2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 42-43 - 18. Oktober 2021 GASTKOMMENTARE FRIST ZUR REGIERUNGSBILDUNG EINFÜHREN? Weniger Spielchen PRO W er A sagt, also eine Frist zur Re- t a v i r P © Hagen Strauß, »Saarbrücker Zeitung« t a v i r P © Stefan Reinecke, »die tageszeitung«, Berlin gierungsbildung einführen will, sollte auch konsequent B sagen: Das wäre, die Amtszeit eines Kanzlers oder einer Kanzlerin auf zwei Legislatur- perioden zu begrenzen bei gleichzeitiger Verlänge- rung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre. Ein Komplettpaket mit politischem Charme – allein schon, weil dann die asymmetrische Demobilisie- rung, die man zuletzt in diversen Wahlkämpfen er- leben konnte, hoffentlich als Wahlkampfstil vom Tisch ist. Neue Personen, neue Themen, neuer Druck. Und vielleicht etwas mehr Leidenschaft. In einigen Bundesländern gehen die Uhren schon anders, weil es Fristen für die Wahl des Regie- rungschefs und damit für die Regierungsbildung insgesamt gibt. In der Folge droht hier und da so- gar die Auflösung des neu gewählten Landtags. Im Bund ist das nicht der Fall, weshalb 2017 quälend lange verhandelt werden konnte, bis das ganze Jamaika-Projekt dann doch implodierte. Anschlie- ßend folgte die gefühlt schier endlose Bildung der neuen GroKo, nicht minder aufreibend. Solche langwierigen Prozesse kann man nicht wollen, weil sie dem Wähler auch nicht zuzumuten sind. Eine Frist befördert den Willen zur Einigung. Der zeitliche Korridor für taktische Spielchen verengt sich, nicht ernsthaft gemeinte Gespräche werden unwahrscheinlicher. Das ist gerade dann wichtig, wenn wie inzwischen drei oder vier Parteien mitei- nander verhandeln müssen und nicht mehr nur zwei. Die Erfahrung aus den Ländern lehrt zudem, dass Regierungen deshalb nicht instabiler sind. Im Gegenteil: Programmatisch wird sich aufs wirklich Wesentliche konzentriert und nicht aufs leidige Kleinklein, das Verhandlungen meist nur erschwert und in die Länge zieht. Also her mit der Frist. Schwelle vom Volksparteiensys- tem zu etwas Neuem. Unsere Parteienlandschaft ist im euro- päischen Vergleich zwar recht beständig. Aber das alte System mit SPD und Union als zentralen Play- ern, die eine Milieupartei zwecks Mehrheitsbe- schaffung an sich binden, ist wohl Vergangenheit. Deshalb wird die Koalitionsbildung komplizierter. Das war 2017, als Jamaika scheiterte, zu sehen; es ist derzeit bei der Ampel zu beobachten. Regie- rungsbildungen werden schwieriger, weil Konsens- findungen zu dritt umständlicher sind als zu zweit. Vor allem aber entstehen die Koalitionen selbst weit mehr als früher zufällig und ungeplant. Der FDP fehlte bis zum Wahltag die Phantasie, dass sie mit Rot-Grün ernsthaft über eine Koalition würde sprechen wollen. So ist es nun. Das ist neu im Bund. Es wird künftig öfter passieren. Für Parteien werden Koalitionsgespräche damit zu fragilen Unternehmungen, in denen, weit mehr als in den alten Zweierbündnissen, der eigenen Klien- tel schwierige Kompromisse zugemutet und ver- kauft werden müssen. Die Kompromissbildungen, die früher in den Volksparteien selbst stattfanden, verlagern sich in die Koalitionsverhandlungen. Diesen unerprobten, gewöhnungsbedürftigen Pro- zess sollte man nicht zeitlich begrenzen. Denn un- ter Zeitdruck kann die Basis der Koalition zu we- nig belastbar ausfallen. Auch die Neigung, in un- übersichtlicher Lage Neuwahlen anzupeilen, kann steigen. Beides wäre kein Vorteil. Es gibt zudem kein Indiz, dass Parteien in Deutsch- land länger verhandeln als nötig. Sie erfinden gera- de die neuen Routinen für die Postvolkspartei-Ära. Da wäre ein enges Zeitkorsett eher hinderlich. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 8. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Für Neues hinderlich CONTRA W ir stehen in Deutschland an der Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur N. N. 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Bundestages eröffnen, ist das schon die 14. Konstituierung, die Sie persön- lich als Parlamentarier miterleben. Ist das trotzdem noch für Sie ein ganz spe- zieller Termin oder bei all der Erfah- rung vor allem Routine? Eine neue Legislaturperiode ist keine Routine; das darf sie auch nicht sein. Es ist auch das erste Mal, dass ich sie eröff- ne. Aber ich bin nicht sehr nervös deswe- gen und sehe diesem Tag mit einer ge- wissen Gelassenheit entgegen. Wir erle- ben aufwühlende Zeiten und erhebliche Veränderungen. Ich werde sagen, was ich am Beginn der Legislaturperiode für not- wendig halte. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste konstituierende Sitzung 1972? Sie wa- ren 30 Jahre alt, und die SPD hatte die „Willy-Wahl“ haushoch gewonnen. Sie hatten Ihren Wahlkreis trotzdem di- rekt gewonnen, und das als Neuling... Ich war CDU-Kandidat in einem Wahl- kreis, der als sicher galt; das hat mir den Wahlkampf sicher erleichtert, denn die CDU hatte auch damals eine schmerzli- che Wahlniederlage erlitten. Das Ergeb- nis kam für mich als jungen Wahlkämp- fer nicht ganz überraschend. Wenn man den Menschen zuhörte, hat man im Wahlkampf doch gespürt, dass die Eu- phorie in den eigenen Reihen nicht der Stimmung in der Bevölkerung entspro- chen hat. Als neu gewählter Abgeordne- ter empfand ich das natürlich als eine besondere Ehre und es war für mich als junger Mann eine große Herausforde- rung. Gab es konstituierende Sitzungen, die Sie herausheben würden; etwa 1990 die des ersten gesamtdeutschen Bundestages, die Willy Brandt eröffne- te? Das war sicher ein ganz besonderer Mo- ment. Der Bundestag war noch nicht nach Berlin umgezogen, hat die konsti- tuierende Sitzung aber hier im Reichstag abgehalten. Ich war allerdings bei den ersten beiden Sitzungen des ersten ge- samtdeutschen Bundestages nicht dabei, erst bei der Wahl des Bundeskanzlers. Ich war damals in keiner guten Verfas- sung, sondern noch sehr rekonvaleszent. Ich bin ja ein paar Tage nach dem In- krafttreten Einheit Deutschlands durch einen Schuss schwer verletzt worden und sitze seitdem im Rollstuhl. In der ersten Zeit danach war ich noch relativ stark mit mir selbst be- schäftigt. Aber es war auch bewegend in einer der anderen Sitzungen, in der Wil- ly Brandt Alterspräsident war... staatlichen der ...der den Bundestag schon 1983 und 1987 eröffnet hatte. Brandt war als Kanzler in den Jahren von 1969 bis 1974 zu einer für jüngere Abge- ordnete eindrucksvollen geschichtlichen Persönlichkeit geworden – er hatte ja auch 1971 den Friedensnobelpreis be- kommen. Vor der vorgezogenen Neu- wahl von 1983 hatte im Oktober gerade der Koalitionswechsel stattgefunden; dann sind die Grünen in den Bundestag eingezogen, und als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion hatte ich alle Hände voll zu tun. So gab es einige konstituierende Sitzungen, die jeweils ihren ganz eigenen Erinnerungs- wert haben. Und vor vier Jahren bin ich zum Bundestagspräsidenten gewählt worden – das ist natürlich auch etwas Besonderes ge- wesen. jetzt Bei der Wahl in diesem Jahr sind ja relativ viele junge Menschen in den Bundestag gewählt wor- den. Wenn Sie an Ihre ers- te Legislatur zurückden- ken – wie gespannt sind Sie heute, mit 79 Jahren, darauf, was die Newcomer einbringen und gegebenenfalls verändern werden? Es ist ja nicht so, dass es nicht früher auch schon jüngere Abgeordnete gege- ben hat. Ich selbst war auch 1972 nicht der jüngste Abgeordnete; so außerge- wöhnlich war das also auch damals nicht. Aber wie jedes menschliche Sys- tem lebt auch das Parlament von Konti- nuität und Wandel zugleich, von Bewah- ren und Verändern. Diesmal sind es noch ein paar Jüngere mehr, und das Parlament wird auch noch einmal ein Stück weit bunter, beispielsweise in der neuen SPD-Fraktion. Die gesellschaftli- che Vielfalt unseres Landes wird auch durch die Neulinge im Bundestag sicht- bar. Ich habe feststellen müssen, dass von den früheren Weggefährten viele nicht mehr da sind. Das ist so, wenn man seit 1972 dem Bundestag angehört und alle anderen erst 1990 oder danach gekommen sind. Das war mir aber klar, als ich mich entschieden hatte, noch ein- mal zu kandidieren. – die PDS, also die heutige Linke, und zuletzt die AfD. Was war – aus der Sicht des Parlamentariers – der größte Einschnitt in Sitten und Gebräuche? Der Einzug der Grünen war damals schon sehr spektakulär. Sie haben auch alles dazu beigetragen – nach dem Mot- to: Wir wollen den Laden aufmischen. Sie hatten auch die entsprechenden Cha- raktere und Tempera- mente und ganz neue Dinge wie das rotieren- de Mandat, das nach zwei Jahren abzugeben war. Dann haben sie am Tag der konstituieren- den Sitzung und Kanz- lerwahl einen halben Wald in den Plenarsaal geschleppt und anderes mehr... »Wie jedes menschliche System lebt auch das Parlament von Kontinuität und Wandel.« ...kränkelnde Tan- nenzweige in Anspie- lung auf das Waldsterben... Die Einsicht in die Notwendigkeit und in die Vernunft der Institution hat dann auch die Grünen überzeugt. Mit der Lin- ken – erst hieß sie PDS – war es ähnlich. Da gab es 1994 die etwas weniger ange- nehme Situation, als sich meine Fraktion zur Sitzungseröffnung durch den Alterspräsi- denten Stefan Heym von der PDS-Gruppe nicht von den Sitzen erhob. es Rückblickend wäre besser dem Amt des Alterspräsiden- ten die gebührende Re- verenz zu erweisen. Das hätte der Glaubwürdig- keit der CDU/CSU in ih- rem überzeugten Enga- gement gegen den Kom- munismus nicht wirk- lich geschadet. gewesen, »Kollegen, die fraktionslose Abgeordnete waren, wurden dabei alle nicht sehr glücklich.« Als Sie erstmals einzogen, war das Drei-Parteien-System etabliert, elf Jah- re später kamen die Grünen dazu, sie- ben Jahre danach – dank der Einheit Ihr Amtsvorgänger Norbert Lam- mert sagte einmal sinngemäß, der Bun- destag habe die Grünen mehr verän- dert als die Grünen den Bundestag. Sie haben jetzt auch die Linke darin einbe- © Deutscher Bundestag/Achim Melde Inwiefern? »Unsere Stabilität ist nicht zum Nachteil der Bundes- republik gewesen.« zogen. Wie weit kann auch die AfD das für sich in Anspruch nehmen? Bis jetzt ist das nicht mein Eindruck. Sie hat den Bundestag nicht wirklich sehr verändert – das haben wir in diesen vier Jahren von 2017 bis 2021 schon gut hin- gekriegt. Aber sie hat sich aus meiner Sicht auch leider nicht zum Besseren ent- wickelt. Die Frage bleibt offen. Abgeordneter zu sein, „nur an sein Gewissen gebunden“, bedeutet nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Verant- wortung, nicht zuletzt bei bestimmten Gewis- sensentscheidungen. Kann das auch einsam machen? Man kann Abgeordneter im repräsentativen System mit einiger Aussicht auf Effizienz nur sein, wenn man eingebunden ist in eine Fraktion. Die Kolleginnen und Kollegen, die im Laufe der Jahre fraktionslose Abgeordne- te waren, sind dabei alle nicht sehr glücklich geworden. Das entspricht im Übrigen auch dem repräsentativen Prin- zip, auf dem die parlamentarische De- mokratie Das heißt, man findet sich in Fraktionen zusammen und bildet in diesen eine ge- meinsame Position. Anders geht es auch nicht, weil sta- bile Mehrheiten sonst schwer zu erreichen wären. beruht. Es gibt aber Sonderfäl- abweichen le, oder? Natürlich gibt es solche Si- tuationen, in denen man davon kann oder sogar muss. Das ist je- doch die Ausnahme vom normalen Prin- zip der parlamentarischen Repräsentati- on: etwa bei der Frage des assistierten Selbstmords, der Frage des Lebensschut- zes, den Möglichkeiten der Organspende oder auch der Frage Bonn-Berlin haben wir so entschieden. Aber das muss die Ausnahme bleiben. Ich kann für eine Po- sition kämpfen und um Mehrheiten rin- gen, und es gibt auch keinen Fraktions- zwang. Jeder muss aber immer entschei- den, ob er – auch wenn er anderer Mei- nung ist –akzeptiert, dass sich die Mehr- heit seiner Fraktion anders entscheidet. Um zu solchen Entscheidungen zu kom- men, wird intensiv diskutiert in den Fraktionen, den Arbeitsgruppen, den so- ziologischen und sonstigen Vereinigun- gen. Und dann muss sich der Einzelne sehr genau überlegen, ob eine Frage für ihn oder sie selbst wirklich so bedeut- sam ist, dass man sich trotzdem anders entscheidet und sich etwa gegen die Mei- nung der Kolleginnen und Kollegen stel- len muss, die sich in der Fraktion inten- siver mit der Frage beschäftigen. Wolf- gang Bosbach... ...der einstige Unions-Fraktionsvize und spätere Vorsitzende des Innenaus- schusses ... ...ein bekannter und sehr angesehener Kollege, hat die Tatsache, dass er 2017 nicht mehr für den Bundestag kandidier- te, mit der einprägsamen Formulierung begründet, dass er nicht immer die Kuh sein wolle, die quer im Stall steht. Das gehört auch zu den Gewissensentschei- dungen. Sie waren bislang zwei Drittel Ih- rer Zeit als Abgeordneter in der Regie- rung, aber ein Drittel – immerhin 18 Jahre – in der Opposition. Stimmt der Satz von Franz Müntefering, dass Op- position Mist ist? In den ersten Jahren empfinden Sie das nicht so sehr. Aber je länger die Opposi- tionszeit dauert, umso stärker merken Sie schon, dass die anderen die Mehrheit haben und nach ihrem Willen entschei- den können. Gut – wenn Ministerien vernünftig arbeiten, werden sie auch be- gründete Anliegen eines Oppositionsab- geordneten nicht von vornherein ableh- nen, nur weil der in der Opposition ist. Aber in der Art, wie das Franz Müntefe- ring gesagt hat, ist das eindrucksvoll be- schrieben. Was sagt es über die Demokratie und Geschichte der Bundesrepublik aus, dass Sie in den nunmehr 49 Jah- ren Ihres Abgeordnetenlebens zweimal aus der Opposition in die Regierung gewechselt sind und nun – möglicher- weise – zum zweiten Mal aus der Re- gierung in die Opposition müssen? Wenn das in 49 Jahren so selten ge- schieht, sagt es zunächst einmal aus, dass wir ein hohes Maß an Stabilität haben. Jedenfalls im Vergleich mit anderen Staa- ten, auch in Europa. Diese außerge- wöhnliche Stabilität ist in den vergange- nen Jahrzehnten nicht zum Nachteil der Bundesrepublik gewesen. Ob das in der Zukunft so bleibt, wird man sehen; es muss sich ja vieles verändern, so wie sich die Welt und die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht verändern. Viele nehmen unsere Zeit so wahr, dass das Tempo der Veränderungen schneller wird und die Veränderungen stärker. Das mag auch mit der schnelleren Kommu- nikationstechnologie zu tun haben, der Beschleunigung wissenschaftlichen Fort- schritts, dem Schwungrad der Globalisie- rung, dem Klimawandel und dem Ver- lust an Artenvielfalt, der für mich eine ebenso große Bedrohungskapazität hat, und mit der Veränderung in der Art un- serer Öffentlichkeit. Diese Veränderung der Öffent- lichkeit hat bedrohliche Auswirkungen für unser System einer freiheitlich- rechtsstaatlichen, die einzelnen Würde Menschen schützenden Demokratie. Es gibt kluge Menschen, die darin die größte Gefahr sehen. Nun ist es ein müßiger Streit, was die größte Ge- fahr jedenfalls haben wir einen starken Veränderungsdruck. Deswegen brauchen wir ja im Parlament eine ständige Verän- derung. Und vielleicht ist es ja nicht falsch, wenn ein paar in diesem schnel- len Wandel auch längere Erfahrungen mit einbringen. Das war für mich – wie schon vor vier Jahren – ein Motiv, noch einmal zu kandidieren. ist, aber jedes Die Fragen stellten Alexander Heinrich und Helmut Stoltenberg. Wolfgang Schäuble (79) ist der dienstälteste Abgeordnete der deutschen Parlamentsgeschichte: Seit 1972 gehört er als stets direkt gewählter Abgeordneter dem Bundestag an, dessen Präsident er seit 2017 ist. Die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages wird er als Alterspräsident des Parlaments eröffnen. T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper