2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 28-29 - 12. Juli 2021 GASTKOMMENTARE PRÄNATALE BLUTTESTS ALS ROUTINEBEHANDLUNG? Selbst entscheiden PRO h t e P i k n a r F © Brigitte Gisel, »Reutlinger General-Anzei- ger« g n u t i e Z e h c s t u e d d ü S / r e f o H l i e n a D © Karin Janker »Süddeutsche Zeitung« Jede schwangere Frau hat ein Recht darauf, selbst zu entscheiden, welche – legal zugäng- lichen – Untersuchungen sie in Anspruch neh- men will und welche nicht. Das gilt auch für die umstrittenen Pränataltests. Sie haben den Vor- teil, dass sie Mutter und Kind weniger gefährden. Die Aufregung, die diese Tests ausgelöst haben, ist gleichwohl nachvollziehbar, denn ihr Einsatz rührt an existenzielle Fragen. Nein, es gibt keinen An- spruch darauf, dem Schicksal in die Parade zu fah- ren. Und ja, die Prognosekraft des Testergebnisses ist beschränkt. Und doch hat die Kritik an den neuen Verfahren etwas Heuchlerisches. Fruchtwas- seruntersuchungen, die Fehlgeburten auslösen können, gelten als medizinischer Standard bei Ri- sikoschwangerschaften. Und Frauen, die ein Kind mit schweren Behinderungen erwarten, wird das Recht auf eine Spätabtreibung eingeräumt. Wich- tig ist: Frauen dürfen nicht zum Test gedrängt wer- den. Und über die Konsequenzen entscheiden sie selbst. Die Diskussion darüber, wie viel vorgeburt- liche Diagnostik diese Gesellschaft akzeptiert, kann aber nicht anhand von Untersuchungsme- thoden geführt werden. Die Debatte um die Prä- nataltests und die Angst, dass Kinder mit dem Ri- siko einer Behinderung vorsorglich abgetrieben werden, zeigt doch nur, wie schwer wir uns alle damit tun, Menschen, die von der Norm abwei- chen, unbefangen entgegenzutreten und ihnen ein normales Leben zu ermöglichen. Zum Glück gibt es immer mehr Menschen mit besonderen Kindern und junge Menschen etwa mit Trisomie 21, die selbstbewusst in die Öffentlichkeit gehen und sa- gen: Es gibt uns, und das ist gut so. Nicht das Ver- bot vorgeburtlicher Bluttests verhindert Abtreibun- gen, sondern eine Gesellschaft, die offen ist für Menschen – auch wenn sie anders sind. bruch: Binnen kurzer Zeit dürfte ein harm- loser Bluttest, der unter anderem das Ri- siko für das Down-Syndrom ermittelt, zu einer Standardleistung für Schwangere werden. Der Test stellt werdende Mütter vor die Entscheidung zwischen ihrem Recht auf Wissen – und dem Recht auf Nichtwissen, das einzufordern immer schwieriger wird in einer Zeit, die von Optimierung, Eigenverant- wortlichkeit und Berechenbarkeit geprägt ist. Schwangere Frauen sollen heute eine selbstbestimm- te, freie und informierte Entscheidung über den Em- bryo in ihrer Gebärmutter treffen können, am besten direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest. „Mein Bauch gehört mir“, dieses Motto der Emanzi- pation gilt immer noch, aber es impliziert inzwischen eine Aufforderung: „Dein Bauch gehört dir – also ver- walte ihn und seine Risiken sorgsam!“ Die Medizin liefert der Frau Zahlen und stellt Tests bereit, die Ärz- tin beschafft das statistische Material – aber einen Umgang damit muss die Schwangere selbst finden. Es ist eine Form der Ermächtigung, ja. Aber auch eine Überforderung. Dabei gehörte die Ungewissheit einst zum Zustand „guter Hoffnung“. Doch diese Ungewissheit nicht nur auszuhalten, sondern sie angesichts des immer brei- teren pränataldiagnostischen Angebots vielmehr ein- fordern zu müssen, wird für werdende Eltern zuneh- mend zur Herausforderung. Immer mehr Schwangere werden so zu einer Entscheidung gelangen, die etwa am Beispiel Dänemark bereits ablesbar ist: Dort ma- chen 97 Prozent der Schwangeren den angebotenen Bluttest auf Trisomien. Zeigt er ein hohes Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom, so entscheiden sich 95 Prozent für eine Abtreibung. Das Leben wird risikoär- mer, vor allem aber ärmer. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 12. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Leben wird ärmer CONTRA Unsere Gesellschaft steht vor einem Um- Herr Dusel, wie mühsam lebt es sich als Mensch mit Behinderung in Deutsch- land? Das lässt sich nicht verallgemeinern. In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen, darun- ter 8,5 Millionen Schwerbehinderte. Aber nur 900.000 Menschen mit Behinderung bekommen Leistungen nach dem Bundes- teilhaberecht. Die Gruppe der Betroffenen ist sehr heterogen. Nur rund drei Prozent werden mit Behinderungen geboren, der Rest erwirbt die Behinderung im Laufe des Lebens. Deswegen sind die Lebenslagen sehr unterschiedlich. Wenn Sie die Wahl hätten, was wür- den Sie sofort ändern? Ich würde dafür sorgen, dass die Barriere- freiheit nicht nur im öffentlichen Sektor umgesetzt wird, sondern auch private An- bieter von Produkten und Dienstleistun- gen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, dazu verpflichten. Barrierefreiheit ist der Schlüssel zur Teilhabe, das hat eine tie- fe soziale Dimension und ist ein Qualitäts- standard für ein modernes Land. Haben Sie ein praktisches Beispiel für Alltagsbarrieren? Machen Sie mal die Augen zu und versu- chen Sie, an einem Bankautomaten an Geld zu kommen. Dann können Sie sich vorstellen, wie es Menschen mit Sehbeein- trächtigungen geht. Die Menüführung ist nicht einheitlich, manchmal gibt es einen Touchscreen, da können Sie nichts erfüh- len. Ich kann ohne Hilfe kein Geld holen, das ist frustrierend. Im öffentlichen Bereich hat sich das Angebot verbessert. Blinde können in Rathäusern Bescheide in Braille- schrift bekommen, Hörbehinderte können bei Verwaltungsverfahren in Gebärdenspra- che kommunizieren. Aber im privaten Sek- tor hinken wir gegenüber anderen europäi- schen Ländern hinterher, von den USA ganz zu schweigen. In Deutschland ist die Angst groß, private Anbieter zu Auflagen zu verpflichten. Sie fordern Barrierefreiheit auch in der digitalen Welt. Was heißt das? Sämtliche Internetseiten und Apps müssen von Anfang an barrierefrei sein. Sonst wer- den Menschen mit Behinderungen abge- hängt. Menschen mit Sehbeeinträchtigun- gen brauchen eine Vorlesefunktion, Men- schen mit Hörbeeinträchtigungen brau- chen bei Videoformaten Untertitelung und Gebärdensprachdolmetschung, und Men- schen mit Lernschwierigkeiten benötigen Texte in leichter Sprache. Geld- und Ticket- automaten könnten digitalisiert werden mit Schnittstellen zum Smartphone mit Vorlesefunktion. In anderen Ländern ist das bereits gang und gäbe. In Deutschland brauchten wir erst eine europäische Richt- linie, um die Barrierefreiheit für private Produkte in nationales Recht verpflichtend umzusetzen. Die Erwartungen an das Bundesteil- habegesetz sind groß. Ist die Reform ge- lungen? Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt, es muss aber klar sein, dass Menschen mit Behinde- rungen in allen Lebensbereichen berücksich- tigt werden, das ist eine Querschnittsaufga- be. Es geht nicht nur um Sozialpolitik, son- dern auch um Themen wie Gesundheit, Bil- dung, Sicherheit, Bauen oder Finanzen. Ein Beispiel: Nach 45 Jahren ist in dieser Legis- laturperiode der Pauschbetrag im Einkom- mensteuerrecht verdoppelt worden. Men- schen mit Behinderung können ihre Mehr- belastungen nun steuerlich besser geltend machen, das ist ein großer Erfolg. Hilfen für behinderte Menschen wer- den bisweilen von Behörden verweigert. Ist die Gesundheitsbürokratie zu weit weg von der Lebenswirklichkeit? »Inklusion ist ein Segen« JÜRGEN DUSEL Der Behinderten- beauftragte fordert den Abbau von Alltagsbarrieren auch im privaten Sektor © behindertenbeauftragter.de/Henning Schacht Ja, ich habe den Eindruck, dass die zustän- digen Stellen häufig eher ihre Unzustän- digkeit prüfen und die Leute von einer Stelle zur nächsten schicken. Bei Kindern ist es besonders schwierig, weil für sie un- terschiedliche Kosten- und Leistungsträger gelten. Ich kann die Frustration bei Eltern verstehen, wenn der Anspruch eigentlich klar ist, aber das Recht bei den Menschen nicht ankommt. Verbände beklagen, dass Mehrfachbe- hinderungen in der Versorgung nicht gut abgebildet werden. Stimmt das? In diesen Fällen sind die Bedarfe viel weit- gehender. Das betrifft beispielsweise Men- schen mit schweren Mehrfachbehinderun- gen, die ins Krankenhaus müssen. Im All- tag können diese Menschen auf Assistenten zurückgreifen, im Krankenhaus war bisher nicht geklärt, wer die Kosten dafür über- nimmt. Das ist unwürdig. Ich bin froh, dass der Bundestag auf den letzten Drücker nun eine Kostenregelung beschlossen hat. In der Coronakrise wird viel über den Schutz vulnerabler Gruppen geredet, aber selten explizit über Menschen mit Behinderung. Wie sehen Sie das? Am Anfang hatte ich den Eindruck auch. Wir hatten zunächst kaum behindertenge- rechte Informationen, es gab zu wenig Ge- PARLAMENTARISCHES PROFIL bärdendolmetschung. Auch Informationen in leichter Sprache waren nicht ausrei- chend verfügbar. Das ist besser geworden. Auch bin ich froh, dass es gelungen ist, Menschen mit Behinderungen nach an- fänglichen Startschwierigkeiten bei der Impfpriorisierung zu berücksichtigen. Wie ausgeprägt ist denn das Wissen über Behinderungen in der Gesellschaft? Das hängt davon ab, ob es Kontakte gibt zu Menschen mit Behinderung, viele Bürger haben solche Kontakte nicht und wissen auch relativ wenig. So entstehen Vorurteile, dann werden Menschen mit Behinderung eher als defizitäre Wesen wahrgenommen. Deswegen ist es so wichtig, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam groß werden und gemeinsam zur Schule gehen. Das ist vor allem wichtig für Kinder ohne Behinderung. Die lernen, dass es Kinder gibt, die im Rollstuhl sitzen, aber in Ma- thematik gut sind. Das strahlt am Ende in die Gesellschaft aus und hat positive Fol- gen auch für den Arbeitsmarkt. Manche Ar- beitgeber können sich ja gar nicht vorstel- len, dass Menschen mit Einschränkungen einen guten Job machen. Wer in der Schule behinderte Mitschüler hatte und später Personalverantwortung trägt, entscheidet sich eher für Menschen mit Behinderung, weil es keine Berührungsängste gibt. Kürzlich ist wieder ein Fall von Ge- walt gegen Behinderte bekannt gewor- den. Wie verbreitet ist das Problem? Das ist leider sehr verbreitet. Studien zu- folge werden insbesondere Frauen mit Be- hinderung häufig Opfer sexualisierter Ge- walt. Hier sind bessere Schutzkonzepte nötig. Gewalt beginnt aber nicht erst bei tätlichen Angriffen. Wichtig ist der Ge- waltschutz in Einrichtungen. Wir brau- chen konkrete Maßgaben, um institutio- nelle Abhängigkeiten und strukturelle Ge- walt in Einrichtungen zu verhindern. Durch das Teilhabestärkungsgesetz wurde der Gewaltschutz in Einrichtungen erst- mals gesetzlich verankert. Für nachhaltige Vorkehrungen ist es unabdingbar, dass Menschen mit Behinderungen, die in Ein- richtungen leben, an der Erarbeitung der Konzepte beteiligt werden. Herr Dusel, Sie sind von Geburt an sehbehindert und haben Karriere ge- macht, was hat Ihnen geholfen? Die Regelschule war ein Segen für mich, weil ich mit anderen Kindern etwas unter- nehmen konnte. Als Zwölfjähriger war ich Pfadfinder. Das klingt skurril, wenn man schlecht sieht und Pfade finden soll. Aber darum ging es nicht. Ich war als Nachtwa- che gut, weil ich viel besser hören konnte als die anderen. Die gemeinsamen Erfah- rungen in der Schule haben letztlich gehol- fen, dass ich später durch das Studium ge- kommen bin und in das Berufsleben. Ich kann mir ein demokratisches Land nicht gut vorstellen, das nicht inklusiv denkt und handelt. Behinderte haben die glei- chen Rechte wie andere. Es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass diese Rechte bei den Bürgern auch ankommen. Es ist ei- ne Frage der Demokratie, ob Menschen in ihrer Vielfalt willkommen sind. Das Gespräch führte Claus Peter Kosfeld. T Jürgen Dusel (56) ist seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur N. N. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) V.i.S.d.P Redaktionsschluss 9. Juli 2021 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement FAZIT Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. 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Sie hat in den Niederlanden studiert und als Au-pair in Marseille gearbeitet, als das mit dem Bachelor-Studium nicht so recht funktionierte. Sie hat eine Ausbildung zur Fremdsprachenassistentin absol- viert für Niederländisch, Französisch und Englisch und wäh- renddessen in Shanghai gearbeitet. Sie hat später „Hartz IV“ bezogen, musste bei den Eltern wieder einziehen, arbeitete im Call-Center. Sie ist Mitglied bei den Grünen, bei Verdi, dem BUND und Amnesty International. Seit der Europawahl 2019 sitzt Langensiepen im Europäischen Parlament – und sie hat die Erbkrankheit TAR-Syndrom. Ihr feh- len die Speichen in den Unterarmen. Sie ist sichtbar behindert, als einzige Frau im Europaparlament. Eine von insgesamt nur vieren unter 705 „MEP“. Nur logisch also, dass Langensiepen sich dort für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt und Vorsitzende der Interparlamentarischen Gruppe von Menschen mit Behinderung des Europäischen Parlaments ist. Federführend hat sie sich als zuständige Europaabgeordnete, als sogenannte Berichterstatte- rin, um den Initiativbericht zur Umsetzung der UN-Behinderten- rechtskonventionen in der EU gekümmert. Behindert – Behin- dertenpolitik, wie sollte es anders sein? „Ich bin über Stuttgart 21 in die Politik gekommen“, sagt Langensiepen selbst von sich. „Und die Sozialpolitik.“ 2010 war das. Der Kontakt zu den Grünen entstand über ein Radiopraktikum, in dessen Rahmen sie sich vor allem um sozialpolitische Themen kümmerte. Ein Jahr später wurde sie in den Stadtrat von Hannover gewählt und dort sozialpolitische Sprecherin. Der starke Fokus auf die Behindertenpolitik kam erst mit der Wahl ins Europaparlament, als sie von der Fraktion gefragt wurde, ob sie das Dossier nicht übernehmen wolle. ..................................................................................................................................................... »Entscheidend ist, dass Du Menschen hast, die an Dich glauben, die sagen, das schaffst Du schon.« n e p e i s n e g n a L . K © Also hat sie den Bericht zur Umsetzung der UN-Behinderten- rechtskonventionen übernommen. Sie kritisiert, dass die Bun- desregierung die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie und damit auch eine starke EU-Politik für Inklusion blockiere, den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu Bildung, dem ersten Ar- beitsmarkt oder Barrierefreiheit. Reduzieren darauf lässt sich Langensiepen aber nicht. Sie bleibt Sozialpolitikerin. Ebenso sitzt sie im Parlament im Ausschuss für auswärtige Angelegen- heiten und ist Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den Maschrik-Ländern Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien. Vor allem die Lage in Syrien beschäftigt sie. „Aber natürlich be- komme ich, wenn ich etwas zu Syrien twittere, viel weniger Li- kes“, sagt sie. Das ist durchaus frustrierend, vor allem in der Politik auf die Behinderung reduziert zu werden. Aber von „Frust“ will Langensiepen gar nicht reden. Denn wer wüsste besser als sie, was es heißt, mit Behinderung zu leben. Gerade weil ihre Eltern sie früh einfach ins kalte Wasser gewor- fen haben, in der „normalen“ Schule, im „normalen Leben“. Das ist die Hauptsache für sie, nicht in irgendeiner dereinst wohlmeinend eingeführten „Werkstatt“ weggesperrt zu wer- den, wie es in Deutschland immer noch zu oft geschehe. Am Le- ben teilzunehmen, in irgendeinem normalen Betrieb zu arbei- ten, ohne Hürden. „Ich selbst bin ja privilegiert: Fahrdienst, As- sistenten, ausreichend Geld für ein Taxi“, sagt sie. Aber rund um die Uhr „24/7“ zu arbeiten, wie mancher Abgeordneter, das schafft, das will sie nicht. „Aber das ist auch gar nicht nötig“, sagt sie – nur Popanz eines ineffizienten Männerclubs aus alter Zeit. Deshalb macht sie auch jedem anderen Menschen mit Be- hinderung Mut, sich für ein politisches Mandat zu bewerben. „Entscheidend ist, dass Du Menschen hast, die an Dich glau- ben, die sagen, das schaffst Du schon“, sagt Langensiepen. So wie es ihre Au-pair-Familie in Marseille getan hat. Der Rest ist nur Politik. Hendrik Kafsack T