4 GROSSBRITANNIEN Das Parlament - Nr. 16-17 - 14. April 2020 W eit über das Verei- Königreich nigte versetzte hinaus die Eilmeldung, die am Abend des 5. April über die Medien kam, viele Menschen in Schrecken. Der britische Premierminister war wegen seiner schweren Covid-19-Erkrankung in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert worden. 24 Stunden später verlegten ihn die Ärzte auf die Intensivstation von St. Thomas, weil er unter Atemnot litt. Kurz vor Ostern wurde sein Gesundheits- zustand als „stabil“ beschrieben. In künftigen Biografien von Boris Johnson wird seine Erkrankung am Coronavirus ei- nes der eindrücklichsten Kapitel sein in ei- ner Lebensgeschichte, die auch so eindeu- tig zu den ungewöhnlichen Viten eines hochrangigen Politikers zählt. Der 55-Jäh- rige gilt als einer der bekanntesten Vertreter seiner Zunft, weit über die britischen Gren- zen hinaus. Und das schon lange bevor er im Juli 2019 endlich dort ankam, wo er immer hinwollte: in der Downing Street Nummer zehn. Seiner Schwester Rachel zufolge beantwortete der kleine Boris schon als Vierjähriger die Frage nach sei- nem Berufswunsch mit „Weltkönig“. Dass Johnson ein großer Bewunderer von Winston Churchill ist, weiß man nicht erst seit der 2014 von ihm verfassten Biografie über das Vorbild. Die Corona-Krise gilt als Johnsons „Churchill-Moment“. Ob der Ver- gleich der Herausforderung einer Pande- mie in Friedenszeiten mit der Kriegsgefahr durch Hitler-Deutschland 1940 angebracht ist, bleibt eine subjektive Einschätzung. Aber so wie Churchill im Mai vor 80 Jah- ren zwischen Appeasement und Konfron- tation entscheiden musste, so war auch Johnson im März 2020 zu einer Richtungs- entscheidung gezwungen. „Er hatte den riesigen und beinahe rücksichtslosen mo- ralischen Mut zu erkennen, dass der Kampf schrecklich werden würde, aber dass sich zu ergeben schlimmer wäre. Er hatte Recht“, schreibt Johnson in erwähnter Bio- grafie über die entscheidende Sitzung von Churchills „War Cabinet“. Churchill wurde gleich nach Kriegsende bei der ersten Unterhauswahl im Juli 1945 abgewählt. Auch bei Johnson werden die Wähler am Ende das Urteil fällen, ob er bei der Bewältigung der Pandemie zu zöger- lich war. Kritiker meinen, dass er den geo- grafischen Vorteil der Britischen Inseln, zeitlich einige Wochen hinter der Corona- Pandemie auf dem Kontinent zu liegen, fahrlässig am 19. März verkündete der Tory-Parteichef in einer Pressekonferenz in der Downing Street scherzend, „das Coronavirus kann bald seine Taschen packen“. Die Bürger sollten weiter Händewaschen und mög- lichst von zu Hause arbeiten. Vier Tage spä- ter leitete seine Regierung umfangreiche Ausgangsbeschränkungen ein, nachdem ei- ne Studie bei Weiterführung dieser laxen Maßnahmen bis zu 250.000 britische Co- rona-Tote prognostiziert hatte. habe. Noch verspielt Überzeugter Liberaler „Boris ist kein Anarchist, aber er ist zuallererst und grund- sätzlich ein Liberaler“, sagt Guto Harri, Johnsons langjähriger Kommunikation- schef im Bürgermeisteramt von London. „Letztlich hat er bewiesen, dass er schwer- wiegende Restriktionen für den Alltag der Leute durchsetzen kann. Aber das ent- spricht nicht seinem Naturell.“ In „City Hall“ war Johnson von 2008 bis 2016 Hausherr. Vor seiner Wahl hatten vie- le Beobachter dem als blonden „Snob“ ver- schrienen Tory, der in seinen leichtfüßigen „Telegraph“-Kolumnen auch vor rassisti- schen Kommentaren nicht scheute, keine Der Weltkönig PORTRÄT Weil er den Briten nichts verbieten wollte, zögerte Boris Johnson lange in der Corona-Krise. Die Wähler werden darüber irgendwann ihr Urteil abgeben Boris Johnson (Mitte) Ende März bei einer Videokonferenz zur Ausbreitung des Corona-Virus. Selbst erkrankt, musste er sich zunächst in Isolation begeben. Später kam er auf die Intensivstation des St. Thomas‘ Hospitals. © picture-alliance/Photoshot Chance gegen den Labour-Bürgermeister Ken Livingstone gegeben. Johnson aber ge- wann, und wurde das exzentrische und weltoffene Gesicht der Metropole. Vom liberalen Londoner Bürgermeister wechselte Johnson 2016 mühelos in das Pro-Brexit-Lager. Es ist keine Unterstellung, dass er sich mit der Führung dieser Kampa- gne eine Chance auf die große Karriere in der Konservativen Partei versprach – was drei Jahre später genau so kommen sollte. Sowohl sein Vater Stanley, ein ehemaliger EU-Beamter, als auch seine Schwester Ra- chel und sein Bruder Jo setzten sich der- weil vehement für den Verbleib in der Eu- ropäischen Union ein. Der Johnson-Clan wurde mithin ein Spiegelbild der gespalte- nen britischen Nation, die noch viele Jahre über den Brexit streiten wird. Möglicher- weise wird Johnson irgendwann sogar den Bruch des Vereinigten Königreichs verant- worten müssen, sollten sich Schottland und Nordirland tatsächlich abspalten. ist der Für die nähere Zukunft aber EU-Austritt Nebensache. Eton- und Ox- ford-Absolvent Johnson könnte die Über- gangsphase womöglich sogar wegen der Corona-Krise über das Jahresende 2020 hi- naus verlängern. Zunächst muss der Vater von demnächst sechs Kindern versuchen, die absehbar gravierenden Folgen für sein Land einzudämmen. Parlamentarisch zu- mindest hat er dazu Vollmacht. Bei den Unterhauswahlen am 12. Dezember 2019 hatten die Konservativen 80 Sitze Mehrheit errungen, ihr bestes Ergebnis seit 1987. Große Versprechen Seinen Sieg hatte Johnson einer für seine Partei ganz neuen Anhängerschaft zu verdanken – den einsti- gen Labour-Stammwählern im Norden Englands. Seine Regierung werde ein „people’s government“ sein, eine Regie- rung aller Leute, versprach er nach seinem Triumph. Das Vertrauen der neuen Wähler wollte Johnson mit riesigen Investitionen und damit neuen Arbeitsplätzen in lange Zeit vernachlässigten Teilen des König- reichs abgelten. Ganz untypisch für einen Tory-Premier hatte er schon vor der Coro- na-Krise staatliche Eingriffe in Unterneh- men angekündigt und gegen den Protest der Parteifreunde Milliardengelder für In- frastrukturprojekte durchgesetzt, die lang- fristig Regionen außerhalb Londons zugu- tekommen sollen. Selbst die Erhöhung von Steuern, für wahre britische Konserva- tive eine Sünde, schloss er nicht aus. Die Corona-Pandemie hat hinter jegliche Pläne ein großes Fragezeichen gesetzt. In den Tagen vor Ostern 2020 galt für die ganze Nation und besonders für Johnson, dessen Verlobte Carrie Symonds im Früh- sommer das erste gemeinsame Kind erwar- tet, vor allem eines: Gesund zu werden, ge- sund zu bleiben. Stefanie Bolzen T Die Autorin ist Korrespondentin der „Welt“ in London. Londoner Trümpfe, Brüsseler Risiken STIMMEN Kann der Brexit ein Erfolg werden? Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Euro- päischen Parlament, Manfred Weber, hält den Brexit für einen „historischen Fehler“, Ex-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nannte ihn den „Höhepunkt einer konti- nentalen Tragödie“. Auch Ökonomen war- nen seit dem Referendum von 2016 vor dramatischen Folgen für die britische und europäische Wirtschaft; Cartoons zeigen die Briten auf hoher See, ihr Schlauchboot umkreist von Haien, oder auf dem Mond als einsame Aliens, die sich den Brexit un- geachtet der Ödnis um sie herum noch schönreden: „Well, we ma- nage perfectly well outside the EU“ - Wir kommen au- ßerhalb der EU perfekt zu- recht, nicht wahr? Ganz klar, für die EU und die Brexit-Kritiker im Verei- nigten Königreich ist der EU-Austritt ein Desaster, ein selbstzerstörerisches Ex- russi- periment, eine Art sches Roulette mit Wirt- schaft und Arbeitsplätzen. Für Premierminister Boris Johnson war die Brexit- Nacht vom 31. Januar hingegen der „Mo- ment, in dem der Morgen anbricht und der Vorhang für einen neuen Akt unseres na- tionalen Theaterstücks aufgeht“. Johnson stellte Erneuerung und Wandel in Aussicht – bei der Verbrechensbekämpfung, im Bil- dungs- und Gesundheitssystem, der Infra- struktur. Auch in der Diplomatie, beim Kampf gegen den Klimawandel und im Freihandel werde das Königreich „Muskeln wieder entdecken, wie wir jahrzehnelang nicht benutzt haben“. Zukunft als Steuerparadies Johnsons Muskelspiele treffen in Brüssel spürbar auf den falschen Nerv. Doch könnte der Pre- mierminister Recht behalten? Kann der Brexit Großbritannien tatsächlich zu neuer Stärke verhelfen? Der Publizist Wolfram Weimer, Verleger des Meinungs- und Debat- tenmagazins „The Europe- an“, gehört zur Minderheit derjenigen, die das für möglich hält. „Jetzt kommt das ‚große Singapur in der Nordsee‘“, titelte er Anfang Februar und malte das Bild eines Steuerparadieses mit niedrigen Sozial- und Um- weltstandards sowie geziel- ten Anreizen, um Finanz- konzerne, Forschung und multinationale Unterneh- men anzulocken. Nicht zu- letzt spare das Land die jährlichen EU-Bei- träge – ganze neun Milliarden Euro – und müsse etwaige EU-Rettungsschirme nicht mehr haften und zahlen. Allerdings, betont Weimer, beruhe John- sons Optimismus darauf, dass er sich mit der EU im Jahr 2020 auf ein weitreichen- des Freihandelsabkommen verständigen kann. Das aber scheint angesichts der fort- schreitenden Corona-Pandemie und dem Ausfall des selbst schwer an Covid 19 er- krankten Premierministers immer unrealis- tischer. EU-Finanzhilfen zur Abfederung der Corona-Folgen kann London ebenfalls nicht mehr erwarten – in einer der schwersten Krisen des Kontinents seit 1945 für allein London ziemlich steht da. „Wohin die Waagschale letztlich zeigen wird, werden wir erst in einigen Jahren se- hen“, meint daher Hessens Europaministe- rin Lucia Puttrich (CDU). Dennoch hält auch sie eine erfolgreiche Entwicklung Großbritanniens außerhalb der EU für möglich. „Es gibt Interessen von außen, den Brexit zu einer Erfolgsgeschichte zu machen, um so die europäische Einigkeit zu schwächen“, sagt sie dieser Zeitung. Von daher könne Großbritannien kurzfristig auf diese Partner bei der Erschließung neu- er Märkte und in anderen Bereichen bauen. „Man darf auch nicht vergessen, dass das Commonwealth ein globales Netzwerk ist, was sicherlich auch eine wirtschaftliche Bedeutung hat. Großbritannien ist al- so ohne die Einbindung in die EU keineswegs verlo- ren.“ Im Gegenzug, betont Puttrich, verliere es jedoch eine Vielzahl von Vorteilen, etwa den Zugang zum Bin- nenmarkt, die Arbeitneh- merfreizügigkeit – und letztlich auch ein Stück gemeinsames Vorgehen in einem Kri- senfall wie jetzt bei Corona. Unbestreitbare Vorteile Für den Wirt- schaftswissenschaftler Daniel Stelter ist „unstrittig, dass die Briten einige Trümpfe in der Hand halten: Universitäten mit Weltruf, Weltsprache, liberales Wirtschafts- system, Welt-Finanzplatz“. Damit könnten sie wuchern, „vor allem wenn sie sich regu- latorisch und wirtschaftspolitisch von der EU absetzen“. Auch ohne Wiedergeburt des Commonwealth sei zudem „unzweifelhaft, dass die gemeinsame Sprache und Kultur des angelsächsischen Raums Kooperatio- nen fördert und erleichtert“. Für die EU bedeute der Brexit indes eine „existenzielle Gefahr“. Sie versage seit Jah- ren bei zwei zentralen Versprechen, meint Stelter: der Schaffung von Wohlstand – das Bruttoin- landsprodukt pro Kopf ist in der Eurozone deutlich langsamer gewachsen als in anderen Regionen der Welt – und der Steuerung der Migration. „In beiden Di- mensionen kann Großbri- tannien zeigen, wie es bes- ser geht.“ EVP-Fraktionschef Weber sieht ungemütliche Zeiten auf die Union zukommen: „Wenn der Brexit gefühlt ein Erfolg wird, dann ist er der Anfang vom Ende der EU“, sorgte er sich im Janu- ar im „Welt“-Interview und warnte, dieser dürfe nicht zum Stichwortgeber für EU- Skeptiker wie Marine Le Pen in Frankreich oder Viktor Orban in Ungarn werden. Lucia Puttrich sieht die EU in Zugzwang: Noch könne zwar niemand seriös vorher- sagen, ob der britische Weg sich als erfolg- reich und kopierbar erweist. Denn die eu- ropäische Idee werde sich im Zuge der Co- rona-Krise, aber auch im Lichte des Brexits weiterentwickeln. „Fest steht“, betont Put- trich, „auch wir müssen bereit sein, uns zu verändern, damit dies nie wieder ge- schieht“. Johanna Metz T »In Brüssel kursiert schon die Sorge vor einem Singapur an der Nordsee.« Wolfram Weimer, Verleger »Großbri- tannien ist ohne EU- Einbindung keineswegs verloren.« Lucia Puttrich, Europa- ministerin von Hessen Das geteilte Königreich UNION In den autonomen Landesteilen Nordirland, Wales und Schottland wird der Ruf nach einer Loslösung vom britischen Zentralstaat immer lauter Mit dem Brexit am 31. Januar hat sich vor- erst wenig geändert. Doch die Folgen wer- den in den kommenden Jahren zu spüren sein, vor allem auf der irischen Insel und in Schottland. Die mit unterschiedlichen Autonomierechten ausgestatteten Landes- teile haben beim Referendum mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. In Schottland ist infolge des Brexits inzwi- schen eine Mehrheit für die Unabhängig- keit vom Vereinigten Königreich. Auch die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland rückt seit dem Wahlerfolg von Sinn Fein im Februar auf die Tagesordnung. Für die Brexit-Befürworter der regierenden Konservativen Partei spielt das keine Rolle, auch wenn sie offiziell „Conservative and Unionist Party“ heißt. Laut Umfragen wür- den sie das Auseinanderfallen des Vereinig- ten Königreichs als Preis für den Brexit in Kauf nehmen. Premierminister Boris John- son hat sich zwar im September 2019 zum Minister für die Union ernannt; einen Pos- ten, den es bisher in Großbritannien nicht gab. Dass man ihn geschaffen habe, sei ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Union in Schwierigkeiten stecke, schrieb der politi- Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper sche Kommentator Fintan O’Toole. Doch hohe Priorität genießt das Thema in Lon- don offenbar nicht: Johnson hat zehn Mil- lionen Pfund zur Verfügung gestellt, um die Union zu stärken. Für die Vorbereitun- gen auf einen harten Brexit will er hinge- gen 8,3 Milliarden Pfund ausgeben. Nordirland In Nordirland stimmten beim Referendum 2016 55,8 Prozent der Wähler für einen Verbleib in der EU. Die größte Partei, die Democratic Unionist Party (DUP), hatte vorher als einzige nordirische Partei für den Brexit geworben. Ihre Begeis- terung über den Ausgang des Referendums ist aber längst der Ernüchterung gewichen. Unter der Vorgängerin von Premier Boris Johnson, Theresa May, genossen die zehn DUP-Unterhausabgeordneten eine Sonder- stellung, denn sie hielten die Tories an der Macht, als diese nach der vorgezogenen Wahl 2017 ihre absolute Mehrheit verloren hatten. Seit dem klaren Wahlsieg von Boris Johnson im vergangenen Dezember ist die DUP jedoch entbehrlich und ihre Verhand- lungsposition geschwächt. Die Unionisten wollen an der Einheit mit dem Rest Großbritanniens festhalten und fürchten eine Wiedervereinigung mit Ir- land. Auch eine Zollgrenze in der Irischen See, also zwischen Großbritannien und Nordirland, lehnen sie ab. Doch die hat Johnson, zum Ärger der DUP nun zumin- dest vorübergehend eingerichtet. Damit erfüllt der Premier eine Vorausset- zung für den Brexit-Deal mit der EU: das Verhindern einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland. Immer wieder wird dabei auf das Friedensabkommen von 1998 verwiesen (siehe Stichwort), das den gewaltsamen Konflikt zwischen Nationalis- ten und Unionisten in Nordirland beende- te. Zwar steht darin gar nicht ausdrücklich, dass es keine Grenze in Irland geben darf – damals hatte niemand damit gerechnet, dass das Vereinigte Königreich einmal aus der EU austreten würde –, aber sinngemäß heißt es, dass nichts unternommen werden dürfe, was den Friedensprozess in Gefahr bringen könnte. Dass eine harte Grenze in Irland unweiger- lich zum Wiederaufflammen des Konflikts, der im Laufe von fast 30 Jahren mehr als 3.500 Menschen das Leben gekostet hat, führen wird, wie immer behauptet, ist al- lerdings nicht sehr wahrscheinlich. Die > STICHWOR T Nordirland-Konflikt und Karfreitagsabkommen > Parteien Am 10. April 1998 zwischen den Regierungen Irlands und Großbritanniens sowie den nordirischen Parteien geschlos- sen, beendete es den seit 1969 währenden Nordirlandkonflikt. > Inhalt Die Republik Irland verzichtete darin auf die bis dato in der Verfassung verankerte Wiedervereinigung mit Nordirland. Die paramilitärischen Gruppen beider Seiten wurden entwaff- net, außerdem gab es eine Amnestie für die Kämpfer. > Grenzregelung Mit dem Brexit drohten alte Konflikte wieder aufzubrechen durch eine dann entstehende „harte“ Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Großbritan- nien und die EU haben sich daher auf eine Zollgrenze in der Iri- schen See geeinigt. Die Nordiren verlieren damit ihre Rechte als EU-Bürger. Sie fürchten wegen der komplizierten Regeln für den Warenverkehr außerdem Schäden für ihre Wirtschaft. a p d / k e e m S i j z s u i r a M / e c n a i l l a e r u t c i p © große Mehrheit der Bevölkerung hat daran kein Interesse, hat sie sich doch an ruhige- re Zeiten gewöhnt. Viel eher denkbar ist inzwischen eine Wie- dervereinigung von Irland und Nordirland. EU-Chefunterhändler Michael Barnier be- tonte bereits, dass Nordirland dabei „auf die Unterstützung der EU zählen“ könne. Nordiren mit irischem Pass – und das sind inzwischen weit über die Hälfte – könnten EU-Bürger bleiben und hätten in der ge- samten Europäischen Union Niederlas- sungsrecht. Sollte es irgendwann zur Vereinigung mit der Republik Irland kommen, wäre Nordir- land automatisch wieder vollwertiges EU- Mitglied, garantierte er. Für eine Wiedervereinigung spricht, dass die Katholiken in Nordirland, die sich oft als in der Mehrheit sein werden. Außerdem ist auch gemäßigten Unionisten ein vereinigtes Ir- land lieber als der Brexit. Bei den Parla- mentswahlen in der Republik Irland siegte im Februar außerdem die in beiden Teilen Irlands aktive Partei Sinn Féin, einst Unter- grundorganisation der terroristischen IRA. Sie befürwortet eine Einigung und hat im Wahlkampf angekündigt, binnen fünf Jah- ren eine Abstimmung darüber anberau- men zu wollen. Iren definieren, demnächst sals“) und Fine Gael („Stamm der Gälen“), die Irland seit der Unabhängigkeit vor rund hundert Jahren abwechselnd regiert haben, hatten im Wahlkampf vor allem auf die Auswirkungen des Brexits gesetzt und sich dafür gerühmt, eine harte Grenze auf der Insel verhindert zu haben. Das aber stieß bei den Wählern auf weniger Interes- se als die Themen von Sinn Féin: Obdach- losigkeit, hohe Mieten und das katastro- phale Gesundheitssystem. Schottland Schottland ist schon einen Schritt weiter als die irische Insel. 62 Pro- zent haben hier für den Verbleib in der EU gestimmt, das Unabhängigkeits-Referen- dum soll nächstes Jahr stattfinden. Hatten sich im September 2014 noch 55 Prozent der Schotten für den Verbleib im Vereinig- ten Königreich ausgesprochen, haben sich die Mehrheiten nach dem Brexit gedreht. Die separatistische Scottish National Party (SNP), die in Edinburgh die Regionalregie- rung stellt, war neben den Tories zudem die große Gewinnerin der Parlamentswah- len vom Dezember vorigen Jahres. Für de- ren Chefin Nicola Sturgeon ist der Kurs klar: „Boris Johnson hat ein Mandat, Eng- land aus der EU zu führen, aber ich habe ein Mandat, Schottland eine alternative Zukunft zu bieten.“ Ralf Sotscheck T Republik Irland Die beiden konservativen Parteien Fianna Fáil („Soldaten des Schick- Der Autor ist freier Korrespondent für Ir- land und Großbritannien.