2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 26-27 - 28. Juni 2021 GASTKOMMENTARE WEITER ABSCHIEBEN? Behutsam prüfen PRO t a v i r P © Hagen Strauß, »Saarbrücker Zeitung« Es ist ein heikler Abwägungsprozess, den alle Beteiligten vornehmen müssen. Zum einen gilt: Wer Schutz benötigt, dem wird Schutz in Deutschland gewährt. Das ge- bietet die Verfassung. Daran darf auch nicht gerüt- telt werden. Jeder hat zudem ein Anrecht auf ein faires Verfahren. Asylbewerber können, wenn ein Antrag abgelehnt worden ist, anschließend vor die Gerichte ziehen. Fällt dann jedoch das Urteil, dass sich jemand zu Unrecht im Land aufhält, so muss der Staat die Ausreise durchsetzen. Ansonsten ist das ganze Verfahren eine Farce. Das muss insbe- sondere für Kriminelle und Gefährder gelten, die nicht nur in den Augen vieler Bürger ihr Gastrecht verwirkt haben. Genau das treibt doch Menschen um – warum der Staat in solchen Fällen nicht durchgreift, warum Taten geschehen, obwohl derjenige längst das Land hätte verlassen müssen. Die Politik steht da klar in der Verantwortung zu handeln. Denn sie verspricht ein ums andere Mal, konsequenter vor- gehen zu wollen, wenn etwas Schlimmes passiert ist. Deshalb konzentrieren sich die Behörden bei den Abschiebungen inzwischen deutlich häufiger auf Straftäter. Oft genug rutschen sie trotzdem noch durch das Netz. Oder tauchen einfach unter. Gewiss, Abschiebungen sind immer mit extremen Härten verbunden. Aus rein humanitärer Sicht, aber auch rechtsstaatlich ist es deshalb dringend geboten, jedes Mal aufs Neue behutsam zu prü- fen, ob eine Abschiebung an den Hindukusch oder in andere Herkunftsländer möglich ist; ob Tod oder sonstige Gefahren auf den Betroffenen warten. Wenn nicht, muss geltendes Recht umgesetzt wer- den. Das alles passiert durch die Behörden. Und nebenbei: Nicht jeder geplante Abschiebeflug fin- det dann auch statt. Afghanistan ab und die Taliban rü- cken vor. Stück für Stück erobern sie Gebiete. Es gibt schwere Kämpfe, es gibt Anschläge, bei denen Polizisten, Soldaten, Zi- vilisten sterben. Gewalt ist an der Tagesordnung. Die Bundesregierung fürchtet um die Sicherheit der noch verbliebenen deutschen Soldaten. Ihren afghanischen Dolmetschern, deren Leben sie in Gefahr sieht, will sie ermöglichen, das Land zu verlassen. Noch laufen die Friedensgespräche. Ob die Taliban darin mehr sehen als eine Beruhigungsmethode für den Westen, lässt sich bezweifeln. Sie haben angekündigt, „ein echtes islamisches System“ er- richten zu wollen. Die Rechte aller Bürger sollen darin gewahrt werden, auch die der Frauen. Aller- dings mit dem Zusatz, dass dies im Einklang mit religiösen Regeln und kulturellen Traditionen ste- hen müsse. Der oft tödliche Vorwurf, zu westlich, zu unislamisch, zu unmoralisch zu leben, schwingt da bereits mit. Das stimmt nicht zuversichtlich. Zum Konzept der Taliban gehörten bisher nicht Menschenrechts- und Minderheitenschutz, nicht Frauenrechte und Meinungsvielfalt, sondern Domi- nanz und Unterwerfung. Dass die Aussicht auf fortgesetzte finanzielle internationale Unterstüt- zung die Taliban davon abhalten wird, ist bislang nicht mehr als eine äußerst vage Hoffnung. Bis darüber Klarheit herrscht, müssen Abschiebun- gen nach Afghanistan ausgesetzt werden. Es wäre zynisch, Menschen in Lebensgefahr zurückzuschi- cken. Abzuwarten, wie sich die Lage nach dem Rückzug der westlichen Truppen entwickelt, ist das Mindeste. Afghanistan ist alles andere als ein si- cheres Land. Das gilt gerade noch mehr als zuvor. Kein sicheres Land CONTRA Die internationalen Truppen ziehen aus t a v i r P © Daniela Vates, Redaktionsnetzwerk Deutschland Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur N. N. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) V.i.S.d.P Redaktionsschluss 25. Juni 2021 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement FAZIT Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@cover-services.de Abonnement Jahresabonnement 25,80 €; für Schüler, Studenten und Auszubildende (Nachweis erforderlich) 13,80 € (im Ausland zuzüglich Versandkosten) Alle Preise inkl. 7% MwSt. Kündigung jeweils drei Wochen vor Ablauf des Berechnungszeitraums. Ein kostenloses Probeabonnement für vier Ausgaben kann bei unserer Vertriebsabteilung angefordert werden. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Für Unterrichtszwecke können Kopien in Klassenstärke angefertigt werden. Verantwortliche Redakteure Annette Beutler (ab) LIsa Brüßler (lbr) Claudia Heine (che) Claus Peter Kosfeld (pk) Hans-Jürgen Leersch (hle) Johanna Metz (joh) Kristina Pezzei (pez) Sören Christian Reimer (scr) CvD Helmut Stoltenberg (sto) Alexander Weinlein (aw) Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Disposition FAZIT Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 36 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 36 E-Mail: fazit-com-anzeigen@cover-services.de „Das Parlament“ ist Mitglied der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird ausschließlich Recycling-Papier verwendet. Frau Vogt, das Kabinett hat sich da- rauf verständigt, dass Afghanen, die ab 2013 für staatliche deutsche Einrichtun- gen gearbeitet haben, in Deutschland Schutz vor den Taliban finden können. Auch die Innenministerkonferenz ist da- von abgerückt, nur kommen zu lassen, wer in den vergangenen zwei Jahren et- wa für die Bundeswehr gearbeitet hat. Eine überfällige Entscheidung? Ja. Wir sind sehr zufrieden und froh in der SPD-Fraktion, dass es jetzt zu dieser Ent- scheidung gekommen ist. Wir hatten im- mer in kleinen Schritten Verbesserungen erreicht; es war ja schon ein erleichtertes Verfahren vereinbart gewesen. Aber jetzt haben wir tatsächlich den richtigen Durch- bruch, dass wir sagen können: Wer für uns gearbeitet hat, darf deswegen nicht an Leib und Leben bedroht werden. Die haben für uns und mit uns gearbeitet, und deshalb haben wir eine ganz große Fürsorgepflicht, die eben nicht endet, wenn wir aus Afgha- nistan abziehen. Vorher hatte etwa das Innenministe- rium argumentiert, dass die individuelle Gefährdung einer Ortskraft in zeitlichem Zusammenhang mit dem Beschäftigungs- verhältnis stehen müsse und sich die Bundesregierung bereits vor langem für eine Frist von zwei Jahren ausgesprochen hat. Können Sie das nachvollziehen? Wenn man überlegt, wann sich so eine Ge- fahr äußert, ist bei „normalen“ Verhältnis- sen schon davon auszugehen, dass nach zwei Jahren klar sein müsste, ob jemand bedroht ist oder nicht. Aber wenn die west- lichen Kräfte jetzt abziehen, ist für diese Menschen ja keinerlei Schutz mehr vor- handen, und wir haben eben festgestellt, dass die Taliban dazu übergehen, dass für sie alle als Verräter gelten, die auch nur ein paar Tage mit deutschen Behörden zusam- mengearbeitet haben. So lange wir noch vor Ort waren, war die Gefährdungslage ei- ne andere als jetzt. Mit dem Truppenabzug ist die Gefahr sehr groß, dass die Taliban Listen von Menschen sozusagen abarbei- ten, die in irgendeiner Form mit uns zu- sammengearbeitet haben. Deshalb bin ich sehr erleichtert, dass es jetzt eine Regelung gibt, die über die zwei Jahre hinausgeht. Andere Entsenderstaaten fanden da schneller zu großzügigeren Lösungen... Ja. Bei uns ist es häufig so, dass in der Uni- on erstmal einige Abwehrreflexe greifen, sobald es um das Thema Zuwanderung geht. Die haben wir aber Gott sei Dank jetzt überwunden. In diesem speziellen Fall geht es ja auch um Menschen, die oft schon sehr gut mit Deutschland vertraut sind, weil sie ja intensiv mit deutschen Kräften zusammengearbeitet haben. Die wissen schon sehr gut, was auf sie zu- kommt, kennen oft auch die deutsche Sprache, zumal es sich in vielen Fällen um Dolmetscher handelt. Der Abzug der westlichen Truppen soll bis zum 11. September abgeschlossen sein; die Ortskräfte müssen jetzt schnell in Sicherheit. Geht das rechtzeitig? Wir haben ja ein einfaches Verfahren, mit Ansprechpartnern vor Ort. Wichtige Dinge wie die Sicherheitsüberprüfung, die das Verfahren oft verzögern können, werden nun in Deutschland vorgenommen. Wir haben also schon dafür gesorgt, dass es schneller geht. Ich finde, man kann auf die Sicherheitsüberprüfungen nicht verzichten; die sind auch im Sinne unserer eigenen Si- cherheit notwendig. Aber manche Verfah- ren werden nun einfach in Deutschland abgewickelt, um das Ganze zu beschleuni- gen. Auch haben wir ja heute schon einige Ortskräfte aufgenommen, und mehr als 380 haben bereits eine Zusage bekommen. Neu ist auch, dass die ehemaligen Helfer nun alle ihre ledigen Kinder mit- »Richtiger Durch- bruch« UTE VOGT Die SPD-Innenexperte begrüßt die neue Regelung zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte in Deutschland © Susie Knoll bringen dürfen, nicht nur die minderjäh- rigen. Ein gutes Signal? Dass auch erwachsene Kinder mitkommen können, ist eigentlich eine Selbstverständ- lichkeit. Wenn ihre Eltern bei den deut- schen Truppen gearbeitet haben, endet die Gefährdung ja nicht mit der Volljährigkeit. hier leben will. Die betroffenen Frauen müssten daher wohl selbst noch einmal ih- re Gefährdung nachweisen und können sich auf dem normalen Weg um eine Ein- reise und ein Aufenthaltsrecht in Deutsch- land bemühen, aber in dem beschleunig- ten Verfahren wäre das schwierig. Für „Zweitfrauen“ gilt die Regelung aber nicht. Sind die weniger gefährdet? Das ist ein Problem, weil das mit unserem Recht in Konflikt kommt. Wir haben ja erst vor wenigen Jahren festgelegt, dass sich in Deutschland auch an unsere Regelungen in Bezug der Eheschließung halten muss, wer Ortskräfte, die vor 2013 etwa für die Bundeswehr gearbeitet haben, werden in der jetzt vorgesehenen Regelung nicht er- fasst. Sind da alle Gefährdeten schon in Deutschland? Da haben zumindest viele schon die Mög- lichkeit genutzt. Deren Tätigkeit für uns PARLAMENTARISCHES PROFIL liegt jetzt mehr als sieben Jahre zurück – da kann man schon davon ausgehen, dass diejenigen, die deswegen Probleme bekommen haben, schon die Chance hat- ten, nach Deutschland zu kommen. Und die Lage ist ja wohl auch je nach Region unterschiedlich, und es kommt auch da- rauf an, wo jemand lebt und wie er dort verankert ist. Wir haben ja zudem auch vorher schon Leute aufgenommen; das wa- ren dann aber immer Einzelaufnahmen. Noch offen ist die Finanzierung der Reise nach Deutschland. Bisher müssen die Ortskräfte den Flug selbst bezahlen – wer das nicht kann, hat Pech gehabt? Wir würden es begrüßen, wenn diese Kos- ten übernommen werden – zumal es ja nicht um so wahnsinnig viele Menschen geht. Deren Flug zu finanzieren, würde uns nicht überfordern und wäre auch ein Zei- chen der Wertschätzung gegenüber der Ar- beit, die da für uns geleistet worden ist. Von welcher Größenordnung reden wir, also neben den rund 400 bereits für die Ausreise erfassten Helfern und ihren Familien? Geschätzt werden wohl etwa 350 weitere Ortskräfte, die eine Einreise- erlaubnis erhalten können; wie viele wer- den das dann mit Ehefrau und Kindern? 1.500 etwa, rechnen wir. Der Bundestag hat vergangene Wo- che einen Grünen-Antrag abgelehnt, ein „Gruppenverfahren“ für die Aufnahme afghanischer Ortskräfte einzuführen, weil der Nachweis einer konkreten indi- viduellen Bedrohung eine unzumutbare Hürde darstelle. Ist das falsch? Wir haben mit dem vereinfachten Verfah- ren schon die Möglichkeit geschaffen, dass viele kommen können. Gegen das Grup- penverfahren haben wir uns entschieden, weil wir keine massenhafte Abwanderung gut qualifizierter Leute wollen. Schließlich gibt es in Afghanistan nicht nur die Tali- ban. Jetzt zu sagen, dass wir einfach alle gut Ausgebildeten mitnehmen, wäre nicht fair gegenüber der jetzigen, legal gewählten Regierung. Die sagt genauso wie das Parla- ment und die Zivilgesellschaft dort, dass sie ein Problem haben, wenn alle Hoch- qualifizierten abwandern. Das war einer der Gründe, warum wir diese pauschalen Aufnahmezusagen nicht gemacht haben. Seit 2013, dem Start des Ortskräfte- verfahrens, sind darüber etwa 3.400 Men- schen nach Deutschland gekommen. Die erhielten nur eine befristete Aufenthalts- erlaubnis. Kann das so bleiben? Dass wir derzeit Menschen aufnehmen, weil sie gefährdet sind, spricht dafür, dass wir nicht diejenigen zurückschicken, die bereits hier sind, weil sie gefährdet waren. Es ist ein normales Verfahren, zu überprü- fen, ob sich die Lage im Land stabilisiert. Eine Rückkehr wäre aber nur möglich, wenn die Taliban in Afghanistan keine ent- scheidende Rolle mehr spielen. Das sehe ich leider im Moment noch nicht. Und: Es besteht natürlich auch die Möglichkeit für die Menschen, nach fünf Jahren ein unbe- fristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erhalten. Das Gespräch führte Helmut Stoltenberg Ute Vogt (56) ist seit Oktober 2019 innenpolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion. Nachdem sie dem Parlament bereits von 1994 bis 2005 angehörte, ist sie seit 2009 erneut Mitglied des Bundestages. T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper Die Rheinländerin: Marie-Agnes Strack-Zimmermann Sie kommt rasch auf den Punkt. „Es geht um Leben und Tod“, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann über die af- ghanischen „Ortskräfte“ – jene Menschen also, die der Bundeswehr bei ihrem Einsatz am Hindukusch zugearbei- tet haben. Die Zeit drängt. Die USA setzen auf einen raschen Ab- zug, die radikalislamischen Taliban sind mal wieder auf dem Vor- marsch, und auf deren Zusicherungen, die Ortskräfte würden un- behelligt bleiben, „wäre es naiv sich zu verlassen“. Es ist Donnerstagnachmittag. Strack-Zimmermann, verteidigungs- politische Sprecherin der FDP-Fraktion, kommt gerade aus einer Versammlung des Förderkreis Deutsches Heer e.V. geeilt. „Es geht um 5.000 Menschen, denen gegenüber wir uns großherzig zu ver- halten haben“, sagt die 63-Jährige zu den afghanischen Ortskräf- ten. Und fordert deren Aufnahme in Deutschland, „sie haben an unsere Werte geglaubt“. Außerdem kämen hochgebildete Men- schen, „ein Gewinn für unser Land und leider ein Verlust für Af- ghanistan“ – der Rückzug der Bundeswehr, nach 20 Jahren Ein- satz, kommt für die Düsseldorferin wenig überraschend, doch sie kritisiert: „Von den Taliban ist nichts verlangt worden, damit ist der Westen ein zahnloser Tiger geworden“, in dessen Abzug sie nun etwas „Fluchtartiges“ sieht. „Dabei hatte der Einsatz durch- aus Erfolge, es wurde seitdem kein Attentat aus Afghanistan he- raus gegenüber der westlichen Welt verübt, und Mädchen und Frauen konnten wieder am Bildungssystem teilnehmen“, was Strack-Zimmermann jetzt als stark gefährdet sieht. Sie stockt für einen Moment. Seit 2017 sitzt die Rheinländerin im Bundestag, ist für die Fraktion der Liberalen auch Sprecherin für Kommunalpolitik. In ihr hat sie einige Erfahrung gesammelt: Mit 32 Jahren war Strack-Zimmer- mann in die Partei eingetreten, es war das Jahr Eins nach dem Mauerfall. In dieser „emotionalen Zeit“ wollte sie mitwirken, beim Zusammenwachsen zweier Staaten. Strack-Zimmermann begann 1999 als Bezirksvertreterin in der Bezirksversammlung im Stadtbe- zirk 7. Dann Rat der Stadt Düsseldorf, Vorsitz der Ratsfraktion und ..................................................................................................................................................... n e s r e d e P . B / e c n a i l l a - e r u t c i p © »Von den Taliban ist nichts verlangt worden, damit ist der Westen ein zahnloser Tiger geworden.« schließlich Erste Bürgermeisterin und Vize des Oberbürgermeisters. In dieser Zeit erarbeitete sich Strack-Zimmermann den Ruf einer nahbaren Macherin. „Die Politik holte mich ein. Das waren mitun- ter Zufälle, mir wurde nicht an der Wiege gesungen, dass ich ein- mal Berufspolitik machen würde.“ Wirklich nicht? Immerhin hatte ihr Großvater 1912 als Liberaler erfolglos für den Reichstag kandi- diert. Und ihre Großmutter saß mehrere Jahre im Heidelberger Stadtrat, allerdings für die CDU. „Meine Eltern versuchten liebevoll, mich für die CDU zu begeistern, aber das Welt- und Frauenbild der Union in den Siebzigern war nicht meins.“ Ursprünglich wollte Strack-Zimmermann Journalistin werden. Sie studierte Publizistik, Politikwissenschaft und Germanistik, arbeitete beim Bayerischen Rundfunk und für die „Düsseldorfer Nachrich- ten“. Sie promovierte und begann im Vertrieb des Jugendbuchver- lags Tessloff, was ihren drei Kindern die komplette „Was-ist- Was“-Reihe daheim bescherte. Dann der Ruf der Politik. Er schallte immer lauter, als 2013 Christian Lindner zu einem Tref- fen einlud. Die FDP lag am Boden, war aus dem Bundestag geflo- gen, und der neue Chef suchte einen Joker. Er fand Strack-Zimmer- mann, die Kommunalexpertin. So wurde sie stellvertretende Bun- desvorsitzende. „Eine Partei lebt durch ihre Kommunalengagierten. Ein Häuptling ist nichts ohne Indianer.“ 2015 und 2017 wurde sie wiedergewählt. 2019 dann strebte eine andere Liberale ins Präsidi- um: Nicola Beer, FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl. „Ich dachte nach“, sagt Strack-Zimmermann ruhig, „ich wollte den Par- teierfolg im Wahlkampf und keine schädigende Kampfkandidatur“. So habe sie einen Schritt seitwärts gemacht. Nicht, dass der Bundestag nicht genügend Aufgaben bereithielte. „Heute Abend spreche ich im Parlament noch zum Einsatz im Ko- sovo“, sagt sie. Um halb sechs sei sie aufgestanden, in Erwartung eines 18-Stunden-Tages. „Berlin ist für mich Arbeit.“ Das Telefon- gespräch führt sie zwischen Tür und Angel. Aber es fühlt sich nicht so an. Dann eilt sie zum nächsten Termin. Jan Rübel T