4 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 48 - 23. November 2020 Drinnen debattiert und entscheidet der Bundes- tag über das neue Bevöl- kerungsschutzgesetz (sie- he Seite 1 bis 3), draußen demonstrieren Tausende gegen die staatlichen Anti-Corona-Maß- nahmen, während ein Großaufgebot der Polizei für einen ungestörten Parlaments- betrieb sorgt. So war es am vergangenen Mittwoch, doch ganz so ungestört blieb es in den Bundestagsgebäuden nicht: Mehrere Gäste von AfD-Abgeordneten bedrängten dort andere Parlamentarier, filmten sie ge- gen ihren Willen – „sehr ernste Vorfälle“, schrieb Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) am Folgetag nach „inten- siven Beratungen des Ältestenrates“ in ei- nem Brief an alle Mitglieder des Hohen Hauses. Er habe, heißt es darin weiter, die Verwal- tung gebeten, „alle rechtlichen Möglichkei- ten zu prüfen, gegen die Täter und diejeni- gen vorzugehen, die ihnen Zugang zu den Liegenschaften des Bundestages verschafft haben“. Darüber hinaus lasse er prüfen, wie das bestehende Regelwerk ergänzt werden könne, um wirkungsvoller gegen solchen Missbrauch vorgehen zu können. Heftige Empörung Auch am Freitagvor- mittag sorgten die Vorfälle in einer Aktuel- len Stunde des Parlaments für heftige Em- pörung aller anderen Fraktionen; beantragt hatte die Koalition die Debatte mit dem Ti- tel „Bedrängung von Abgeordneten verur- teilen – Die parlamentarische Demokratie schützen“. Was man am Mittwoch erlebt habe, konstatierte Michael Grosse-Brömer (CDU) als erster Redner, sei „ein Angriff auf das freie Mandat und ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie“. Zwar sei man gewohnt, dass die AfD das Anse- hen des Parlaments „in den Dreck ziehen“ wolle, doch sei mit diesen Ereignissen „ei- ne neue Qualität“ erreicht worden. Eine Abstimmung im Bundestag habe offenbar „durch Bedrängung – man könnte auch sa- gen: durch Nötigung“ beeinflusst werden sollen. Dies sei der Tiefpunkt einer dauer- haften Strategie der AfD im Parlament. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sag- te, dass gewählte Volksvertreter von Gästen zweier Abgeordneter seiner Fraktion „be- drängt und belästigt wurden, ist unzivili- siert und gehört sich nicht“. Dafür ent- schuldige er sich als Fraktionsvorsitzender. Hier sei etwas „aus dem Ruder gelaufen“, fügte er hinzu und räumte ein: „Das hätten wir verhindern und diese Besucher beauf- sichtigen müssen.“ „Unterstellungen“, die- se Vorfälle seien von der AfD-Fraktion be- absichtigt gewesen, seien jedoch „infam“. Auch vermisse er bei der Bewertung der Vorfälle „die Gleichheit der Maßstäbe“. So sei am Mittwoch ein Mitglied seiner Frakti- on außerhalb des Parlaments von der Poli- zei festgenommen worden, obwohl er sich als Abgeordneter ausgewiesen habe. Es wä- re angemessen, wenn die anderen Fraktio- nen auch diesen „Angriff auf einen Volks- vertreter“ verurteilen würden. Dirk Wiese (SPD) nannte Gaulands Recht- fertigung „scheinheilig“. Bei den Vorfällen habe es sich nicht um einen zufällig ge- schehenen Einzelfall gehandelt, sondern um eine „bewusste Grenzüberschreitung in voller Absicht“. Man lebe aber heute in ei- ner wehrhaften Demokratie und wisse, KURZ NOTIERT Renten-Versichertenzeiten von DDR-Altübersiedlern Der Bundestag hat sich in der vergange- nen Woche in einer Debatte mit der Ant- wort (19/16953) der Bundesregierung auf eine Große Anfrage (19/11250) der Fraktion Die Linke zur rückwirkenden Einbeziehung der DDR-Altübersiedler in das Gesetz zur Rentenüberleitung be- fasst. Darin geht es um die rentenrechtli- che Bewertung der DDR-Versichertenzei- ten von Menschen, die vor 1989 in die Bundesrepublik geflüchtet oder überge- siedelt sind. Die Bundesregierung weist in der Antwort die Auffassung als unzu- treffend zurück, wonach Regelungen des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht für die Bewertung dieser Versi- chertenzeiten gelten. che T 3,5 Milliarden Euro für Betreuung von Grundschülern Der Bundestag hat dem Gesetzentwurf (19/17294; 19/24478) der Bundesregie- rung zur Errichtung des Sondervermö- gens für den Ausbau der ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter zugestimmt. Damit wird der Grundstein dafür gelegt, dass der Bund die Länder mit 3,5 Milliar- den Euro für den Ausbau der Angebote unterstützt. CDU/CSU, SPD und Grüne stimmten für den Entwurf. AfD, Linke und FDP enthielten sich. che T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper »Sehr ernste Vorfälle« BUNDESTAG AfD-Gäste bedrängen Abgeordnete. Die anderen Fraktionen sehen einen Angriff auf die Demokratie Ein großes Paket SOZIALES Gesetz zu Rente, Reha und Sozialwahlen Rentenversicherung Die jährliche Renteninformation der ge- setzlichen kommt zwar zuverlässig ins Haus geflattert. Aber über den Rest, so vorhanden, ist es eher schwerer, den Überblick zu behalten. Ge- meint sind zum Beispiel Altersvorsorgen aus betrieblichen oder berufsständischen Versorgungswerken oder privaten Renten- versicherungen. Die Bundesregierung will das nun ändern. Eine Digitale Renteninfor- mation, die alle relevanten Daten bündelt, soll die Unübersichtlichkeit beenden und, so die Hoffnung, dadurch den Anreiz ver- stärken, sich mit der Altersvorsorge intensi- ver zu beschäftigten. Transparenz schaffen In der vergangenen Woche verabschiedete der Bundestag einen Gesetzentwurf (19/23550; 19/24487) der Bundesregierung mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Verbesserung der Transparenz in der Alterssicherung und der Rehabilitati- on sowie zur Modernisierung der Sozial- versicherungswahlen und zur Änderung anderer Gesetze“. Denn neben der Renten- information hat das Gesetz noch zwei an- dere große Ziele: Erstens mehr Transparenz und Diskriminierungsfreiheit bei der Be- schaffung medizinischer Rehabilitations- leistungen durch die Träger der Rentenver- sicherung herzustellen. Zweitens die Mo- dernisierung der Sozialwahlen, also der Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherung. Im Laufe der parla- mentarischen Beratungen wurden noch weitere Änderungen an anderen Sozialge- setzbüchern an den Entwurf angehängt. In der Debatte begrüßte zwar auch die Op- position viele Aspekte, doch zu viele De- tails des Projektes ließen AfD, FDP und Linke nur mit Enthaltung stimmen. Die Grünen begründeten ihre Zustimmung vor allem mit den Verbesserungen bei der Re- ha. Zur Reform der Sozialwahlen hatte die Fraktion einen eigenen Antrag (19/22560) vorgelegt, der jedoch abgelehnt wurde. Markus Kurth (Grüne) bezweifelte in der Debatte, dass die Träger der Rentenversi- cherung und die Reha-Einrichtungen künf- tig Preise im Konsens aushandeln werden. „Da fehlt ein Sanktionsmechanismus. Falls die Träger sich nicht einigen, darf das nicht zu Lasten der Versicherten gehen“, sagte er. Max Straubinger (CSU) hatte keine Zwei- fel, dass mit der Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts der Versicherten die Interessen der Reha-Einrichtungen und der Patienten künftig stärker berücksichtigt werden. AfD, FDP und Linke kritisierten, dass die Rentenübersicht zunächst auf Freiwilligkeit beruht. Die versprochene Transparenz leis- te das Gesetz eben nicht, weil nicht alle Versorgungsgesellschaften angebunden würden, kritisierte Ulrike Schielke-Ziesing (AfD). „Sie setzen nur jene Puzzleteile zu- sammen, die auf dem Tisch liegen und ignorieren die unter dem Tisch“, ergänzte Johannes Vogel (FDP). Matthias W. Birk- wald (Linke) forderte, die Rentenübersicht nicht nur digital zur Verfügung zu stellen. „Die Lösung ist nicht perfekt, aber wir star- ten jetzt und wollen auf dem Weg weitere Beteiligte mitnehmen“, verteidigte Martin Rosemann (SPD) das Gesetz. che T Wenig sozialer Schutz ARBEIT Debatte über Reform der Minijobs Im Plenarsaal unzulässig: Während der Rede von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Bevölkerungsschutzgesetz hielten AfD-Abgeordnete Protestplakate hoch. © picture-alliance/dpa / Michael Kappeler „wie wir mit Verfassungsfeinden umgehen können“. Es sei richtig, dass der Ältestenrat beschlossen habe, diese Vorfälle straf- und ordnungsrechtlich zu prüfen. »Tabubruch« Marco Buschmann (FDP) warf der AfD vor, „die Institutionen in den Schmutz ziehen“ zu wollen, weil sie diese hasse. Ziel der Vorfälle vom Mittwoch sei es gewesen, „ein Klima der Bedrohung in dieses Haus zu tragen“. Die AfD sei erst- mals von „technischer Obstruktion zu phy- sischer Obstruktion des Parlaments über- gegangen“. Dies sei ein „Tabubruch“. Man werde jedoch alle bestehenden rechtlichen Instrumente nutzen und gegebenenfalls er- weitern, um sich dagegen zu wehren: „Phy- sische Obstruktion lässt sich dieses Parla- ment nicht gefallen“, unterstrich Busch- mann. Petra Pau (Linke) nannte es „menschenver- achtend und demokratiefeindlich“, dass AfD-Abgeordnete Personen in Bundestags- gebäude geholt hätten, „die andere Parla- mentarier hier drinnen bedrängen und be- drohen“. Wie die AfD im Zusammenhang mit dem neuen Bevölkerungsschutzgesetz von einem „Ermächtigungsgesetz“ wie von 1933 zu sprechen, verharmlose den Fa- schismus und verhöhne dessen Opfer. Die AfD werfe anderen Parteien vor, die Coro- na-Pandemie „parteiegoistisch zu miss- brauchen“, doch tatsächlich versuche sie sich selbst auf Kosten von vielen erkrank- ten und gefährdeten Bürgern zu profilie- ren. Dies sei „erbärmlich“. Britta Haßelmann (Grüne) unterstrich, die „von der AfD eingeschleusten Personen wollten die gewählten Abgeordneten an der Ausübung ihres freien Mandats hin- dern“. Dabei hätten die AfD-Abgeordneten genau gewusst, wen sie einladen und was deren Absicht gewesen sei. Gaulands Äuße- rungen seien „Ausflüchte mit doppeltem Boden“. Wer Abgeordnete einzuschüchtern versuche, „greift unsere Demokratie an“. Vor diesen „destruktiven und antiparla- mentarischen Angriffen“ würden FDP, Uni- on, Grüne, SPD und Linke zusammen das Parlament schützen, betonte Haßelmann und fügte hinzu, man lasse sich „von Rechtsextremen nicht auf der Nase herum- tanzen – weder hier im Parlament noch anderswo“. Helmut Stoltenberg T Die Fraktion Die Linke will Minijobs ab dem ersten Euro sozialversicherungspflich- tig machen. „Diese Beschäftigungsform ist frei von sozialem Schutz“, begründete Su- sanne Ferschl den Antrag (19/24003) ihrer Fraktion. Minijobs seien auch keine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt, fügte sie hinzu und widersprach damit der FDP, de- ren Antrag „Minijobs dynamisieren“ (19/ 24370) ebenfalls vergangene Woche vom Bundestag beraten und an die Ausschüsse überwiesen wurde. Nach dem Willen der Linken soll für Mini- jobs eine Mindestanzahl von 22 Stunden pro Woche gelten, von der nur auf Wunsch der Beschäftigten nach unten abgewichen werden darf. Außerdem soll der gesetzliche Mindestlohn umgehend auf mindestens zwölf Euro pro Stunde erhöht werden. Die FDP will dagegen Minijobs ausweiten und die Lohnobergrenze von derzeit 450 Euro auf 660 Euro erhöhen. Damit Minijobber auch von der Anhebung des Mindestlohnes profitierten, soll die Ober- grenze auf das 60-fache des Mindestlohnes festgelegt werden, heißt es in dem Antrag. Der sozialpolitische Sprecher der Libera- len, Pascal Kober, verwies auf die Rand- und Stoßzeiten in Landwirtschaft, Hotelle- rie, Gastronomie und Kultur, wo Minijob- ber gebraucht würden. Torbjörn Kartes (CDU) warf der Linken vor, eine „faktische Abschaffung des Mini- jobs“ zu wollen. Gleichzeitig widersprach er der Forderung nach einer Anhebung des Mindestlohnes. Damit würden gerade in der aktuellen Krise alle Bemühungen kon- terkariert, dass möglichst wenige Menschen ihren Job verlieren, sagte er. Die AfD-Fraktion sprach sich für einen An- spruch auf Kurzarbeitergeld für Minijobber aus. Diese Benachteiligung müsse über- wunden werden, betonte ihr Sozialexperte Jürgen Pohl. Minijobber gehörten zu den großen Verlie- rern der aktuellen Krise, sagte Gabriele Hil- ler-Ohm (SPD). Wenn, wie von der FDP gefordert, auf 660 Euro hochgeschraubt werde, würden rund 500.000 reguläre Jobs zu Minijobs degradiert werden, warnte sie. Die Grünen unterstützten die Forderungen nach einer vollen Sozialversicherungs- pflicht und der sofortigen Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Allerdings brauche es ein gutes Konzept und das habe Die Linke nicht vorgelegt, sagte Beate Mül- ler-Gemmeke. Susann Kreutzmann T Lohnobergrenze die Mit Geld gegen die Krise »Graue Wölfe« im Visier ARBEIT Kurzarbeit-Sonderregeln werden bis Ende 2021 verlängert INNERES Regierung soll Verbot der »Ülkücü«-Vereine prüfen Ja, es sei „sehr, sehr teuer“ gab Bundesar- beitsminister Hubertus Heil (SPD) zu. 18 Milliarden Euro habe die Bundesregie- rung in diesem Jahr schon für das Kurzar- beitergeld ausgegeben. Aber die Finanzie- rung von Massenarbeitslosigkeit sei keine Alternative. „Wir verlängern die Kurzarbeit rechtzeitig, denn die Krise ist noch nicht vorbei“, bekräftigte der Minister. Er appel- lierte zugleich an die Unternehmen: „Wir helfen Ihnen, aber nutzen Sie dieses Instru- ment auch! Was ich nicht erleben will, ist, dass nach der Krise über Fachkräftemangel geklagt wird“, sagte Heil. Diese Krise habe die Regierung selbst verur- sacht, entgegnete Martin Sichert (AfD) in der abschließenden Beratung des Beschäftigungs- sicherungsgesetzes (19/23480; 19/24219) am vergangenen Freitag. Er warf der Regie- rung vor, die Notwendigkeit für die Regelun- gen selbst geschaffen zu haben, indem sie ganze Wirtschaftszweige durch einen Lock- down lahmlege. „Die Verlängerung des Kurz- arbeitergeldes ist ein fatales Signal, denn es bedeutet, dass Sie davon ausgehen, dass Lockdown und wirtschaftliche Beschränkun- gen bis Ende nächsten Jahres andauern wer- den.“ Weiterbildung Mit der Verabschiedung des Gesetzes hat der Bundestag den Weg frei gemacht für die Verlängerung der Kurz- arbeit- und anderer pandemiebedingter Sonderregelungen. Die Oppositionsfraktio- nen AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen stimmten mit Enthaltung. Mit dem Gesetz sollen nicht nur die Ende des Jahres auslaufenden Regeln zum Kurz- arbeitergeld, also dessen Erhöhung nach dem dritten Bezugsmonat, bis Ende 2021 verlängert werden. Ab Mitte nächsten Jah- res wird auch die Finanzierung von Weiter- bildungsmaßnahmen während der Kurzar- beit gefördert. Die befristeten Hinzuver- dienstgrenzen liegen künftig bei 450 Euro (derzeit liegt die Grenze höher), was vor allem die Grünen kritisierten. Peter Weiß (CDU) verwies auf die kon- junkturelle Erholung der Wirtschaft im dritten Quartal. „Aber die steigenden In- fektionszahlen gefährden den Wiederauf- schwung“, warnte er und appellierte an al- le, die Maßnahmen zum Schutz vor COVID 19 einzuhalten. Weiß betonte, es sei ein Erfolg, dass Qualifizierungen auch dann bis zum Ende gefördert würden, wenn die Zahlung von Kurzarbeitergeld bereits ausgelaufen sei. „Wir brauchen für die Zukunft qualifizierte Mitarbeiter“, sagte der CDU-Politiker. Johannes Vogel (FDP) kritisierte weniger das Kurzarbeitergeld als die seiner Ansicht nach grobe Vernachlässigung von Selbstän- digen in der jetzigen Krise. Diese würden wie Erwerbstätige zweiter Klasse behandelt, während man Angestellten großzügig unter die Arme greife. „Wenn die Politik den Menschen das Geschäft verbietet, muss sie für eine Entschädigung sorgen. Dafür tun Sie viel zu wenig“, so Vogel. Aus Sicht von Sabine Zimmermann (Die Linke) lässt die Regierung noch eine Grup- pe im Regen stehen: All jene, die Arbeitslo- sengeld I beziehen oder es demnächst be- ziehen müssen. Sie kritisierte, dass die Son- derregelungen für einen längeren Bezug des ALG I nicht verlängert würden, obwohl doch klar sei, wie schwierig sich die Jobsu- che derzeit gestalte. Zimmermann forderte außerdem, Unternehmen zur Rückzahlung von erstatteten Sozialbeiträgen zu zwingen, wenn sie ihre Beschäftigten trotz Bezug von Kurzarbeitergeld entlassen. > S T I C HW O RT Kurzarbeitergeld > Definition Anspruch auf Kurzarbeiter- geld hat, wessen Arbeitgeber die regel- mäßige Arbeitszeit kürzen muss und dies bei der Agentur für Arbeit angezeigt hat. Kurzarbeitergeld soll den Verdienstaus- fall teilweise wieder ausgleichen. > Höhe Die Höhe liegt standardmäßig bei 60 beziehungsweise 67 (mit Kind) Pro- zent des letzten Nettogehaltes. > Ausnahmen Als Reaktion auf die Coro- na-Pandemie wurde im Frühjahr das Kurzarbeitergeld ab dem vierten Bezugs- monat auf 70 oder 77 (mit Kind) Prozent und ab dem siebten Monat auf 80 bezie- hungsweise 87 Prozent angehoben. Wirtschaft und Psychologie Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne) kritisierte die Anhebung des Kurzarbeitergeldes erst nach drei Monaten als an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehend. Er warb für ein „Kurzarbeitergeld Plus“, das einen nach dem Einkommen gestaffelten Lohnersatz vorsieht und Geringverdiener dadurch bes- ser stellen soll. Außerdem sei es viel zu spät, Weiterbildungen erst ab Sommer 2021 zu fördern. „Wir brauchen schon jetzt eine Weiterbildungsoffensive“, forderte er. Bernd Rützel (SPD) betonte, die Beschäf- tigten und die Wirtschaft bräuchten Pla- nungssicherheit. immer auch Psychologie. Deshalb ist es besser, zu wissen, wenn ich Hilfe brauche, dann steht diese auch zur Verfügung.“ Auch nach der Krise müsse die deutsche Wirtschaft erfolg- reich sein, dafür leiste das Gesetz seinen Beitrag, sagte er. Claudia Heine T „Wirtschaft ist Vereinigungen Gerade in der laufenden Wahlperiode ver- dient es besonderer Erwähnung, wenn im Bundestag alle Fraktionen eine Forderung offensichtlich zumindest im Kern teilen. Dies war vergangene Woche der Fall, als das Parlament über ein Verbot der türki- schen Ülkücü-Bewegung debattierte, in Deutschland als „Graue Wölfe“ bekannt. „Nationalismus und Rassismus die Stirn bieten – Einfluss der Ülkücü-Bewegung zu- rückdrängen“ lautete der Titel eines An- trags von CDU/CSU, SPD, FDP und Grü- nen (19/24388); mit „Verbot der Grauen Wölfe“ hatte die AfD-Fraktion ihre Vorlage (19/24328) überschrieben und Die Linke ihren Antrag mit „Graue Wölfe und de- in ren Deutschland verbieten“ (19/24363). Am Ende wur- de die Vier-Fraktionen-Vor- lage gegen die AfD-Stim- men angenommen, wäh- rend die beiden anderen erwartungsgemäß keine Mehrheit fanden. Mit dem Beschluss fordert der Bundestag die Bundes- regierung auf, gegen die Vereine der Ülkücü-Bewegung Organisati- onsverbote zu prüfen, den Aktivitäten der Grauen Wölfe mit den Mitteln des Rechts- staates entgegenzuwirken und mit den in- ternationalen Partnern alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Einfluss der Bewegung in Europa zurückzudrängen. Christoph de Vries (CDU) verwies in der Debatte darauf, dass die Bewegung hierzu- lande mit Vereinen und Sympathisanten bis zu 18.000 Personen umfasse und die größte rechtsextremistische Bewegung sei. Die Grauen Wölfe seien »rassistische, anti- semitische, türkische Ultranationalisten“ und eine Gefahr für die freiheitlich-demo- kratische Grundordnung. Uli Grötsch (SPD) sagte, die Ideologie der Grauen Wöl- fe verstoße gegen das Demokratieprinzip und die Völkerverständigung. Daher müss- ten sie auf den „verfassungsrechtlichen Prüfstand“. Benjamin Strasser (FDP) betonte mit Blick auf das jüngst in Frankreich verhängte Ver- bot der Grauen Wölfe, dass diese dort durch gewalttätige Übergriffe auffielen, während sie in Deutschland gezielt ver- suchten, über legalistische Vereinigungen und Verbände die Gesellschaft und Politik im Sinne ihrer „menschen- verachtenden Ideologie“ zu beeinflussen. Dabei habe man diese Verbände in der Vergangenheit unterschätzt, räumte Strasser ein. Cem Özdemir (Grüne) warnte, die Grauen Wölfe wollten „die Gehirne bereits der Kleinsten mit ihrem Hass auf Christen, auf Juden, auf Andersdenkende vergiften“, und sprach von einem „längst überfälligen Verbot der Ülkücüler“. Beatrix von Storch (AfD) kritisierte, Union und SPD würden jetzt nur wegen des AfD- Antrags tätig, nachdem sie zuvor „seit Jahr- zehnten weggeschaut“ hätten. Die Grauen Wölfe gehörten verboten und ihre Anhän- ger nicht nach Deutschland. Sevim Dagde- len (Linke) sagte, endlich hätten sich Ko- alition, FPD und Grüne zu einem Prüfauf- trag für ein Verbot der Grauen Wölfe durchgerungen, das ihre Partei schon seit Jahrzehnten fordere. Der „Hetze von Isla- misten und türkischen Nationalisten“ müs- se endlich die Organisationstruktur entzo- gen werden. sto T »Sie wollen die Gehirne bereits der Kleinsten mit ihrem Hass vergiften.« Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen)