16 DEBATTENDOKUMENTATION Das Parlament - Nr. 51 - 14. Dezember 2020 unterstützt, die Realität. Es geht um Pragma- tismus, so wie bei den Gesund- heitsämtern. Und ja, zum Beispiel da hat die Bundeswehr eine gute Rolle gespielt und die Gesund- heitsämter unterstützt, obwohl es eigentlich eine regionale Aufgabe ist. Das braucht es jetzt auch bei den Schulen. Mein Gott, in einem Industrieland können doch wohl diese Filter eingebaut werden, und im Zweifel, indem das die Bun- desebene in den Weihnachtsferien. Das Max- Planck-Institut hat dafür beste Vorschläge gemacht. Warum braucht es das? Weil man Unter- nehmen mit Geld retten kann, aber Kinder nicht. Wenn Sie ein- mal erleben, was es mit Kindern macht, deren Alltagsstruktur kom- plett wegbricht, wenn Sie einmal erleben, was es mit Jugendlichen macht, die ohnehin viel an mobi- len Endgeräten sind, die ihren All- tag nicht mehr strukturiert haben, wenn Sie einmal erleben, was es mit Kinderseelen macht, wo es zu Hause richtig, richtig hart ist und jeder Tag in der Schule eine Erho- lung, dann heißt das: Packen Sie endlich an! Gute Politik heißt, zu handeln, und zwar im realen Le- ben. Politik Lernfähige bedeutet, Dinge wirklich besser zu machen, insbesondere wenn man erkennt, dass sie sich in Krisenzeiten wie unter einem Brennglas verschär- fen. Ja, wir müssen jetzt retten. Deswegen haben wir auch vielem zugestimmt. Aber wir dürfen nicht einfach den Status quo zementie- ren. Mit den Milliardenpaketen muss jetzt auch der Grundstein dafür gelegt werden, dass es in Zu- kunft besser wird. Ich habe da sehr genau hingehört, bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, bei Ihnen, Herr Finanzminister, in Talkshows und anderen Runden. Es gibt ei- nen großen Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wenn wir einfach nur sagen: „Wir nehmen Geld in die Hand und knüpfen dann da an, wo wir vor der Krise waren“, dann haben wir nichts gelernt. Das ist keine vorausschauende Po- litik; denn es ist eben nicht alles gut gewesen vor dieser Krise. Dass Pflegekräfte und Krankenhäuser nun zum zweiten Mal in einem Dreivierteljahr vor dem Kollaps stehen, das liegt doch auch daran, Herr Lindner, dass Sie vor etlicher Zeit neoliberal alles an diesen Or- ten durchkapitalisiert haben. Dass 120 000 Pflegekräfte in Altenhei- men und 50 000 Pflegekräfte in Krankenhäusern fehlen, das war schon vor der Coronakrise so. Deswegen darf der Leitspruch der Vereinten Nationen – Sie können da noch was lernen – „Build back better“ nicht nur deren Leitspruch sein, das darf nicht nur der Leit- spruch des neuen US-Präsidenten sein, sondern das muss zukünftig Leitspruch der deutschen Politik Lernfähige Politik bedeutet, Dinge wirklich besser zu machen. sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das heißt ganz kon- kret, Pflegekräfte in den Mittel- punkt zu stellen. Das heißt ganz konkret – auch nach dieser Pande- mie, Herr Spahn -, nicht nur auf die jetzige Situation in den Kran- kenhäusern zu schauen, sondern ein Vorsorgeelement in Kranken- häusern zu schaffen, damit Klini- ken nicht nur erbrachte Leistun- gen, sondern endlich auch die Vorsorge finanziert bekommen, damit wir aus dem Maskenfiasko in den letzten Mo- naten auch Lehren für die nächsten Jahrzehnte ziehen. Vorsorge treffen für zukünftige Krisen bedeutet auch, dass wir uns in Zu- kunft nicht weiter von Nachtrags- haushalt zu Nach- tragshaushalt han- geln können, sondern dass wir die nächste Krise wahrnehmen, dass wir sie sehen und heute handeln und nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Da ist die Klimakrise. Das Dür- rejahr 2018 war mit 4,5 Milliarden Euro Schäden durch Wetterextre- me eine teure Warnung an den Bundeshaushalt und nicht an uns Grüne. Damit wir nicht von Dau- erreparaturmodus zu Dauerrepa- raturmodus kommen, gilt es jetzt, eben nicht alles im Status quo zu zementieren, sondern wir müssen die Milliarden nutzen, um gleich- zeitig auf Klimaneutralität umzu- stellen. Und ja, da haben wir Dis- sens in etlichen Teilen dieses Haushaltes. 21,6 Milliarden Euro sind in den letzten Monaten in fossile Energien geflossen. Auf eu- ropäischer Ebene streiten wir – Sie hoffentlich auch – für den Green Deal. Aber hier manifestieren Sie mit diesen Geldern den Grey Deal, weil Sie nicht bereit sind, neben der Bereitstellung von Geld auch wirklich gute Ordnungspoli- tik zu machen. Das ist kein Widerspruch; das gehört Hand in Hand zusammen. Das zeigen uns doch andere euro- päische Länder. In Österreich zum Beispiel hat die grüne Umweltmi- nisterin durchgesetzt, dass bei der Rettung von Austrian Airlines – ei- ne Tochter von Lufthansa im Übri- gen – ganz konkrete Klimaschutz- maßnahmen festgeschrieben wer- den: Flottenmodernisierung, Ti- cketpreise, Einstellung von Kurz- strecken. Diese Bundesregierung mit ihrem 9-Milliarden-Euro-Pa- ket für die Lufthansa: Frau Merkel und Herr Mützenich, nennen Sie doch mal Beispiele, wo Sie die Lufthansa jetzt an konkrete Klima- schutzmaßnahmen gebunden ha- ben! Sie haben sich noch nicht mal getraut, das anzusprechen. Ja, wir müssen Arbeitsplätze schützen. Aber Ihre Logik, allein den Status quo zu stabilisieren – auch bei der Lufthansa, auch beim Kurzarbeitergeld -, aber Wei- terqualifizierung, wonach die Wirtschaft ruft, nicht zur Bedin- gung zu machen, wird mittelfristig die Transformation in diesem Land blockieren, zulasten des In- dustriestandorts und auch zulas- ten zukünftiger Arbeitsplätze, mei- ne sehr verehrten Damen und Herren. Wie tief Sie sich da hi- neinmanövrieren, das können Sie ganz konkret – wir reden hier ja über den Haushalt, Frau Weidel, und nicht über das, was man alles hasst in der Welt im Einzel- plan 12 dieses Bun- deshaushalts nach- lesen. Sie wollen 2021 fast eine halbe Milliarde Euro für Regionalflughäfen, etwa so zeitgemäß wie Telefonzellen und Taxisäulen, weiter ausgeben. Aktuell wächst das Straßennetz um mehrere Tau- send Kilometer, das Schienennetz 2020 um sage und schreibe drei neue Kilometer. Und das Dienst- wagenprivileg: Sie wollen ja über Steuereinsparungen an dieser Stel- le sprechen. Ein Porsche Cayenne Turbo – das musste ich googeln, ehrlich gesagt – kostet 145 000 Euro und hat einen CO2-Ausstoß von 245 Gramm pro Kilometer. Wenn den ein gutverdienender Freiberufler bei der Steuererklä- rung geltend macht, bekommt er 79 000 Euro zurückerstattet. Kauft sich eine Hebam- me, ledig, mit zu versteuerndem Ein- kommen von 40 000 Euro für ein Zehntel des Kauf- preises einen Opel Corsa – dass Sie, Herr Lindner, einen Opel Corsa nicht ist ja klar kennen, mit einem CO2-Ausstoß von 93 Gramm pro Kilometer – er hält also die EU- Flottengrenzwerte ein -, so wird das steuerlich mit 5 000 Euro be- rücksichtigt. Das 15-Fache an Steuererstattung ist nicht nur öko- logisch falsch, sondern es mani- festiert auch die sozialpolitische Spaltung in diesem Land, meine sehr verehrten Damen und Her- ren. Daher ist es kein Zufall, dass andere Länder damit Schluss ge- macht haben. Wir feiern dieser Ta- ge – Sie waren da zum Glück noch nicht im Parlament – fünf Jahre Pariser Klimaabkommen. Ich hät- te mir, ehrlich gesagt, eine solche Leidenschaft wie die, mit der Sie in dieser Pandemie gerade an die Wissenschaft erinnern, auch für den Klimaschutz gewünscht. Ich weiß, Sie sind mit dem Herzen da- bei, aber Sie müssen sich mal fra- gen, was Sie die letzten fünf Jahre als Union so getrieben haben, nicht als Klimaschutzpartei – das waren Sie noch nie -, aber als Wirtschaftsakteur in dieser globa- lisierten Welt. Dass jetzt andere Länder um uns herum flächende- ckend den Ausstieg aus dem fossi- len Verbrennungsmotor beschlie- ßen, dass ausgerechnet Boris John- son – das muss man sich mal vor- stellen; Sie haben den Brexit ange- sprochen -, während über den Brexit verhandelt wird, sich jetzt hinstellt, Jahre nach Paris, und 68 Prozent CO2-Klimareduk- tion bis 2030 ankündigt und die deutsche Bundesregierung ver- dutzt sagt: „Okay, wir stützen das EU-Kommissionsziel von 55 Pro- zent“, das schmerzt mich nicht nur als Klimapolitikerin, nein, das schmerzt mich als Europäerin. fünf Wir hätten die Chance gehabt, zum führenden Binnenmarkt der Welt in diesem Bereich zu werden. Der Wohlstand in diesen Zeiten basiert darauf, dass man die richti- gen Weichenstellungen schafft, so wie 1945, nach dem schlimmsten Kapitel unserer Geschichte. Euro- päische Integration, deutsche Ein- heit, der Euro, Osterweiterung es ist immer eine politische Weg- scheide, an der man steht. Da muss man sich aktiv ent- scheiden. Da darf man nicht ein- fach darauf vertrauen und gucken, was die Amerikaner vier Jahre ma- chen. Die Amerikaner sind jetzt wieder mit an Bord. Wo ist unser Aufschlag für einen transatlanti- schen Deal? Wo ist unser Auf- schlag für ein neues transatlanti- sches sozialökolo- gisches Handelsab- kommen? „Build back bet- ter“ heißt, dass wir nicht weiter von der Coronakrise in eine Wirt- schaftskrise schlittern. Wir brau- chen jetzt die Investitionen in den Industriestandort Deutschland. Das sind eben Investitionen, Herr Scholz, die höher sind als die, die wir auch vorher schon für Wasser- stoff und künstliche Intelligenz bereitgestellt haben. Diese Investi- tionen müssen wir jetzt vorlegen. Ja, Herr Lindner, wir sind da ehr- lich; ja, liebe Union, wir sind da ehrlich: Das heißt, wir werden bei diesen Tilgungsfristen nicht voran- kommen. Wenn Sie weiter fest- schreiben, dass wir ab 2026 all die Kredite aus 2020 und 2021 tilgen müssen, dann müssen wir sparen. Entweder Sie kürzen die Sozial- leistungen, oder Sie sparen an den Investitionen, und das ist das Ge- genteil von zukunftsgerecht, mei- ne sehr verehrten Damen und Herren. Ich komme zum Schluss. Wenn wir nicht in die Digitalisie- rung investieren, wenn Sie nach der Devise „Der Markt regelt alles“ weitermachen, dann sind Sie ir- gendwann bei der 148. Ausschrei- bung, bis wir Glasfaser haben; denn der Markt funktioniert eben nicht in allen Bereichen. Es braucht schon eine Politik, die wirklich lenkt und steuert. Wenn Sie das nicht tun, dann tun es andere. Wir haben das au- ßenpolitisch daran gesehen, dass andere agieren. Die Türkei und Russland sind in Bergkarabach massiv unterwegs, weil Europa sich weggeduckt hat. China inves- tiert in die Europäische Union 300 Milliarden Euro ich komme zum Schluss, doch nicht, weil die Chinesen Wohltäter sind, sondern hinter dieser neuen Investitionsof- fensive Chinas in Europa und in der Welt steckt geostrategisches Kalkül. Das, was dort investiert wird, wird nicht im Sinne einer humanitären Geste investiert, son- dern um strategische Abhängigkei- ten zu schaffen. Da muss Europa reingehen. Mein letzter Gedanke. Die Kür- zungen in diesem Haushalt bei den Ausgaben für multilaterale Programme betragen ab 2022 25 Prozent: Kürzungen bei den Mit- teln für UNICEF, das UNDP-Ent- wicklungsprogramm, die Weltge- sundheitsorganisation. Das ge- fährdet die Sicherheit nicht des deutschen Haushaltes, sondern unserer strategischen Rolle in der Welt, meine sehr verehrten Da- men und Herren. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alice Weidel (AfD): Das ist eine Kindergartenrede gewesen! Kinder- garten! Mann, Mann, Mann! Wahn- sinn! Was für ein Kindergarten! Unglaublich! – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Das war eine schlechte Bewerbungsrede!) Dies ist eine gekürzte Version der De- batte. In der Debatte sprachen zudem die Abgeordneten Ralph Brinkhaus (CDU/CSU), Klaus Ernst (Die Linke), Sebastian Münzenmaier (AfD), Cars- ten Schneider (Erfurt) (SPD), Simone Barrientos (Die Linke), Margit Stumpp (Bündnis 90/Die Grünen), Alexander Dobrindt (CDU/CSU), Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen), Beatrix von Storch (AfD), Bärbel Bas (SPD), Otto Fricke (FDP), Anke Dom- scheit-Berg (Die Linke), Dr. Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen), Marco Bülow (fraktionslos), Patricia Lips (CDU/CSU), Dr. Diether Dehm (Die Linke), Martin Erwin Renner (AfD), Sonja Amalie Steffen (SPD), Nadine (CDU/CSU), Uwe Schulz (AfD), Dennis Rohde (SPD), Elisabeth Motschmann (CDU/CSU), Katrin Budde (SPD) sowie Dr. Jens Zimmermann (SPD). Schön Wir brauchen jetzt Investitionen in den Industrie- standort Deutschland. Es ist nicht da, weil Sie einfach nur abwarten, und das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland. fatal