6 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 39-40 - 21. September 2020 Für die meisten Mediziner ist die Sache klar: Eine Entwarnung in der Coronakrise kann es derzeit nicht geben. Zu groß sind die Risiken einer zweiten Welle, die das Gesundheitssystem womög- lich doch noch an den Rand seiner Inten- sivkapazitäten bringen würde. Zudem wird es einen durchgetesteten Impfstoff voraus- sichtlich erst im Laufe des kommenden Jahres geben. Die Neuinfektionen in Deutschland bewe- gen sich in letzter Zeit auf einem höheren, wenngleich nicht auf einem dramatisch hohen Niveau, die Virologen verweisen je- doch auf den nahenden Winter und die Grippesaison. Das Coronavirus entfaltet sich in kühler Umgebung besser als bei warmen Temperaturen. Gesellt sich zu ei- ner Covid-19-Erkrankung ein Grippevirus, kann das für die betroffenen Patienten le- bensbedrohlich sein. Anlass zur Sorge ge- ben auch stark steigende Neuinfektionen in diversen Nachbarländern, darunter Spa- nien, die Niederlande und Frankreich. Als der Bundestag am 25. März 2020 offi- ziell eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellte, gab es im Parlament kaum Widerspruch, die Fakten sprachen für sich. Inzwischen ist das Lagebild etwas differenzierter, zudem gelten die mit dem Feststellungsbeschluss einhergehenden Be- fugnisse für das Bundesgesundheitsminis- terium (BMG), Rechtsverordnungen und Anordnungen über das Infektionsschutzge- setz (IfSG) eigenständig erlassen zu kön- nen, unter Juristen als verfassungsrechtlich bedenklich. Der Rechtsexperte Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg sprach unlängst in einer Anhörung von ei- ner „Blankovollmacht“, die mehr als 1.000 Vorschriften umfasse und die Parlaments- rechte aushöhle. Lokale Ausbrüche Im Bundestag gehen die Meinungen zur aktuellen Gefahrenlage ziemlich weit auseinander, wie sich vergan- gene Woche bei einer Aussprache über ei- nen Gesetzentwurf (19/20042) der FDP- Fraktion zeigte. Die FDP wollte die Fest- stellung einer epidemischen Lage aufhe- ben, ohne dass die in der Folge erlassenen Rechtsverordnungen und Anordnungen außer Kraft gesetzt würden. Dem Vorschlag schloss sich am Ende keiner an, Linke und Grüne enthielten sich, Union, SPD und AfD lehnten ab. Ein separater Antrag der FDP (19/20046), die Feststellung der epi- demischen Lage zu beenden, wurde eben- falls abgewiesen. Auch ein Antrag der Grü- nen-Fraktion (19/20565), einen wissen- schaftlichen Pandemierat als Beratungsgre- mium zu gründen, um differenziert auf die Infektionszahlen reagieren zu können, fand keine Mehrheit, wenngleich die Idee durchaus Anhänger hat. Die AfD-Fraktion verfolgt einen ähnlichen Plan. Wie unberechenbar die Infektionslage ist und wie schnell es vorbei sein kann mit der relativen Sicherheit, zeigen etliche lo- kale Ausbrüche, die es etwa in Schlachthö- fen, Wohnblöcken, in Clubs oder nach pri- vaten Feiern gegeben hat. In Garmisch-Par- tenkirchen sorgte dieser Tage eine junge US-Amerikanerin für Aufregung, die nach einem Urlaub Krankheitssymptome be- merkte, sich aber nicht davon abhalten ließ, mehrere Clubs zu besuchen, statt in Quarantäne zu gehen. Sie infizierte offen- KURZ NOTIERT Insolvenzantragspflicht bleibt ausgesetzt Für überschuldete Unternehmen bleibt die Insolvenzantragspflicht bis zum 31. De- zember 2020 ausgesetzt. Das sieht eine Änderung des COVID-19-Insolvenzausset- zungsgesetzes (19/22178) vor, die der Bundestag vergangene Woche mit großer Mehrheit beschlossen hat. Die Pandemie sei noch nicht überwunden, viele Firmen seien insolvenzgefährdet. Sie sollen sich weiter unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote und im Rahmen außerge- richtlicher Verhandlungen sanieren kön- nen. Zahlungsunfähige Firmen sind aus- genommen. mwo T Keine Prüfmöglichkeit für Auslandseinsätze Bundeswehreinsätze im Ausland können weiterhin nicht umfassend verfassungs- rechtlich überprüft werden. Der Bundes- tag lehnte am Donnerstag mit Koaliti- onsmehrheit einen Gesetzentwurf der Grünen zur Änderung des Bundesverfas- sungsgerichtsgesetzes ab (19/14025). Grundsatzfragen müssten letztverbind- lich durch das Bundesverfassungsgericht geklärt werden können, argumentierten die Grünen unter Verweis auf einen Be- schluss des Gerichts zum Einsatz in Sy- rien. Dazu bedürfe es eines neuartigen Verfahrens. Die Koalition hält dies nicht für erforderlich. mwo T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper Das Virus und der Herbst CORONAKRISE Streit über Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite und Parlamentsrechte In Garmisch-Partenkirchen löste eine „Superspreaderin“ einen Corona-Ausbruch aus. Die 26-jährige US-Amerikanerin besuchte trotz eindeutiger Symptome mehrere Clubs. Vor dem Testzentrum der Stadt (im Bild) bildeten sich Warteschlangen. © picture-alliance/dpa bar zahlreiche andere Leute und rief sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die nun gegen die „Superspreaderin“ ermittelt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von einem „Musterfall für Unvernunft“. Mehrere Abgeordnete warnten davor, die epidemische Lage zu unterschätzen und in der Bevölkerung falsche Erwartungen zu wecken. Erwin Rüddel (CDU) sagte, ehe ein geeigneter Impfstoff zur Verfügung ste- he, dürfe „nicht leichtfertig aufs Spiel ge- setzt werden, was durch Disziplin und Be- sonnenheit in den vergangenen Monaten erreicht worden ist“. Er erinnerte daran, dass die Einschränkungen, die der Bevölke- rung auferlegt wurden, in Deutschland deutlich geringer ausgefallen seien als in anderen Ländern. Mit Blick auf die Grund- rechte und die kritisierten Sonderbefugnis- se des BMG fügte Rüddel hinzu, niemand könne Interesse daran haben, „Rechte des Parlaments einzuschränken oder auszuhe- beln“. Genau das ist nach Ansicht der AfD aber passiert. Detlev Spangenberg (AfD), forderte analog einem Antrag der Fraktion, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufzuheben, die par- lamentarische Kontrolle sicherzustellen und Verordnungsermächtigungen zu been- den. Infolge der Beschränkungen seien rund eine Million Operationen abgesagt oder verschoben worden, wirtschaftliche Existenzen seien zerstört, Grundrechte ein- geschränkt worden, kritisierte Spangen- berg. Dabei habe auch im März 2020 keine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorgelegen, die Bedingungen für diese De- finition seien nie vorhanden gewesen. Parlamentsrechte Skepsis hält sich auch in der Linksfraktion, die dafür plädierte, den „verfassungsrechtlichen Ausnahmezu- stand“ zu beenden, wie es Achim Kessler (Linke) ausdrückte. Die nötigen Regelun- gen könnten „in ordentlichen gesetzlichen Verfahren beschlossen werden“. Gleich- wohl sei die Coronakrise nicht vorbei. Noch deutlicher fiel die Kritik von Christi- ne Aschenberg-Dugnus (FDP) aus. Es sei aus demokratischer Sicht inakzeptabel, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite noch bis Ende März 2021 aufrechtzuerhalten, „denn dieser Ein- griff in unsere Parlamentsrechte ist verfas- sungsrechtlich unzulässig“. Im März habe noch eine epidemische Notlage von natio- naler Tragweite vorgelegen, heute sei die Situation anders. Kordula Schulz-Asche (Grüne) räumte ein, die Verordnungsbefugnis des BMG sei „rechtsstaatlich bedenklich“, daher müss- ten die massiven Einschränkungen im All- tag auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis- se bewertet und fortlaufend auf Rechts- staatlichkeit hin überprüft werden. Dirk Heidenblut (SPD) stellte klar, die meisten Pandemie-Gesetze seien im Bundestag ent- standen. Der Bundestag, nicht die Regie- rung entscheide über die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Trag- weite. Claus Peter Kosfeld T Bund erhofft sich Modernisierungsschub KRANKENHÄUSER Milliarden für Investitionen Der Bund will mit einer Finanzspritze den Investitionsstau bei Krankenhäusern ver- ringern und einen Modernisierungsschub bewirken. Das Krankenhauszukunftsgesetz (19/22126; 19/22609), das am Freitag den Bundestag passierte, sieht für 2021 Investi- tionen des Bundes in Höhe von drei Milli- arden Euro vor, die Länder sollen 1,3 Milli- arden Euro zur Verfügung stellen. Gefördert werden Investitionen in Notfall- kapazitäten und die digitale Ausstattung der Häuser, etwa Kommunikation, Teleme- dizin, Robotik, High-Tech-Medizin und Dokumentation. Investiert werden soll auch in IT- und Cybersicherheit, was durch den Hackerangriff auf die Universitätskli- nik in Düsseldorf zusätzliche Aktualität er- halten hat. Ferner wird der Krankenhaus- strukturfonds im Umfang von einer Milli- arde Euro pro Jahr, der paritätisch von Bund und Ländern finanziert wird, um zwei Jahre bis 2024 verlängert. Erlösrück- gänge, die den Kliniken 2020 durch die Corona-Pandemie entstanden sind, sollen individuell ausgeglichen werden. Bonus Für Pandemie-bedingte Mehrkos- ten, etwa Schutzausrüstungen, können bis Ende 2021 Zuschläge vereinbart werden. Der Leistungszeitraum für das Kinderkran- kengeld wird ausgedehnt, bleibt aber auf das Jahr 2020 begrenzt. In der Pflege wer- den mehrere befristete Regelungen zur Ent- lastung und Unterstützung Betroffener bis Ende 2020 verlängert. Nach den Altenpflegern erhalten nun auch Beschäftigte in Krankenhäusern, die in der Coronakrise besonders belastet waren, eine Prämie von bis zu 1.000 Euro. Dafür ste- hen insgesamt 100 Millionen Euro zur Ver- fügung. Für die Vorlage votierte neben Uni- on und SPD auch die FDP, Linke und Grü- ne enthielten sich, die AfD-Fraktion, die mit eigenen Anträgen scheiterte, stimmte dagegen. In der Schlussberatung machte Bundesge- sundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Dimension der Investitionshilfe durch den Bund deutlich und erinnerte daran, dass in der dualen Krankenhausfinanzierung ei- gentlich die Länder für Investitionen zu- ständig sind. Erstmals seit Jahrzehnten in- vestiere der Bund aus Haushaltsmitteln drei Milliarden Euro in die Kliniken. „2021 wird so viel in Krankenhäuser investiert wie nie zuvor.“ Spahn fügte hinzu, auf die Digitalisierung komme es besonders an. Investitionen in die IT-Sicherheit seien not- wendig, weil die Gesundheitsdaten sehr sensibel seien und geschützt werden müss- ten. Claudia Schmidtke (CDU) ergänzte: „Die Digitalisierung unserer Krankenhäu- ser ist nicht Kür, sie ist Pflicht.“ Der Bund leiste eine Starthilfe, die Länder müssten den Weg entschlossen weitergehen. Sabine Dittmar (SPD) sprach von überfälli- gen Investitionen zur Stärkung des Kran- kenhaussektors. Das Zukunftsprogramm entbinde die Länder aber nicht von der Verpflichtung, Investitionskosten sicherzu- stellen. Edgar Franke (SPD) sprach sich da- für aus, das umstrittene Abrechnungssys- tem der Fallpauschalen (DRG) weiterzu- entwickeln und zielgenauer zu machen. Fallpauschalen Nach Ansicht der AfD sollte das DRG-System abgeschafft und durch ein regionales Vergütungssystem er- setzt werden. Robby Schlund (AfD) sagte, die Fallpauschalen seien mit viel Kritik ein- geführt worden und hätten die Erwartun- gen nicht erfüllt. Zudem müsse die Kran- kenhauslandschaft umstrukturiert werden. Für die FDP-Fraktion lobte Andrew Ull- mann die Investitionen, sprach sich aber für grundlegende Reformen aus, denn viele Probleme seien ungelöst. Denkbar wäre ein Mix aus spezialisierten Häusern und Maximalversorgern. Er forderte eine nach- haltige Finanzierungs- und eine qualitative Strukturreform der Kliniken. Harald Weinberg (Linke) monierte, der Name des Gesetzes sei ein Etikettenschwin- del. Der Wettbewerb gefährde die Existenz von Krankenhäusern und könne ihre Zu- kunft nicht sichern. Die Investitionen seien sinnvoll, eine Finanzierungsreform sei je- doch bitter nötig. Maria Klein-Schmeink (Grüne) kritisierte, die Investitionen seien nicht eingepasst ist in einen vernünftigen Rahmen. Es sei auch nicht sicher, dass Kli- niken den nötigen Digitalisierungsschub erhielten. Spielraum für eine grundlegende Strukturreform werde jetzt vertan. pk T Investitionen in Kliniktechnik sind kostspielig, im Bild ein Magnetresonanztomograph (MRT), der mehr als drei Millionen Euro kosten kann. © picture alliance/APA/picturedesk.com Behördliche Wissenslücken Unbelastete Ministerin AMRI-AUSSCHUSS Zeuge schildert kuriose Namensangaben von Islamisten BERATERAFFÄRE Ausschuss legt Abschlussbericht vor »Es fehlte an Kommuni- kation und Kooperation zwischen den Behörden.« Thomas Beck, Bundesanwalt Wenn sich einer schon „Ahmed al Masri“ nennt. Für Thomas Beck „ein Umstand, der mich regelmäßig erbost“. Schließlich – was soll das heißen? „Ahmed der Ägypter“, wei- ter nichts: „Genau so gut könnte ich mich als ‚Thomas der Deutsche‘ vorstellen.“ Das weiß natürlich nicht jeder. Ein Vorwurf ist den Beschäftigten diverser deutscher Aus- länderbehörden also nicht zu machen, die es unbesehen für bare Münze nahmen, als ein Asylbewerber, der in Wahrheit Anis Amri hieß, sich ihnen als „Ahmed al Masri“ andiente. Eine auf diesen Namen ausgestellte Duldungsbescheinigung fand sich nach dem An- schlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Führer- haus des Lastwagens, mit dem der Täter den Weih- nachtsmarkt an der Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche überrollt hatte. Eigenwillige Namen Dem Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Beck, hätte Amri so leicht nichts vorma- chen können. Der Mann kennt sich aus mit der gelegentlich eigenwilligen Na- mensgebung der Islamisten. In seinen Ak- ten wimmelt es von „al-Masris“, „al-Alma- nis“, „al-Bagdadis“, „al-Tounsis“ und wie sie zu heißen vorgeben. Seit Anfang 2014 steht der heute 64-jährige Beck an der Spit- ze der Terrorismusabteilung der Bundesan- waltschaft, ist seit Mitte 2018 ständiger Ver- treter des Generalbundesanwalts. In dieser Eigenschaft führte er nach dem von Amri verübten Attentat am 19. Dezember 2016 die Oberaufsicht über die Ermittlungen. Der Berliner Anschlag verschaffte dem Bundesanwalt Beck, wie er in der vorigen Woche im Untersuchungsausschuss erläu- terte, freilich Gelegenheit, sich noch über andere, im Ergebnis gravierendere behörd- liche Wissenslücken zu wundern. Bei ei- nem Krisentreffen von Justizvertretern aus Bund und Ländern am 3. März 2017 habe sich herausgestellt, dass außer in Berlin keine Generalstaatsanwaltschaft über die Zahl der islamistischen Gefährder in ihrem Zuständigkeitsbereich im Bilde gewesen sei. Es fehlte an Kommuni- kation und Kooperation zwischen den Justizbehör- den der Länder und den je- weiligen Landeskriminal- ämtern, es fehlte an Trans- parenz und Vernetzung. Vor dem Ausschuss sprach Beck von einem „Amri-Defizit der Justiz“, das dringend aufzuarbeiten gewesen sei. Schnellreform Dies sei im Frühjahr 2017 in relativ kurzer Frist geschehen. Die zwischen Februar und Mai beschlossenen und umgesetzten Veränderungen seien „die schnellsten und effektivsten Strukturmaß- nahmen in der Justiz“ gewesen, „die ich in meiner Dienstzeit bundesweit erlebt habe“. Nach dem Sondertreffen Anfang März sei auf einer regulären Konferenz der „AG Ex- tremismus“ am 10. und 11. April 2017 eine Vorlage entstanden, die mit den gemeinsa- men „Weimarer Beschlüssen“ des General- bundesanwalts und der Generalstaatsan- waltschaften der Länder am 23. Mai in Kraft getreten sei. Seither gebe es erstmals ein auf Dauer etabliertes „justizielles Ge- fährdermanagement“. Die Frage, die sich nach dem Anschlag ge- stellt habe, sei ja gewesen: Wie hätte es ge- lingen können, den Attentäter zeitig zu stoppen? Becks Antwort: Indem man die diversen Ermittlungen wegen kleinerer De- likte, die in mehreren Länder gegen Amri anhängig waren, bei einer Staatsanwalt- schaft vereinigt hätte, um mit dem Gewicht eines gebündelten Verfahrens womöglich einen Haftbefehl zu erwirken. Beck sprach vom „Al-Capone-Prinzip“, nach dem le- gendären Chicagoer Gangster der 1920er Jahre, der nie wegen Mordes, Erpressung und Bandenkriminalität, schließlich aber wegen einer Steuersache hinter Gitter kam. Im Fall Amri sei das unterblieben, „weil niemand die Informationen zielgerichtet zusammengeführt hat“. Ein „strukturelles Defizit“, meinte Beck. Nach dem Anschlag waren sich die Zustän- digen schnell einig, dass als Konsequenz nun auch bei den Justizbehörden der Län- der „Staatsschutzzentren“ einzurichten sei- en, die untereinander und mit den Polizei- behörden sowie mit der Bundesanwalt- schaft steten Kontakt halten sollten. Das in den „Weimarer Beschlüssen“ festgezurrte „Gefährdermanagement“ beruhe im Übri- gen auf drei Säulen. Zum einen sei in je- dem Einzelfall der Anfangsverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Ver- einigung oder der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat zu prüfen. Lasse ein solcher Verdacht sich nicht auf Anhieb erhärten, würden Ermitt- lungen wegen geringfügigerer Delikte bei einer Generalstaatsanwaltschaft gebündelt. Drittens unterlägen Gefährder auch nach einer Haftentlassung einer schärferen Auf- sicht, bis hin zu der Verpflichtung, Fußfes- seln zu tragen. Eine große Lektion aus dem Fall Amri mahnte Beck zu beherzigen: Die Behörden dürften, auch „wenn repressive Instrumen- te nicht greifen“, solche Leute nicht aus den Augen lassen. Winfried Dolderer T Bei der Beauftragung externer Berater kam es im Verteidigungsministerium zu Verstö- ßen von führenden Soldaten und Beamten. Dies ist dem Abschlussbericht des Untersu- chungsausschusses des Verteidigungsaus- schusses in der sogenannten Berater-Affäre zu entnehmen, den der Ausschussvorsitzen- de Wolfgang Hellmich (SPD) in der vergan- genen Woche an Bundestagspräsident Wolf- gang Schäuble (CDU) übergab. Vorwürfe wegen Fehlverhaltens gegen die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) finden sich in dem 720 Sei- ten starken Bericht nicht, über den das Par- lament noch abschließend beraten wird. Bundesrechnungshof Anlass für die Ein- setzung des Untersuchungsausschusses im Januar 2019 waren Berichte des Bundes- rechnungshofs über Rechts- und Regelver- stöße bei der Vergabe von Aufträgen an ex- terne Unternehmen. Der Ausschuss hält es sich nach Abschluss seiner Arbeit zugute,es sei auch seinem Ermittlungseifer zu ver- danken, dass sich die beanstandeten Sach- verhalte so nicht wiederholen könnten. In einem der untersuchten Komplexe – es ging um die Entwicklung einer neuen IT- Strategie– stellt der Bericht fest, Ministerin von der Leyen habe kaum eine Entschei- dungsgrundlage zu den untersuchten Vor- gängen selbst gezeichnet. Zwar sei ihr Büro von den entscheidenden Vorgängen stets in Kenntnis gesetzt worden. Die Entscheidun- gen selbst seien aber häufig auf Ebene der Staatssekretäre getroffen worden. Offen sei geblieben, über welche Vorgänge die da- malige Ministerin durch ihr Büro konkret informiert wurde. Der Bundesrechnungshof hatte unter ande- rem moniert, dass das Unternehmen Ac- centure beim Projekt „Product Lifecycle Management“ unter Verstoß gegen die Ver- gaberichtlinien zwecks Beratung und Un- terstützung beauftragt worden sei. Die Ge- samtverantwortung dafür trägt nach Auffas- sung des U-Ausschusses der damals zustän- dige Abteilungsleiter General Erhard Büh- ler, der sich inzwischen im Ruhestand be- findet. Eine direkte Verantwortlichkeit der damaligen Staatssekretärin Katrin Suder machte der Ausschuss nicht aus. Allerdings habe sie dazu beigetragen, dem zuständi- gen Accenture-Manager einen Zugang zum Ministerium zu verschaffen. Sie habe die Vergabe-Entscheidung für das Unterneh- men mitgetragen, hält der Ausschussbe- richt fest. Bühler, so stellt der Bericht fest, sei mit dem fraglichen Accenture-Ge- schäftsführer befreundet und Taufpate von dessen Kindern. Suder sei ebenfalls mit dem Mann befreundet und Taufzeugin. Das Aufspüren solcher persönlichen Bezie- hungen gehörte zu den Aufgaben des U-Ausschusses. Sondervoten der Opposition In ihrem Sondervotum stufen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen die Bewertung der Vorkommnisse durch die Ausschussmehr- heit zwar als teils zutreffend ein. Viele we- sentliche Erkenntnisse der Untersuchung würden aber ausgespart oder verharmlost. Nicht nachvollziehbar sei, dass insbeson- dere die SPD, die sich während der Beweis- aufnahme engagiert und kritisch gezeigt habe, die Vorgänge nun wie die CDU/CSU bagatellisiere. Die AfD stimmt in ihrem Sondervotum dem von den Koalitionsabgeordneten ver- fassten Bewertungsteil nicht zu. Die Verfeh- lungen und Verantwortlichkeiten würden darin nicht deutlich genug aufgezeigt. Ins- besondere die Verantwortung von Ministe- rin von der Leyen werde nur unzureichend dargestellt. Franz Ludwig Averdunk T