6 DEBATTENDOKUMENTATION Das Parlament - Nr. 18-19 - 27. April 2020 Ralph Brinkhaus, CDU: Wir gehen mit dieser Krise verantwortungsvoll um grenzt gefallen. Herr Lindner, ob Justiz eingeschüchtert wird, das überlegen Sie sich noch mal. Gu- cken Sie sich Ihr Redemanuskript mal an. Aber, ehrlich gesagt, wir sind hier im Parlament, und dazu gehört die Auseinandersetzung, dazu gehören erregte Zwischenru- fe, wenn irgendwas gesagt wird. Denn das Parlament, meine Da- men und Herren, ist der Ort, wo die politische Entscheidungsfin- dung stattfindet. Und deswegen ist es gut und richtig, dass wir heute diese Debatte führen. Des- wegen ist es gut und richtig, dass es heute eine Regierungserklärung gibt. Auch wenn ich teilweise selbst daran beteiligt bin: Koaliti- onsausschüsse und auch Minister- präsidentenkonferenzen sind kei- ne Verfassungsorgane. Wir hier sind das Verfassungsorgan, meine Damen und Herren. Vor dem Hintergrund ist hier der Ort, an dem wir die Debatte führen müssen, wie wir auch mit ethischen Fragen umgehen, wie wir mit der ethischen Frage umge- hen, was zu lockern ist, wie wir mit der ethischen Frage umgehen, was wir denn als ertra- Gesellschaft gen können. Und deswegen, Herr Bundestagspräsi- dent, ist es unser aller Aufgabe, die- ses Parlament auch in der Krise, auch in der Pandemie am Laufen zu halten. Wir werden in den nächsten Wochen zeigen, dass wir vollumfänglich beraten, dass wir die Regierung kontrollie- ren, dass wir Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge machen, wie Rolf Mützenich es gesagt hat, und dass wir uns auch die Freiheit nehmen, zu kritisieren. Es ist rich- tig und wichtig gewesen, dass die Exekutive schnell gehandelt hat. Aber dies ist eine Republik der Le- gislative, und das nehmen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion – ich glaube, auch alle anderen Fraktionen – sehr, sehr ernst, mei- ne Damen und Herren. Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist: Freiheit. Das Thema ist gerade mehrfach angesprochen worden, und ich nehme es auch sehr ernst. Es geht um die Frei- heit, überall dort hinzugehen, wo man hingehen möchte, die Frei- heit, sich zu versammeln, und die Freiheit, natürlich ohne staatliche Interventionen sein Leben zu le- ben. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich mir die Freiheit nehme, zu einer Versammlung zu gehen, wenn ich mir die Freiheit nehme, in ein Fußballstadion zu gehen, dann schränke ich die Frei- heit von anderen ein. Denn ich treffe in der Pandemie nicht nur eine Entscheidung für mich, son- dern ich treffe auch eine Entschei- dung für die Schwächeren, die sich nicht wehren können, die diese Freiheit nicht haben. Das ist der COPD-Kranke, der zu Hause liegt, das ist der ältere Mensch, der nicht besucht werden kann, und das sind viele andere, die Einschränkungen hinnehmen müssen. Deswegen ist es mir viel zu eindimensional, immer das große Lied der individuellen Frei- heit zu singen, Herr Lindner. Wir müssen uns vielmehr auch mal mit den Menschen beschäftigen, die diese Freiheit in der Pandemie nicht haben. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir durch unsere eigenen Freiheitsrechte nicht an- dere Menschen in ihrer Freiheit einschränken. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Dritter nahezu Punkt: Wirtschaft. Ja, wir müssen eine Menge tun. Was mich nur befremdet, ist, dass wir im Stundentakt neue Vorschläge kriegen, die alle auch ihre individuelle Be- gründung haben, die alle irgendwo auch getriggert sind durch Briefe, durch Mails, die wir kriegen, wem man jetzt noch irgendwo helfen muss. Wenn man, wie wir, in den Wahlkreisen unterwegs ist und die individuelle Not sieht – ob es Rei- sebüros, Busunternehmer, Gastro- nomie oder auch andere Betriebe sind -, wenn man sieht, dass Men- schen in Kurzarbeit sind und nicht mehr genug zum Leben ha- ben, dann nehmen wir das sehr ernst. Aber wir müssen eine Sache vielleicht auch mal beachten: All das, was wir beschließen – übri- gens auch das, was wir gestern Abend beschlossen haben -, kos- tet Geld – viel Geld -, das von ir- gendjemandem mal wieder zu- rückgezahlt werden muss. Wir müssen in dieser Zeit wirklich aufpassen – bei all dem Guten, was wir momentan machen und übrigens auch machen müssen und uns bis jetzt auch noch leis- ten können -, dass wir bei der ganzen Sache nicht Maß und Mit- im Wo- te verlieren und nicht Ich sage ganz deutlich: Wir stehen dazu, dass wir unseren europäischen Partnern helfen. h c o K s a b o T © i Ralph Brinkhaus (*1968) Wahlkreis Gütersloh I Ich glaube, wir haben in den letzten Wochen sehr viel er- reicht durch sehr viel Diszip- lin in diesem Land, durch sehr viel Geduld, durch sehr viel Ar- beit. Ich denke da nicht nur an die Menschen, die im Gesund- heitswesen sondern auch an die vielen Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und zu Hause beschulen. arbeiten, Wir haben in der Tat große Ein- schränkungen erlebt. Ich möchte nur an eine Sache erinnern: Das Osterfest hat für viele Christen nicht in Kirchen stattfinden kön- nen. Das war in weiten Teilen des Landes selbst 1945 nicht der Fall. Das heißt also, wir haben eine Menge auf uns genommen. Wir müssen jetzt aufpassen, meine Damen und Herren, dass wir das, was wir aufgebaut haben, nicht wieder einreißen. Deswegen ist es richtig, dass wir hier darüber dis- kutieren: Wie gehen wir mit Lo- ckerungen um? Wie vorsichtig sind wir? Wie ist die Balance zwi- schen den Interessen der Arbeit, des Zusammenlebens auf der ei- nen Seite und dem Interesse der Gesundheit auf der anderen Seite? Ich möchte dazu nur eines sa- gen: Wir können viele Sachen, nicht alle, aber viele, auch im wirtschaftlichen Bereich, wieder korrigieren – das ist mir sehr wichtig -, aber was wir nicht korri- gieren können, ist der Verlust ei- nes Menschenlebens. Daran muss man bei dieser Sa- che immer denken, meine Damen und Herren. Deswegen sollten wir die Diskussion mit den Minister- präsidenten mit großem Bedacht, mit großer Ernsthaftigkeit führen; aber wir sollten sie führen. Dies vorausgeschickt, möchte ich auf vier Punkte eingehen: Erstens. Fangen wir an mit dem Parlament. Mir hat das, was Herr Gauland gesagt hat, überhaupt nicht gefallen und das, was Herr Lindner gesagt hat, nur sehr be- chentakt nachlegen. Das ist eine Sache, bei der ich durchaus auch einige Mitglieder der Bundesregie- rung angucke, die da meinen, uns über die Medien immer wieder treiben zu müssen und sagen zu müssen, was zu machen sei. Da gucke ich auch den einen oder anderen Ministerpräsidenten an. Ich kann da nur eines sagen: Wir als Unionsfraktion verstehen uns als Hüter der fiskalischen Solidi- tät, auch in Zeiten der Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen. das kommen: Jetzt möchte ich zu dem vierten Punkt Thema Europa. Da bin ich – ich sage das mal sehr diplomatisch -, auch wenn ich in die eine oder andere ausländische Zeitung gucke, sehr irritiert. Wer meint, dass nur der- jenige ein guter Europäer ist – im Übrigen gibt es einige hier in Wis- senschaft und Politik, die dieses Lied auch singen -, der der Verge- meinschaftung von Schulden das Wort redet, der verschweigt eine Menge. Der verschweigt nämlich, dass wir hier in Deutschland – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, weil wir es auch gerne und aus gutem Grund tun – der größte Nettozahler in der Europäischen Union sind, der größte Garantie- und Kapitalgeber bei all den Rettungspaketen sind, dass wir mehr von der Last der Migration und der Flucht, der le- galen und illegalen Migration, übernehmen als jedes andere eu- ropäische Land. Darüber, dass wir in Deutsch- land in der Krise das Kostbarste, was es momentan überhaupt gibt, anderen Ländern zur Verfügung gestellt haben, nämlich Intensiv- betten, wird nicht geredet – das tun wir gerne, weil wir in der eu- ropäischen Solidarität sind -, auch nicht darüber, dass wir Deutsche, in Gestalt von Angela Merkel und Olaf Scholz, ein Vier-Säulen-Paket auf den Weg gebracht haben, mit dem wir über den ESM, über die Europäische Investitionsbank, über den Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union, über europäische Haushaltsmittel ein Hilfspaket, das sich wirklich sehen lassen kann, für andere europäische Län- der auf den Weg bringen, denen es nicht so gut geht, die mit der Krise noch nicht so gut fertigwer- den. Da geht es um mehrere Hun- dert Milliarden Euro; das hätten wir uns alle vor einigen Wochen nicht vorstellen können. Und in dieser Situation stellt man in Zweifel, dass wir solidarische Eu- ropäer sind. Ich würde mir wünschen, dass der eine oder andere – auch in anderen Ländern in Europa -, der immer mit großen Worten das Hohelied von Europa singt, so so- lidarisch ist, wie wir es hier in Deutschland sind, meine Damen und Herren. Ich sage ganz deutlich: Wir ste- hen dazu, dass wir unseren euro- päischen Partnern helfen. Wir ste- hen im Übrigen auch dazu – Gerd Müller sitzt gerade nicht hier -, dass wir auch denjenigen helfen, die noch schwächer sind und die noch mehr Probleme haben. Die Pandemie wird Afrika wahr- scheinlich stärker treffen als uns in Europa. Wir stehen dazu, zu helfen. Das meinen wir aufrichtig und ernst; denn wir können uns Europa nur so vorstellen, dass wir solidarisch sind und dass wir in der Krise zusammenhalten. Es muss allerdings auch erlaubt sein, das eine oder andere zu hinterfra- gen. Meine Damen und Herren, wir handeln. Von anderen hört man oftmals nur Lippenbekennt- nisse. Wir werden – die Bundeskanz- lerin hat darauf hingewiesen – mit der Pandemie nicht schnell fertigwerden. Wir werden unser normales Leben wahrscheinlich erst wieder zurückbekommen, wenn es einen Impfstoff gibt. Das muss man den Menschen offen und ehrlich sagen. Wir sollten keine falschen Hoffnungen we- cken. Wir haben in den letzten Wo- chen und Monaten gezeigt, dass wir vernünftig mit dieser Krise umgehen können. Ich habe hier vor vier Wochen gesagt, dass wir in diesem Land zusammenhalten und dass wir eine große Gemein- samkeit entwickelt haben. Unsere Wirtschaft ist sehr stark, und wir haben gute Maßnahmen auf den Weg gebracht, um unsere Wirt- schaft zu stützen. Deswegen bin ich immer noch sehr zuversicht- lich, dass wir sehr gut, geschlossen und gemeinsam aus dieser Krise herauskommen werden. Bei aller parlamentarischen Dis- kussion, die wir führen, und bei aller Kritik, die geäußert wird: Es ist unsere Aufgabe, diesem Land die Zuversicht zu geben, dass wir gut aus dieser Krise herauskom- men. Ich glaube, diese Zuversicht können wir diesem Land mit gu- tem Gewissen geben; denn wir wissen, was zu tun ist. Wir gehen mit dieser Krise verantwortungs- voll um. Vielleicht gehen wir manchmal einen Schritt zu weit, vielleicht gehen wir manchmal ei- nen Schritt in die andere Rich- tung, aber wir sind immer bereit, die Schritte zu korrigieren und Veränderungen vorzunehmen. Diesen Weg werden wir weiterge- hen. Und wie gesagt: Ich bin überzeugt, dass der Deutsche Bundestag der richtige Ort ist, um das der Öffentlichkeit klarzuma- chen. Vielen Dank für Ihre Aufmerk- samkeit. (Beifall bei der CDU/CSU)