6 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 46 - 11. November 2019 Übelste Beleidigungen. Mord- drohungen wie die zuletzt be- kannt gewordenen gegen die Abgeordneten Claudia Roth, Cem Özdemir (beide Grüne) und Michael Roth (SPD). An- griffe auf Wahlkreisbüros, Angriffe auf Kommunalpolitiker – die fortschreitende Verrohung in der öffentlichen Auseinan- dersetzung sprengt längst alle Grenzen des Erträglichen, nicht erst seit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke im Juni dieses Jahres. Nicht zum ersten Mal debattierte vergange- ne Woche der Bundestag über die Bekämp- fung von Hassreden und Hasskriminalität, diesmal in einer von der Koalition bean- tragten Aktuellen Stunde. Während der AfD dabei aus den Reihen der anderen Fraktionen eine Mitschuld an der Entwick- lung zugemessen wurde, wies diese den Vorwurf zurück, im Lande Hass zu säen. Der Parlamentarische Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU) betonte, die „zahl- reichen schlimmen Äußerungen und zum Teil brutalen Gewaltphantasien“ ließen sich nicht einfach ignorieren; dazu seien „die Auswirkungen auf unser Zusammenle- ben viel zu gefährlich“. Er verwies zugleich auf das vom Bundeskabinett jüngst be- schlossene Maßnahmenpaket zur Bekämp- fung von Rechtsextremismus und Antise- mitismus. Dazu zähle neben einem ver- stärkten Schutz von Kommunalpolitikern auch eine Meldepflicht für soziale Netz- werke. Rechtswidrige Inhalte müssten da- nach zusammen mit der IP-Adresse an das Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet wer- den. Auch werde der Strafrahmen für Belei- digungen im Netz erhöht. Christian Lange (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, betonte, der Terroranschlag in Halle und der Mord an Lübcke seien „die Spitze eines Eisbergs rechtsterroristischer Hasskrimina- lität“. „Rechte Hasskriminalität“ sei aktuell eine der „größten Bedrohungen unserer Si- cherheit“. Ein zentrales Problem seien da- bei „der Hass und die Hetze im Netz“. Die Meinungsfreiheit ende aber „dort, wo das Strafrecht beginnt“. Dies müsse der Rechts- staat auch im Netz durchsetzen. Marc „ganz schlechte Regierungspolitik“, wenn ein „Missstand durch die Symptombekämp- fung sogar noch verschärft“ werde. Genau dies machten die Regierungsparteien aber mit ihrer „Bekämpfung sogenannter Hass- rede“. „Sie schüren erst richtig den Hass und heizen den Zorn an, für den Sie und Ihre Politik verantwortlich sind“, fügte Jon- gen hinzu. Nicht die AfD säe Hass in Deutschland; sie gebe „dem gerechten Zorn im Land einen zivilen, einen parla- mentarischen Ausdruck“. Jongen (AfD) nannte es Respekt angemahnt Manuel Höferlin (FDP) beklagte, es gebe nicht nur im Netz eine „Zunahme enthemmter, emotionali- sierter, verrohter Sprache“. Dabei müssten sich auch die Abgeordneten fragen, ob sie die grundlegenden Umgangsregeln einhal- ten, betonte Höferlin und mahnte, sich mehr mit Sachargumenten zu beschäftigen und einen respektvollen Umgang mitei- nander zu pflegen. Wenn der Bundestag das „Herz der Demokratie in Deutschland“ sei, müssten die Abgeordneten mit gutem Vorbild vorangehen. Gift für die Gesellschaft HASSKRIMINALITÄT Bundestag debattiert über die Verrohung in der öffentlichen Auseinandersetzung Auf einer Demonstration in Berlin hält ein Teilnehmer ein Schild gegen Hass in die Höhe. © picture-alliance/Gregor Fischer/dpa (editiert) Petra Pau (Linke) rief dazu auf, für die De- mokratie nicht nur dann zu kämpfen, „wenn etwas passiert ist“. Vielmehr hande- le es sich um eine Alltagsaufgabe. Hass und Gewalt nähmen dramatisch zu, „im Inter- net und im wahren Leben“. Betroffen seien davon auch Fußball-Schiedsrichter, Journa- listen, Migranten, Obdachlose und andere. Dies sei „besorgniserregend und nicht hin- zunehmen“. Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag würden Hass und Gewalt auch am Rednerpult des Parlaments „ge- predigt“. Auch Irene Mihalic (Grüne) konstatierte, dass sich bereits seit Jahren „der Hass vor allem im Virtuellen, aber auch außerhalb“ ausbreite. Perfiderweise behaupteten dabei „diejenigen, die den Hass kübelweise über andere Menschen auskippen“, immer wie- der, „in Deutschland dürfe man ja nichts mehr sagen“, unterstrich Mihalic und fügte hinzu: „Aber Hass ist keine Meinung“. Sie betonte zugleich, die „Fraktionen des Ver- fassungsbogens“ von der Linken bis zur CDU/CSU seien zweifellos politische Geg- ner mit völlig unterschiedlichen politi- schen Konzepten, aber „eben keine Fein- de“. Dagegen denke die AfD nur „in Kate- gorien der Feindschaft“; ihr „natürlicher Bündnispartner“ sei „der Hass“. Uli Grötsch (SPD), der gegen ihn gerichte- te Morddrohungen zitierte, sagte, solche Angriffe fielen nicht vom Himmel: „Hass- kriminalität kommt eindeutig von rechts, und die AfD bereitet nicht nur den Nähr- boden – Hass ist ihr Geschäftsmodell.“ Er kündigte zugleich an, dass die Regierungs- koalition ihr „Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus sehr zügig in Gesetzes- form gießen“ werde. Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken werde sie konse- quent strafrechtlich verfolgen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) be- tonte, die Meinungsfreiheit habe gegen- über dem Staat uneingeschränkt Gültig- keit, doch werde sie aus anderer Richtung bedroht: „Shitstorms und Mobbing, Belei- digung, massive Drohungen, Hass und Hetze“ in den sozialen Medien zielten da- rauf, andere einzuschüchtern. Um die Meinungsfreiheit zu sichern, brauche es ein „gezieltes Vorgehen gegen solche Hass- und Hetzrede“, fügte Winkelmeier-Becker hinzu. Helmut Stoltenberg T Schutz für Homosexuelle VERFASSUNG Ergänzung des Grundgesetzes gefordert „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, sei- nes Glaubens, seiner religiösen oder politi- schen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ – so steht es in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. FDP, Linke und Grüne wollen diesen Satz um das Merkmal der sexuellen Identität ergän- zen. Obgleich sich die rechtliche Situation von Lesben, Schwulen und Bisexuellen stark verbessert habe, stoße die Lebensfüh- rung etwa von Homosexuellen noch im- mer auf Vorbehalte, was sich in rechtlicher und sozialer Diskriminierung niederschla- ge, schreiben die drei Fraktionen in einem gemeinsamen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (19/13132), über den der Bundestag vergangene Woche in erster Lesung debattierte. Ulle Schauws (Grüne) betonte dabei, bei der Verfassungsergänzung gehe es nicht um Symbolpolitik, sondern um den Abbau rechtlicher Nachteile. Jens Brandenburg (FDP) warb dafür, den Schutz der sexuel- len Identität „im Wortlaut des Grundgeset- zes“ zu garantieren. Doris Achelwilm (Lin- ke) forderte, „Gleichheitsgrundsätze so ver- bindlich wie möglich“ zu machen. Karl-Heinz Brunner (SPD) nannte es nötig, diese Grundgesetzänderung durchzufüh- ren“, dazu aber „den großen gesellschaftli- chen und parlamentarischen Konsens her- beizuführen“. Volker Ullrich (CSU) warb dafür, über den Vorstoß intensiv zu beraten mit „offenem Ergebnis“. Fabian Jacobi (AfD) bewertete den Vorstoß als überflüssig. Eine Bedrohung Homose- xueller gehe in Deutschland heute „wohl kaum“ vom Staat aus. sto T Anerkennung der Soldaten SPORT »Invictus Games« sollen in Deutschland stattfinden Der Bundestag steht mit breiter Mehrheit hinter der Ankündigung der Bundesregie- rung, die „Invictus Games“, eine paralym- pische Sportveranstaltung für kriegsver- sehrte Soldaten, nach Deutschland holen zu wollen. Einem dies unterstützenden An- trag der Koalition (19/8262) stimmte ver- gangenen Freitag lediglich die Linksfrakti- on nicht zu. Andre Hahn (Die Linke) be- gründete dies damit, dass in Frage zu stel- len sei, ob es tatsächlich um die versehrten Menschen gehe „oder nicht doch eher um die Nutzung des Sports und der Sportler zur Rechtfertigung von Kriegen als Mittel der Politik“. Verteidigungs-Staatssekretär Peter Tauber (CDU) befand hingegen, die Spiele nach Deutschland zu holen, sei ein starkes Sig- nal für die Anerkennung und Wertschät- zung der Soldaten. Die letzten „Invictus Games“ fanden 2018 im australischen Sydney statt. An den Wett- kämpfen nahmen rund 500 versehrte Sol- datinnen und Soldaten aus 18 Staaten – unter anderem Afghanistan, Irak, USA, Großbritannien und Deutschland – teil. Bei den Wettkämpfen geht es nicht nur um sportliche Höchstleistungen in den zwölf Disziplinen, sondern um eine stärkere An- erkennung, wechselseitige Wertschätzung sowie um das soziale Miteinander. Die nächsten „Invictus Games“ sollen 2020 im niederländischen Den Haag stattfinden. Deutschland könnte die Gastgeberrolle im Jahr 2022 übernehmen. Als Ausrichterstadt ist Düsseldorf im Gespräch. hau T Streit um Veröffentlichung PETITIONEN AfD kritisiert »schwammige Ablehnungsgründe« Die AfD findet mit ihrer Forderung nach „verbindlichen Regelungen für öffentliche Petitionen“ keine Unterstützung bei den anderen Fraktionen. Während der ersten Debatte über einen Antrag seiner Fraktion (19/14762) sagte Johannes Huber (AfD), die in der existierenden Richtlinie zu fin- denden „schwammigen Ablehnungsgrün- de“ für die Veröffentlichung einer Petition müssten durch klar definierte ersetzt wer- den. Derzeit könne die Veröffentlichung abgelehnt werden, wenn diese „geeignet er- scheint, den sozialen Frieden, die interna- tionalen Beziehungen oder den interkultu- rellen Dialog zu belasten“. Unbestimmte Rechtsbegriffe dürften aber keine Rechtfer- tigung für den weitreichenden Eingriff in das Petitionsrecht sein, befand Huber. Es gebe schon klare Regelungen, ob Peti- tionen öffentlich oder nicht-öffentlich be- raten werden, entgegnete Gero Storjohann (CDU). In strittigen Fällen werde das unter den Obleuten geklärt. Manfred Todtenhau- sen (FDP) kündigte die Ablehnung des An- trags an. Das Petitionsrecht sei kostbar. „Wir werden es nicht zulassen, dass mit politischen Kampagnen auf dem Grund- recht der Bürger herumgetrampelt wird.“ Matthias Bartke (SPD) sagte, die bestehen- den Regelungen seien durchdacht und würden die Bürger ernst nehmen. „Sie ge- währleisten allerdings nicht, dass jede völ- kische Initiative der AfD eine Bühne be- kommt.“ Friedrich Straetmanns (Linke) warf der AfD vor, Hetzkampagnen über den Petitionsausschuss führen zu wollen. Corinna Rüffer (Grüne) sagte, die AfD wol- le die Regeln des politischen Anstands und Respekts, an dem es ihr fehle, aus den Richtlinien streichen. Götz Hausding T Der Fall Miri und die Folgen Schmerzhafter Rückblick Unter Bekannten ASYL Koalition dringt auf sichere EU-Außengrenzen FALL AMRI Ausschuss hört Berliner Polizistin BERATERAFFÄRE Ausschuss spürt Beziehungsgeflecht nach »Die Bamf- Entscheidung zeigt die Handlungs- fähigkeit des Rechtsstaates.« Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister Der Bundestag hat am Freitag über Konse- quenzen aus dem Fall des nach seiner Ab- schiebung illegal wieder nach Deutschland eingereisten Mitglieds des libanesischen Miri-Clans debattiert. Der unter anderem wegen bandenmäßigen Drogenhandels verurteilte Ibrahim Miri war im Juli in den Libanon abgeschoben worden. Im Oktober erschien er wieder in Deutschland, stellte einen Asylantrag und wurde festgenommen. In der Debatte begrüßte Bundesinnenminister Horst (CSU) die Ent- Seehofer scheidung des Bundesamtes für Migration und Flücht- linge (Bamf), Miris Asylan- trag als offensichtlich unbe- gründet abzulehnen. Dass Miri, der Oberhaupt eines „libanesischen Verbrecher- clans“ sei, gegen die Ent- scheidung des Bamf und den Vollzug Rechtsmittel einlegen kön- ne, zeichne den Rechtsstaat aus, fügte der Ressortchef hinzu. Er verwies zugleich darauf, dass er als eine Konsequenz aus dem Fall die Bundespoli- zei angewiesen habe, an allen deutschen Grenzen die Kontrollen massiv zu ver- schärfen. Solange die EU nicht die Außen- grenzen wirksam schützen könne, müssten diese Binnengrenzkontrollen erfolgen. Ei- ne weitere Konsequenz sei, Menschen mit einer Einreisesperre direkt an der Grenze sofortigen Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper zurückzuweisen. Kämen solche Menschen dennoch ins Land und beantragen Asyl, müssten sie für die Zeit des Asylverfahrens in Haft genommen werden. Eva Högl (SPD) unterstützte für ihre Frak- tion Seehofer „darin, jetzt die deutschen Grenzen besser zu kontrollieren“. Die offe- nen Binnengrenzen seien wertvoll, aber nur zu bewahren, „wenn wir endlich siche- re EU-Außengrenzen krie- gen“. Auch Thorsten Frei (CDU) betonte, ohne ei- nen starken Außengrenz- schutz brauche man den Schutz der Binnengrenzen. Marco Buschmann (FDP) kritisierte, trotz eines An- stiegs der Zahl Ausreise- pflichtiger sei die Zahl der Abschiebungen gesunken. Dies zeige, dass etwas nicht stimme bei der Durchset- zung des Rechtsstaates. Bernd (AfD) monierte, dass „über ein Drittel aller mühsam Abgeschobenen“ gleich wieder zurückkämen. Solange See- hofer die Grenzen nicht schütze, könne er „die Verbrecher nicht wirksam draußen halten“. Friedrich Straetmanns (Linke) verwies da- rauf, dass Miri angebe, den Asylantrag ge- stellt zu haben, weil ihm im Libanon Ge- fahr für Leib und Leben drohe. Selbstver- ständlich müssten die Miri „drohenden Gefahren in einem rechtsstaatlichen Ver- fahren sorgfältig geprüft werden“. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) bekräftigte, dass der Rechtsstaat auch für seine Feinde gelte. Der Fall Miris eigne sich „weder für populistische Grenz- kontrollen noch für populistische Asylde- batten“. sto T Baumann „Schmerzhaft“ findet sie die Sache noch immer: „Ich war der Meinung, dass alles seinen korrekten Gang geht. Ich bin aus al- len Wolken gefallen, als sich herausstellte, dass das nicht so war.“ Auf den Teil ihrer Ausbildung, den sie im Staatsschutzkom- missariat 541 des Berliner Landeskriminal- amts verbrachte, blickt Oberkommissarin A. B. mit gemischten Gefühlen zurück. Das Kommissariat 541 ist zuständig für die Abwehr radikalislamischer Bestre- bungen. Als sie dort im April 2016 als Probezeit- Beamtin anfing, erzählte die heute 38-Jährige in der vorigen Woche dem Amri- Untersuchungsausschuss, habe sie zu hören bekom- men, sie werde wohl den Großteil ihrer Arbeitszeit einem einzigen Fall zu widmen haben. Einem Ty- pen, der die Berliner Poli- zei seit Wochen beschäftig- te, einem gewissen Anis Amri. Das Büro, berichtete die Zeugin weiter, ha- be sie mit dem damaligen Kriminalober- kommissar L. geteilt, der ihr als „Bärenfüh- rer“ zugeordnet gewesen sei, als Mentor, dessen Aufgabe es war, die Berufsanfänge- rin in den Polizeialltag zu begleiten. Ge- meinsam mit zwei weiteren Kollegen habe L. die Ermittlungen gegen Amri federfüh- rend betreut. Sie habe ihm zuarbeiten sol- len. Hauptsächlich sei sie damit beschäftigt ge- wesen, Übersetzungen abgehörter Telefo- nate Amris auszuwerten. Der spätere Breit- scheidplatz-Attentäter wurde überwacht, weil den Behörden in Nordrhein-Westfalen seit Ende 2015 Hinweise vorlagen, er plane einen Anschlag. In Berlin allerdings beka- men die Lauscher zwar jede Menge Details über Amris florierende Drogengeschäfte mit, aber nicht mehr die leiseste Andeu- tung terroristischer Absichten. Dabei habe an Amris islamistischer Gesin- nung, so A.B., kein Zweifel bestanden. Nur sei nicht mehr erkennbar gewesen, dass von ihm eine unmittelbare Gefahr ausging. In einem Krisengespräch mit dem zustän- digen Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg habe dieser angeregt, man möge doch einmal die Erkenntnisse über Amris Drogenaktivitä- ten möglichst eindrucksvoll zusammenfassen. Vielleicht ließ sich mit einer neuen Begründung die richterliche Genehmigung erwirken, den Mann weiter abzuhö- ren: „Es wäre uns immer lieb gewesen, ihn von der Straße zu bekommen.“ Also verfasste die Zeugin ei- nen zehnseitigen Bericht, in dem von „banden- und gewerbsmäßigem“ Drogenhandel die Rede war. Kollege L. ha- be daraus eine Strafanzeige destillieren und weiterleiten wollen. Erst viele Monate später habe sie erfahren, dass dies nicht ge- schehen war. Stattdessen war ihr Bericht vier Wochen nach dem Attentat in einer Fassung, in der Amri nur noch als Klein- dealer erschien, zum Staatsanwalt gekom- men. Der Fall geriet zum Polizeiskandal, weil der Eindruck entstand, es habe nach- träglich vertuscht werden sollen, dass man den späteren Attentäter rechtzeitig aus dem Verkehr hätte ziehen können. Für A.B. ein persönlicher Kummer: „Es ist schmerzhaft, dass mein Bericht so, wie ich ihn geschrie- ben habe, nicht zur Staatsanwaltschaft ge- langt ist.“ Winfried Dolderer T es gab Mit seinem Erinnerungsvermögen tat sich Björn Seibert, bis vor kurzem Chef des Lei- tungsstabs im Bundesverteidigungsministe- rium (BMVg), schwer. Aber bei seiner Zeu- genvernehmung vergangene Woche im Un- tersuchungsausschuss des Verteidigungs- ausschusses hatte er noch gut die „große Betroffenheit“ im Kopf, mit der 2018 die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf die Kritik des Bundesrechnungs- hofs an der Auftragserteilung an externe Berater reagierte. Sein Gefühl: „Innerhalb der Leitung keinerlei Kenntnis über Vergaberechts- verstöße.“ Über diesen Befund wird sich seine damalige Che- fin nicht grämen. Sie ist auch seine neue Chefin: Er arbeitet im Team der gewählten EU- Kommissionspräsidentin. Insbesondere die Rechnungs- hof-Berichte über Rechts- und Regelverstöße bei Vergaben waren Anlass für die Untersu- chung der Abgeordneten. Ein Aspekt ihrer Arbeit: Sie wollen einen Überblick bekom- men über persönliche Kennverhältnisse. Von der Leyen hatte 2014 Katrin Suder als Staatssekretärin ins BMVg geholt. Die war bis dahin Berliner Bürochefin der Unter- nehmensberatung McKinsey. Suder sollte den Rüstungsbereich auf Vordermann bringen. Zur Unterstützung wurde der Job eines Beauftragten für die strategische Steuerung der Rüstung geschaffen. Für den bewarb sich erfolgreich Gundbert Scherf. Wegen seiner fachlichen Qualifikation sei er von Suder gefragt worden, versicherte Scherf bei seiner Zeugenvernehmung. Bei- de kannten sich beruflich gut nach jahre- langer Zusammenarbeit bei McKinsey. »Innerhalb der Leitung gab es keinerlei Kenntnis über Vergaberechts- verstöße.« Björn Seibert, Ex-Chef des BMVg-Leitungsstabes Um leitende Mitarbeiter von Ministerium und Beschaffungsamt auf die neue Aus- richtung des Rüstungsgeschäfts einzustim- men, wurden zwei große Veranstaltungen geplant. Scherf wollte sie nach eigenem Be- kunden erst selbst in Szene setzen. Schlau sei das nicht, wurde ihm wohl gesagt: Sei er doch die verkörperte Veränderung. Also fragte er bei einem Motivationsfachmann an, der mit einer ähnli- chen Veranstaltung schon beim Auswärtigen Amt erfolgreich war: Oli- ver Triebel von der Fir- ma LEAD. Man kannte sich als einstige McKin- sey-Kollegen. Scherf kannte auch Timo Noetzel, Repräsentant des Beratungsunterneh- mens Accenture, das ei- nen Auftrag nach einer vom Bundesrechnungs- hof gerügten Vergabe be- kommen hatte. Scherf war als einer der Paten dabei, als Noetzel im September 2016 zur Taufe seiner fünf Kinder eingeladen hatte. Ein anderer Pate: General Erhard Bühler, damals Abteilungsleiter Planung im Minis- terium. Unter den Gästen: Katrin Suder. Ende 2016 schied Scherf wieder aus und ergatterte eine Anstellung bei seinem alten Arbeitgeber McKinsey. Derweil arbeitete sich bei der bundeseigenen BWI GmbH, dem IT-Dienstleister der Bundeswehr, Ul- rich Meister als Geschäftsführer ein – wohl ein Duz-Bekannter Suders. Er wurde später freigestellt. Aufsichtsratsmitglied Klaus-Hardy Mühleck ging es um eine frei- händige Auftragsvergabe an die Firma Orp- hoz, einer hundertprozentigen Tochter von McKinsey. Franz Ludwig Averdunk T Laut »Ich war der Meinung, dass alles seinen korrekten Gang geht.« Oberkommissarin A.B.