Das Parlament - Nr. 51 - 16. Dezember 2019 INNENPOLITIK 5 K örperverletzung, Vergewalti- gung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Stalking, Frei- heitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution – mehr als 114.000 Frauen sind im vergangenen Jahr Opfer von Ge- walt geworden. 122 wurden von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet. Alarmie- rend nannte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die Zahlen des Bundeskriminalamtes, als sie diese anläss- lich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen im November vorstellte. Gleich- zeitig ging die Ministerin in die Offensive, kündigte die neue Kampagne „Stärker als Gewalt“ an, um Hilfsangebote bekannter zu machen. Auch für einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einem Frauenhaus und mehr Geld sprach sich Giffey aus, um die Zahl der Frauenhausplätze zu erhöhen. Der Opposition reicht das nicht. In einer Debatte am Donnerstag zu drei Anträgen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP (19/15380; 19/15379; 19/15770) für ei- nen besseren Schutz von Frauen vor Ge- walt forderte Ulle Schauws (Grüne), der Gewaltschutz müsse „besser und dauer- haft“ finanziert werden. Dass die Ministe- rin 30 Millionen Euro investive Mittel ein- setzen wolle, sei zu begrüßen. „Aber da geht mehr!“, so Schauws. Wenn eine Frau Zuflucht in einem Frauenhaus suche, dürfe dies nicht länger an der Finanzierung oder „am Platzangebot, Wohnort oder am Sta- tus der Betroffenen“ scheitern. Daher schlage ihre Fraktion einen Rechtsanspruch für alle Frauen auf eine Geldleistung vor – für den Aufenthalt in einem Frauenhaus oder in einer vergleichbaren Schutzeinrich- tung. So entstehe der nötige Druck, um den Ausbau der Frauenhäuser in den Län- dern voranzutreiben. Finanzieren solle die Unterbringung zu 100 Prozent der Bund, forderte Schauws. Istanbul-Konvention Einem Rechtsan- spruch gegenüber zeigte sich Nicole Bauer (FDP) zwar skeptisch. Doch auch sie warf der Bundesregierung Versagen vor ange- sichts der wachsenden Zahl von angezeig- ten Straftaten gegen Frauen. Aktuell werde „jeden zweiten Tag“ eine Frau, die Schutz in einem Frauenhaus suche, abgewiesen. „Die Bundesregierung kommt ihrer Aufga- be bei der Umsetzung der Istanbul-Kon- vention nicht nach“, kritisierte Bauer. Das „Istanbul-Konvention“ genannte Abkom- men des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gilt in Deutschland seit Februar 2018. Damit hat sich die Bundes- regierung verpflichtet, Frauen zu schützen, Gewalt zu bekämpfen und zu bestrafen. Trotzdem sei Deutschland im Hinblick auf Frauenhäuser „massiv unterversorgt“, so Bauer. Es fehle zudem eine „ganzheitliche Strategie“ zur Bekämpfung von Gewalt ge- gen Frauen, „inklusive Koordinierung, Mo- nitoring und Präventionsarbeit“. Sylvia Pantel (CDU) wies den Vorwurf der Untätigkeit zurück. Mit einem bundeswei- ten Hilfetelefon, Strafrechtsverschärfungen in Bezug auf sexuelle Übergriffe oder der Einführung von Traumaambulanzen sowie der Finanzierung von diskreten Spurensi- cherungen bei Misshandlungen und sexu- eller Gewalt durch die Krankenkassen stün- de ein Bündel von Maßnahmen gegen Ge- Verzicht auf Nachtsitzungen ÄLTESTENRAT Um Mitarbeiter der Bun- destagsverwaltung, aber auch die Abgeord- neten etwas zu entlasten, soll in Zukunft auf Nachtsitzungen des Parlaments soweit wie möglich verzichtet werden. Dazu wer- den in den Plenarwochen mehrere Debat- ten vom Donnerstag auf den Mittwoch vorverlegt. Zugleich wird die Fragestunde mittwochs von bisher 90 auf 60 Minuten verkürzt. Debatten, die bisher mit 38 Mi- nuten veranschlagt waren, sollen künftig nur noch 30 Minuten dauern, wobei alle Fraktionen eine reduzierte Redezeit hin- nehmen müssen. Die den Tagesordnungs- punkt aufsetzende Fraktion erhält jedoch jeweils eine Minute mehr Redezeit. Weil im Ältestenrat wegen Bedenken der AfD kein Einvernehmen über diese Ände- rungen hergestellt werden konnte, musste vergangene Woche das Plenum darüber ab- stimmen. Alle Fraktionen außer der AfD votierten für den veränderten Ablauf, der damit erstmals in der zurückliegenden Sit- zungswoche so praktiziert wurde. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, wandte sich gegen eine Kürzung der Debattenzeit. In der Folge werde auch über wichtige Vor- lagen künftig nur noch relativ kurz debat- tiert, das sei nicht im Interesse der Bürger, argumentierte er. Sein Amtskollege von der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), erinnerte hingegen an Parlaments- sitzungen, die bis in den frühen Morgen hinein gedauert hätten. Dies sei insbeson- dere für die Mitarbeiter des Hauses, darun- ter die Stenografen, ein unhaltbarer Zu- stand. Deshalb werde das nunmehr been- det. Der Verzicht auf Nachtsitzungen ist aber auch eine Reaktion auf Schwächean- fälle von zwei Abgeordneten in jüngster Zeit, die deutlich machten, wie anstren- gend die Sitzungswochen sind. pk T Zeit zu handeln GEWALTOPFER Mehr als 114.000 Frauen wurden 2018 Opfer von Gewalt. Die Initiativen der Regierung reichen der Opposition nicht aus. Vergangene Woche debattierte der Bundestag über drei Anträge von Grünen und FDP Familienministerin Giffey bei der Vorstellung der Kampagne „Stärker als Gewalt“ Ende November in Berlin © picture-alliance/dpa walt bereit. Dass die Zahl der Straftaten er- neut gestiegen sei, könne aber auch daran liegen, dass Frauen weniger Scheu hätten, Straftaten anzuzeigen. Um den Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen voranzutreiben, werde der Bund in den nächsten vier Jahren insge- samt 120 Millionen Euro bereitstellen. 800.000 Euro stünden zudem für die Ein- richtung einer unabhängigen Monitoring- stelle im Bundeshaushalt bereit, betonte Gülistan Yüksel (SPD). Dies sei nur durch „den unermüdlichen Einsatz“ ihrer Frakti- on möglich gewesen. Die Stelle solle die Maßnahmen der Gewaltbekämpfung und des Gewaltschutzes überwachen und gege- benenfalls Verbesserungen vorschlagen, er- läuterte die Sozialdemokratin. Mariana Harder-Kühnel (AfD) monierte, all das nütze nichts gegen die Ursachen von Gewalt gegen Frauen. Man müsse das „Problem bei der Wurzel“ packen und ein Klima schaffen, in dem nicht immer mehr Frauen überhaupt Schutz in Frauenhäu- sern suchen müssten. Mit ihrer Politik, hielt Harder-Kühnel der Bundesregierung vor, geschehe das Gegenteil: „Es ist Ihre Po- litik der grenzenlosen Migration, die mil- lionenfach archaische Vorstellungen nach Deutschland gebracht hat.“ Die Folgen könne man, so Kühnel, an den Zahlen ab- lesen: Gegen Frauen gerichtete Gewalt wer- de „stark überproportional von Migranten begangen“. Dem widersprach Cornelia Möhring (Die Linke): Die Täter seien „Männer aus allen Berufen, Einkommensgruppen, aller Bil- dungshintergründe und Nationalitäten“. Aber auch sie betonte, Deutschland sei im europäischen Vergleich tatsächlich ein „überdurchschnittlich gefährliches Land“ für Frauen. Der Grund sei ein „massives strukturelles Problem mit Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft“, so Möh- ring. Dazu gehöre etwa, wenn Richter in Strafverfahren Eifersucht „strafmil- dernd“ werteten oder Journalisten über Morde an Frauen verharmlosend als „Fa- milientragödie“ berichteten. Die Abgeord- nete forderte angesichts des „krassen Pro- blems“ mehr ressortübergreifendes Han- deln von Seiten der Bundesregierung und eine schnellere Umsetzung der Istanbul- Konvention. Sandra Schmid T als Alle wollen den Bericht WOHNUNGSLOS Regierung plant bundesweite Statistik Gerade in Großstädten wie Berlin ist es nicht mehr zu übersehen: Mitten in der Stadt, unter U-Bahn-Viadukten und ande- ren Brücken, nimmt die Zahl der Men- schen zu, die dort zelten oder sich ander- weitig zum Schlafen niederlassen. Wie vie- le es in Deutschland tatsächlich sind, be- ruht bisher meist auf Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslo- senhilfe. Nach deren aktuellsten Zahlen waren im Jahr 2018 knapp 680.000 Men- schen ohne Wohnung (440.000 davon wa- ren anerkannte Geflüchtete). Gegenüber 2017 ist dies ein Anstieg um 4,2 Prozent. Auf der Straße zu sehen ist nur die Spitze des Eisbergs, denn die meisten Menschen leben in Notunterkünften (vor allem Ge- flüchtete) oder kommen übergangsweise bei Freunden und Bekannten unter. Die Bundesregierung hat nun einen Ge- setzentwurf (19/15651) zur Einführung ei- ner bundesweiten Statistik vorgelegt. Die Grünen waren damit aber offensichtlich unzufrieden und legten deshalb einen ei- genen Antrag (19/15783) vor, da aus ihrer Sicht die geplante Berichterstattung weite Kreise der Wohnungslosen gar nicht erfas- sen würde. Die Grünen fordern außerdem, den Bericht um ein nationales Aktionspro- gramm zur Bewältigung der Wohnungslo- sigkeit zu ergänzen. In der Debatte über diese zwei Initiativen am vergangenen Freitag herrschte große Ei- nigkeit darüber, dass Deutschland endlich eine regelmäßige und genaue Berichterstat- tung brauche. Daniela Kolbe (SPD) sagte, „wenn wir über Wohnungslose reden, liegt noch viel im Dunkeln, aber wir bringen mit dem Bericht ein wenig Licht in das Dunkel“. Frank Heinrich (CDU) zeigte sich „dankbar, dass der aktuelle Armutsbericht der Bundesregierung sich verstärkt mit dem Thema beschäftigt“, aber er basiere eben auf Schätzungen. Uwe Witt (AfD) be- tonte: „Völkerrechtlich trägt der Staat die Verantwortung für die Umsetzung des Menschenrechts auf Wohnen“, deshalb brauche es jetzt zeitnah verlässliche Daten. Pascal Kober (FDP) forderte, über eine ver- fehlte Baupolitik zu reden, die dazu ge- führt habe, dass eine Million Wohnungen fehlen. Deswegen sollte die Mietpreisbrem- se abgeschafft werden, so Kober. Caren Lay (Linke) betonte, der Bericht sei nur ein ers- ter Schritt, nötig seien mehr Sozialwoh- nungen und ein stärkerer Mieterschutz. Wolfgang (Grüne) nannte es auffällig, dass Deutschland zwar alles Mögliche statistisch erfasse, aber aus- gerechnet bei Daten über extreme Armut und extremen Reichtum eine große Lücke herrsche. che T Strengmann-Kuhn Lob für die Tafeln AKTUELLE STUNDE Streit über Ursachen von Altersarmut Es war eine Zahl, die für Aufsehen sorgte: „Die Zahl der Rentner unter den Tafelkun- den ist innerhalb eines Jahres um 20 Pro- zent auf 430.000 gestiegen.“ Das sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Ta- feln in Deutschland, Jochen Brühl, vor ei- ner Woche. Der Verband vertritt mehr als 940 Tafeln, die in Deutschland arme Men- schen mit kostenlosen Lebensmitteln ver- sorgen. Im vergangenen Jahr waren es ins- gesamt 1,6 Millionen Menschen. Die Linke nahm diese Erklärung zum An- lass, eine Aktuelle Stunde zum Thema Al- tersarmut zu beantragen. Quer durch alle Fraktionen wurde darin auch die Arbeit der Tafeln gelobt. Ansonsten herrschte je- doch wenig Einigkeit beim Thema Armuts- bekämpfung. Die FDP warf der SPD wie- derholt vor, „hartherzig“ zu sein, Die Linke attestierte der Union eine Blockadehaltung und die Grünen attackierten die AfD, sie argumentiere doppelzüngig. Susanne Ferschl (Die Linke) kritisierte den Anstieg prekärer Arbeit in Deutschland. „Aber wer ein Leben lang unter zwölf Euro Stundenlohn gearbeitet hat, der muss im Alter aufs Amt“, sagte Ferschl. Sie forderte die Union auf, ihre Verweigerungshaltung in Sachen Mindestlohn zu beenden. Peter Weiß (CDU) betonte, nur drei Pro- zent der Rentner seien auf Grundsicherung angewiesen. Das zeige die Leistungsfähig- keit der Rentenversicherung. Die wichtigere Frage sei, wie man die Löcher stopfe, die dadurch entstünden, dass viele nie Renten- beiträge gezahlt haben, wie zum Beispiel viele Selbständige. Hier werde die Koaliti- on bald handeln, kündigte Weiß an. Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) sagte, der Niedriglohnsektor sei ein strukturelles Pro- blem, denn „aus niedrigen Löhnen werden später niedrige Renten“. Sie kritisierte au- ßerdem die Belastung der Rentenversiche- rung mit beitragsfremden Leistungen: „Das ist Geld, mit dem Altersarmut gemildert werden könnte, wenn es die Rentenversi- cherung denn hätte.“ Ralf Kapschack (SPD) rechnete vor, dass 60 Prozent der Menschen, die Anspruch auf Grundsicherung im Alter hätten, die- sen gar nicht einlösen. „Armut beginnt nicht erst mit dem Bezug von Grundsiche- rung. Wenn man sich keinen Kinobesuch mehr leisten kann, führt das zu einem Ge- fühl der Ausgrenzung“, sagte er. Pascal Kober (FDP) betonte, seine Fraktion strebe einen Freibetrag von 20 Prozent für die Anrechnung der Rente in der Grundsi- cherung im Alter an. Doch diesem Vor- schlag wie auch höheren Hinzuverdienst- grenzen bei Hartz IV verweigere sich die SPD. Das sei hartherzig, so Kober. Es könne doch nicht ernsthaft die Empfeh- lung sein, im Alter weiter zu arbeiten, um Armut zu verhindern, warf Markus Kurth (Grüne) der FDP vor. Die AfD wiederum mache einerseits Stimmung gegen die Ta- rifbindung, während sie andererseits vorge- be, für bessere Löhne zu streiten, kritisierte Kurth. che T Kindeswohl im Zentrum Gerechtere Verteilung RECHT Stiefkindadoptionen in nichtehelichen Familien GESUNDHEIT Finanzausgleich der Kassen wird reformiert Über die Neuregelung der Stiefkindadopti- on hat der Bundestag in der vergangenen Woche in erster Lesung debattiert. Anlass war ein Gesetzentwurf (19/15618) der Bundesregierung zur Umsetzung einer Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien sowie ein Antrag (19/15772) der FDP-Fraktion zugunsten der gemeinsamen Adoption für nichteheli- che Paare. Nach der Entscheidung der Verfassungs- richter verstößt die bisherige Regelung ge- gen das Grundgesetz, weil sie Stiefkinder in nichtehelichen Familien gegenüber Stiefkindern in ehelichen Familien ohne Grund benachteilige. Der Gesetzgeber muss daher bis zum 31. März 2020 eine Neuregelung treffen. Dem Entwurf zufolge sollen die Vorschriften über die Stiefkind- > S TI C HW O R T Stiefkindadoptionen > Verfassung Das Bundesverfassungsge- richt fordert in einem Urteil eine gesetz- liche Neuregelung bis März 2020. Seiner Ansicht nach benachteiligen die jetzigen Adoptionsregeln Stiefkinder in nichtehe- lichen Familien. > Gesetzentwurf Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf (19/15618) vorgelegt, um die Vorgaben aus Karlsru- he umzusetzen. > Kritik Sowohl Grüne, Linke, FDP als auch SPD wünschen sich Erleichterun- gen für unverheiratete Paare auch bei der Adoption eines fremden Kindes. adoption in ehelichen Familien nun auch auf Partner in einer verfestigten Lebensge- meinschaft in einem gemeinsamen Haus- halt angewendet werden. Die FDP fordert die Bundesregierung in ih- rem Antrag unter anderem auf, einen Ent- wurf zur Änderung des Bürgerlichen Ge- setzbuches vorzulegen, der nichteheliche Lebensgemeinschaften und Ehen bei der Adoption eines Kindes gleichstellt. Aus Sicht der FDP ist es nicht mehr zeitgemäß, die gemeinsame Adoptionsmöglichkeit für Paare an das Kriterium des Bestehens einer Ehe anzuknüpfen. Dies betreffe über Stief- kindadoptionen hinaus auch die gemein- same Adoption fremder Kinder. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bilde die unterschiedlichen Lebenswirk- lichkeiten in Deutschland ab, betonte da- gegen Thorsten Frei (CDU) in der Debatte. Sonja Amalie Steffen (SPD) lobte den Ent- wurf, „weil er einem modernen Familien- recht der Weg ebnet“. Im Laufe des Gesetz- gebungsverfahrens sei aber auch eine große Lösung mit der Volladoption für verfestigte Lebensgemeinschaften möglich, so die Hoffnung von Steffen. Katrin Helling-Plahr (FDP) warf der Koalition vor, nur das Min- deste zu tun und ein antiquiertes Familien- bild zu vertreten. „Warum ermöglichen Sie unverheirateten Paaren nicht auch, ein fremdes Kind zu adoptieren?“, fragte sie. Fabian Jacobi (AfD) bezeichnete den Re- gierungsentwurf zustimmungsfähig, schloss aber Änderungen im weiteren Ver- fahren nicht aus. Katja Dörner (Grüne) kri- tisierte die Initiative der Regierung als zu zaghaft, weil er an „Fremdkindadoptio- nen“ nichts ändere. Gökay Akbulut (Linke) kritisierte, dass das Adoptionsrecht insge- samt immer noch ehezentriert sei. „Das muss sich grundlegend ändern“, forderte sie. Michael Wojtek T als Der äußerst komplexe Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, einst als „lernendes System“ angelegt, wird erneut nachjustiert. Der sogenannte Risi- kostrukturausgleich (RSA) soll mit der Re- form zielgenauer und weniger anfällig für Manipulationen werden. Über den Gesetz- entwurf der Bundesregierung (19/15662) beriet der Bundestag vergangene Woche in erster Lesung. Seit 2009 berücksichtigt der 1994 einge- führte Finanzausgleich auch die jeweiligen Krankheiten (Morbidität) der Versicherten, denn manche Kassen haben besonders vie- le kranke Mitglieder. Der Morbi-RSA soll einen auf Risikoselektion ausgerichteten Wettbewerb der Kassen zulasten der Versi- cherten verhindern. Für Versicherte mit be- stimmten Krankheiten erhalten die Kassen höhere Zuweisungen aus dem Gesund- heitsfonds als für gesunde Versicherte. Risikopool Nun wird der RSA weiterentwi- ckelt. Durch eine Regionalkomponente sollen Über- und Unterdeckungen abge- baut und eine Marktkonzentration von Kassen verhindert werden. Künftig soll auch das ganze Krankheitsspektrum (bis- her 50 bis 80 Krankheiten) im RSA berück- sichtigt werden. Für sehr kostspielige Fälle wird ein Risiko- pool eingerichtet. So sollen Kassen für je- den Leistungsfall, der über 100.000 Euro pro Jahr hinausgeht, 80 Prozent der Ausga- ben erstattet bekommen. Die Prävention wird durch eine Vorsorge- pauschale gestärkt. Kassen sollen einen An- reiz erhalten, dafür zu sorgen, dass ihre Versicherten die Präventionsangebote auch in Anspruch nehmen. Mit einer versicher- tenindividuellen von Arzneimittelrabatten sollen zudem Über- und Unterdeckungen vermieden werden. Berücksichtigung Mit der Novelle sollen auch Versuche von Kassen unterbunden werden, die Diagno- sen der Ärzte mit Blick auf den Morbi-RSA zu beeinflussen. In der Vergangenheit hat- ten Berichte über den Einfluss von Kran- kenkassen auf die Kodierung der Diagno- sen ihrer Versicherten für Aufsehen gesorgt. Dieses Problem soll nun systematisch an- gegangen werden. Wenn sich Diagnoseko- dierungen bei bestimmten Krankheiten auffällig erhöhen, sollen die Kassen dafür keine Zuweisungen mehr bekommen. Zu- dem soll das Bundesversicherungsamt (BVA) mehr Prüfkompetenzen erhalten mit einer Umkehr der Beweislast und rück- wirkend ab 2013. Neu eingerichtet wird ei- ne Transparenzstelle für Selektivverträge der Krankenkassen, also für Verträge zwi- schen einer Kasse und einzelnen Leistungs- erbringern. Karin Maag (CDU) sagte, der Finanzaus- gleich müsse zielgenauer werden. Mit der Reform würden die Zuweisungen genauer und damit auch gerechter verteilt. Mit der Manipulationsbremse werde sichergestellt, dass es sich für Kassen nicht lohne, Ärzte ausschließlich für die Dokumentation von Diagnosen zu bezahlen. Sabine Dittmar (SPD) versprach, die teilweise umstrittenen Änderungen würden sehr genau auf ihre Wirkungen hin geprüft. Christine Aschen- berg-Dugnus (FDP) begrüßte die Reform und kritisierte, dass mit dem „Upcoding“ Fehlanreize gesetzt würden. Achim Kessler (Linke) rügte, Versicherte müssten Brillen und Zahnersatz überwiegend selbst zahlen, während fragwürdige Leistungen wie die Homöopathie aus den Beiträgen finanziert würden. Maria Klein-Schmeink (Grüne), erklärte, die Finanzreform sei überfällig. Weniger Vorfreude zeigte Robby Schlund (AfD), der von einem „Sammelsurium ver- schiedener Stellschrauben“ sprach. pk T KURZ NOTIERT FDP will mehr soziale Sicherheit für Selbständige Der Bundestag hat in der vergangenen Woche einen Antrag (19/15232) der FDP-Fraktion für eine bessere soziale Ab- sicherung von Selbständigen zur weite- ren Beratung an die Ausschüsse über- wiesen. Die Liberalen verlangen eine Re- form des Statusfeststellungsverfahrens in der Rentenversicherung. Ferner sollen Selbständige in eine allgemeine Pflicht zur Altersvorsorge einbezogen werden, dabei jedoch die Form ihrer Vorsorge selbst wählen können. In der gesetzli- chen Krankenversicherung müsse es endlich faire Beiträge für Selbständige geben, und die Arbeitslosenversicherung müsse für sie weiter geöffnet werden, schreibt die FDP. Die Linke fordert eine stärkere Tarifbindung Einen Antrag (19/15776) der Linken zur Tarifbindung hat der Bundestag an die Ausschüsse überwiesen. Darin fordert die Fraktion, die Allgemeinverbindlicher- klärung von Tarifverträgen zu erleich- tern, indem ein Antrag auch alleine von einer der beteiligten Tarifvertragspartei- en gestellt werden und im Tarifausschuss nur noch mit Mehrheit abgelehnt wer- den kann. Die Bundesregierung solle ei- nen entsprechenden Gesetzentwurf vor- legen, verlangt Die Linke. che T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper