2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 49-50 - 30. November 2020 GASTKOMMENTARE SCHULEN ALS LETZTES SCHLIESSEN? Das ganze Leben PRO j u g © Ursula Weidenfeld, freie Journalistin t a v i r P © Hagen Strauß, »Saarbrücker Zeitung« In diesen Tagen wird viel über Lebenschancen nachgedacht. Zu Recht geht es in erster Linie um diejenigen, die von einer Covid-19-Er- krankung besonders bedroht sind. Sie müs- sen geschützt werden. Doch mindestens ebenso wichtig sind die Chancen der Kinder und Jugendli- chen. Sie müssen gebildet werden. Schule und Un- terricht sind entscheidend, wenn es um ihre Aus- sichten geht, ein gutes und zufriedenes Leben füh- ren zu können. Deshalb muss alles getan werden, um den Schulbetrieb möglich zu machen. Schon jetzt haben die Kinder und Jugendlichen Monate verloren. Der Schulausfall im Frühjahr und die Beschränkungen im Sommer und Herbst ha- ben ihnen Zeit gestohlen, zu lernen, Sport zu trei- ben, sich auf die berufliche Ausbildung und das Studium vorzubereiten. Schon jetzt warnen Bil- dungsforscher, dass sie ihr Leben lang darunter leiden werden. Sie können keine Praktika absol- vieren, um sich zu orientieren, werden verzögert in das Berufsleben starten und langfristig weniger verdienen als die Generation vor Corona. Deshalb muss der Unterricht stattfinden. Werden die Weihnachtsferien verlängert, müssen die Feri- en in 2021 verkürzt werden. Wenn feste Gruppen nur an jedem zweiten Tag in der Schule unterrich- tet werden können, müssen die Schultage im kom- menden Jahr länger werden. Wenn Lehrer feststel- len, dass ihnen im digitalen Lernprozess die Kinder verloren gehen, die es ohnehin besonders schwer haben, müssen diese Kinder öfter in die Schule ge- hen dürfen – und in den Ferien die Gelegenheit bekommen, das Versäumte nachzuholen. Klar, die Lage ist mehr als schwierig. Doch hier geht es um Lebenschancen, die mehr betroffen würden als nur durch unbequeme Einschränkun- gen. Hier geht es um das ganze Leben. gezeigt: Falsche Versprechungen hel- fen nicht, sie führen nur zu Verdruss bei den Bürgern. Entschieden werden muss stets neu, je nach Infektionsgeschehen. Da- her haben Bund und Länder den Teil-Lockdown verlängert. Für Schulen muss dasselbe gelten. Wer immer wieder verkündet, Schulen schließen als Letztes oder gar nicht, ignoriert: Corona macht um Kinder und Jugendliche keinen Bogen mehr. Auch RKI-Chef Lothar Wieler hat klargestellt, dass vermehrt Fälle in den Lehranstalten auftreten. Zu- dem wurde in den Monaten mit beherrschbarem Pandemiegeschehen versäumt, die Schulen fit zu machen für den Winter. Es fehlt mitunter an allem, an Luftreinigungsfiltern, hybriden Angeboten bis hin zum Personal, um Präsenzunterricht zu teilen. Nur nicht an dicken Jacken, die die Schüler mit- bringen, damit gelüftet werden kann. Eine Test- strategie gibt es schon gar nicht. Sie ist aber das A und O, wenn man das Virus in den Griff bekom- men und Schließungen verhindern will. Darüber hinaus sind schon viele Schulen im Lock- down, ob ganz oder teilweise. Mitte November waren laut Lehrerverband 300.000 Schüler und bis zu 30.000 Lehrer in Quarantäne. 3.200 Bildungs- stätten hatten den Präsenzunterricht stark einge- schränkt. Insofern ist die Vorgabe, Schulen unbe- dingt offenzuhalten, nur eine Beruhigungspille. Weil vielen Familien der wochenlange Heimunter- richt zu Beginn der Pandemie mit all seinen Ver- werfungen noch in den Knochen steckt. Die Reali- tät ist aber längst eine andere. Deswegen muss sich die Politik in der Frage von Schulschließungen ehrlicher machen. Sonst büßt sie weiter Vertrauen im Kampf gegen Corona ein. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Eine Beruhigunspille CONTRA Das hat der Kampf gegen Corona doch Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Jörg Biallas (jbi) V.i.S.d.P. 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Hat Bildung generell einen zu niedrigen Stellenwert? Bildung ist ein zentraler Schlüssel, damit Menschen ihr Leben in die Hand nehmen und ihre Träume verwirklichen können. Verglichen damit kann man sicherlich sa- gen, dass Bildung in unserer Gesellschaft noch einen zu geringen Stellenwert hat. Erst jetzt während der Pandemie wird je- dem deutlich, was vorher schon klar war: Wir müssen deutlich mehr für unser Bil- dungssystem tun! Ihre Partei fordert, die Bildungsinves- titionen deutlich zu erhöhen. Doch das kostet Steuergelder . Von diesen Steuern will die FDP die Bürger doch eigentlich entlasten. Da ist kein Widerspruch. Gerade für Zu- kunftsinvestitionen, und dazu gehört Bil- dung definitiv, können wir noch viel mehr Geld ausgeben. Dagegen hätte man in an- deren Bereichen, wie der Rentenpolitik, viel Geld sparen können. Für die sehr teure „Mütterrente“ hat es aus unserer Sicht zum Beispiel keine Notwendigkeit gegeben. Dieses Geld hätte besser in unser Bildungs- system fließen sollen. Schulen sind offenbar keine Treiber der Pandemie. Warum kocht die Frage pauschaler Schulschließungen dennoch immer wieder hoch? Darüber wundere ich mich auch, denn es wird durch Studien nicht untermauert. Vie- le Politiker sprechen in diesem Zusam- menhang immer wieder sehr leichtfertig vom hybriden Unterricht, bei dem die eine Klassenhälfte digital zugeschaltet wird. Aber darauf sind die meisten Schulen über- haupt nicht vorbereitet. Darauf hätte man spätestens im März hinarbeiten müssen. Das hat die Bildungsministerin aber nicht getan. Nun pochen die Ministerpräsidenten je nach auf differenzierte Regelungen, Betroffenheit der Regionen, während vor allem Bundespolitiker einheitliche Re- geln anmahnen. Ist der Föderalismus die- ser Krisensituation überfordert? Das würde ich nicht sagen. Es ist sicher richtig, wenn Ministerpräsidenten genau schauen, wie sich das Infektionsgeschehen in den jeweiligen Regionen entwickelt. Man kann nicht das ganze Land einer pau- schalen Regelung unterwerfen, sondern muss differenziert vorgehen. Alles andere ist den Schülern, Eltern und Lehrkräften auch nicht zu vermitteln. Selbst Lehrer sind sich offenbar nicht einig, ob Präsenzunterricht oder Wechsel- modelle die beste Lösung sind. Für beides gibt es Argumente. Wie sehen Sie das? Ich bin ganz klar dafür, den Präsenzunter- richt so lange wie möglich aufrechtzuerhal- ten. Da sind auch noch nicht alle Möglich- keiten ausgeschöpft, um das über den Win- ter sicherzustellen. Neben dem Stoßlüften, was ja in einigen Klassenräumen gar nicht möglich ist, sind auch Luftfilter eine gute Möglichkeit, das Infektionsrisiko sehr stark zu reduzieren. Ich erwarte auch, Lehrkräfte, die zu Risikogruppen gehören, und das sind einige, mit FFP-2-Masken auszustat- ten. Wir müssen alles tun, um unseren Kin- dern nicht noch einmal das Recht auf Bil- dung zu verwehren, wie es im Frühjahr ge- schehen ist. Da sehr viele Klassenräume zu klein sind für die Abstandregeln, kursieren mittlerweile auch so originelle Ideen wie die des Unterrichts in Hotels oder Kinos. Das halte ich für gar nicht realistisch und sehr realitätsfremd. »Es reicht noch nicht« KATJA SUDING Die FDP- Bildungspolitikerin kritisiert die Fortschritte bei der Digitalisierung der Schulen als viel zu lasch Aber ist es nicht sinnvoll, dass die Schulen zunächst ein Medienkonzept vor- legen? Erst dann kann man doch feststel- len, welcher Bedarf wofür nötig ist. Ein- fach 500 Computer in die Schule zu stel- len, bringt ja nicht viel. Nein, das reicht nicht. Und daran krankt der Digitalpakt, der in seiner jetzigen Kon- struktion vorwiegend auf die Finanzierung von Technik setzt. Wenn digitale Bildung funktionieren soll, müssen auch die Lehr- kräfte geschult werden. Es hilft kein Kon- zept, wenn die Lehrer nicht wissen, wie sie es umsetzen sollen. Es müssen auch ent- sprechende Lerninhalte, also beispielsweise digitale Schulbücher, gefördert werden. Das Thema Datenschutz muss angegangen werden. Das alles fordern wir in unserem Antrag zum Digitalpakt 2.0, denn da muss noch deutlich mehr passieren. Der Digitalpakt wurde inzwischen drei Mal aufgestockt, jeweils um 500 Mil- lionen Euro unter anderem für Leihgerä- te und zur Finanzierung von IT-Adminis- tratoren. Glauben Sie, dass dieses Geld schneller bei den Schulen ankommt? Im Moment sieht es nicht danach aus. Die Zielrichtung ist gut und richtig, aber die Bund-Länder-Vereinbarung, die nötig ist, damit die 500 Millionen Euro für die Leh- rer-Laptops angeschafft werden können, wird erst in den nächsten Wochen unter- zeichnet werden. Jetzt müssen die Länder noch die juristischen Voraussetzungen da- für schaffen. Ich sehe nicht, wie das bis En- de des Jahres gehen soll. Inzwischen hat man sich von diesem ambitionierten Ziel auch schon verabschiedet und hat den Zeitraum bis auf Ende 2021 ausgedehnt. Das ist in einer Zeit, wo die Lehrer hände- ringend darauf warten, völlig unzurei- chend. Von einem Sofortprogramm kann da wirklich keine Rede sein. Waren Sie überrascht, als im Früh- jahr deutlich wurde, wie viele Schüler of- fenbar zu Hause nicht die nötige Lern-In- frastruktur zur Verfügung haben? Nein, darüber war ich nicht überrascht. Es ist ja nichts Neues, dass es viele Kinder gibt, die in finanziell schwierigen Verhält- nissen aufwachsen. Deshalb ist es ja so wichtig, dass jede Schule endlich über die nötige Zahl an Leihgeräten verfügt. Nun löst auch die Digitalisierung nicht alle Probleme, das heißt, diesen Kindern hilft ein Laptop allein auch nicht, um am Ball zu bleiben. Das Allerwichtigste ist, dass wir die Schu- len im Präsenzunterricht offen halten. Da- mit die Kinder die Möglichkeit haben, mit anderen Kindern und dem Lehrer zusam- men zu lernen. Lernen hat ja auch eine so- ziale Komponente. Und wenn das punktu- ell nicht geht, müssen wir ganz schnell da- für sorgen, neben den Endgeräten für die Schüler auch die entsprechende Lernsoft- ware und Lernplattformen zu installieren. Die Lehrer müssen entsprechend ausgebil- det sein. Das alles hätte man im Sommer mit Hochdruck angehen müssen. Das wur- de leider versäumt und rächt sich jetzt er- neut. © picture-alliance/SZ Photo Das Gespräch führte Claudia Heine. T Die FDP fordert, stärker auf techni- sche Lösungen wie mobile Luftfilter zu setzen. Kann der Bund da überhaupt in einer Form Einfluss nehmen, dass dies noch in diesem Winter Realität werden könnte? Bildung ist Ländersache. Es gibt zum Beispiel noch Mittel aus dem Schulsanierungsprogramm, für das der Bund 2015 den Ländern 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Auch hier sind noch längst nicht alle Mittel abgeflos- sen. Darüber könnte man die Luftfilter kurzfristig beschaffen. Deutschland hinkt bei der Digitali- sierung der Schulen im OECD-Vergleich hinterher. Gleichzeitig wurde bisher nur ein Bruchteil der fünf Milliarden Euro, mit denen der Bund über den Digital- pakt Schule den Ländern unter die Arme greift, abgerufen. Wie kann das sein? Die bürokratischen Hürden sind zu hoch, das hören wir immer wieder von den Schu- len. Dass man die Medienkonzepte inzwi- schen nachträglich einreichen kann, hat daran nichts geändert. Das Antragsverfah- ren muss radikal vereinfacht werden. Katja Suding ist seit 2017 für die FDP Mitglied des Bundestages und dort unter anderem Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung, Technikfolgen- abschätzung. Sie ist stellvertretende FDP-Fraktions- und Bundesvorsitzende. Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper PARLAMENTARISCHES PROFIL Die Besonnene: Ulrike Bahr Der Stimme von Ulrike Bahr ein Unbehagen zu entlo- cken, fällt schwer. Ruhig und entspannt klingt die SPD-Bundestagsabgeordnete an diesem Morgen um 8.30 Uhr, lässt am Telefon dazu ein bayerisch- schwäbisches R rollen. Doch kommt das Gespräch auf Schulbil- dung in Zeiten von Corona, legt sich ein Bedauern auf ihre Zun- ge. „Wir haben eben den Föderalismus“, sagt sie. Herbst 2020, Schulen funktionieren im Teil-Lockdown irgendwie – die einen gut, die anderen weniger. Schulklassen werden in Quarantäne geschickt oder üben sich in „hybridem Lernen“, al- so teils in der Schule, teils zuhause. Und dann gibt es jene Schulen in Deutschland, die haben nicht einmal Internet. „Der Bund hat den Digitalpakt angeschoben“, sagt Bahr, „nun gibt es einen unterstützenden Rahmen, der auch genutzt wer- den muss“. Während die erste Welle der Pandemie auch das Bildungswesen kalt erwischte, erweisen sich nun bei der zwei- ten nicht alle Schulen darauf eingestellt. „Im Sommer haben al- le erstmal durchgeschnauft“, sagt Bahr , „aber man hätte sich besser wappnen können, die Länder hätten mitdenken kön- nen“. Sie verweist auf mögliche Mittel, mit der Pandemie um- zugehen: etwa kleinere Klassen, individuellere Bildung, andere Gebäude, Schichtbetrieb. „Die gesammelten Erfahrungen hätte man koordiniert aufarbeiten können, um Best-Practice-Beispie- le herauszuarbeiten.“ Hätte. Bahr ist selbst Lehrerin, stammt aus einer Lehrerfamilie. Im Bun- destag, in dem die 56-jährige Augsburgerin seit 2013 sitzt, ist sie Mitglied im Bildungsausschuss und im Familienausschuss; eine Mehrbelastung, weil dadurch viele Komplexe zu bearbeiten sind, „aber es passt thematisch gut zueinander“, sie denke da zum Beispiel an die Ganztagsförderung. Bahr ist also Berichterstatte- rin ihrer Fraktion unter anderem für Kinder- und Jugendhilfe, Mehrgenerationenhäuser sowie für Weiter- und Fortbildung. Dass sie einmal für die SPD hauptberuflich Politik machen wür- de, noch dazu als Mitglied der Parlamentarischen Linken, war ..................................................................................................................................................... e c n a i l l a - e r u t c i p / a p d © »Im Sommer haben alle erstmal durchgeschnauft, aber man hätte sich besser wappnen können.« nicht unbedingt abzusehen. Die Eltern nicht sehr politisch, kon- servativ-katholisch geprägt, „eher der CSU als der SPD zuge- tan“. Bahr engagierte sich indes als Jugendliche, zum Beispiel für ein Jugendzentrum. Erst später, als Studentin, trat sie der SPD bei. „Da waren daheim im Ort einige nicht glücklich da- mit“, also in Wemding, einem 5.600-Einwohner-Städtchen, wo sie im Kirchen- und im Schulorchester geigte und seit dem elf- ten Lebensjahr im Basketballverein spielte, später als Center, und die Kinder sowie Jugendlichen trainierte. Noch im Studium am Wochenende fuhr sie heim, wegen der Spiele. Es gab durchaus Fußstapfen. Ihr Vater war Hauptschullehrer, und auch Bahr entschied sich für diesen Weg, „wenn Lehramt, dann für jene Schüler, die besonders viel Pädagogik und Unter- stützung brauchen“; also jene, die im Schul-Lockdown heute die ersten sind, die abgehängt werden, weil ihre Eltern die wegfallende pädagogische Betreuung weniger auffangen und die Bahr in diesen Tagen besonders ins Augenmerk nimmt: „Klar, die soziale Schere im Bildungsbereich hat sich seit März geweitet. Auch das bringt die Digitalisierung eben mit sich.“ In den Ungerechtigkeiten wurden für Bahr zum Dauerthema. 1980er Jahren stritt sie dagegen, dass bei Kindern schon nach der vierten Klasse entschieden wurde, welche weitergehende Schule sie besuchen würden, „das waren Entscheidungswege, die später sehr schwer zu revidieren sind“. Und sie wundert sich heute, dass sich mancherorts nicht viel geändert habe. Viele Jahre arbeitete sie als Hauptschullehrerin. Bahr engagierte sich in der Gewerk- schaft, zog in den Rat der Stadt Augsburg, wurde Vorsitzende der SPD Augsburg. Ihr Stadtratsamt gab sie mit dem Bundes- tagseinzug ab, da sie kein Doppelmandat ausüben wollte. Heute kündigt sich ein langer Tag an. Plenarsitzung, zwei Aus- schusssitzungen, dazwischen Gespräche. Basketball spielt sie nicht mehr, in Berlin sei es ja ein komplett anderes Leben. „Ob- Jan Rübel T wohl, schön wär’s.“