Das Parlament - Nr. 14-15 - 30. März 2020 DEBATTENDOKUMENTATION 7 sen wird. Deswegen bringt der Bundestag heute dieses Paket auf den Weg, um zu helfen, zu schüt- zen, zu entlasten, das Gesund- heitssystem zu stärken. Der Um- fang und die Einmaligkeit sind der Notlage entsprechend. Deswe- gen stimmen wir, übrigens nicht, weil es um Mehrheiten geht, son- dern voller Überzeugung, dafür, dass wir die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse heute aktivie- ren, meine Damen und Herren. Natürlich freue ich mich, dass ei- ne Reihe unserer Vorschläge aufge- nommen wurden: die Entschädi- gung von Familien, die wegen feh- lender Kinderbetreuung zu Hause nicht richtig arbeiten können; der Schutzschirm für soziale Träger; der Rettungsfonds für Künstlerin- nen und Kulturschaffende, für So- lo-Selbstständige. Das sind einige Beispiele. Natürlich ist nicht alles schon perfekt. Aber ich verspre- che: Wir werden weiter danach schauen, was funktioniert und wo es weiter Hilfe braucht. Natürlich bedauere ich, dass die Bundesregierung Vor- schlag, dem medizinischen Pflege- personal einen Bonus zu zahlen, nicht aufgegriffen hat. Diese Hel- dinnen und Helden verdienen selbstverständlich den Beifall auf den Balkonen. Aber sie verdienen eben auch direkte Unterstützung und gute Bezahlung, gerade in diesen Zeiten. Ich weiß, dass es ihnen mindes- unseren Dr. Rolf Mützenich, SPD: doch tens genauso sehr darum geht, dass sie ihre Arbeit gut machen können, dass Desinfektionsmittel, Handschuhe, Mundschutz, Schutzkleidung da sind. Ich weiß auch, dass alle erdenklichen Be- mühungen laufen, das bereitzu- stellen. Trotzdem ist die Sorge groß. Und schließlich sollten wir die nicht aus dem Blick verlieren, die am allerwenigsten haben. Wenn das kostenfreie Mittagessen in Kita oder Schule wegfällt, wenn die meisten Tafeln schließen müs- sen, dann mache ich mir wirklich große Sorgen. Es wäre viel schlauer, zu sagen: Wir erhöhen jetzt für eine begrenzte Zeit zumindest den Regelsatz – ohne lange Beantragung, ohne banges War- ten, wann er denn ausgezahlt wird. Gerade für Kin- der und gerade übrigens auch für Alte wäre das so dringend notwen- dig, meine Damen und Herren. Wir sorgen uns um die Wirtschaft, um Menschen und um unsere grundlegenden Rechte und Frei- heiten. Und natürlich schlucke ich als Ostdeutsche, wenn ich mir vor- stelle, dass der Aufenthalt draußen eingeschränkt wird und Menschen auf der Straße von der Polizei wie- der nach ihrem Ausweis und nach dem Woher und Wohin gefragt werden. Aber ich weiß, dass heute unsere Verfassung die Basis unse- res Handelns ist und der Rechts- staat der Rahmen. Die demokrati- sche Kontrolle ist eben nicht aus- gesetzt. Deswegen freut es mich besonders, dass es uns noch ge- lungen ist, die Bundesregierung zu überzeugen, dass heute der Bun- destag, das Parlament selbst, den Epidemiefall ausruft und nicht die Regierung. Das ist übrigens kein Misstrauen, sondern es geht darum, dass wir zeigen können: Ge- rade auch in der Not funktioniert un- sere Demokratie. Dieses Gesetz befris- ten wir gemeinsam, weil wir uns in ruhi- gen noch einmal darüber beu- gen wollen. Gut so! Danke den Kolle- ginnen und Kolle- gen von der FDP, von der Linken und auch der Regierung für die Kooperation an dieser Stelle. Meine Damen, meine Herren, es ist zu früh, Lehren aus der Krise zu ziehen. Aber schon jetzt ist klar: Dieses Virus, diese Pandemie, können wir nur gemeinsam be- kämpfen. Die Auswirkungen der Covid-19-Krise bei unseren Nach- barn in Italien und Spanien sind schockierend, und die Nachrich- ten brechen mir – ich glaube, uns allen – das Herz. Es beschämt Zeiten Schon jetzt ist klar: Dieses Virus, diese Pan-demie, können wir nur gemeinsam bekämpfen. Verantwortung mit Konzentration und Überzeugung wahrnehmen l e h c s t u r T s a m o h T / g a t s e d n u B r e h c s t u e D © Rolf Mützenich (*1959) Wahlkreis Köln III Es mag paradox klingen: In einer Zeit, in der Abstand der beste Schutz ist, müssen wir zusammenstehen. Nur ge- meinsam können wir die Heraus- forderung meistern: im Land, aber auch hier im Deutschen Bundes- tag. Und ja, die Pandemie ist eine existenzielle Herausforderung für jeden, die Gesellschaft und die ganze Welt. Die Erkrankung trifft einzelne höchstwahrscheinlich Gruppen besonders, aber sie trifft jeden unterschiedslos und umfas- send. Das ist die existenzielle He- rausforderung, die die Gesellschaf- ten, die Welt, aber auch jeder Ein- zelne nicht nur werden begreifen müssen, sondern auch werden meistern müssen. Deswegen will ich sagen: Ja, wir müssen zuerst all denen danken, die uns in dieser schweren Krise helfen: natürlich den Berufstätigen in den Gesund- heits- und den Pflegeberufen, im Lebensmittelhandel, im Trans- portgewerbe. Und ja, sie werden heute als systemrelevant benannt. Aber ihr Lohn ist nicht so, wie wir ihn uns wünschen. Deswegen ist es richtig, dass die Unternehmerinnen und Unter- nehmer zumindest in einigen we- nigen Bereichen den Tariflohn durch Einmalzahlungen erhöht haben. Aber jetzt kommt es eben darauf an: Wir brauchen in Zu- kunft bessere Tarife, und dafür muss auch dieser Deutsche Bun- destag streiten, meine Damen und Herren. Rentnerinnen Ich will zugleich sagen: Ich dan- ke Nachbarn, Vereinsmitgliedern, Fremden, Mitarbeitern in den Ver- waltungen, und Rentnern, Pensionären, die mit den Erfahrungen ihres Arbeitsplat- zes jetzt zurückkehren und helfen wollen. Aber ich danke auch de- nen – auch an die muss man erin- nern -, die eben heute nicht ihre Verwandten, ihre Angehörigen und ihre Freunde treffen können, weil sie zu weit weg sind. Leider gehört es zum Alltag heute auch dazu, dass Menschen von ihren verstorbenen Angehörigen alleine Abschied nehmen müssen und dies nicht in der Solidarität der Trauergemeinschaft tun können. Auch an diese Personen müssen wir erinnern. Das ist meine Anteil- nahme, die ich heute hier vom Deutschen Bundestag aus zeigen möchte. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, unser vorrangiges Ziel ist es, Leben zu retten und gleichzeitig jetzt mich als Europäerin, dass unsere erste Reaktion war, die Grenzen zu schließen. Es beschämt mich, dass die Hilfe anderer bei den europäi- schen Nachbarn schneller ankam als unsere. Gut, dass wir das jetzt korrigieren. Gut, dass in Krankenhäusern in Deutschland, in Baden-Württemberg, in Sach- sen, in Nordrhein-Westfalen – an- dere Länder werden wohl folgen -, Patientinnen und Patienten aus diesen Ländern behandelt werden. Wir müssen in dieser Krise jeden Tag auch das Gebot der Solidarität für unsere Nachbarn im Blick ha- ben. Und es gibt Instrumente da- für: Der ESM oder auch die KfW wären Möglichkeiten, das hinzu- bekommen. Diese Krise werden wir nur europäisch gemeinsam bewältigen können. Es ist an uns, zu zeigen, dass wir auch an andere denken, die so un- endlich viel weniger haben, die der Krise kaum noch begegnen können: in Afrika, im Jemen, in Moria. Es kann uns nicht egal sein, auch denen zu helfen, die es selbst gar nicht können, meine Damen und Herren. Diese Krise – Herr Brinkhaus hat das gezeigt – ist wie jede andere: Sie bringt entweder das Schlech- teste oder das Beste hervor. Ich bin ganz froh, dass Toilettenpapier- käufe und Hamsterei nicht mehr das Bild dieser Krise ausmachen. Und vielleicht ist es auch zu früh, zuversichtlich zu sein. Aber das, die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen halbwegs in Grenzen zu halten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deswe- gen müssen wir die medizinische Versorgung und die staatlichen Hilfen, die die Bundesregierung zusammen mit den Fraktionen dieses Deutschen Bundestages ent- wickelt hat, auch für die nächsten Monate sichern. Möglicherweise reicht dies nicht aus. Wir müssen nachsteuern. Wir müssen auch schauen, was wir besser machen können. In der Tat: Wir werden Fehler machen. Aber es ist wichtig, dass jetzt Zu- Liquidität, schüsse und Rechtssicherheit geschaffen werden, damit ein Schutzschirm über den Einzelnen, aber eben auch über die Gesell- schaft ausgebreitet werden kann. Aber das kann dieser Deutsche Bundestag nicht alleine machen. Deswegen ist es für mich motivie- rend, dass es einen Pilotabschluss in der Metallindustrie und in der Systemgastronomie gegeben hat, mit dem den Beschäftigten zusätz- liche Leistungen zuerkannt wer- den, damit sie diese Krise, aber was wir heute erleben, sind die guten Beispiele vom Anfang, die wir erweitern könnten, wahr- scheinlich jede und jeder von uns: bei ihm zu Hause oder aus dem Netz. Meine Damen und Herren, wir könnten jetzt anfangen, uns zu se- parieren. Die einen bleiben zu Hause, und die anderen machen Party im Park. Abgesehen davon, dass Corona nicht nur Alte und Schwache trifft, das ist nicht mei- ne Vorstellung von einer Gesell- schaft. Das ist übrigens auch nicht meine Vorstellung davon, wie wir diese Krise bewältigen können und wie wir die Wirtschaft wieder auf gute Beine stellen können. Nach dieser Krise brauchen wir ei- ne gemeinsame Anstrengung von allen: mit Kraft, mit Fantasie, mit genügend Geld für Investitionen, für das, was notwendig ist, für In- vestitionen, die nachhaltig sind, ökologisch sinnvoll und übrigens auch europäisch. Meine Damen und Herren, all das stellt uns vor riesige Herausforde- rungen. An uns hier und an die Menschen da draußen will ich sa- gen: Bleiben Sie zu Hause, und bleiben Sie behütet! Halten wir Abstand, und halten wir zusam- men! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch ihre Zukunft am Arbeitsplatz besser gestalten können. Das Kurzarbeitergeld wird aufgestockt. Deswegen fordere ich die Ar- beitgeberinnen und Arbeitgeber auf: Gehen Sie auf die Gewerk- schaften zu, und verhandeln Sie weitere Verträge, damit die Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer abgesichert sind. Weil der Staat, meine Damen und Herren, 100 Prozent der Sozialversicherungs- beiträge über- nimmt, können die Unternehmen min- destens die Hälfte an ihre Arbeitneh- merinnen und Ar- beitnehmer weiter- reichen. Das ist der beste Weg, um so- ziale Sicherung zu schaffen. Meine Damen und Herren, später wird uns die Geschichte an unserem Verhalten in diesen entscheidenden Wochen weltweit messen. Dann wird wahr- scheinlich eine der Ideen sein die Rückbesinnung auf den Staat, ja, auf den starken Staat, aber ich sa- ge als Sozialdemokrat: insbeson- dere auf einen sozialen, auf einen demokratischen Staat. Fortsetzung auf nächster Seite Wir brauchen in Zukunft bessere Tarife, und dafür muss auch dieser Deutsche Bun- destag streiten.