Das Parlament - Nr. 3-4 - 18. Januar 2021 DEBATTENDOKUMENTATION 7 Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen: Ich finde, diese Verantwortung kann man nicht übernehmen n o i t k a r f s g a t s e d n u B - n e n ü r G e D - 0 9 s i n d n ü B © i Katrin Göring-Eckardt (*1966) Landesliste Thüringen Seit Beginn des Jahres mehr als 200 000 Neuinfizierte, fast 10 000 Menschen sind gestorben, dazu die Nachrichten aus Großbritannien, aus Irland, aus Südafrika. Die Entwicklung ist dramatisch, sie macht mir große Sorgen, sie sollte uns große Sor- gen machen. Und ich finde, weite Teile dieser Debatte, wo es hier um „Wir gegen die“, „Was hat wer wann gemacht?“ ging, entsprechen nicht dem Ernst der Lage, in der wir uns gerade be- finden, meine Damen und Her- ren. Ich sage ganz ausdrücklich: Ja, der Impfbeginn macht uns allen große Hoffnung. Wer hätte An- fang letzten Jahres gedacht, dass es gelingt, gleich mehrere sichere Impfstoffe zu entwickeln? Das ist großartig, das ist gut. Wirklich vie- len Dank an all diejenigen, die sich jetzt dafür engagieren, die eh- renamtlich oder hauptamtlich da- für sorgen, dass es mit dem Imp- fen richtig losgeht. Aber ich sage zugleich auch: Wecken wir keine falsche Illusion! Die Pandemie werden wir nicht auf Knopfdruck beenden. Und Herr Lindner, wir werden sie auch nicht dadurch be- enden, wenn Sie das jetzt gerne wieder anders haben wollen und mit der FFP2-Maske gerne im Res- taurant sitzen wollen. In meinem Kopf lief ein Film ab, wie das ei- gentlich gehen soll. Nein, so ein- fach geht es eben nicht, meine Da- men und Herren. Wir brauchen einen reibungslo- sen Ablauf bei den Impfungen. Es braucht jetzt mehr Informationen, es braucht mehr Aufklärung. Es kann nicht sein, dass die Enkelin das Internet durchforsten muss, damit der 80-jährige Großvater ei- nen Impftermin bekommt; das ist vollkommen richtig. Wir brau- chen eine Kampagne. Wir müssen dafür sorgen, dass man sich ein- fach und bitte auch bundesein- heitlich informieren kann gerne im Fernsehen, im Radio, überall, dass man Termine zugeschickt be- kommt. Eine solche Einfachheit wird auch das Vertrauen stärken. Darum geht es. Es war verdammt richtig, europäisch zu handeln und nicht national. Und es wäre noch viel wichtiger, klar zu sagen: Diese Pandemie werden wir erst besiegt haben, wenn wir sie weltweit besiegt ha- ben, nicht nur in Europa und nicht nur in Deutschland, meine Damen und Herren. Ja, Corona spannt uns alle an. Es geht uns auf die Nerven, es löst Angst aus, Verzweiflung. Menschen sind Corona müde, viele wollen nichts mehr davon hören. Ich kann das gut verstehen. Aber wir hier dürfen jetzt die Nerven nicht verlie- ren, nicht die Verantwortlichen und auch alle anderen nicht. So sinnvoll, wie der Vorschlag von Herr Söder zu den FFP2-Mas- ken ist: Das macht man doch aber nicht mal eben, und das macht man doch auch nicht, indem man sagt: Ja, dann muss halt jeder mal ein bisschen ins Portemonnaie greifen. Wissen Sie eigentlich, wie sich die Maskenpreise entwickelt haben seit diese Ankündigung von Herrn Söder? Krass nach oben. Und was soll denn jetzt eigentlich diejenige sagen, die von Transfer- leistungen, von Hartz IV lebt und die es in dieser Zeit sowieso schon nicht auf die Reihe kriegen kann, zusätzliche Kosten, zusätzliche Ausgaben zu tragen? Deswegen: Solche Vorschläge, so sinnvoll sie sein mögen, müssen doch im Hin- blick auf das Vertrauen in der Be- völkerung so ausgestaltet werden, dass es sich auch die Armen leis- ten können, dass es sich alle leis- ten können, meine Damen und Herren. Dann kommen wir einen deutlichen Schritt weiter. Im Erika-Heß-Eisstadion in Berlin hat vergangenen Donnerstag das zweite Corona-Impfzentrum (CIZ) der Haupt- stadt den Betrieb aufgenommen. © picture-alliance/dpa/Frederic Kern/Geisler-Fotopress Herr Spahn, Sie haben von Ver- trauen geredet. Ja, es sind nicht die Regeln und die Beschränkun- gen, die die Leute den Kopf schüt- teln lassen. Sie schütteln vielmehr den Kopf, weil die Regeln und Be- schränkungen nicht nachvollzieh- bar, nicht transparent sind und weil so viele Regelungen so le- bensfremd sind. Manchmal fragt man sich wirklich: Worüber spre- chen Sie eigentlich genau, wenn Sie diese Regelungen machen? Dass Geschwister nicht zusam- men zur Oma können, dass die Kitas, Schulen und Kultureinrich- tungen zu sind, versteht keiner, wenn gleichzeitig alle ins Büro müssen. #MachtBuerosZu ist ein Hashtag, der im Internet nicht nur deswegen verbreitet wird, weil viele, die im Büro sitzen, sich darüber Gedanken machen, sondern auch alle ande- ren. Ich habe Rückmeldung be- kommen von Menschen, die in In- dustrieunternehmen arbeiten und sagen: Ja, wir sitzen jeden Morgen im öffentlichen Nahverkehr; der ist total voll. Und wir möchten gern, dass die, die in den Büros arbeiten, nicht auch noch da sitzen, weil sie längst zu Hause arbeiten können. – Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das nicht hinbekommen kann. Da geht es um Arbeitsschutz. Herr Heil, da geht es um Arbeits- schutz, das können Sie machen. Sie haben im letzten Jahr hier, in diesem Parlament, die Möglich- keit bekommen, beim Arbeits- schutz in den Büros und in den Produktionsstätten viel stärker draufzuschauen. Wir brauchen beides. Es kann doch nicht sein, dass wir im Privaten alles ein- schränken, dass die Schule, die Ki- ta zu hat, dass das Restaurant zu hat und in der Kultur alles zu ist, aber im Arbeitsleben geht es ir- gendwie dann doch noch so wei- ter wie bisher. Das geben die Zah- len nicht her. Wenn die Zahlen runterkommen sollen, dann müs- sen wir auch ans Arbeitsleben und an die Büros ran, meine Damen und Herren. Dazu gehört noch ein weiterer Punkt, und da geht es leider eben dann doch wieder um die Pande- miewirtschaft. Was ist mit den Schnelltests? Was ist mit den Schnelltests, die Laien anwenden können? Wir brauchen sie, und zwar flächende- ckend, damit diejenigen, die die- ses Land am Laufen halten die Kassiererin, die Erzieherin in der Notbetreuung und viele andere, auch tatsächlich sicherer sein kön- nen, damit sie das machen kön- nen, was wir alle brauchen: Schnelltests, die Laien anwenden können. Wir müssen eine Abnah- megarantie haben. Herr Spahn, bitte vergeigen Sie das jetzt nicht. Es kommt wirklich darauf an, dass wir diese Hilfe, diese Unterstüt- zung in dieser Phase der Pande- mie haben, und zwar überall, wo es irgendwie geht, meine Damen und Herren. Zum Vertrauen gehört auch, dass man das einhält, was man ankündigt. Gestern hat der Wirt- schaftsminister war es gestern? verkündet, dass er jetzt eine gute Nachricht habe für alle, die No- vemberhilfen beantragt haben. Seit gestern Mittag konnte man sie bekommen seit gestern Mittag vielleicht! Das sind Novemberhil- fen, wie der Name schon sagt. Wir haben jetzt Januar 2021. Men- schen sind erschöpft. Es gibt In- solvenzen, und Menschen geben heute Geschäfte auf, weil sie nicht mehr können, weil sie nicht mehr nachvollziehen können, dass ih- nen immer etwas versprochen wird, was dann nicht eingehalten wird. Wir werden, wenn wir aus dieser Pandemie herauskommen, erleben, dass wir Minister hatten in dieser Bundesregierung, die Dinge angekündigt und nicht ein- gehalten haben, und dass deswe- gen Läden, Cafés, Kultureinrich- tungen zu sind und nicht wieder aufmachen können. Ich finde, diese Verantwortung kann man nicht übernehmen. Deswegen sage ich: Ja, wir müssen einen Plan haben, wie wir raus- kommen aus der Pandemie. Dazu muss das jetzt so laufen, dass man wirklich Vertrauen haben kann, dass diejenigen Hilfe bekommen, die sie brauchen. Es ist aber auch wichtig, dass wir mit einem kla- ren, deutlichen Stufenplan sagen, wie wir da wieder rauskommen, dass wir uns an Inzidenzen halten und sagen, was wann geht, was bei welcher Inzidenz geht, damit wir mit Hoffnung und mit Ver- trauen in dieses Jahr starten kön- nen. Anders, meine Damen und Herren, geht es nicht. Deswegen: Setzen Sie sich gern mit uns zusammen, dann machen wir das im Bundestag und Bun- desrat. Dann ist es wirklich ein- heitlich, und wir haben nicht mehr dieses Hickhack wie jetzt. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Sehr gut! Den letzten Punkt können wir nur unterstützen!) Dies ist eine gekürzte Version der De- batte. In der Debatte sprachen zudem die Abgeordneten Carsten Schneider (SPD), Detlev Spangenberg (AfD), Georg Nüßlein (CDU/CSU), Achim Kessler (Die Linke), Kordula Schulz- Asche (Bündnis 90/Die Grünen), Mi- chael Müller (SPD, Regierender Bü- germeister von Berlin), Rudolf Henke (CDU/CSU), Erwin Rüddel (CDU/ CSU), Mario Mieruch (fraktionslos), Tino Sorge (CDU/CSU) und Claudia Schmidtke (CDU/CSU).