6 DEBATTENDOKUMENTATION Das Parlament - Nr. 13-15 - 29. März 2021 Ausgaben denken, wenn wir Wachstum wollen. Da wäre im Binnenmarkt mehr möglich gewe- sen. Dennoch ist es ein guter Schritt, in der Pandemie zusam- menzuhalten. Im letzten Jahr haben die soge- nannten sparsamen Vier auch Ver- änderungen herbeigeführt Kondi- also tionalität der Mittelauszahlung. Die sparsamen Vier haben er- reicht, dass das Europäische Se- mester, Reformvorhaben, beim Auszahlen mitgedacht wird. Ich habe im Juli des letzten Jahres aufgrund der politischen Freund- schaft zu Herrn Rutte geschrieben, Mark Rutte sei der eigentliche Nachfolger von Wolfgang Schäu- ble. Mir ist schon klar, dass im Re- gierungshandeln die Bundesrepu- blik Deutschland im Sinne einer dienenden Führungsrolle nicht nur an der Seite der Frugal Four gehen kann. Aber so einseitig, wie sich Ihre Regierung den Vertretern mediterraner Finanzpolitik genä- Ralph Brinkhaus, CDU: Neue Philosophie für den nationalen Katastrophenschutz Wertschöpfungsketten so europä- isch vernetzt, wie Deutschland es ist. Und was wäre unser Arbeits- markt ohne die 24-Stunden-Pfle- gerinnen aus Polen, ohne die Bau- arbeiter, ohne die Logistiker und ohne die Erntehelferinnen und Erntehelfer aus Rumänien, Bulga- rien und vom Balkan? Europa, meine Damen und Herren, ist für uns keine Frage, Europa ist keine Option; Europa ist unsere Wirk- lichkeit, und deswegen können wir die Probleme dieser Pandemie auch nur europäisch lösen. h c o K s a b o T © i Ralph Brinkhaus (*1968) Wahlkreis Gütersloh I Ich finde es schon seltsam, dass Herr Gauland gerade beklagt, dass nicht genügend geimpft wird im Kampf gegen eine Pande- mie, die seine Fraktion seit einem Jahr bestreitet. Es ist eine Seltsamkeit, wie hier argumentiert wird, liebe Kollegin- nen und Kollegen, und das ist, glaube ich, nicht die einzige Selt- samkeit, die wir momentan ha- ben. Es ist richtig: Wir sind jetzt im 13. Monat einer Epidemie natio- nalen Ausmaßes, wir sind im zweiten Lockdown, wir haben die Bundeskanzlerin hat gesagt mittlerweile den zweiten Virus, und wir sind alle müde, wir sind mürbe. Das ist überhaupt keine Frage. es Viele Menschen sind wütend, viele Menschen sind zornig. Gerade in diesem Augenblick halte ich es für wichtig, auch mal den Blick über Deutschland hi- naus nach Europa zu wenden. Das ist ja auch der Sinn dieser Debatte. Nur um das mal klarzumachen weil es ja Leute gibt, die sagen, wir sind eine Insel, wir sollen national zuerst an uns denken, und dann reicht das: Wir haben neun Lan- daußengrenzen mit Ländern wie Dänemark, von dem wir zugege- benermaßen in der Pandemie ei- niges lernen können, und Ländern wie Tschechien, wo überhaupt nichts klappt. Alle Personen, die von Ost nach West, von Nord nach Süd über den Landweg durch Europa reisen, reisen durch Deutschland. Kein Land ist in den Und weil das so ist, ist es auch wichtig, dass wir in dieser Zeit eu- ropäische Solidarität üben. Darü- ber werden wir in einer späteren Debatte abstimmen. Ja, es ist rich- tig, dass wir in der Krise helfen. Ja, es ist richtig, dass wir in der Krise mit dem Eigenmittelbeschluss, mit dem Neustart- paket etwas Außer- gewöhnliches auf den Weg bringen. Aber, meine Da- men und Herren, das ist die Ausnah- me in der Krise, das ist die Solidarität in der Krise. Deswe- gen lehne ich es to- tal ab, was Olaf Scholz und die AfD aus unter- schiedlichen Gründen behaupten, dass das nämlich der Einstieg in eine dauerhafte Fiskal- und Schul- denunion ist. Das ist es für uns de- finitiv nicht, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist auch richtig, dass wir die- sen Impfstoff europäisch gemein- sam beschaffen, aus den Gründen, die ich gerade genannt habe. Und natürlich ist es so, dass es vielleicht für uns national besser gewesen wäre aber nicht langfris- tig, wenn wir diesen Impfstoff al- lein beschafft hätten. Aber trotz- dem ist es richtig, dass wir das ge- meinsam als Europäerinnen und Europäer gemacht haben. Ja, wir müssen uns anrechnen lassen, dass es schlechter geklappt hat als im Vereinigten Königreich, in Isra- el oder in den Vereinigten Staaten. Es ist ein schleichendes Gift, das in unser Land einsickert, das Gift der Wut. Ja, es wichtig, dass dieser Gipfel sich damit beschäftigt, warum das so war, und dass die Impfstoffver- sorgung verbessert wird. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wir müssen uns auch fragen: Sind die europäischen Institutionen denn überhaupt bereit dafür gewesen, so eine Impfstoffbeschaffung zu organisieren? Haben wir nicht Dysfunktionalitäten in den euro- päischen Institutionen? Deswegen muss bei aller Kritik an den han- delnden Personen in Brüssel auch das berücksichtigt werden: Wir müssen in Europa bei der Bewälti- gung dieser Krise auch funktional besser werden. Das muss eine Leh- re aus dieser Pandemie sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. in Wenn ich jetzt bei Kritik an handelnden Personen bin, dann möchte ich mal nach Deutschland zurückkehren. Ich möchte einfach mal vor Augen führen, mit welcher Schärfe und mit welcher Häme handelnde Personen der letzten Zeit hier kri- tisiert worden sind. Ich schließe mich dieser Häme und Schärfe ausdrück- lich nicht an, weil nämlich Ent- scheidungen getroffen worden sind und die meisten Entschei- dungen im Übrigen auch richtig waren. Ich schließe mich dieser Häme und Schärfe nicht an, weil diese Entscheidungen unter Unsi- cherheit und im Risiko getroffen worden sind. Ich schließe mich dieser Häme nicht an, weil wir mittlerweile ei- ne Unkultur in diesem Land ha- ben, dass jegliche Fehler als Skan- dal, als Versagen oder als Versagen mit Vorsatz bezeichnet werden. Wo sind wir denn, meine Damen und Herren? Wenn wir diese Fehlerkultur fortführen, dann wird niemand mehr Fehler zugeben, dann wer- den Fehler vertuscht, und dann können wir auch nicht lernen. Deswegen sollten wir uns überlegen, wie wir mit Feh- hert hat, sollte das zukünftig nicht fortgesetzt werden. politisch verändern, und das pas- siert in den nächsten Jahren. Ich persönlich werde zustim- men, aber aus anderen Gründen als Herr Scholz. Alles, was Herr Scholz am europäischen Wieder- aufbaufonds rühmt gemeinsame Schulden und gemeinsame EU- Steuern, wollen wir in der Zukunft lern in diesem Land umgehen, sollten nach vorne schauen und sollten daraus lernen. Aber eins ist auch richtig, und das ist überhaupt keine Frage: Europa ich habe es gerade gesagt ist in Teilen dysfunktional für die- se Krise aufgestellt gewesen; das Gleiche gilt auch für unser Land. Und nein, ich möchte nicht den Föderalismus infrage stellen. Aber die Aufgaben und Verantwor- tungszuordnung im Föderalismus war für diese Krise schlecht. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die inneren Verwaltungsabläu- sind nicht fe, die wir haben, schnell und nicht flexibel und nicht agil genug, übrigens nicht nur für die Krise, sondern für viele andere Herausforderungen auch. Um das klarzustellen: Das liegt nicht an den Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, sondern das liegt am politischen Rahmen, den wir auch hier im Deutschen Bun- destag setzen. Und wenn wir, Herr Lindner, über Parlamentsbeteili- gung reden, dann müssen wir da- rüber reden, wie wir hier einen neuen Rahmen schaffen, dass die- ses Land besser und flexibler auf die Herausforderungen der Ge- genwart und Zukunft reagieren kann, liebe Kolleginnen und Kol- legen. Wir müssen die Bundeskanzle- rin hat es gesagt; übrigens haben wir da mehr auf den Weg ge- bracht, alses öffentlich scheint die Digitalisierung vorantreiben. Der Bundesinnenminister hat es auch gesagt und arbeitet daran. Wir brauchen eine neue Philosophie für den nationalen Katastrophen- schutz. So, wie das jetzt funktio- niert, kann es nicht weitergehen. Ich habe auch gesagt: Wir brau- chen in diesem Land nicht nur ei- ne Reform, sondern wahrschein- lich sogar eine kleine Revolution. Auf diesem Land, auf diesem Staatswesen liegt der Staub von 200 Jahren, und diesen Staub müssen wir spätestens jetzt in der Krise beseitigen. Aber das ist auch eine Wahrheit in der aktuellen Pandemie kön- nen wir nicht auf eine Revolution warten, da müssen wir schnell handeln. Gestatten Sie mir diesbezüglich einen Gedanken: Ich bin wie viele Kolleginnen und Kollegen auch in die Politik gegangen, um Leben zu schützen, um Leben zu ermögli- chen. Das ist unsere Motivation: Leben vom Anfang bis zum Ende Vielen Dank. (Beifall bei der FDP – Jan Korte (DIE LINKE): Stabil marktradikal!) zu schützen und Leben zu ermög- lichen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Leben die Voraus- setzung für Freiheit ist, dass Leben und Gesundheit die Vorausset- zung für die Inanspruchnahme von Grundrechten sind und dass Leben und Gesundheit die Voraus- setzung dafür sind, dass ich mein Leben eigenverantwortlich gestal- ten kann. Das kann ich natürlich nicht absolut setzen klar, ich muss den Wert des Lebens immer wie- der gegen andere Werte ausbalan- cieren; das ist überhaupt keine Frage, man kann von mir als Poli- tiker erwarten, dass ich priorisiere. Ich stelle fest, dass sich heute über 20 000 Menschen neu infi- ziert haben, dass heute weit über 200 Todesfälle gemeldet worden sind; das sind im Übrigen unge- fähr so viele Leute, wie jetzt hier im Saal sitzen. 200 Gesichter, 200 Schicksale, 200 Hoffnungen, 200 Enttäuschungen, 200-mal Leid, und das jeden Tag und nicht nur heute, nicht nur gestern, nicht nur vorgestern. Es muss das Primat unseres Handelns sein, dass wir dieses Leben schützen. Ja, und es ist auch unsere Aufgabe, neben denjenigen, die wir immer wieder zu Recht im Blick haben die Gast- wirte, die Einzelhändler, die Men- schen, die sich nach sozialen Kon- takten sehnen, auch diejenigen im Blick zu haben, die nicht laut sind. Das sind die Schwachen, die zu Hause bleiben müssen, das sind die überlasteten Intensivpfle- ger, das sind die Menschen, die mit Langzeitfolgen erkrankt sind, das sind die Menschen, die einen elenden Tod gestorben sind. Im Übrigen: Wenn jetzt jüngere Men- schen erkranken, dann werden sie einen noch elenderen Tod sterben. Deswegen ist es unsere Verantwor- tung, etwas für diese Menschen zu tun. Natürlich hilft Testen, natür- lich hilft Impfen, aber seien wir doch mal ehrlich: Das wird in den nächsten Wochen nicht reichen. Deswegen ist eine große Währung, die wir in den nächsten Wochen haben, immer noch die Kontakt- beschränkung. Diese Entschei- dung müssen wir treffen. Wir werden die Bundeskanzle- rin hat es gesagt nicht nur das Licht sehen, sondern wir werden wahrscheinlich im Sommer raus- kommen. Aber es ist unsere Ent- scheidung, wie viele Menschen auf dem Weg dorthin noch er- kranken und sterben werden. Vor dem Hintergrund haben wir die