2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 24-26 - 11. Juni 2019 GASTKOMMENTARE ZEIT FÜR NEUWAHLEN? Allemal besser PRO s u a r K x e A © l Stephan Hebel, freier Journalist In Deutschland gibt es eine seltsame Idee von Stabilität: Als stabil gilt es, wenn irgendwie regiert wird, und zwar von einer Koalition, die im Bundestag über die absolute Mehrheit verfügt. Nun haben wir bekanntlich eine „große“ Koalition. Aber wer würde behaupten, die Lage sei deshalb stabil? Beide „Partner“, Union und SPD, sind auf der verzweifelten Suche nach Profil. Das ist ihr gutes Recht, sie haben sogar zu lange da- rauf verzichtet. Aber es geht nur in Abgrenzung zur jeweils anderen Partei, und so tragen sie ihre Erneuerungsdebatten auch in die Regierung. Ge- meinsame Ziele gibt es kaum, die Koalition ist fak- tisch am Ende, also sollte sie auch beendet wer- den. Aber was dann? Die SPD könnte die Koalition ver- lassen, aber einer Minderheitsregierung von CDU und CSU ein fest vereinbartes gemeinsames Vor- gehen dort anbieten, wo man sich noch halbwegs einig ist – etwa in der Europapolitik. Bei anderen Themen müsste sich die Union ihre Mehrheiten von Fall zu Fall suchen. Warum ist so etwas ei- gentlich in Deutschland tabu? Warum sollte es „instabiler“ sein als eine zerstrittene Regierung? Oder aber es gibt eine Neuwahl, und auch die wä- re allemal besser als ein streitiges „Weiter so“, das nur die Politikverachtung der ganz Rechten schürt. Warum tun wir eigentlich immer so, als würde das Land nicht regiert, wenn Wahlkampf ist? Das ist, rein faktisch, Unsinn. Und am Ende könnte ein Bundestag stehen, der die Vielfalt der Gesellschaft noch ein Stück besser abbildet als der jetzige. Dann gäbe es zwar vielleicht keine festge- fügten Regierungsmehrheiten mehr, aber womög- lich eine lebendige Suche nach Lösungen im Parla- ment. Man könnte auch sagen: eine neue demo- kratische Stabilität. alition schon zu viel Zeit verlo- ren. Sie brauchte ein Dreiviertel- jahr, um ins Amt zu kommen, und redet jetzt schon wieder über ihre Auflösung – zwei Jahre vor dem regulären Ende. Dabei kön- nen wir uns keine Bundesregierung leisten, die nicht mehr die Kraft und den Willen zu wichtigen Entscheidungen aufbringt: Rentenreform, Klima- gesetz, Energiewende, Steuererleichterung, digita- le Infrastruktur, Wohnungsbau – um nur einige zu nennen. Und: Im zweiten Halbjahr 2020 führt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. In dieser entscheidenden Phase für Europa ist eine hand- lungsfähige Bundesregierung unabdingbar. Meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn Sie schon vor dem Ende der ersten Halbzeit nicht mehr in der Lage sind zu Kompromissen für weiter gehende Projekte, dann arbeiten Sie bitte wenigs- tens Ihren Koalitionsvertrag sauber ab. Das ist das Mindeste, was die Bürger und Steuerzahler erwar- ten. Und glauben Sie nicht, dass es nach einer Auflösung des Bundestages und einem erneuten Wahlkampf besser wird. Die Mehrzahl von Ihnen wird bei einer vorgezogenen Neuwahl nicht auf größeren Zuspruch der Wähler hoffen können – im Gegenteil. Und da niemand davon ausgehen kann, dass eine Partei alleine die absolute Mehrheit er- reicht, werden Sie wieder in einer Koalition lan- den, vielleicht sogar mit vier statt wie bisher drei Parteien. Sie werden wieder Kompromisse machen müssen. Nur dass wir dann erneut ein Dreiviertel- jahr verloren haben. Wir können uns diesen Still- stand nicht leisten. Bitte reißen Sie sich zusammen und führen Sie Ihre Arbeit zu Ende. Ich darf auch keine unfertigen Artikel abgeben. Danke! Erst arbeiten CONTRA W ir haben mit dieser Großen Ko- t a v i r P © Daniel Goffart, »Focus« Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 5. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Redaktionsschluss 7. Juni 2019 Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30)2 27-3 05 15 Telefax (0 30)2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Jörg Biallas (jbi) Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH Kurhessenstraße 4 – 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement FAZIT Communication GmbH c/o InTime Media Services GmbH Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@intime-media-services.de Abonnement Jahresabonnement 25,80 €; für Schüler, Studenten und Auszubildende (Nachweis erforderlich) 13,80 € (im Ausland zuzüglich Versandkosten) Alle Preise inkl. 7% MwSt. Kündigung jeweils drei Wochen vor Ablauf des Berechnungszeitraums. Ein kostenloses Probeabonnement für vier Ausgaben kann bei unserer Vertriebsabteilung angefordert werden. 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(IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird ausschließlich Recycling-Papier verwendet. Herr Roth, Malu Dreyer, eine der drei kommissarischen Vorsitzenden der SPD, sagte zu den Vorgängen um den Rückzug von Andrea Nahles, „das geht gar nicht“. Was genau ging denn nicht? Was viele zu Recht empörte, war der offen- kundige Versuch, mit einer Strategie der kleineren und größeren Nadelstiche einen Menschen mürbe zu machen. Aber leider nicht da, wo sachliche Kritik auch hinge- hört, in Gremien oder Vier-Augen-Gesprä- che. Das war ein über Monate hinweg lau- fender Prozess, bei dem einige nicht mit offenem Visier gekämpft haben. Denn je- mandem direkt seine Kritik ins Gesicht zu sagen, hat eine andere Qualität als hinter- rücks geraunte Unterstellungen, begleitet von einer sehr ins Persönliche gehenden öffentlichen Kritik. Aber wir wissen doch alle, dass politi- sche Ränkespiele oder Intrigen nichts Neues sind. Es waren ja keine Konflikte, die sich an In- halten festgemacht haben. Mit denen kann man umgehen. Und es kommt für die SPD etwas hinzu, was sie von anderen Parteien unterscheidet. Für eine Partei, für die Soli- darität der zentrale Grundwert ist, gilt das Zusammenstehen in schwierigen Zeiten als besonders wichtig. Machtpolitische Spiel- chen werden bei anderen Parteien eher als Normalität wahrgenommen. In der SPD muss man einen anderen, menschlicheren Umgang erwarten können. Lässt sich die aktuelle Situation wirk- lich nur mit dem Abschneiden der SPD der Europawahl begründen? Nein, das schwelt ja schon länger. Die SPD hat in den vergangenen Jahren zu oft den Eindruck erweckt, als würde sie an sich sel- ber leiden. Von anderen bemitleidet zu werden, ist in der Politik schlimm, aber noch schlimmer ist es, sich selbst zu be- mitleiden. Aber es geht doch sicher nicht nur um die Psyche der Partei? Nein. Es geht um gesellschaftliche Umbrü- che, dramatische Veränderungen des Wäh- lermilieus. Und es geht um die Große Ko- alition, die wir zwar durch eine Mitglieder- befragung auf ein breites Legitimationsfun- dament gestellt haben. Sie wird aber von nicht wenigen als der Hauptgrund für un- sere derzeitige Schwäche ausgemacht. Die linke Volkspartei SPD hat es mit grundle- genden Bewährungsproben zu tun und wir wissen alle, dass wir mit den üblichen Me- chanismen, mit der üblichen Rhetorik nicht mehr weiter kommen. Aber wir müs- sen uns dem selbstbewusst stellen. Was erwarten Sie nun von dem neu- en Führungstrio der Partei? Die SPD sucht ihren Platz in diesem tan- zenden Parteiensystem. Da ist es wichtig, dass Reformvorschläge, die in den vergan- genen Jahrzehnten aus verschiedenen Gründen von meiner Partei abgelehnt wur- den, unvoreingenommen wieder auf den Tisch kommen: Doppelspitze, Urwahl, völ- lig neue Strukturen. Nötig ist einerseits ein optimistischer, Türen öffnender Aufbruch nach außen. Und wir brauchen Persönlich- keiten, die es schaffen, die Partei im Inne- ren zu versöhnen. »Das große Rad« MICHAEL ROTH Der Europa- politiker fordert von der SPD einen großen Wurf: Mehr Mut zu Grundsatzdebatten könne auch das Profil der Partei schärfen © Michael Farkas Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg finden schon am 1. Septem- ber statt. Viel Zeit bleibt nicht. Ich bin erstmal froh darüber, dass wir uns so schnell wieder gefunden haben. Ich hat- te mit mehr Durcheinander gerechnet. Wir haben uns sowohl in der Fraktion als auch in der Parteispitze auf vernünftige Struktu- ren verständigt, um den Übergang zu ge- stalten. Es gibt ein klares Bekenntnis, dass wir unserer Verantwortung gegenüber Deutschland und Europa gerecht werden, dass die Koalition ihre Hausaufgaben macht. Und es wird niemanden überra- schen oder beunruhigen, dass wir ein paar Wochen oder Monate brauchen, um uns personell und strategisch neu aufzustellen. Wäre eine Mitgliederbefragung zum künftigen Parteivorsitz eine Lösung, um die Basis stärker einzubinden? Es wäre eine große Chance, deutlich zu machen, dass man vor einem Wettbewerb verschiedener Kandidaten und einer brei- ten Beteiligung der Basis keine Angst ha- ben muss. Man kann auch gestärkt daraus hervorgehen, weil die Partei sich in diesem Prozess darauf verständigen kann, was ihr wirklich wichtig ist. Er eröffnet auch allen eine Mitverantwortung. Unsere große Stär- ke ist eine vielfältige und diskussionsfreu- dige Partei – und dies sollten wir nutzen. Den Eintritt in die jetzige Koalition hat die Parteibasis mit großer Skepsis be- gleitet – aus Sorge, dass der interne Er- neuerungsprozess dann nicht funktio- niert. Haben die Skeptiker im Nachhi- nein Recht behalten? Der Erneuerungsprozess hat sich in den Augen vieler Bürger viel zu sehr nach in- nen gerichtet und ist deshalb nicht als Ein- ladung zum Mitmachen verstanden wor- den. Aber es gibt auch keinen Automatis- mus: Weder wird man in Regierungsverant- wortung automatisch schwächer, noch in der Opposition automatisch stärker. Wir sollten ein entspanntes Verhältnis zu dieser Frage entwickeln. Das haben wir derzeit nicht. Ich halte es nach wie vor für mög- lich, dass die SPD auch in der Regierungs- verantwortung stärker wird, wenn sie ein selbstbewussteres Verhältnis zu dem entwi- ckelt, was sie selbst schon alles erfolgreich auf den Weg gebracht hat. Der Mindestlohn und die Rente mit 63 sind in der Bevölkerung durchaus be- liebte Projekte. Ja, aber wir müssen deutlich machen, dass wir über unsere Sozialstaatskonzepte hi- naus den Anspruch haben, gesellschaftspo- litisch, umweltpolitisch, wirtschaftspoli- tisch und europapolitisch zu gestalten. Die SPD ruht ja nicht nur auf einer Säule, das ist vielleicht in den vergangenen Monaten nicht ausreichend wahrgenommen wor- den. Wir müssen endlich wieder junge Leute glaubhaft ansprechen. Nach dem Rücktritt von Andrea Nah- les wurde prompt am Fortbestand der Ko- alition gezweifelt. Für wie wahrschein- lich halten Sie ein vorzeitiges Ende der Großen Koalition? Die Regierungsarbeit ist derzeit nicht ernst- haft bedroht, weil wir uns mit dem Wie- dereintritt in die Große Koalition ja bereits auf eine Überprüfung zur Halbzeit der Wahlperiode verständigt haben. Und die steht auf dem nächsten Parteitag an. Da hat die Partei die Gelegenheit, zu urteilen: Was ist erreicht worden, was eben nicht? Lohnt es sich, das noch einmal zwei Jahre fortzusetzen? Aber man kann nicht ein- fach, wie in der S-Bahn, ein Ticket ziehen, Eintritt in die Große Koalition, und dann steigt man plötzlich wieder aus. Es gibt da- für verfassungsrechtliche Vorgaben. Reicht es in der jetzigen Situation, zu betonen, man wolle den Koalitionsver- trag wie versprochen abarbeiten? Nein. Es gibt ein breites gesellschaftliches Interesse, die großen Fragen der Zeit ohne realpolitische Scheuklappen zu diskutie- ren. Das finde ich großartig! Und wer, wenn nicht die SPD könnte das? Die SPD war immer in ihrer Geschichte eine Partei der Grundsatzdebatten, wo es ums Einge- machte ging: Die Überwindung des Gegen- satzes von Arbeit und Kapital, die Gleich- stellung der Geschlechter, der sozialökolo- gische Umbau der Gesellschaft, die Frie- denspolitik. Da ist immer das große Rad gedreht worden. Vermutlich haben wir in den vergangenen Jahren den Fehler ge- macht, dass wir diese großen Fragen nicht stärker in und mit der Öffentlichkeit disku- tiert haben. Viele meinten, wenn wir mit der Union einen geordneten, kleinteiligen Streit in der Sache führen, dann kann das Profil der SPD gestärkt werden. So ist es aber nicht. Denn solch ein Streit wird von vielen als sehr technisch wahrgenommen. Das Gespräch führte Claudia Heine.T Michael Roth sitzt seit 1998 für die SPD im Bundestag. Er war von 2010 bis 2013 Europapolitischer Sprecher seiner Fraktion und ist seit Dezember 2013 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Aufsteiger: Paul Ziemiak Bei allem Frust ließ sich Paul Ziemiak nicht beirren: Die Gro- ße Koalition müsse „weitermachen, damit Stabilität auch in Deutschland herrscht“. So fiel seine Reaktion direkt nach der Europa-Wahl aus. Trotz des folgenden Orkans bei der SPD sieht er das immer noch genau so, zumal auch seine Partei- chefin Annegret Kramp-Karrenbauer versicherte: „Wir stehen weiter zur Großen Koalition.“ Doch Ziemiak blieb merkwürdig still. Der Grund waren zwischenzeitlich eingetretene private Turbulenzen, die ihn im heimischen Sauerland festhielten – durchaus fröhliche Turbulenzen. Ziemiak wurde zum zweiten Mal Vater. Da ging Familie über Politik. „Meine Familie ist mir hoch und heilig“, bekennt er: „Sie ist meine Kraftquelle. Ich will sie aus allem heraushalten.“ So konnte er denn mit gehörigem Abstand zum Berliner Geschehen registrieren, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die schwierigen Ta- ge durchlebte. Mit dem nötigen Rüstzeug dafür hatte er sie bereits im Oktober des vergangenen Jahres ausgestattet und ihr beim Deutschlandtag der Jungen Union Wollsocken und Friesennerz überreicht – ausdrücklich „für stürmische Zeiten“. Dass er selbst bereits zwei Monate später in der CDU-Parteizentrale bei unruhiger See mit auf der Kommandobrücke stehen würde, hatte niemand damals ahnen können. Wobei ihm seine Vorsitzende AKK schon mal während seiner familienbedingten Abwesenheit einen wichti- gen Stuhl im Steuerhaus reservierte: Volkspartei könne die nur blei- ben, wenn sie den Anschluss an die verschiedenen Lebenswirklich- keiten der Menschen wieder zurückgewinnen könne. Die Federfüh- rung in diesem Gesamtbereich „Beteiligung“ legte sie in Ziemiaks Verantwortung. Damit dreht er auch an Stellschrauben für seine ei- gene Zukunft: Denn dass er noch reichlich mitmischen wird in der Politik, steht außer Frage bei einem, der schon mit 33 Jahren viel erreicht hat. Ohnehin sorgte er früh für entscheidende Weichenstellungen. 2001 trat er in die CDU ein, zwei Jahre zuvor schon in die Junge Union. Seine Frau lernte er mit 18 Jahren kennen. Seine politische Verankerung festigte er 2017, als er über die Landesliste Nord- ..................................................................................................................................................... e c n a i l l a e r u t c i p / a p d »Die Große Koalition muss weitermachen, damit Stabilität auch in Deutschland herrscht.« rhein-Westfalen in den Bundestag einzog. Beim Direktmandat für den Wahlkreis Herne/Bochum hatte Michelle Müntefering die Nase vorn. Wobei es zwei Freunde gibt, die sich gewiss gegenseitig auf der Karriereleiter behilflich sind: Ziemiak und Gesundheitsminister Jens Spahn (39). Unter anderem diese Zwei schafften es, auf dem CDU- Parteitag Ende 2016 einen Beschluss gegen die doppelte Staatsbür- gerschaft durchzusetzen. Zwei Jahre zuvor fand sich in Ziemiaks Bewerbungsrede für den Vorsitz der Jungen Union der Satz: „Wer die Scharia mehr achtet als deutsche Gesetze – da hilft kein Inte- grationskurs, da hilft Gefängnis.“ Seinen größten Kraftakt schaffte Ziemiak eben bei dieser Bewer- bung. In einer Kampfkandidatur setzte er sich mit 63 Prozent durch. In seiner Rede hatte er auch als „Botschaft der Jungen Uni- on“ propagiert: „Egal, wo du geboren wurdest, egal, ob dein Vater studiert hat oder deine Mutter Hausfrau ist, wenn du hart arbei- test, dann kannst du es schaffen.“ Damit spiegelte er zum Teil auch seinen Werdegang in einer polni- schen Aussiedlerfamilie wider: 1988 kam er mit seinem älteren Bruder und seinen Eltern aus Stettin nach Deutschland. Beide wa- ren ausgebildete Ärzte, deren Berufsabschlüsse erst einmal nicht anerkannt wurden. Paul machte Abitur, studierte ohne Abschluss Juristerei, hernach Unternehmenskommunikation – zumindest bis- her ohne Abschluss. Nebenbei arbeitete er als Werkstudent für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Dass er nun die wesentliche Aufgabe bekam, CDU und Lebenswirk- lichkeiten zu verzahnen, dürfte ganz im Interesse des Mannes lie- gen, der als Vormann seiner Jungen Union die Aufgabe zugemes- sen hatte, die CDU „programmatisch voranzutreiben“. Eine andere seiner Vorgaben könnte sich aber auch gegen ihn, den ehe- maligen Vorsitzenden richten. „Stachel im Fleisch“ der CDU soll die Junge Union sein. Das könnte ihn künftig womöglich schmerzhaft piksen. Franz Ludwig Averdunk T