10 EUROPA UND DIE WELT Das Parlament - Nr. 4-5 - 21. Januar 2019 Immerhin einer ist zufrieden in die- sen chaotischen Tagen: Der ehema- lige britische Premierminister und Urheber des Brexits, David Came- ron, ließ vergangene Woche in der BBC verlauten, er bereue nicht, das Referendum zum EU-Ausstieg Großbritan- niens ausgerufen zu haben. Er habe damit ein Wahlversprechen eingelöst und dafür auch den Rückhalt des Parlaments gehabt. Cameron kann es leicht nehmen, er muss sich um die Folgen nicht kümmern. Den Neujahrsurlaub verbrachte der Ex-Staats- chef, von allen politischen Ämtern und Pflichten befreit, in einem Luxusresort auf Costa Rica. Seine Nachfolgerin Theresa May kämpft unterdessen an allen Fronten. Das von ihr mit der EU ausgehandelte Austrittsabkom- men fiel vergangene Woche im Unterhaus krachend durch. Ein Misstrauensvotum ge- gen sie – das zweite binnen weniger Wo- chen – überstand sie nur knapp. Zehn Wochen, bevor die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens endet, sind damit auch letzte Klarheiten beseitigt. Wird es doch noch einen geordneten Brexit geben? Oder verlässt Großbritannien am 29. März ohne Abkommen die EU mit all den Konse- quenzen für Wirtschaft und Verbraucher? Wird es einen Aufschub geben für weitere Verhandlungen oder doch Neuwahlen oder ein zweites Referendum? Allerorten herrscht Ratlosigkeit – und in der EU wächst die Verzweiflung. „Bitte bitte bitte, sagt uns endlich, was Ihr wollt“, flehte EVP-Fraktionschef Manfed Weber (CSU) die Briten bei einer Debatte im Europäi- schen Parlament regelrecht an. Wenige Ta- ge zuvor hatten mehr als hundert EU-Ab- geordnete in einem emotionalen Brief an die Inselbewohner appelliert, den Brexit noch einmal zu überdenken. Das aber ist für May keine Option. Diesen Montag will die Premierministerin darle- gen, wie ein geordneter EU-Austritt doch noch gelingen soll. Am 29. Januar sollen die Abgeordneten in London über diesen Plan B erneut abstimmen. Parallel dazu wird laut einem Bericht der „Times“ in Brüssel überlegt, den Brexit auf 2020 zu verschieben. Auch eine mögliche zeitliche Befristung der in Großbritannien beson- ders strittigen Notfalllösung in der Nordir- land-Frage bis 2025 oder 2027 wird hinter den Kulissen diskutiert. Nur eines will die EU auf keinem Fall: das bereits fertig ver- handelte Austrittsabkommen wieder auf- schnüren. »Keine Spielchen mehr» Dafür gibt es auch im Bundestag keine Mehrheit, ob- wohl die Abgeordneten einen harten Brexit für immer wahrscheinlicher halten. So be- tonte Katja Leikert (CDU) vergangenen Donnerstag im Plenum, ihre Fraktion sei nicht bereit zu substanziellen Veränderun- gen am Abkommen, denn das sei schon „ein sehr guter Deal“. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich an- stelle von Nachverhandlungen für ein zweites Referendum über das Abkommen aus. „Die Briten haben jetzt die Chance, über einen konkreten Brexit abzustim- men“, betonte sie. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) forderte das Vereinigte Königreich auf, klar zu sagen, welche Lösung es anstrebe. „Die Zeit der Spielchen, die ist jetzt ist vorbei, der Ball liegt im Feld Großbritanniens“, er- klärte er. Die EU sei zwar bereit, sich den von May angekündigten Plan B für das weitere Vorgehen genau anzuschauen. „Kaum vorstellbar“ sei allerdings, dass der In der Sackgasse BREXIT Das britische Unterhaus will am 29. Januar über Plan B von Theresa May abstimmen. Bundesregierung und EU bereiten sich unterdessen verstärkt auf einen harten Brexit vor Quo vadis, Großbritannien? Das fragen sich viele Beobachter, nachdem das Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich im Londoner Unterhaus gescheitert ist. © picture-alliance/imageBROKER/Collage: Stephan Roters ausgehandelte Brexit-Vertrag „noch einmal aufgeschnürt wird“. Hingegen wollen AfD und Linke stärker auf die Briten zugehen. Martin Hebner (AfD) warf EU und Bundesregierung vor, eine „schmutzige Scheidung“ zu forcieren, um andere Mitgliedstaaten abzuhalten, dem Beispiel des Vereinigten Königreichs zu folgen. Dabei sei die EU-Bürokratie nicht alternativlos. „Neu verhandeln ist jetzt die Devise“, ur- teilte Diether Dehm (Die Linke). Einen knallharten Brexit mit dem Ziel „andere Völker abzuschrecken und auf EU-Linie zu bringen“ dürfe es nicht geben. Mit einer solchen „Konzernherren-Manier“ drohe die „undemokratische und kapitalliberale EU restlos gegen die Wand zu fahren“. Mehrheit für Übergangsgesetz Am Ende der Debatte nahm der Bundestag gegen die Stimmen der AfD das von der Bundesregie- rung Brexit-Übergangsgesetz vorgelegte (19/5313, 19/7087) an. Im Falle eines ge- regelten Ausstiegs soll europäisches Recht danach für eine vereinbarte Übergangsfrist bis Ende 2020 weiter auch für Großbritan- nien gelten. Das Land bliebe praktisch EU- Mitglied, hätte aber keine Mitbestim- mungsrechte mehr. Weil ein entsprechen- der Passus schon im Austrittsabkommen verankert ist, attestierten Experten dem Ge- setz in einer öffentlichen Anhörung des Europaauschusses eher „deklaratorischen“ Charakter. Konkrete und weitergehende Regelungen treffe es nicht. Weil es ohne Austrittsabkommen ohnehin nie in Kraft treten wird, bezeichnete Ale- xander Graf Lambsdorff (FDP) es als „völ- lig obsolet“. Er warf der Bundesregierung vor, so zu tun, als hätte das britische Un- terhaus dem Deal zugestimmt, was nicht der Fall sei. „Sie müssen endlich Ihre Vo- gel-Strauß-Politik beenden“, forderte der Liberale. Es gelte, schnellstmöglich Vorkeh- rungen für einen harten Brexit zu treffen. Bereiche wie Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit seien bis- her nicht geregelt. Ein entsprechender Ent- schließungsantrag der Fraktion (19/7090) fand im Bundestag jedoch keine Mehrheit. Maas versicherte den Abgeordneten hinge- gen, die Bundesregierung intensiviere ihre Planungen für einen ungeregelten Brexit. „Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet.“ Zugleich schloss er eine Fristverlängerung für die Brexit-Verhandlungen nicht aus. Vo- raussetzung dafür sei aber eine klare Per- spektive von britischer Seite. Sollte Großbritannien den Austrittstermin verschieben wollen, müsste dies begründet und von den 27 verbleibenden EU-Staaten einstimmig genehmigt werden, erklärte jüngst ein Sprecher der EU-Kommission. Doch auch dort stellt man sich bereits auf den Worst Case ein: Zur Vorbereitung auf ein mögliches Chaos Ende März schickt sie nun Berater auf eine Tour in alle EU- Hauptstädte. Johanna Metz T AUS PLENUM UND AUSSCHÜSSEN Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt MENSCHENRECHTE I Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) wirbt für die Rati- fizierung des Fakultativprotokolls zum UN-So- zialpakt. Die darin vorgesehene Möglichkeit der Individualbeschwerde sei ein „gutes Ver- fahren für Bürger in Ländern, in denen der Rechtsstaat nicht gut funktioniert“, sagte der stellvertretende Direktor des Instituts, Michael Windfuhr, am Mittwoch im Ausschuss für Men- schenrechte und humanitäre Hilfe. Aber auch in Ländern mit „guten Rechtswegen“ böte das Verfahren für den Einzelnen die Einklagbarkeit wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte auf Ebene der Vereinten Na- tionen. Windfuhr machte deutlich, dass dies aus seiner Sicht nicht einen unverhält- nismäßigen Eingriff in die Souveränität von Staaten be- deute. Bisher seien dem UN- Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 19 Individualbe- schwerden vorgetragen worden, 17 davon sei- en verhandelt und nur drei davon überhaupt als zulässig anerkannt worden. In einem dieser Fälle sei es um eine Familie in Spanien gegan- gen, die infolge einer Räumungsklage ihre Mietwohnung verlassen musste, im Anschluss aus Sicht des UN-Ausschusses von kommuna- len Behörden in Madrid dann aber unverhält- nismäßig behandelt wurde: Der Vater sei in ei- ner Obdachlosenunterkunft untergebracht worden, die Mutter und die Kinder hingegen in einem Frauenhaus. Der Ausschuss habe hier keine politischen Vorgaben zu machen, wie die Behörden konkret zu verfahren hätten, aller- dings die Schlussfolgerung gezogen: Die Auf- spaltung der Familie sei aus menschenrechtli- cher Sicht in diesem konkreten Fall ein „zu ge- ringer Standard“, erklärte Windfuhr. Nach seinen Angaben wurde das Zusatzproto- koll zum Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 2008 von der UN-Generalversamm- lung verabschiedet, 2013 sei es in Kraft getreten. Bisher hätten 24 Staaten das Über- einkommen ratifiziert, in wei- teren 24 Staaten stehe die Ra- tifizierung an. Die Bundesre- gierung hatte im Dezember 2018 angekündigt, das Zu- satzprotokoll wie im Koaliti- onsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbart ebenfalls zu ratifizieren. Empfehlungen, die in der Vergangenheit vom UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Bezug auf Deutschland angesprochen wurden, berührten beispielswei- se Studiengebühren, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder das Streik- recht von Beamten in Deutschland. 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht vier Verfas- sungsbeschwerden zu diesem Streikverbot zu- rückgewiesen. ahe T »Ein Verfahren für Länder, in denen der Rechtsstaat nicht funk- tioniert.« Michael Windfuhr, Deutsches Institiut für Menschenrechte Uiguren in Bedrängnis »Die Inhaf- tierten werden ohne ange- messene Ver- fahrensrechte festgehalten.« Human Right Watch MENSCHENRECHTE II Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist mit ihrem Antrag (19/5544) zu schweren Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen Provinz Xinjiang gescheitert. Die Vorlage wurde in der vergangenen Woche im Menschenrechtsausschuss von den Fraktio- nen von CDUS/CSU und SPD und AfD abgelehnt bei Zustimmung der FDP- Fraktion und Enthaltung der Fraktion Die Linke. Nach den Vorstellungen der Grünen sollte die Bundesregierung die chinesische Regierung auffordern, „die willkürlichen Massenfestnahmen von An- gehörigen der Minderheiten der Uiguren, Uigurinnen so- wie der Kasachen und Kasa- chinnen unverzüglich einzu- stellen, alle Lager und Haft- einrichtungen zu schließen und die inhaftierten Personen sofort und bedingungslos freizulassen“. Die Er- richtung und insbesondere die gesetzliche Legi- timierung von „politischen Umerziehungsla- gern“ in Xinjiang seien besorgniserregend“. Mittlerweile sei Schätzungen zufolge ein Zehn- tel der uigurischen Bevölkerung der Provinz in Lagern inhaftiert. Der Menschenrechtsorganisa- tion Human Rights Watch zufolge komme es dort zu einer politischen und kulturellen Umer- ziehung der Inhaftierten. Unter dem Vorwand gegen „religiöse Extremisten“ vorzugehen, würden muslimische Minderheiten in Xinjiang mit der Han-chinesischen Mehrheitskultur in- doktriniert, schreiben die Grünen in ihrem An- trag. Nach einer Plenardebatte zur Lage der Uiguren November vergangenen Jahres hatte der chine- sische Botschafter in Berlin in einer Demarche den Bundestag angegriffen. Aus der Fraktion der Grünen hieß es im Aus- schuss vergangenene Woche, dass es kein „Wegducken“ geben dürfe bei diesem Versuch Chinas, Druck auszuüben. Alle anderen Fraktionen wiesen den chinesischen Versuch, Ein- fluss auf die Debatten im Bun- destag zu nehmen unisono zu- rück. Union und AfD kritisier- ten aber, dass der Antrag vor allem auf die Lage der Uiguren abziele, nicht aber auf die Lage anderer Minderheiten wie Christen und Tibeter. Ein Ver- treter der Unionsfraktion be- zeichnte die Reaktion des chi- nesischen als „völlig unangemessen“ - die- ser habe dem frei gewählten Abgeordneten im Bundestag nicht vorzugeben, womit sie sich befassen. Ein Vertreter der SPD-Fraktion beton- te, dass die problematische staatliche Daten- nutzung zur Kontrolle von Menschen wie sie in China praktiziert würde zunehmend ins Zen- trum der Menschenrechtspolitik rücke. Die Linksfraktion argumentierte, dass einige Forde- rungen der Grünen, wie etwa die nach der Schließung sämtlicher Hafteinrichtungen, zu weit gehen würden. Die FDP-Fraktion schließ- lich wies darauf hin, dass die Bundesländer – entgegen einer Formulierung im Grünenantrag – bereits heute Uiguren nicht nach China ab- schieben würden. ahe T Botschafters Beherzter Griff in den Werkzeugkasten DEUTSCH-FRANZÖSISCHE BEZIEHUNGEN Mehrheit der Abgeordneten lobt neuen Freundschaftsvertrag. Unterzeichung des Parlamentsabkommens wird verschoben Genau 56 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrages wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron am Dienstag in Aachen feierlich einen neuen Freundschaftspakt, den „Aachener Vertrag“, besiegeln (siehe Stichwort). Das Abkom- men soll die Zusammenarbeit beider Län- der in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Kul- tur und Technologie vertiefen und Bürgern und Unternehmen konkrete Verbesserun- gen bringen. Deutsche Unternehmen etwa klagen häufig über bürokratische Hürden bei Geschäften mit Frankreich. Der neue Pakt soll die Grundlage für einen „deutsch- französischen Wirtschaftsraum“ legen und so den Handel zwischen beiden Staatem erleichtern. Nach den Worten von Außen- minister Heiko Maas (SPD) hat das Werk aber auch eine europäische Dimension. So gehe es darum, gemeinsam „für ein starkes, handlungsfähiges Europa“ und eine friedli- che Welt einzutreten. »Für alle offen« In einer Aktuellen Stunde auf Verlangen der AfD, in der diese Sonderwege“ be- „deutsch-französische klagte, stellten sich am vergangenen Don- nerstag die meisten Fraktionen hinter den Vertrag und eine damit verbundene Vertie- fung der europäischen Integration. So er- Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper klärte Jürgen Hardt (CDU), in Aachen wer- de ein weiteres Kapitel der deutsch-franzö- sischen Beziehungen aufgeschlagen – als „Impulsgeber für die Weiterentwicklung der EU“. Der Pakt verpflichte Deutschland und Frankreich, die Einheit Europas zu för- dern, und dieses Projekt stehe selbstver- ständlich allen Mitgliedstaaten offen. Michael Georg Link (FDP) stellte ebenfalls klar, das Abkommen sei „ausdrücklich ver- bunden mit der Einladung an alle anderen EU-Staaten“. Wenn das ein Sonderweg sei, „dann wünsche ich mir mehr davon“, sagte er in Richtung der AfD. Der wirklich zu be- klagende Sonderweg sei der Austritt Groß- britanniens aus der EU. „Konstruktionsfeh- ler eines Hauses lassen sich nicht dadurch beheben, dass man auszieht, sondern in- dem man zum Werkzeugkasten greift“, be- tonte Link. „Und das tun Deutschland und Frankreich.“ Angelika Glöckner (SPD) sagte, die vertief- te Zusammenarbeit beider Länder sei im- mer ein Motor für die Europäische Union gewesen. Klimaschutz, globaler Wettbe- werb, Bewältigung des digitalen Wandels, Europas Sicherheit – all diese Herausforde- rungen seien nur eingebettet in eine starke Gemeinschaft zu bewältigen. „Wer dieses Abkommen ablehnt, spielt mit dem Wohl heutiger und künftiger Generationen.“ Angst vor »Super-EU« AfD-Fraktionschef Alexander Gauland äußerte hingegen die Befürchtung, mit dem Aachener Vertrag solle eine „Super-EU in der EU“ geschaffen werden. Eine solche deutsch-französische Sonderstellung aber werde beide Länder von den anderen Europäern entfremden und damit jenen europäischen Gedanken torpedieren, den Merkel und Macron stets so innig beschwören würden. Darüber hinaus monierte er, dass der In- halt des Paktes der Öffentlichkeit bisher vorenthalten werde: „Entweder die Sache ist so belanglos, dass man die Bürger nicht damit traktieren will, oder es gehört inzwi- schen einfach zum Stil der Regierung, dem Volk gegenüber Diskretion zu wahren.“ Auf Nachfrage von „Das Parlament“ erklär- te die Bundesregierung allerdings, dass der Vertrag am Vorabend der Unterzeichung vollumfänglich veröffentlicht werden soll. Kritisch sieht auch die Linksfraktion das Vertragswerk – ihrer Ansicht nach gibt es nicht die richtigen Antworten auf die tiefe Krise der EU. Statt den sozialen Spaltungen in Europa etwas entgegenzusetzen, gehe es um eine Sicherheitspartnerschaft, Aufrüs- tung und militärische Auslandseinsätze, konstatierte Alexander Ulrich. Die von Deutschland und Frankreich beanspruchte Führungsrolle dürfte zudem zu weiteren Spaltungen in der EU führen. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grü- nen) bezeichnetee es als „unverzeihlich“, dass die Bundesregierung eine gemeinsa- men Resolution von Bundestag und fran- > STICHWOR T Der Elysée-Vertrag und sein Nachfolger > Ziel 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und Frankreichs Präsident Charles de Gaulle unterzeichnet, schuf er die Voraussetzung dafür, dass die früheren Weltkriegs-Feinde die wichtigsten Partner in der EU wurden. Auf seiner Grundla- ge wurden deutsch-französische Gipfel und Ministertreffen eingeführt und das Deutsch-Französische Jugendwerk geschaf- fen, das bisher rund neun Millionen jungen Menschen Aus- tauschprogramme im Nachbarland ermöglichte. > Neuauflage Die Idee dafür brachte Frankreichs Präsident Em- manuel Frankreich Macron (Foto) im September 2017 bei sei- ner Europa-Rede in der Pariser Sorbonne-Universität ins Spiel. In der Erklärung von Meseberg im Juni vergangenen Jahres verständigten sich beide Länder dann darauf, bis Ende 2018 ei- nen neuen Vertrag auszuarbeiten. Parallel begannen die Parla- mente mit den Arbeiten an einem Parlamentsabkommen. a p d / e c n a i l l a - e r u t c i p © zösischer Assemblée nationale ignoriert habe: „Harmonisierung der Unterneh- mensteuer, gemeinsamer Vorschlag für eine CO2-Bepreisung, soziale Standards. Nichts davon findet sich wieder in diesem Aache- ner Vertrag.“ Wie andere Abgeordnete kritisierte auch Brantner, dass die Bundesregierung die Pla- nung, das parallel zum Aachener Vertrag ausgehandelte Deutsch-französische Parla- mentsabkommen am selben Tag zu unter- zeichnen, rustikal beiseitegeschoben habe. „Wir hatten den 22. Januar für die Parla- mente vorgesehen. Und dann kommt kurzfristig die Regierung und sagt: Macht mal Platz, da kommen jetzt wir“, empörte sie sich. Irritationen im Bundestag Der Vorgang hatte im Bundestag für heftige Irritationen gesorgt. Seit Monaten war der 22. Januar von Bundestagspräsident Wolfgang Schäu- ble (CDU) als Präsenztag für die Abgeord- neten gesetzt, feierlich wollten sie in Berlin ihren Pakt mit der Assemblée nationale verabschieden. Als klar wurde, dass Merkel und Macron am selben Tag den Aachener Vertrag besiegeln, sagte Schäuble den Ter- min verärgert ab. Die Parlamentarische Ge- schäftsführerin der Grünen, Britta Haßel- mann, sprach von einem „Affront“ gegen- über dem Parlament, FDP-Fraktionsge- schäftsführer Marco Buschmann von „or- ganisatorischer Schlamperei“. Seit Herbst vergangenen Jahres hätte der Regierung be- kannt sein müssen, dass der Bundestag mit dem 22. Januar plane, schrieben beide in einem Schreiben an das Kanzleramt. Die Abstimmung über das Parlamentsab- kommen soll nun voraussichtlich im März mit der Debatte über die Ratifizierung des neuen Freundschaftsvertrages verbunden werden. Einen wesentlichen Aspekt des Parlaments- pakts hatte Schäuble bereits im November 2018 in Paris vorgestellt – die deutsch-fran- zösische parlamentarische Versammlung. Sie soll laut Entwurf (19/6220) jeweils 50 Abgeordnete aus dem Bundestag und der französischen Nationalversammlung umfassen und mindestens zweimal im Jahr öffentlich tagen. Jede Fraktion des Bundes- tages und der Assemblée nationale soll über mindestens einen Sitz verfügen, so- dass die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben. Gesetzgeberische Befugnisse oder gar eine Budgethoheit wird das Mini-Parla- ment nicht haben. Es geht vor allem da- rum, mehr Konvergenz zwischen deut- schem und französischem Recht zu schaf- fen. Das ist besonders bei EU-Richtlinien wichtig, bei deren nationaler Umsetzung die Parlamente Freiräume haben. Außerdem soll die Versammlung interna- tionale und europäische Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse begleiten. „Die gemeinsame parlamentarische Bera- tung soll in unseren Parlamenten selbstver- ständlich werden“, schrieben Schäuble und Ferrand Mitte November in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel. Mehr politi- sche Entscheidungen sollten gleichzeitig miteinander abgestimmt und – wenn mög- lich – gleichlautend getroffen werden. Bei- de sind überzeugt: „Nur so kommt Europa voran.“ Johanna Metz T