bei der Bundespolizei. Grundsätzlich sei es falsch, der Polizei strukturelle Probleme und Ras- sismus zu unterstellen – hierbei handele es sich um „Einzelfälle“. Für die Union hielt Josef Oster (CDU) fest, es gebe aktuell in Deutschland kein akutes Problem mit poli- zeilichem Fehlverhalten, wohl aber mit Angriffen auf Polizisten. Für die AfD wertete Lars Herrmann die Grünen-Vorlage als „bösartigen Angriff“ auf die Polizei. Susanne Kailitz T Im Falle einer Katastrophe Dicke Ordner, viele Fragen BUNDESWEHR Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre tagt erstmals öffentlich und hört Zeugen. Rechnungshof rügt Fehler beim Abschluss von Verträgen Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Hellmich (im Bild) ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. © picture-alliance/dpa INNERES II Fraktionen streiten über Vorsorgestrukturen Bundeswehr. Von einer „viel zu hohen Feh- lerquote“ beim Abschluss von Berater- und Unterstützungsverträgen sprach Thea Dil- ger vom Bundesrechnungshof. Viele Mängel Sie legte dar, dass in 55 Pro- zent der geprüften Fälle die Begründung für einen Vertrag mit Externen gefehlt ha- be, in 75 Prozent sei die wirtschaftliche Notwendigkeit nicht beschrieben worden. Bei 30 Prozent der Abschlüsse habe der Rechnungshof Mängel beim Prüfpunkt Vergaberecht ausgemacht. Über diese Quoten herrsche Einigkeit mit dem Minis- terium. Es sei „davon auszugehen, dass vermeidbare Mehrausgaben entstanden sind“, sagte Dilger. Über den tatsächli- chen Schaden für den Steuerzahler könne sie jedoch „keine Aussage treffen“. Das sei im Nachhinein kaum feststellbar. Ihr Kollege Helmut Peters, der speziell Ver- träge im IT-Bereich unter die Lupe genom- men hat, nannte für einen Fall eine Scha- densumme von einer Million Euro. Es ging um einen Rahmenvertrag mit einer Firma im Volumen von knapp 20 Millionen Euro. Das Unternehmen selbst habe kei- nerlei Leistung erbracht, sondern nur Un- terauftragnehmer eingesetzt. Auf deren Forderung sattelte es dann einen Aufschlag drauf, bevor es die Rechnung an die Bun- deswehr schickte. Die hätte nach Peters Darstellung freilich gleich mit den Subun- ternehmen Verträge schließen können. Der IT-Bereich bildet einen Schwerpunkt in dem Komplex. Als ersten befragten die Ausschussmitglieder Generalleutnant Lud- wig Leinhos, der als Sachverständiger und nicht als Zeuge geladen war. Er fungiert als Inspekteur Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr (CIR). In diesem Bereich seien die deutschen Streitkräfte bis 2014 nicht führend gewesen. Das habe sich grundlegend geändert. Die Bundeswehr habe viel Boden gutgemacht. Der „riesige Handlungsbedarf“, der sich in der Aufbau- phase ergeben habe, wäre ohne Einbezie- hung von externen Firmen nicht zu leisten gewesen, auch weil das nötige eigene Per- sonal zunächst gefehlt habe. Leinhos sagte, es gebe viele Firmen, die Berater- und Un- terstützungsleistungen für die Bundeswehr anböten. Er versicherte: „Uns ist egal, wer es macht.“ Franz Ludwig Averdunk T Die FDP-Fraktion macht sich für einen Ausbau der Katastrophenvorsorge stark. In einem Antrag (19/8541), über den der Bundestag vorige Woche erstmals beriet, betont die Fraktion, dass Deutschland „je- derzeit auf die Bewältigung von Katastro- phensituationen vorbereitet sein“, müsse, aber „ausreichende nationale Strukturen zur Vorsorge nicht vorhanden sind“. Benja- min Strasser (FDP) forderte in der Debatte, eine „konzeptunabhängige nationale Re- serve“ für 50.000 Menschen aufzubauen, um den Bund im Falle einer Krisensituati- on „sofort handlungsfähig zu machen“. Michael Kuffer (CSU) entgegnete, zu einer solchen Reserve führe „kein Weg hin“. So umfassende Unterbringungskapazitäten könne man „weder konzeptionslos noch ohne saubere Anbindung an die gesamte nichtpolizeiliche Sicherheitsarchitektur aufhängen“. Elisabeth Kaiser (SPD) warb dafür, die Bevölkerung mehr für das The- ma zu sensibilisieren. Vielen sei nicht be- wusst, selbst Vorsorge für Krisenfälle tref- fen zu müssen. Johannes Huber (AfD) hielt der Bundesre- gierung vor, nicht ausreichend der Aufgabe nachzukommen, „den Katastrophenschutz der Länder mit entwickelter Ausstattung für den Zivilschutz zu unterstützen“. André Hahn (Linke) nannte es „unbedingt erfor- derlich, dass der Bund seine Hausaufgaben im Bereich der ergänzenden Katastrophen- schutzunterstützung erledigt“. Irene Miha- lic (Grüne) betonte, der Ausbau der Vor- sorgestrukturen sei wichtig. Die Forderung, entsprechende Reserven bereitzustellen, sei „völlig richtig“. sto T Warnung vor dem »Islamonauten« Alteingesessene Minderheit FALL AMRI Zeuge berichtet von Hinweisen aus Marokko auf den späteren Attentäter INNERES III Bekenntnis zu Kampf gegen Antiziganismus »Nach Februar 2016 war die Brisanz der Lage ein Stück weit aus gelangte Der Islamonaut. Ein hierzulande unbe- kanntes Wesen. Anis Amri war einer, der spätere Attentäter vom Berliner Breit- scheidplatz. Zumindest in der Diktion des marokkanischen Inlandsgeheimdienstes DGST, der „Allgemeinen Steuerung der Si- cherheit des Staatsgebiets“, wie das franko- phone Kürzel auf Deutsch in etwa zu über- setzen ist. Die Fahnder der DGST benutzen den Be- griff für Islamisten, die auf den Wellen des Internet surfen, wie einst die seefahrenden Argonau- ten der altgriechischen Sage auf dem Schwarzen Meer unterwegs waren. Im Herbst 2016 der DGST eine ganze Serie von Hinweisen und Anfragen zur Person des „Islamonau- ten“ Amri auf den Schreib- tisch Robin O’Debies in der deutschen Botschaft in Ra- bat. Zwischen dem 20. Sep- tember und 17. Oktober seien vier solche Mitteilun- gen eingetroffen, berichtete O’Debie vorige Woche dem Amri-Untersu- chungsausschuss. Die Warnungen aus Marokko haben seit dem Berliner Anschlag die politische, jour- nalistische und kriminalistische Phantasie reichlich beschäftigt. Warum ließen sie auf deutscher Seite nicht alle Alarmglocken schrillen? Hat man die Marokkaner unter- schätzt? Die Seriosität ihrer Erkenntnisse angezweifelt? Im Gemeinsamen Terroris- mus-Abwehrzentrum (GTAZ) der deut- schen Sicherheitsbehörden kam das Thema am 2. November 2016 zur Sprache. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) übernahm es damals, den Hinweisen nach- zugehen. O’Debie arbeitet seit 2015 als Verbindungs- beamter des Bundeskriminalamts (BKA) in Rabat. Seine Tätigkeit beschrieb er dem Ausschuss als die eines „Briefboten“ im po- lizeilichen Informationsaustausch beider Länder. Über seine marokkanischen An- sprechpartner ist er voll des Lobes. Die Zu- sammenarbeit sei „herausragend“. Was die DGST zu bieten habe, seien „immer sehr werthaltige Informationen“. Auch im Fall Amris lagen die Marokkaner, wie sich herausstellen soll- te, leider richtig. Allein er- schien ihr Hinweis, der Mann könnte in naher Zu- kunft möglicherweise ir- gendetwas im Schilde füh- ren, wie O’Debie meinte, den deutschen Behörden wohl nicht konkret genug, um in helle Aufregung zu geraten. Im Laufe des Jahres 2016 seien rund 110 „ope- rative Vorgänge“ auf seinem Schreibtisch gelandet, sagte der Zeuge, von denen etwa 30 mit vermuteten radika- lislamischen Aktivitäten zu tun gehabt hät- ten. Unter diesen seien die vier Mitteilun- gen der DGST zum Fall Amri in keiner Wei- se „außergewöhnlich“ gewesen. In mancher Hinsicht seien die Marokkaner auch erstaunlich genau über Amri unter- richtet gewesen. So hätten sie gewusst, dass der Mann vor seiner Einreise nach Deutschland vier Jahre in Italien hinter Gittern verbracht hatte. Ein oder zwei Tage nach dem Eingang der beiden letzten Mit- teilungen am 17. Oktober habe er der DGST in Rabat einen seiner Routinebesu- che abgestattet und bei der Gelegenheit auch den Fall Amri angesprochen. Er habe wissen wollen, woher die Marokkaner ihre abgeebt.« Martin Kurzhals, Kriminaldirektor Informationen hatten. In der Regel sei es so gewesen, dass sie auf der Suche nach Is- lamisten das Internet, insbesondere Face- book, „detailliert“ ausgewertet hätten. Verhaltene Resonanz „Im Februar 2016 war Amri am nächsten an einer Anschlags- vorbereitung. Nach Februar war die Bri- sanz der Lage ein Stück weit abgeebbt“, sagte der zweite Zeuge der vorigen Woche, Kriminaldirektor Martin Kurzhals, zur da- maligen Beurteilung des späteren Attentä- ters durch deutsche Sicherheitsbehörden. Ein Hinweis, der als Anhaltspunkt dafür gelten kann, warum die Warnungen aus Marokko im Herbst eine eher verhaltene Resonanz fanden. Kurzhals vertrat das BKA von 2014 bis Mitte 2018 im GTAZ. In die- ser Funktion moderierte er zwischen Feb- ruar und Juni 2016 sechs Besprechungen, in denen Amri Thema war. Als der Tunesier am 4. Februar im GTAZ erstmals zur Sprache kam, stand die Ver- mutung im Raum, er trage sich mit Plänen für Anschläge mit Schnellfeuerwaffen. Das in Nord- hatte das Landeskriminalamt rhein-Westfalen von einem Gewährsmann im Islamistenmilieu erfahren. Damit geriet Amri auf den Radar des BKA, das im Feb- ruar 2016 drei „Gefährdungsbewertungen“ über ihn abgab und dabei die Bedrohungs- prognose geringfügig nach oben korrigier- te. War er zunächst auf Rang sieben einer achtstufigen Skala einsortiert, was bedeute- te, dass ein unmittelbar bevorstehender, von ihm verursachter Anschlag „eher aus- zuschließen“ war, so rückte er dann in die fünfte Stufe auf: Attentat „eher unwahr- scheinlich“. Furchterregend las sich auch das nicht. Dennoch: „Er war für alle ernst zu neh- men“, so deutete der Zeuge diese Einschät- zung. Winfried Dolderer T Der Bundestag dringt auf eine entschiede- ne Bekämpfung des Antiziganismus. Gegen die Stimmen der AfD verabschiedete das Parlament am Freitag bei Enthaltung von FDP, Linken und Grünen einen entspre- chenden Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (19/8546). Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, „je- der Form des Hasses gegen Sinti und Roma und dem Antiziganismus schon im Entste- hen in aller Konsequenz entschlossen zu begegnen“. Ein weitgehend wortgleicher Antrag von FDP, Linken und Grünen (19/8562) fand keine Mehrheit. In den Vorlagen verwiesen die Fraktionen darauf, dass die Bundesrepublik vor dem Hintergrund des „lange Zeit ignorierten Völkermords, der systematischen Entrech- tung, Erniedrigung, Deportation und Er- mordung von hunderttausenden Sinti und Roma im von Deutschland während des s e g a m I o c r A / a p d / e c n a i l l a - e r u t c i p © Am Denkmal für die im Nationalsozialis- mus ermordeten Sinti und Roma unweit des Reichstagsgebäudes in Berlin Zweiten Weltkrieges besetzten Europa eine besondere Verantwortung im Kampf gegen den Antiziganismus“ trage. Deutsche Sinti und Roma seien „Teil der Gesellschaft, hier verwurzelt und zählen zu den vier alteinge- sessenen Minderheiten in Deutschland“. Begrüßt wird in den Vorlagen die vorgese- hene Einsetzung eines Expertengremiums, „das erstmals eine systematische Bestands- aufnahme aller Erscheinungsformen des Antiziganismus erarbeiten soll“. Zugleich soll es nach dem Willen des Bundestages Empfehlungen für Programme gegen Anti- ziganismus formulieren. In der Debatte beklagte Axel Müller (CDU), dass Sinti und Roma „in Deutsch- land, in Ost- wie Westeuropa, schlicht überall“ bis heute diskriminiert würden. Dabei gehöre der Minderheitenschutz „zur DNA einer Demokratie“. Markus Frohn- maier (AfD) kritisierte die „Doppelbe- zeichnung Sinti und Roma“ als irrefüh- rend. Die Sinti machten zu Recht geltend, dass sie eine alteingesessene Minderheit in Deutschland seien. Gabriela Heinrich (SPD) verwies darauf, dass Sinti und Roma eine anerkannte nationale Minderheit sind: „Sie sind ein Teil Deutschlands, wie die Dänen, Sorben und Friesen“, sagte sie. Linda Teuteberg (FDP) nannte es „höchste Zeit“, dass der Bundestag ein deutliches Zeichen setze, sich eindeutig zu diesen Menschen zu bekennen, „deren Familien oft seit Jahrhunderten in unserem Land le- ben“. André Hahn (Linke) hob hervor, dass antiziganistische Vorurteile „nicht nur in rechten Randgruppen zu finden“ seien, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein reichten. Darauf verwies auch Filiz Polat (Grüne), die die Bekämpfung des Antiziganismus als dauerhafte Aufgabe der Politik wie der gesamten Gesellschaft wer- tete. Helmut Stoltenberg T