2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 21-23 - 25. Mai 2021 GASTKOMMENTARE IST DIE ZWEI-STAATEN-LÖSUNG NOCH REALISTISCH? Visionen sind nötig PRO W ahr ist, dass die Rede von der i t s r o h d n W _ n i r h t a K © Ulrike Winkelmann, »die tageszeitung«, Berlin Zwei-Staaten-Lösung zuletzt recht hohl klang – Motto: Es fällt uns zu Israel und Palästina zwar nichts mehr ein, aber „an Zwei-Staaten-Lösung festhalten“ lässt sich immer fordern. Das aber sagt vor allem etwas über diejenigen aus, die da sprachen – und weniger über die Lösungsvorstel- lung selbst. Denn was haben alle die denn vorzu- schlagen, die jetzt so lässig meinen, die Zwei- Staaten-Lösung habe sich doch längst erledigt? Angefangen beim ewigen Frieden aller Völker, kennt die internationale Politik viele hehre Ziele. Darunter ist die Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina immerhin noch eines der realisti- scheren. Dass viele den Glauben daran verloren haben, liegt nicht am Konzept, sondern an zwölf Jahren Regierung durch Benjamin Netanjahu, da- von vier im Konzert mit dem ähnlich gesinnten Do- nald Trump. So wie in den USA können jedoch auch in Israel eines Tages Verständigungswillen und Großzügigkeit wieder in die Regierung einzie- hen. Und natürlich muss sich auf palästinensischer Seite auch unendlich viel verändern. Es stimmt: Ein Blick auf die immer fleckenhafter gewordene Landkarte von Israel und Palästina kann Fans der Zwei-Staaten-Lösung nur entmuti- gen: Wie sollen hier je noch halbwegs plausible Grenzen gezogen werden? Doch es gibt in der Po- litik viele visionäre Vorstellungen, die so vermut- lich nie erreicht werden – und dennoch nötig sind: Als Zielmarken, um überhaupt einen Weg zu fin- den, auch um die Politik auf ein sinnvolles Han- deln zu verpflichten und sie bewerten zu können. Die Zwei-Staaten-Lösung aufzugeben, ohne eine bessere solche Zielmarke zu setzen, hieße, dem herrschenden Zynismus freie Bahn zu lassen. sung fehlen elementare Voraussetzun- gen. Nicht nur der Hamas, auch der vermeintlich gemäßigten Fatah gilt sie allenfalls als Etappenziel auf dem Weg zur „Be- freiung ganz Palästinas“ – im Klartext: zur Zerstö- rung Israels. Dessen Anerkennung als jüdischen Staat kommt für sie nicht in Frage. Ein souveränes Palästina könnte aber nur in enger politischer Kooperation und wirtschaftlicher Ver- knüpfung mit Israel gedeihen. Andernfalls würde es sich flugs in ein militärisches Aufmarschgebiet verwandeln, wie es heute schon Gaza ist. So lange der Iran die Hamas sowie die libanesische Hisbol- lah hochrüstet und seine Aggressionspolitik nicht effektiv eingedämmt wird, können sich vorhande- ne Ansätze eines grundlegenden Wandels der jü- disch-arabischen Beziehungen nicht entfalten. Keine Alternative ist die von Israel-Kritikern jüngst verstärkt propagierte „Einstaatenlösung“, die das Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem „säkularisierten“ Staat vorsieht. Die jüdi- schen Israelis wären darin bald in der Minderheit – ohne Schutzgarantie vor islamistischer und ara- bisch-nationalistischer Willkür. Nur ein wehrhafter, definitiv jüdischer Staat bietet ihnen Sicherheit. Realistisch bleibt auf absehbare Zeit nur eine mo- difizierte Beibehaltung des Status quo: die be- grenzte, gegebenenfalls schrittweise zu erweitern- de palästinensische Autonomie. Auf lange Sicht könnte sich dann unter den Palästinensern eine neue, pragmatische Führungsschicht herausbilden, der Wohlstand und Fortschritt mehr wert ist als militantes Märtyrertum. Erst mit ihr würde ein friedliches Nebeneinander in zwei Staaten mög- lich. Doch das ist ferne Zukunftsmusik. Ferne Zukunftsmusik CONTRA Z ur Realisierung der Zwei-Staaten-Lö- i o n a d r o G s a h t t a M © i Richard Herzinger, freier Publizist Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur N. N. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) V.i.S.d.P Redaktionsschluss 21. Mai 2021 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement FAZIT Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. 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Die Region ist und bleibt ein Pulverfass. Selbst wenn sich die Lage in den kommen- den Tagen beruhigen sollte, werden die zu- grunde liegenden Konflikte bestehen blei- ben. Solange es keine vernünftigen diplo- matischen Initiativen gibt, reicht ein klei- ner Vorfall und schon eskaliert die Situati- on wieder. Ich warne daher vor zu viel Op- timismus mit Blick auf eine Friedenslö- sung. Haben Akteure wie die Hamas über- haupt ein Interesse daran? Nein, die Hamas will keine friedliche Lö- sung. Das ist eine islamistische Organisati- on, die den Konflikt mit Israel befeuern will und gar nicht den Anspruch erhebt, die Vertretung aller Palästinenser zu sein. Unterstützt wird sie insbesondere vom Iran. Er will den ideologischen Kampf ge- gen Israel fortführen, der darauf abzielt, das Land zu vernichten. Um die Zukunft der Palästinenser geht es ihnen dabei nicht. Welche Rolle spielt die Fatah, die im Westjordanland unter Führung von Prä- sident Mahmud Abbas regiert? Die meisten Palästinenser sind mit der Fa- tah sehr unzufrieden. Sie wird von vielen als machtverliebte und korrupte Clique wahrgenommen und hat ein Legitimitäts- problem, weil im Westjordanland schon seit 15 Jahren keine Wahlen abgehalten wurden. Das ist hochproblematisch, auch im Hinblick auf eine Friedenslösung. Denn mit wem soll man überhaupt verhandeln? Darauf verweisen auch die Israelis immer wieder, wenn wir von ihnen fordern, dass sie sich für eine Lösung einsetzen sollen. Es ist letztlich eine der größten Tragödien für die palästinensische Seite, dass sie keine Führung hat, die ihre Interessen vertritt. Ich denke auch nicht, dass sich das in nä- herer Zukunft ändern wird. Die Fatah braucht dringend wieder Erfolge. Mit wem sollen Israel und die inter- nationale Staatengemeinschaft dann ver- handeln? Wenn wir eine Lösung erreichen wollen, müssen wir den Druck auf den Iran erhö- hen. Dafür sind die Atomgespräche ein gu- ter Ansatzpunkt. Aus dem Iran kommen die Raketen, die die Hamas aus Gaza auf Israel feuert. Er finanziert den Terrorismus in der gesamten Region. Solange man diese Tatsache nicht berücksichtigt, wird es im- mer eine Schieflage geben. Die EU agiert in den vergangenen Ta- gen ziemlich hilflos. Eine Erklärung zum Nahost-Konflikt kam wegen eines Vetos aus Ungarn nicht zustande. Wie soll sie so eine Vermittlerrolle einnehmen? Die EU gibt wirklich ein schwaches Bild ab. Weder war sie in der Lage, eine einheit- liche europäische Position zu finden, noch verfügt sie über eine eigene Nahost-Strate- gie. Daher findet Europa im Nahen Osten bisher im Grunde nicht statt. Alles was der Europäischen Union einfällt, ist die Forde- rung nach einer Zwei-Staaten-Lösung und der Aufruf an beide Seiten, auf Gewalt zu verzichten. Das sind richtige Ziele, aber es ist kein Plan. Was wäre ein Plan? Europa und auch die USA sollten das The- ma größer sehen und die Akteure einbezie- hen, die Einfluss haben. Darunter sind ne- ben dem Iran auch die Staaten, die 2020 mit Israel diplomatische Beziehungen auf- genommen haben, wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain. »Die Konflikte bleiben« BIJAN DJIR-SARAI Der FDP- Außenexperte dämpft die Hoffnung auf eine schnelle Lösung im Nahost-Konflikt © bijan-sarai.de Die Abkommen mit ihnen sind eine echte Perspektive für die Region. Sowohl die Is- raelis als auch die arabischen Golfstaaten fürchten den Iran, und gerade Israel und die VAE machen inzwischen gute Geschäfte miteinander. Dass sie das Thema der Zu- kunft der Palästinenser in ihren Beziehun- gen ein Stück weit außen vor gelassen ha- ben, ist eine gute Voraussetzung, um zu- sammenzuarbeiten. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) ist vergangene Woche nach Israel und Palästina gereist, um für Friedensge- spräche zu werben. Welche Rolle kann Deutschland spielen? Deutschland genießt einen guten Ruf in der Region, selbst im Iran, und wäre als Verhandlungspartner von beiden Seiten anerkannt. Aber ich traue Herrn Maas be- ziehungsweise der amtierenden Bundesre- gierung leider nicht zu, dort ernsthaft et- was umzusetzen. Im Kern wird es am Ende des Tages eine amerikanische Initiative sein, die erreicht, dass für einige Tage, Wo- chen oder sogar Monate Ruhe einkehrt. PARLAMENTARISCHES PROFIL Die USA haben unter Joe Biden kriti- schere Töne gegenüber Israel angeschla- gen. Bahnt sich hier ein Strategiewechsel an? Klar ist, dass die Biden-Administration nicht so eng mit Israels Premier Benjamin Netanjahu ist, wie es Ex-Präsident Donald Trump war. Für Biden ist Israel einer der wichtigsten Verbündeten, aber er will auch keine Eskalation in dieser Region. Einen Strategiewechsel sehe ich trotzdem nicht. Fakt ist, dass die USA der Region schon seit Jahren nicht mehr allerhöchste Priorität beimisst. Daran wird sich auch unter Präsi- dent Biden nichts ändern. Wie positionieren sich die arabischen Israelis? Nach den massiven Gegenschlä- gen des israelischen Militärs im Gaza- streifen ist es zu schweren Auseinander- setzungen zwischen ihnen und jüdischen Israelis gekommen. Insbesondere die Hamas hat natürlich ein Interesse daran, so etwas wie einen Bürger- krieg in Israel anzuzetteln. Doch tatsäch- lich ist die überwiegende Mehrheit der ara- bischen Israelis sehr glücklich darüber, dass sie in Israel lebt oder die israelische Staats- bürgerschaft hat. In einer Region, in der im Grunde genommen nur Armut und Chaos existiert, ist Israel für sie wie eine Insel, auf der ein Leben in Freiheit und Wohlstand möglich ist. Ich sehe daher von der Seite keine größeren Probleme auf Israel zukom- men, auch wenn das von außen gerade häufig so dargestellt wird. Netanjahu hat in seiner zwölfjähri- gen Amtszeit weiter aufgerüstet und den Siedlungsbau massiv vorangetrieben. Vor den Raketenangriffen der Hamas kämpf- te er um sein politisches Überleben. Er- öffnet der Konflikt ihm jetzt eine neue Chance? In Europa haben wir Netanjahu oft abge- schrieben, und auch ich kritisiere die von Ihnen genannten Punkte. Aber er hat im- mer wieder gezeigt, dass man mit ihm rechnen muss. Bei israelischen Wahlen spielt das Thema innere Sicherheit eine große Rolle, aber auch klassische Themen wie Gesundheitswesen, Bildung, Digitali- sierung. Wir müssen anerkennen, dass Net- anjahu seine Wähler mit Erfolg mobili- siert. Offensichtlich versteht er die israeli- sche Politik besser als wir. Auf Demonstrationen in Deutschland waren dieser Tage brennende Israel-Flag- gen zu sehen und Banner mit judenfeind- lichen Beschimpfungen, Synagogen wur- den mit Steinen beworfen. Wie sollten wir mit Antisemitismus im eigenen Land umgehen? Demonstrationen, auf denen judenfeind- liche Parolen gerufen werden, haben mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun, hier muss der Rechtsstaat sichtbar sein. Wir sollten außerdem den islamischen Ver- bänden gegenüber die Erwartung formu- lieren, dass sie eine klare Haltung gegen Antisemitismus vertreten. Judenfeindlich- keit hat in Deutschland keinen Platz, nicht auf der linken Seite, nicht auf der rechten, nicht in der Mitte, und auch nicht auf Seiten der muslimischen Com- munity. Das Gespräch führte Johanna Metz T. Bijan Djir-Sarai (FDP) war von 2009 bis 2013 im Bundestag und sitzt seit 2017 wieder im Parlament. Er ist außen- politischer Sprecher seiner Fraktion. Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper Der Haushälter: Sven-Christian Kindler W enn Sven-Christian Kindler vom Nahen Osten er- zählt, fallen ihm als erstes die Freundschaften ein, die er im Lauf der Jahre geknüpft hat: mit Is- raelis, Palästinensern, Libanesen – „man kann das gar nicht nachempfinden“, sagt er über die Raketenangriffe aus Gaza gegen Israel. „Man stelle sich mal vor, Luxemburg wür- de Deutschland mit tausenden Raketen angreifen.“ Der Grünen-Abgeordnete schweigt einen Moment. „Trotzdem ist es wichtig, die strukturellen Ursachen anzugehen, es braucht eine sta- bile Zwei-Staaten-Lösung mit einem demokratischen und jüdischen Israel sowie einem lebensfähigen und demokratischen palästinensi- schen Staat.“ Wann die nächste Reise nach Israel geht? Noch nicht abzusehen, sagt er, aber sobald wie möglich. Jetzt, wo die Waffen gesprochen haben, betont er das völkerrechtlich verbriefte Selbst- verteidigungsrecht Israels. Und denkt an die Zukunft: Die Verdrän- gung von Palästinensern in Ost-Jerusalem sei zu kritisieren. Kindler, 36, ist Mitglied der deutsch-israelischen Parlamentarier- gruppe, zwischen 2012 und 2019 war er auch Vize-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). „Israel ist ein sehr schö- nes Land“, zitiert er den Künstler und Shoa-Überlebenden Jehuda Bacon, „und wo viel Sonne scheint, ist auch Schatten.“ 2009 war er zum ersten Mal mit der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Grünen, in Israel gewesen und hat seitdem Kontakte aufge- baut und vertieft. „Als Deutscher bin ich in Israel mit meiner eige- nen Geschichte konfrontiert, mit der Entrechtung und Verfolgung von Juden und dem industriellen Massenmord an ihnen.“ Dieses Bewusstsein schärfte sich schon in seiner Jugend. Sein Großvater nahm ihn mehrfach mit zum ehemaligen Konzentrati- onslager Bergen-Belsen. Ein aus Schlesien nach Niedersachsen Vertriebener, klassischer CDU-Wähler, „aber mit einem klaren Ge- spür für die Lehren aus der Geschichte“. Damals engagierte sich Kindler noch in der Schülervertretung und bei den Pfadfindern. Erst mit 18 stieß er zur Grünen Jugend, dann aber richtig: Zuerst als Schatzmeister, dann als deren Sprecher in ..................................................................................................................................................... s s e r p o t o F - r e l s i e G / e c n a i l l a - e r u t c i p © »Es ist wichtig, die strukturellen Ursachen anzugehen, es braucht eine stabile Zwei-Staaten- Lösung.« Niedersachsen. Schließlich 2009 die Kandidatur für den Bundes- tag, in den er auch über die Landesliste einzog. Einsatz für Demo- kratie lernte er als Schülersprecher, die Naturliebe bei den Pfadfin- dern, und ein Faible für Zahlen im Unterricht: Nach dem Abi absol- vierte Kindler ein duales Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Leibniz-Akademie in Hannover und bei der Bosch Rexrodt Pneumatics GmbG, wo er dann auch drei Jahre lang bis 2009 im Unternehmenscontrolling arbeitete. „Ich mag Zahlen und wollte immer wissen, wie Wirtschaft funktioniert“, begründet er seinen beruflichen Weg. Ein Stück weit sei dies von seiner Familie ge- prägt gewesen – das Motiv, das eigene Geld zu verdienen. Kindler entstammt nicht dem Akademikermilieu, dem Caffè Latte trinken- den Bürgertum, das den Grünen oft nachgesagt wird. Die Mutter ist Industriekauffrau, der Vater Buchhalter und Kindler der erste in der Familie, der sein Abi machte. „Es ist die Biografie eines Bil- dungsaufstiegs“, fasst er zusammen. Im Unternehmen lernte er Fertigungscontrolling im Schatten der Finanzkrise kennen, durchdrang die Mechanismen massiver Staatseingriffe, „die lohnten sich damals für das Land“; für ihn ei- ne Lehre nun, während der Pandemie, „sich nicht in eine weitere Krise hineinzusparen, und dann noch mehr Schulden machen zu müssen“. Das damals anderen Staaten wie Griechenland auferleg- te Sparprogramm nennt er ein finanzpolitisches Desaster, das sich nicht wiederholen dürfe. Gleich 2009 zog er in den Haushaltsausschuss, ist dort Obmann und seit 2014 haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion. Seiner Arbeit mit Zahlen, dem Lesen von Excel-Tabellen setzt er seit 2018 eine weitere Aufgabe hinzu – als Vizevorsitzender des Bundesfi- nanzierungsgremiums, welches die parlamentarische Kontrolle über Art und Weise der Verschuldung durch den Bund ausübt. „Gleich ist wieder Sitzung“, sagt er, „wir kontrollieren, was der in aufgelegte Wirtschaftsstabilisierungsfonds der macht“. Jan Rübel T Coronakrise