2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 24-25 - 14. Juni 2021 GASTKOMMENTARE ÜBERFORDERT DER KLIMASCHUTZ DIE VERBRAUCHER? Schwere Lasten PRO Das Volk versteht das meiste falsch, r e g n U n e f f e t S - c r a M l / t t a b s l e d n a H © Thomas Sigmund, »Handelsblatt«, Düsseldorf aber es fühlt das meiste richtig. Die- ser Satz von Kurt Tucholsky gilt bis heute. Die Ziele des jetzt dem Bun- destag vorliegenden Klimaschutzgesetzes erschei- nen den Bürgern noch sehr abstrakt und weit weg. Doch eines ahnen sie: Der notwendige Kli- maschutz könnte sie in Ihrem Alltag überfordern. Einen Weckruf gab es bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Ein Bundesland mit vielen Pend- lern. Dort schlagen bereits die schon von der Gro- ßen Koalition beschlossenen Erhöhungen des Spritpreises ins Kontor. Dass die Grünen noch vor der Wahl einen draufsattelten und von 16 Cent höheren Spritpreisen sprachen, war schon mutig und wurde nicht belohnt. Weiteres Beispiel. Mieter verfolgen argwöhnisch den Koalitionsstreit über die Heizkosten. Die zu- sätzliche Belastung durch die höhere CO2-Beprei- sung soll hälftig zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt werden. Wenn es denn so kommt. Höhe- re Spritpreise und steigende Heizkosten treffen vor allem Geringverdiener, die nicht wie Besserverdie- nende die paar Euro mehr locker wegstecken kön- nen. Das war schon während der Corona-Pande- mie so. Die Gutverdiener stiegen vom ÖPNV auf das Auto um oder arbeiteten gleich aus dem ge- räumigen Homeoffice. Die Entlastungen auf der anderen Seite klingen noch sehr theoretisch. Das „Klimageld“ als Ausgleich für höhere Energieprei- se bekommt übrigens auch die Zahnarztgattin. Es braucht eine grundsätzliche Lösung. Die nächs- te Regierung muss eine Steuerreform anpacken, die ökonomisch, ökologisch und sozial ist. Wenn die Bürger sich überfordert fühlen, wird das mit dem Klimaschutz nichts. Von der Inflation haben wir da noch gar nicht gesprochen. über allen anderen politischen Zielen stehen, denn ohne Klimaschutz ist alles andere nichts. Naturkatastrophen, Ar- tensterben, Flucht – das Leben künftiger Genera- tionen auf diesem Planeten wäre ohne einen ehr- geizigen Klimaschutz derer, die sich ihn leisten können, schon bald nicht mehr erträglich. Die heu- te Leistungsfähigen sind Kindern und Enkeln schuldig, dass sie keine Anstrengungen und Kos- ten scheuen, um die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad zu begrenzen. Zurzeit sieht es aber nach 3,5 Grad oder mehr aus, und das ist fatal. Deutschland als viertgrößte und leistungsstarke Volkswirtschaft muss mehr für Klimaschutz tun. Es bedurfte erst eines Verfassungsgerichtsurteils, um der Politik Beine zu machen. Die Groko hat eilends ein Klimaschutzgesetz gestrickt, mit dem sie zwar die Klimaziele verschärfte, aber ohne den Weg dorthin zu beschreiben. Der CO2-Preis als zentra- les Steuerungsinstrument muss nun schneller stei- gen als bisher vorgesehen, damit er im Verkehr und beim Wohnen die nötige Lenkungswirkung überhaupt entfaltet. Verbraucher müssen auf kli- mafreundliche Mobilität umsteigen, Hausbesitzer und Mieter auf klimafreundliche Energie. Wer auf dem Land wohnt oder nur ein geringes Einkommen hat, wird dadurch besonders belastet. Er sollte im Vorhinein – bevor der CO2-Preis wei- ter steigt – durch eine pauschale Pro-Kopf-Zah- lung des Staates, ein Energiegeld, wie es etwa die Grünen vorschlagen, entlastet werden. Wer sein Verhalten ändert, kann so am Ende als Verbrau- cher sogar profitieren. Wer indes weiter im Benzi- ner das Gaspedal durchdrückt oder drei Mal im Jahr nach Mallorca jettet, muss eben draufzahlen Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Das wichtigste Ziel CONTRA K limaschutz muss in diesem Jahrzehnt n ö h c S l e x A © Birgit Marschall, »Rheinische Post«, Düsseldorf Frau Badum, das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung setzt neue CO2-Ein- sparziele. Bereits 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, fünf Jahre früher als geplant. Gut so? Das freut uns, aber notwendig sind 70 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 und da- nach so schnell wie möglich klimaneutral zu werden. Das größere Problem ist, dass wir nicht sehen, wie die Bundesregierung die Ziele erreichen will. Schon beim vor- herigen Klimaschutzgesetz 2019 zeigte sich, dass die Bundesregierung zwar Maß- nahmen beschlossen hat, diese aber nicht reichen, die bisherigen Ziele zu erreichen. Das haben gleich zwei Studien aus dem Umwelt- und aus dem Wirtschaftsminis- terium ergeben. Insofern: Gut, dass die Bundesregierung neue Ziele setzt, aber auf die Maßnahmen danach wird es an- kommen. Wie die Ziele erreicht werden sollen, im Klimaschutzge- davon steht nichts setz… Die Maßnahmen fehlen noch. Das Gesetz setzt lediglich einen Rahmen, das war schon beim vorherigen Klimaschutzge- setz so: Jedes Ressort – also Landwirt- schaft, Energie, Verkehr, Bauen – be- kommt Einsparziele pro Jahr und muss die besten Instrumente dafür finden. Da ist aber gerade im Verkehrsbereich viel zu wenig passiert, um CO2 einzusparen. Man hätte das Dienstwagenprivileg ab- schaffen können, weniger Geld in den Straßenbau stecken, mehr Geld in den ÖPNV, all das ist die vergangenen drei Jahre nicht geschehen. Ist die aktuelle Benzinpreis-Debatte ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten: Höhere Spritpreise, teurere Heizkosten, mehr Auflagen beim Bauen? Mehr Ehrlichkeit wäre wichtig. Abstrakt stehen immer alle hinter dem großen Ziel, aber wenn es konkret wird, verfallen die anderen Parteien in Reflexe oder den Wahlkampfmodus, Stichwort Benzinpreis- Debatte. Wir Grünen haben uns da noch nie in die Büsche geschlagen. Mein Ein- druck ist, dass die Menschen darauf nicht mehr hereinfallen, sondern erkennen, dass die Frage komplexer ist. Ja, Benzin wird teurer werden, aber wir Grünen planen, die Belastung der Autofahrer auszugleichen durch das Energiegeld. Wie ist das Energiegeld geplant? Ein höherer CO2-Preis – auch auf Benzin und Heizöl – ist ein wirksames Instrument für den Klimaschutz. Wir wollen die Ein- nahmen aus einem höheren CO2-Preis zu- rückerstatten an die Bürger. Diejenigen mit geringem Einkommen sollen nicht stärker belastet werden als vorher, es soll einen so- zialen Ausgleich geben. Nach unseren Be- rechnungen kommt es zu einer Pro-Kopf- Erstattung von 75 Euro pro Jahr. Familien erhalten also mehr als Single-Haushalte. Zum anderen sollen die Einnahmen zur Senkung des Strompreises eingesetzt wer- den. Sagen Sie uns, welche Auflagen und Gebote auf die Bürger für mehr Klima- schutz zukommen? Ich spreche da nicht von Auflagen. Wir wollen den Menschen ermöglichen, Klima- schutz im Alltag zu praktizieren. Bisher können sie das nicht, weil etwa in der Ver- kehrspolitik jahrelang Umgehungsstraßen, lange Pendlerwege und Zersiedelung geför- dert wurden. Wir wollen das umkehren, dass die Wege kürzer werden und man die Möglichkeit hat, auch ohne Auto gut zu le- ben. Wie kann klimagerechtes Wohnen aussehen ohne Mieten zu verteuern? Der Staat muss gewährleisten, dass Sanie- rungskosten für den Klimaschutz nicht »Mehr Ehrlich- keit« LISA BADUM Die Grünen- Parlamentarierin über das Klima- schutzgesetz der Bundesregierung, höhere Spritpreise und grünen Stahl © Patricia Haas/Sascha Hilgers komplett auf die Mieten aufgeschlagen werden. Das kann man durch Vorschriften gut machen. Auf lange Sicht profitieren die Mieter dann durch niedrige Heizkosten. Unser Vorschlag ist, dass die Vermieter die Kosten für den höheren CO2-Preis auf Heizöl übernehmen. Der Mieter zahlt ja weiterhin seine Heizkosten, das wird manchmal falsch dargestellt. Mit steuerli- chen Abschreibungsmöglichkeiten soll es außerdem Anreize für Vermieter geben, Heizungen auszutauschen und Gebäude zu sanieren. Ist das Prinzip klug, Ziele zu setzen und später zu schauen, ob die Ressorts und Sektoren sie erreicht haben? Was wäre die Alternative? Das Problem bis- her war, dass das Umweltministerium zwar für Klimaschutz zuständig ist, doch bei den CO2-Emissionen in den einzelnen Sekto- ren nicht bestimmen kann. Die haben ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. Vor- bild könnte die USA sein, dort hat Präsi- dent Biden das komplette Kabinett auf Kli- maschutz eingeschworen unter der Über- schrift: All-of-Government-Approach. So PARLAMENTARISCHES PROFIL etwas bräuchten wir auch. Das müsste vom Bundeskanzlerinnenamt ausgehen. In welchen Bereichen liegen in Deutschland die größten Einsparpotentia- le? Zum Beispiel in der Energiewirtschaft. Deutschland sollte deshalb schon 2030 aus der Braunkohle aussteigen, nicht erst 2038, wie von der Bundesregierung vereinbart. Parallel müssen die erneuerbaren Energien deutlich ausgebaut werden. Wir wollen da- zu ein Windenergie-an-Land-Gesetz, weil der Ausbau hier in den vergangenen Jahren massiv eingebrochen ist. Wie sollen die großen CO2-verursa- chenden Industrien die Ziele umsetzen? Die Frage ist offen, oder? Die Industrie ist ja Teil des europäischen CO2-Emissionshandels, dort haben die Länder viel zu viele kostenlose Zertifikate an die Industrie verteilt, so dass das eigent- lich gute Instrument nicht wirkt, um CO2 einzusparen. Das hat sogar der Europäi- sche Rechnungshof kritisiert. Wir müssen Zertifikate verringern. Wir wollen zudem, dass künftig klimaschädlicher Stahl, der außerhalb der EU hergestellt wurde, in die CO2-Bepreisung einbezogen wird. Nötig ist grüner Stahl, also solcher, der mit Was- serstoff produziert wurde. Unternehmen der Stahlbranche sollen dabei finanziell unterstützt werden. Sie müssen sich aber umstellen – den alten Stiefel weiterzufah- ren, das wird nicht gehen. Wie kann die Landwirtschaft klima- freundlicher werden? Die Landwirtschaft ist für sieben bis 16 Prozent der CO2-Emissionen in Deutsch- land verantwortlich, je nach Berechnung. Möglich wäre, bisherige landwirtschaftli- che Flächen zu Wäldern und Mooren zu machen, das muss den Landwirten eben- falls finanziell kompensiert werden. Mehr Ökologischer Landbau ist nötig, er kann nachweislich mehr CO2 einsparen als kon- ventioneller. Die Tierhaltung muss redu- ziert werden, weil die Methangase der Tiere noch klimaschädlicher als CO2 sind. Wie soll all das finanziert werden? Die Einnahmen aus dem CO2-Preis sind für Strompreissenkungen und das Energie- geld vorgesehen. Aber es gibt zurzeit 47 Milliarden Euro klimaschädliche Sub- ventionen in Deutschland, die man dafür einsetzen kann. Und Investitionen in den Klimaschutz zeigen ja auch eine Rendite am Ende. Wenn unsere Industrie jetzt Vor- reiter für neue Klimaschutz-Technologien wird, zahlt sich das aus. Ende Juni will die Bundesregierung ein Sofortprogramm zum Klimaschutzge- setz vorlegen, wenig ist bisher bekannt, etwa höhere Ausbauziele für Wind- und Solarenergie, Hilfen für Gebäudesanie- rung, E-Auto-Kaufprämien und eine So- larpflicht für Dächer. Wie finden Sie das? Das sind viele alte Vorhaben in einem neu- en Papier. Bis auf die Solarpflicht für Dä- cher, das wäre neu und gut. Wenn sie auch für Sanierungen gilt und für Gewerbedä- cher, das würde wirklich etwas bringen. Das Gespräch führte Annette Beutler Lisa Badum (37) gehört seit 2017 dem Deutschen Bundestag an und sitzt für Bündnis 90/Die Grünen unter anderem im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur N. N. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) V.i.S.d.P Redaktionsschluss 11. Juni 2021 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement FAZIT Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. 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Der Geowissenschaftler: Heiko Wildberg Heiko Wildberg beschreibt das aus seiner Sicht desa- ströse Bild in einem gelassenen Ton. „Man hat ver- gessen, Photovoltaik und Windenergie grundlastfä- hig zu machen“, sagt er am Telefon, „und nicht hin- reichend zu Speicherkapazitäten geforscht“. Die regenerati- ven Energien, ansonsten in der Gesellschaft weithin Renner und Hoffnungsträger zugleich, rutschen damit in der Gunst des AfD-Bundestagsabgeordneten weit nach unten. Wildbergs Fraktion hat drei Anträge gestellt, sie alle drehen sich darum, die Schrauben auf eine Zeit zurückzudrehen, die vor der „Energiewende“ herrschte. Ein Antrag fordert das Aus für das Erneuerbare-Energien-Gesetz, ein anderer den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kohleverstromung und der dritte die Herstellung synthetischer Treibstoffe wie Was- serstoff mit Kernenergie. In dieser Woche kurz vor der Som- merpause wird vieles verhandelt, die Debatten und Abstim- mungen sind streng getaktet. Alle drei Anträge der AfD wer- den abgelehnt, geht die Mehrheit des Bundestages doch von etwas aus, das Wildberg bestreitet: Dass der Klimawandel menschengemacht ist. „Jeder Geowissenschaftler weiß um die Klima- und Tempera- turschwankungen von vor der Industriegesellschaft“, sagt der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Südpfalz. „Es gibt kei- nen Faktor beim aktuellen Klimawandel, der nicht natürlich erklärbar wäre.“ Der 69-Jährige ist vom Fach. Er studierte Geowissenschaften und promovierte darin. Dass er indes mit seinem Standpunkt einer überwältigenden Mehrheit der zum Klimawandel Forschenden gegenübersteht, ficht ihn nicht an. „Ein wissenschaftlicher Konsens ist nicht da“, sagt er. „Es werden immer nur die gefragt, die auf Linie sind. Eine Grup- pe von Wissenschaftlern wird weitestgehend ausgegrenzt, und zwar die Geowissenschaftler.“ Sätze wie diese kommen häufiger aus seiner Partei, zum Beispiel wenn es um die Rolle des Weltklimarates geht. ..................................................................................................................................................... n r e d a S l n o v . S / T B D © »Man hat vergessen, Photovoltaik und Windenergie grundlastfähig zu machen.« In seiner Partei verordnet sich Wildberg als „liberal-konser- vativ“. „Ich bin national, nicht nationalistisch.“ In der Tat blickt er auf eine lange Wegstrecke in der Politik hin. Er stammt aus einer bürgerlichen Familie aus CDU-Wählern im norddeutschen Wilhelmshaven, wurde auch Mitglied bei den Christdemokraten. Aus Enttäuschung über die Naturschutz- politik von CDU und auch SPD aber wandte er sich den Grü- nen zu, wurde Ende der 1980er Jahre dort Mitglied. Und ging in die Politik. Von 1991 bis 2001 war er hauptamtlicher Kreisbeigeordneter im Landkreis Germersheim, das ist eine Art Vize-Landrat. Dort kümmerte er sich um Kommunales: um Abfallwirtschaft, Katastrophenschutz, Fischereiwesen und natürlich um Naturschutz. Doch in den Nullerjahren stieß sich Wildberg zunehmend am „Einwanderungsgedanken“ der Grünen, wie er sagt, die „Beraubung unserer kulturellen Identität“. Die Regierungspolitik unter Kanzlerin Angela Merkel zum Euro und zur Einwanderung brachte ihn schließlich zur AfD. Wer hat sich mehr verändert – er oder die Parteien? „Beides ist der Fall. Mit wachsender Lebenserfahrung wird man schlauer, aber die Parteien haben mich links überholt.“ Wildberg sieht sich als Konservativen, er würde gewiss eine Kontinuität in seiner politischen Entwicklung sehen. Da drängt sich die Frage auf, ob er befürchtet, von der AfD rechts überholt zu werden. Er stockt für einen Moment. „Ich werde meinen Einfluss ausüben, damit die AfD eine liberal- konservative Partei bleibt“, antwortet er. Um als Liberal- Konservativer in der AfD zu bestehen, müssen gewisse par- teiinterne Entwicklungen ausgeblendet werden. Und die Be- obachtung durch den Verfassungsschutz in einigen Bundes- ländern? „Die Grenzen meines politischen Handelns defi- niert die Verfassung.“ Er eilt los, zur nächsten namentlichen Abstimmung. Jan Rübel T