Das Parlament - Nr. 12-13 - 16. März 2020 INNENPOLITIK 5 Flüchtlinge abschrecken INNERES Die AfD-Fraktion stößt mit ihrem Antrag „Grenzen sichern“ (19/17780) auf Ablehnung bei den anderen Fraktionen des Bundestages. Das wurde während der ersten Beratung des Antrags in der vergan- genen Woche deutlich. In dem Antrag be- zieht sich die AfD auf die jüngsten Vor- kommnisse an der griechisch-türkischen Grenze und fordert die Bundesregierung unter anderem auf, Griechenland und Bul- garien stärker darin zu unterstützen, illega- le Grenzübertritte zu verhindern. Unter Migranten solle zudem die Botschaft ver- breitet werden, dass keine illegale Einwan- derung über die Bundesgrenze mehr zuge- lassen werde. Gottfried Curio (AfD) sagte unter Verweis auf die Flüchtlinge vor der griechischen Grenze: „Niemand steckt irgendwo fest. Al- le können in ihre Heimatregionen zurück.“ Wenn 13.000 Menschen an dieser Grenze schlimm seien, dann gelte dies erst recht für die deutsche Grenze, so Curio. Armin Schuster (CDU) erwiderte: „Ja, die europäische Außengrenze unter Stress, aber sie steht.“ Die Bundesregierung tue alles dafür, damit Europa funktioniere, deshalb werde es keinen deutschen Allein- gang in der Flüchtlingsfrage geben. Uli Grötsch (SPD) warf der AfD vor, ein Zerrbild von den europäischen Grenzen zu zeichnen. „Frontex verzeichnet 92 Prozent weniger illegale Grenzübertritte seit 2015. Aber Fakten interessieren Sie ja nicht.“ Linda Teuteberg (FDP) kritisierte Union und SPD dafür, es seit 2015 nicht geschafft zu haben, das europäische Asylsystem zu reformieren und die europäische Grenz- schutzagentur Frontex auszubauen. André Hahn (Die Linke) verwies darauf, dass auf Lesbos ein rechtsextremer Mob die Insel terrorisiere, während tausende Flücht- linge in menschenunwürdigen Zuständen lebten. „Wir dürfen davor nicht länger die Augen verschließen“, appellierte er. Annalena Baerbock kritisierte, dass die EU ihre Versprechen gegenüber Griechenland nicht eingehalten habe. „Kontingente von 2016 von den griechischen Inseln haben nicht mehr stattgefunden. Das ist Teil die- ses Problems der heutigen Tage“, sagte die Grünen-Vorsitzende. che T steht KURZ NOTIERT Grüne fordern umfangreiches Recht auf Homeoffice Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen for- dert in einem Antrag (19/13077) ein Recht auf Homeoffice. Das von ihnen ge- forderte Gesetz soll festlegen, dass das Homeoffice immer alternierend als Er- gänzung zum festen Arbeitsplatz ist, da- mit die Beschäftigten weiterhin in die Ar- beitsabläufe eingebunden sind. Arbeit- geber sollen mobiles Arbeiten auch ab- lehnen können, wenn „nachvollziehba- re“ Gründe dagegen sprechen. Für Be- schäftigte im Homeoffice sollen Arbeits- schutz- und Arbeitszeitgesetze ebenso gelten, die Erreichbarkeit soll mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit gere- gelt werden. Der Antrag wurde in der vergangenen Woche zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Unterrichtungen zum Bundesteilhabegesetz Der Bundestag hat in der vergangenen Woche zwei Unterrichtungen (19/16470; 19/6929) der Bundesregierung zu Ergeb- nissen der Maßnahmen nach Artikel 25 des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Mit den Unterrichtungen kommt die Bundesregierung ihrer Be- richtspflicht zur Umsetzung des BTHG nach. Aus den Berichten geht unter an- derem hervor, dass die Zahl der Men- schen mit Behinderungen, die Leistun- gen der Eingliederungshilfe (EGH) bezie- hen, von 2016 auf 2017 um ein Prozent und von 2017 auf 2018 um drei Prozent gestiegen ist. Regeln für Sozialversicherung werden angepasst Die Bundesregierung hat einen Entwurf (19/17586) eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialge- setzbuch (SGB IV) und anderer Gesetze vorgelegt. Der Entwurf wurde vergange- ne Woche an die Ausschüsse überwie- sen. Das SGB IV enthält gemeinsame Re- gelungen für die Sozialversicherung, die regelmäßig angepasst werden müssen. Ziel des Gesetzes ist es, Verfahren zu ver- bessern, Berufskrankheitenrecht fortzuentwickeln, Lücken im Leistungs- recht zu schließen und das Dienstord- nungsrecht (DO-Recht) Anfang 2023 zu schließen. Außerdem soll im Rahmen ei- nes Modellprojektes bei den Kranken- kassen die Einführung von Online-Wah- len bei den Sozialversicherungswahlen im Jahr 2023 erprobt werden. che T das Die Fußball-Bundesliga, hier der Borussiapark in Gladbach, musste ohne Zuschauer im Stadion auskommen. © picture-alliance/dpa CORONAVIRUS Der Krisenfall erfordert harte Einschnitte Die Pandemie Die Coronakrise dringt im- Bundeskanzlerin fällige Branchen fließen. Die USA verkün- deten völlig überraschend und nicht abge- stimmt mit der EU einen auf 30 Tage be- fristeten Einreisestopp für Europäer. Ausge- nommen sind aus unbekannten Gründen Großbritannien und Irland. Die Börsen knickten darauf in den USA und Europa erneut massiv ein. Parlament betroffen Auch der Bundestag blieb nicht verschont von dem unbekann- ten Keim. Ein Abgeordneter wurde positiv getestet, seine Mitarbeiter begaben sich in häusliche Quarantäne. Es gibt einige weite- re Verdachtsfälle. Der Sitzungsbetrieb ging unterdessen weiter, auch die nächste Sit- zungswoche Ende März soll planmäßig stattfinden, sofern keine völlig neue Lage entsteht. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) machte in einem Brief an die Parlamentarier deutlich: „Als Abgeord- nete stehen wir in besonderer Pflicht zum verantwortungsvollen Umgang mit der Kri- se und zu besonnenem Handeln.“ Er fügte hinzu: „Neben den notwendigen Maßnah- men zum Gesundheitsschutz ist oberstes Gebot, die Handlungsfähigkeit des Verfas- sungsorgans zu erhalten.“ Um dem Coronavirus im Getümmel keine guten Gelegenheiten zu geben, werden na- mentliche Abstimmung räumlich und zeit- lich gestreckt. Veranstaltungen des Bundes- tages mit Publikumsbeteiligung und Besu- che angemeldeter Gruppen werden bis En- de April abgesagt. Reichstagskuppel und Dachterrasse bleiben bis auf Weiteres ge- sperrt. Dienst- und Delegationsreisen sol- len auf das nötige Maß begrenzt werden. „Die anhaltend dynamische Entwicklung macht es notwendig, die Lage täglich neu zu bewerten“, befand Schäuble. Tatsächlich weiß niemand, wie sich die Krise weiter entwickeln wird. Mit Hochdruck wird in- ternational an Arzneimitteln und an einem Impfstoff geforscht. Claus Peter Kosfeld T Wirtschaftshilfe Zur Stützung von Wirt- schaft und Arbeit beschloss die Koalition verstärkte Investitionen des Bundes und Er- leichterungen beim Kurzarbeitergeld (siehe Beitrag rechts). Außerdem sollen Liquidi- tätshilfen für Firmen ermöglicht werden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Unser Ziel ist, dass möglichst keine Unter- nehmen in Deutschland in Insolvenz gera- ten und möglichst kein Arbeitsplatz verlo- ren gehen soll.“ Die Regierung verkündete ein unbegrenztes Kreditprogramm. Die Folgen für die Wirtschaft waren am Freitag auch Thema im Bundestag, wo Redner das historische Ausmaß der Krise hervorhoben. Mit einem Hilfsfonds über 25 Milliarden Euro stemmt sich auch die EU gegen die Viruskrise. Das Geld soll in konjunkturan- > ST I C HW O R T Empfehlungen in der Coronakrise > Mobilität Verzicht auf Reisen in Risiko- gebiete. In Großstädten den ÖPNV mei- den. Über Gesundheitsrisiken in einzel- nen Ländern informiert das Auswärtige Amt im Internet. > Versammlungen Größere Veranstal- tungen meiden. Dienstliche Meetings be- grenzen. Möglichkeit für Homeoffice nut- zen. > Hygiene Hände mit Seife waschen. Hus- ten, niesen in die Armbeuge. Auf Umar- mungen und Handschlag verzichten. Staat allein könne die Krise nicht bewälti- gen, nötig sei Solidarität. Ähnlich äußerte sich Angela Merkel (CDU), die Skeptiker der neuen Vorschrif- ten in die Schranken wies: „Es ist eben nicht egal, was wir tun, es ist nicht vergeb- lich, es ist nicht umsonst.“ In dieser Krise würden Solidarität, Vernunft und Herz auf die Probe gestellt. „Ich wünsche mir, dass wir diese Probe bestehen.“ Älteren Leuten ab 60 Jahren wird geraten, sich gegen Pneumokokken zu impfen, um eine Infek- tion der Lunge mit Viren und Bakterien zu verhindern. Eindämmen Während die Regierung in Italien mit drastischen Mitteln wie landes- weiten Reisebeschränkungen, geschlosse- nen öffentlichen Einrichtungen und Ge- schäften sowie strikten Quarantänevor- schriften gegensteuert, setzt Deutschland auf ein regional abgestuftes Vorgehen. Spahn machte erneut die Strategie deut- lich: Der Ausbruch soll so lange und so gut wie möglich eingedämmt werden, um das Gesundheitssystem, das gerade noch das Ende der Grippesaison verarbeitet, nicht zu überfordern. Bundesweit stehen in den Kli- niken rund 28.000 Inten- sivbetten zur Verfügung, darunter rund 25.000 mit Beatmungsgeräten, wichtig für die Versorgung speziell von Lungenkranken. Vorsorglich sollen Großver- anstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern abge- sagt werden, erstmals wer- den in der Fußball-Bundes- liga „Geisterspiele“ ohne Zuschauer ausgetragen, der Kulturbetrieb ist stark ein- geschränkt, zahllose Veran- staltungen wurden abgesagt. Der CDU- Bundesparteitag wird verschoben. Einzelne Bundesländer gehen dazu über, Schulen und Kitas zu schließen. »Wir müssen damit rechnen, dass wir direkt in eine Epidemiewelle hineinlaufen.« Christian Drosten, Virologe die mer stärker in den Alltag der Menschen ein und legt Teile des öffentlichen Lebens lahm. In Italien, wo Infektionsfälle weiter rapide steigen und viele Tote zu be- klagen sind, hat die Politik vom Krisen- in den Notfallmodus umgeschaltet. Seit der vergangenen Woche gilt ganz Italien als Sperrzone. Rom ohne Touristen, Restau- rants ohne Gäste, ein Geisterland, und wann der Spuk vorbei ist, wagen Experten nicht vorherzusagen. Die Weltgesundheits- organisation (WHO) stufte die Coronavi- rus-Epidemie inzwischen offiziell als glo- bale Pandemie ein. Virologen sehen keine Veranlassung, die Coronakrise irgendwie zu beschönigen. Was sie zuletzt mitzuteilen hatten, macht wenig Hoffnung, dass Deutschland sozusa- gen nur ein bisschen infiziert werden könnte. Die bisherigen Erkenntnisse über das neue Coronavirus (Sars-CoV-2) lassen vielmehr den Schluss zu, dass die Anste- ckungszahlen noch deutlich steigen wer- den und ein Ende der Epidemie wahr- scheinlich erst 2021 absehbar ist, wenn im besten Fall ein Impfstoff zur Verfügung steht. Starke Labore Der renom- mierte Virologe Christian Drosten, der mit seiner Gruppe von Wissenschaft- lern am Deutschen Zen- Infektionsfor- trum für schung (DZIF) der Charité das erste Nachweisverfah- ren für das neue Coronavi- rus entwickelt hat, sagte: „Wir müssen damit rech- nen, dass wir direkt in eine Epidemiewelle hineinlaufen.“ Der saison- ale Effekt, wonach Viren im Frühling bei höheren Temperaturen vermehrt abster- ben, sei bei diesem Virus weniger ausge- prägt. Dass es hier bisher wenige Tote gebe, hänge mit der frühen Diagnostik zusam- men, sagte Drosten und lobte die über das Land verteilten Labore, die „eine hohe Technikkompetenz“ hätten. Die Laborar- beit habe Deutschland „einen extremen Vorsprung in der Erkennung der Epidemie gesichert“. Solidarität gefragt Der Präsident des Ro- bert-Koch-Instituts (RKI, s. Seite 12), Lo- thar Wieler, betonte, es handele sich um ein pandemisches Virus, das 60 bis 70 Pro- zent der Bevölkerung infizieren könne und vor allem für Menschen über 65 gefährlich sei. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) appellierte an die Jüngeren, sich mit Rücksicht auf die Älteren an die emp- fohlenen Verhaltensregeln zu halten. Der Opposition fordert Stärkung der Klinikpflege PFLEGE Neues Konzept soll Verbesserungen bringen Die Opposition fordert eine nachhaltige Stärkung der Krankenhauspflege. Nötig sei ein neues Konzept zur Strukturierung und Finanzierung der Pflegeversorgung, erklär- ten Gesundheitspolitiker vergangene Wo- che in einer Aussprache über einen Antrag der Linksfraktion (19/17544) für eine be- darfsgerechte Personalbemessung in Klini- ken. Die Koalitionsfraktionen räumten Probleme ein und sicherten eine Prüfung des von der Gewerkschaft ver.di, der Deut- schen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Deutschen Pflegerat (DPR) entwickel- ten Reformkonzepts (PPR 2.0) zu. Harald Weinberg (Linke) kritisierte die mangelhafte Investitionsförderung der Kli- niken durch die Bundesländer. Auch die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege müssten besser werden, um die Flucht aus dem Beruf zu stoppen und neue Fachkräfte zu gewinnen. Derzeit würden die pflegeintensiven Stationen mit viel zu wenig Personal betrieben. Das dürfe nicht so weitergehen, zumal die Pflegekräfte mit der Coronakrise zusätzlich gefordert seien. Fachkräfte Alexander Krauß (CDU) erin- nerte an die erreichten Fortschritte, etwa durch das Sofortprogramm Pflege. So wür- den neue Pflegekräfte in Kliniken und Ta- rifsteigerungen voll refinanziert. Der auf dem Tisch liegende Vorschlag werde wohl- wollend geprüft. Allerdings stelle sich die Frage, woher zusätzliche Pflegekräfte kom- men sollten. In den Kliniken gebe es rund 17.000 unbesetzte Pflegestellen, der Bedarf liege dem Konzept zufolge bei bis zu 80.000 neuen Kräften. Unklar sei zudem, was eine solche Reform kosten würde. SPD und Grüne stehen dem Vorschlag der Linken aufgeschlossen gegenüber und se- hen in der Umsetzung des Konzepts PPR 2.0 eine mögliche Zwischenlösung. Edgar Franke (SPD) sagte, die Pflegekräfte stün- den weiter unter Druck. Das PPR-Konzept gehe in die richtige Richtung. Die Frage sei, ob die Verordnung zur Festlegung von Per- sonaluntergrenzen in der Klinikpflege noch gebraucht werde. Er wies darauf hin, dass diese aktuell ausgesetzt sei, um den Kliniken einen flexiblen Pflegeeinsatz in der Coronakrise zu ermöglichen. Kordula Schulz-Asche (Grüne) forderte So- lidarität mit den Pflegekräften, die in der Corona-Epidemie noch dringender benö- tigt würden. Vor allem müssten die Arbeits- bedingungen besser werden. Die Personal- untergrenzen seien fragwürdig, wichtig sei eine Personalbemessung, die sich am Be- darf ausrichte. Die Grünen-Politikerin be- tonte, der benötigte Standard sei nicht die Untergrenze, sondern die gute Pflege. Andrew Ullmann (FDP) räumte ein, dass Pflegekräfte über unhaltbare Zustände klagten, viele arbeiteten an ihrer Leistungs- grenze. Die zunehmende Arbeitsverdich- tung führe dazu, dass kaum noch Zeit für die Patienten zur Verfügung stehe. Mit den Personaluntergrenzen sei das System zu unflexibel. Nötig sei eine Krankenhaus- strukturreform. Fallpauschalen Detlev Spangenberg (AfD) sagte, zielführend sei primär die Verbesse- rung der Arbeitssituation der Pflegekräfte. Es verließen zu viele Fachkräfte ihren Be- ruf. Die Anwerbung ausländischer Pfleger sei keine Lösung, weil dies in den Ländern einen Fachkräftemangel auslösen würde. Die AfD geht in einem Antrag (19/17754) noch weiter und fordert die Abschaffung der Fallpauschalen (DRG) zur Abrechnung im Krankenhaus. Robby Schlund (AfD) sagte, das DRG-System sei ineffizient und teuer. Sinnvoll wäre eine Vergütung nach einem vorausbezahlten, regional orientier- ten Pro-Kopf-System (PRP). Auch Rudolf Henke (CDU) sieht die DRG-Vergütung kritisch, warnte aber davor, ein Parallelsys- tem aufzuziehen. SPD und Grüne forder- ten die Weiterentwicklung des Fallpauscha- lensystems. Edgar Franke (SPD) sagte, Geld aus den Fallpauschalen werde zweckent- fremdet für Investitionen statt für laufende Betriebskosten. Harald Weinberg (Linke) rügte Fehlanreize und Nebenwirkungen der DRG´s und forderte ebenfalls deren Abschaffung. pk T Seltene Einigkeit unter der Kuppel KURZARBEIT Bundestag beschließt Hilfen im Eilverfahren »Wir brauchen einen starken Sozialstaat nicht nur, wenn die Hütte brennt.« Susanne Ferschl (Die Linke) Erste, zweite und dritte Lesung eines Ge- setzentwurfes auf einen Schlag: Das ist die absolute Ausnahme im Bundestag. Aber in Zeiten flächendeckend schließender Thea- ter, Museen und vieler anderer öffentlicher Einrichtungen, in Zeiten sich leerender Hotels und Restaurants ist auch wenig nor- mal. Und so beschloss der Bundestag am vergangenen Freitag einstimmig – auch das ist selten – die Einführung eines erleichter- ten Kurzarbeitergeldes, um strukturelle Schäden für Betriebe und Beschäftigte durch die Corona-Krise abzumildern. Der Gesetzentwurf von (19/17893) CDU/CSU und SPD sieht vor, es der Bun- desregierung zu ermöglichen, befristet bis zum 31. Dezember 2021 Rechtsverordnun- gen erlassen zu können, die nicht der Zu- stimmung des Bundesrates bedürfen, um den Zugang zum Kurzarbeitergeld zu erleichtern und Betriebe zu entlasten. Für den Fall kri- senhafter Zeiten soll es möglich sein, Kurzarbeiter- geld bereits zu gewähren, wenn zehn Prozent der Be- schäftigten vom Entgelt- ausfall betroffen sind (im Normalfall gilt dies erst ab einem Drittel der Beschäf- tigten). Auch auf den Ein- satz negativer Arbeitszeit- salden zur Vermeidung von Kurzarbeit soll vollständig oder teilweise verzichtet wer- den. Arbeitgeber sollen die von ihnen zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge für kurzarbeitende Beschäftigte komplett er- stattet bekommen. Minister im Homeoffice Da auch Arbeits- minister Hubertus Heil (SPD) wegen des Coronavirus vorsorglich im Homeoffice ar- beitet, übernahm Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die erste Rede der De- batte. „Es geht um die Frage: Wie können wir mit einer großen strukturellen Krise, die Arbeit und Beschäftigung unmittelbar betrifft, gut umgehen. Und wir haben Er- fahrung damit“, sagte er unter Verweis auf den großflächigen Einsatz der Kurzarbeit während der Finanzkrise 2008. Deswegen sei es richtig, diese auch jetzt kurzfristig zu ermöglichen, bekräftigte Scholz. Norbert Kleinwächter (AfD) mahnte, es müssten auch die Kleinstunternehmer ge- schützt werden, die bisher nicht von den Kurzarbeit-Regeln profitieren können. Er nutzte seine Rede für eine Abrechnung mit der Bundesregierung. Diese habe durch ih- re Politik der offenen Grenzen mit zum Ausmaß der Krise beigetragen. Wenn man jetzt über eine Einschränkung des öffentlichen Lebens rede, dann bedeu- te dies, dass die ganze Wirtschaft betroffen sei, betonte Hermann Gröhe (CDU). „Des- halb brauchen wir diesen Schutzschirm für Arbeitsplätze, damit sich die Menschen nicht auch noch Sorgen um ihren Arbeits- platz machen müssen“, sagte er. Wie fast alle Redner, so ging auch Johannes Vogel (FDP) auf die Lage von Kleinstunter- nehmern und Selbständigen ein. Diese dürfe man nun nicht aus dem Blick verlie- ren, denn auch sie würden derzeit in eine sehr schwierige Lage geraten und bräuch- ten Unterstützung, so Vogel. Susanne Ferschl (Die Linke) kritisierte die ungleiche Behandlung von Unternehmen und Beschäftigten. Während letztere Ein- bußen beim Kurzarbeiter- geld hinnehmen müssten, weil es nicht der vollen Hö- he des Gehaltes entspreche, bekämen Firmen die Sozi- albeiträge komplett erstat- tet. „Wir brauchen einen starken Sozialstaat nicht nur, wenn die Hütte brennt“, forderte Ferschl. Wolfgang Strengmann- Kuhn (Grüne) ging auf die Rolle der Arbeitslosenversi- cherung ein und forderte deren Weiterentwicklung. „Wir haben jetzt die Rücklagen, die nötig sind. Deswegen ist es richtig, dass es die Ar- beitslosenversicherung gibt. Sie muss wei- ter gestärkt werden“, sagte er. Aber auch Selbständige bräuchten jetzt Unterstüt- zung, deswegen fordere seine Fraktion schon lange, arbeitsmarktpolitische Instru- mente auch für diese Gruppe zu öffnen, so Strengmann-Kuhn. Kerstin Tack (SPD) ging in ihrer Rede auch auf den Gesetzentwurf (19/17740) zur Weiterbildungsförderung ein, der ange- sichts der Entwicklungen etwas unterging in der Debatte. Er sieht umfangreiche Qua- lifizierungsförderungen für Arbeitnehmer vor. Das Gesetz werde zurecht „Arbeit-von- morgen-Gesetz“ genannt, denn es müsse klar sein, dass die Beschäftigten von heute auch die Beschäftigten von morgen sein werden, betonte Tack. Der Entwurf soll in der Sitzungswoche Ende März abschlie- ßend beraten werden. Claudia Heine T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper