2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 44-45 - 01. November 2021 GASTKOMMENTARE SPIEGELBILD DER GESELLSCHAFT? Erstrebenswert PRO r e l z t i n h c S j a n a T / i o d u t s t d a t s t p u a H - D R A © Uwe Jahn, ARD-Hauptstadtstudio, Berlin Ein Spiegel der Gesellschaft zu sein – das ist ein erstrebenswertes Prinzip, auch wenn man es nie ganz einlösen kann. Denken wir an die Zeit, als es kaum Frau- en im Bundestag gab. Wieviel Sexismus und ab- wertende Bemerkungen sie erfahren haben – ge- rade erst hat der Film „Die Unbeugsamen“ über die Frauen der Bonner Republik es gezeigt. Das hätten die Herren sich bei einem Frauenanteil von 50 Prozent wohl kaum getraut. Ein anderes Beispiel: Die meisten Abgeordneten haben heute einen juristischen Beruf. Sicher kön- nen sie dadurch besser Gesetze machen. Und selbstverständlich haben sie – wie alle anderen Abgeordneten – auch Bevölkerungsgruppen im Blick, denen sie selbst nicht angehören. Aber es würde der Demokratie nutzen, wenn wir mehr Leute aus den Bereichen Handwerk, Pflege, ÖPNV, Wissenschaft oder aus der Fabrik hätten. Manches Gesetz wäre praxisnäher gestaltet und verständli- cher formuliert. Schließlich hat die neue Bundes- tagspräsidentin Bärbel Bas gerade erst gesagt, das Parlament solle eine Sprache benutzen, die in die- sem Land auch gesprochen und verstanden wird. Nun sind im neuen Bundestag mehr jüngere Men- schen vertreten. Das werden wir – so meine Prog- nose – bei vielen Zukunftsthemen spüren. Und vielleicht werden uns bald auch die Stimmen hochaltriger Menschen im Bundestag bei be- stimmten Themen fehlen. Bei der Bundestagswahl haben wir gesehen, dass in Gegenden, in denen viele Geringverdiener und Migranten wohnen, we- niger wählen gehen. Kein Wunder. Wer sich ausge- schlossen fühlt, weil er oder sie das Gefühl hat, „Leute wie wir sind im Bundestag kaum zu se- hen“, rückt von der Demokratie ab. Das wollen wir nicht. Und zwar aus Prinzip. Bürgern des Landes verpflichtet, nicht ihren Anhängern, Berufskollegen, oder Vereinsfreunden. Das Parlament soll die Bevölkerung repräsentieren, getreulich abbil- den kann und muss es sie nicht. Kinder etwa dürfen nicht wählen, dennoch können sie und ihre Eltern davon ausgehen, dass die Ab- geordneten ihre Bedürfnisse im Blick haben und respektieren. Manche gehen nicht zur Wahl und haben doch den Anspruch, vertreten zu werden. Dass Parlamente entschlossen sind, die Rechte von Minderheiten zu schützen, gehört zu den We- sensmerkmalen demokratischer Gesellschaften. Dennoch sollten Parteien sich um Kandidaten be- mühen, die der Wählerschaft ähnlich sind. Das ist offenbar vor allem in Wahlkreisen mit schwacher Sozialstruktur wichtig: Hat hier eine Kandidatin ei- ne Nähe zum familiären oder beruflichen Milieu ihrer Wählerschaft, gehen mehr Leute zur Wahl, als wenn der Büroleiter eines ehemaligen Ministers kandidiert. Manche Büroleiter ehemaliger Minister rümpfen darüber die Nase. Die Arbeit der Abge- ordneten müsse professioneller werden; daher sei es gut, wenn sie akademisch gebildet sind und idealerweise ein Jurastudium absolviert haben. Das Gegenteil ist richtig: Es wäre gut, wenn mehr Politiker einmal etwas anderes gelernt und gear- beitet hätten. Wer verlangt, dass sich alle Bevölkerungsgruppen im Parlament so wiederfinden, wie sie in der Wäh- lerschaft verteilt sind, kann Meinungsforschungs- institute mit der politischen Arbeit beauftragen. Wer dagegen ernst nimmt, dass Wählerinnen ihre Stimme im Bundestag sehen, hören und spüren möchten, sucht neue Kandidaten. Und zwar flott. Allen verpflichtet CONTRA Gewählte Vertreter des Volkes sind allen j u g © Ursula Weidenfeld, freie Journalistin Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 8. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur N. N. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) V.i.S.d.P. Redaktionsschluss 29. Oktober 2021 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. 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Ja, schon – auch wenn mein Name und andere vorher schon in den Medien ge- nannt worden waren. Ich bin seit 2009 im Bundestag, habe viele Jahre Erfahrung als Parlamentarische Geschäftsführerin und kenne das Innenleben des Parlaments sehr gut. Aber dass ich nun sogar dessen Präsi- dentin sein würde, kam überraschend für mich und freut mich sehr. Mit dem Amt der Bundestagspräsi- dentin sind viele Erwartungen verbun- den. Wo sehen Sie sich in diesem Amt be- sonders gefordert? Der neue Bundestag ist total jung und viel- fältig aufgestellt. Ich möchte das nutzen – was im Übrigen auch ein Anliegen vieler neuer Abgeordneter ist –, um die Arbeits- weise des Parlaments zu modernisieren, di- gitaler zu werden, für weitere Transparenz und Bürgernähe sorgen. Bürgernähe betrifft auch die Sprache, die wir hier verwenden. Sie muss verständlich sein, damit die Men- schen nachvollziehen können. Vielleicht kann man dazu außer- dem das Format der Bürgerräte, das es ja schon gibt, noch ausbauen oder ergänzen. Entscheidungen Sie haben ja schon in Ihrer Antrittsre- de für eine neue Sprache der Politik plä- diert, mit der die Menschen wieder bes- ser erreicht werden sollen. Wo genau ha- pert es denn da derzeit in Ihren Augen? Zum Beispiel daran, dass wir im Plenum oft Fachbegriffe benutzen oder Abkürzun- gen, die die Menschen nicht verstehen. Ich musste mir das selbst als Gesundheitspoli- tikerin abgewöhnen, zum Beispiel „GKV“ für „Gesetzliche Krankenversicherung“ zu sagen. Nicht jeder, der da zuhört, weiß auf Anhieb, was damit gemeint ist. Man steckt als Fachpolitiker in der speziellen Materie und setzt zu leicht voraus, dass jeder die Abkürzungen oder Begriffe kennt, die wir benutzen. Deshalb ist mein Appell an die Abgeordneten, sehr Fachliches trotz der knappen Redezeit zu erklären. Das klingt nach Kleinigkeiten, aber die machen viel aus. Entscheidend für die Akzeptanz ist, dass Politik von den Bürgerinnen und Bür- gern verstanden wird. Mit mehr Bürgernähe wollen Sie auch Menschen erreichen, die sich von der Politik schon lange nicht mehr ange- sprochen fühlen. Wie soll das etwa in Duisburg-Marxloh in Ihrem Nachbar- Wahlkreis gehen, wo die Wahlbeteili- gung im September bei 40 Prozent lag? Da fühlten sich viele nicht angesprochen, in diesem Wahlkreis haben viele Menschen einen Migrationshintergrund, es gibt oft Sprachbarrieren – das führt zu einer gewis- sen Scheu. Man muss diese Scheu nehmen, sich mit Politik zu befassen oder auf Abge- ordnete zuzugehen. Deshalb ist die Arbeit der Parlamentarier im Wahlkreis so unge- heuer wichtig, oder Formate wie die Wan- derausstellung und die Infomobile des Bundestages, die auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen über die Arbeit des Parla- ments informieren, häufig mit den Abge- ordneten vor Ort. Man muss sich auch fra- gen, wie man Zielgruppen erreicht, die mit einer Broschüre nicht erreicht werden. Ju- gendliche etwa lesen keine Tageszeitung, die informieren sich ganz anders, häufig über soziale Medien. Der Bundestag ist da inzwischen sehr aktiv mit Informationen über Twitter, einem eigenen Youtube-Kanal und Erklärvideos, eigenen, interaktiven Sei- ten für Jugendliche und Kinder. Die Nut- zung dieser Angebote hat enorm zugenom- men, und das lässt sich digital sicher noch weiter modernisieren, um all diese Grup- pen zu erreichen. In Duisburg, zu dem auch ihr Wahl- Folgen, Strukturwandel kreis gehört, weiß man, be- was deutet. Welche solcher Er- fahrungen, auch mit den sozialen lassen sich bei der angestrebten ökologischen und digitalen Transformation des Landes nutzen? Es ist den Leuten schon klar, dass sich etwas verändern muss, allein wenn sie sehen, wie Wetterextreme zuneh- men. Aber die meisten ha- ben schon jetzt Angst, dass sie dabei die Verlierer sind und – wie man so sagt – der kleine Mann am Ende seine Arbeit nicht mehr hat. Bei mir im Wahl- kreis sorgen sich die Menschen, dass sie ihr altes Auto wegen der steigenden Benzin- preise nicht mehr fahren und sich erst recht kein neues kaufen können. Viele alte Leute haben Angst, dass sie im Winter mit der Decke in der Wohnung sitzen müssen, weil sie die Heizung nicht mehr bezahlen können. Da müssen wir deutlich erklären, dass wir das nicht zulassen werden. Die Notwendigkeit, diese Menschen mitzuneh- men und ihre Sorgen in die Politik zu transportieren, ist entscheidend. Von man- chem Strukturwandel fühlen sich die Men- schen überrollt. Ein Beispiel: Wenn man Stahlunternehmen auf Wasserstoff um- stellt, wird es dort andere Berufe geben. Es reicht aber nicht, nur die Technik umzu- stellen, sondern man muss auch die Mitar- »Ihr müsst euch nur trauen« BÄRBEL BAS Die neue Bundes- tagspräsidentin über Wahlrechts- reformen, mehr Bürgernähe und die Sprache der Politik »Den Schub für mehr Frauen in Führungs- funktionen finde ich sehr gut.« beiterinnen und Mitarbeiter dabei mitneh- men – und zwar rechtzeitig durch Um- schulung und Weiterbildung und indem man ihnen die Sorgen vor einem Arbeits- platzverlust nimmt. Noch einmal zurück zu Ihrer Wahl Ihnen zur Bundestagspräsidentin: Mit und vier Stellvertreterinnen sind mehr Frauen denn je im Präsidium... Dass es jetzt mal einen sichtbaren Schub für mehr Frauen auch in Führungsfunktio- nen gegeben hat, finde ich sehr gut. Und dass jetzt mal mehr Frauen als Männer im Präsidium sind, finde ich gar nicht schlimm. Es war ja viele Jahrzehnte genau umge- kehrt. Auch der Frauenan- teil im Parlament insge- samt ist wieder auf mehr als ein Drittel gestiegen. Halten Sie das für ausrei- chend? Wenn es nach mir ginge, wäre das große Ziel, dass wir irgendwann zu halbe-halbe kämen. Aber das liegt am Wahlrecht, an der Auf- stellung der Wahlkreiskandidaten und der Frage, wer gewählt wird. Bei mir in Duis- burg gibt es zwei Wahlkreise, und da ha- ben wir gesagt, dass in einem Wahlkreis ei- ne Frau und im anderen ein Mann kandi- diert. Wenn es aber nur einen Wahlkreis gibt, geht das nicht. Das betrifft die direkt in den Wahl- kreisen gewählten Abgeordneten. In Brandenburg und Thüringen wurden Pa- ritätsgesetze für verfassungswidrig er- klärt, mit denen die Parteien verpflichtet werden sollten, ihre Listenplätze abwech- selnd mit Männern und Frauen zu beset- zen. Sehen Sie darin trotzdem einen mög- lichen Ansatz? Ich bin keine Juristin, aber ich glaube, dass es schon Sinn macht, wenn es tatsächlich © picture-alliance/dpa/Kay Nietfeld zu einer Verpflichtung kommt, dass zu- mindest die Landeslisten so aufgestellt werden. Die SPD macht die Listenaufstel- lung schon von sich aus immer im Reißver- schlussverfahren Frau/Mann. Deshalb ist bei den Parteien, die das schon länger pari- tätisch handhaben, der Frauenanteil viel, viel höher. Ich würde mir wünschen, dass es uns auch rechtlich gelingt, in Zukunft für alle Parteien zu verankern, dass dieses paritätische Verfahren möglich wird. Über die Zusammensetzung des Bun- destages wird auch sonst gerne diskutiert, etwa bei der Klage, dass Akademi- ker im Parlament zu sehr unter sich seien. Ist solche Kritik berechtigt? Natürlich sollte das Parla- ment nach Möglichkeit alle gesellschaftlichen Gruppen und Berufsgruppen wider- spiegeln, aber das wird nie ganz gelingen. In der Tat ha- ben wir nicht so viele Abge- ordnete mit „normalen Be- rufen“, und es gibt auch den oft kritisierten Weg vom Hörsaal in den Plenarsaal. Auf der anderen Seite stehen wir dafür, dass viele Menschen nach Mög- lichkeit einen hohen Bildungsgrad errei- chen können. Das spiegelt sich dann auch im Parlament wider. Ich finde das nicht schlecht oder schlimm, aber ich fände es natürlich gut, wenn sich mehr Menschen mit anderen Berufen, mit dualer Ausbil- dung beispielsweise, im Parlament wieder- finden. Das Ziel muss doch sein, dass sich dies mehr Leute zutrauen, die dann auch Lust haben, ihre Zeit in politisches Engage- ment zu stecken. Mich fragen viele Schul- klassen, wie ich das gemacht habe. Ich ha- be ja eine ganz normale duale Ausbildung, ein paar Weiterbildungen und mich zu- nächst nebenbei politisch engagiert. Ich sa- ge den Schülerinnen und Schülern dann immer: Ihr seht ja an mir, dass es geht – ihr müsst euch nur trauen. »Wir landen sonst bei 800 oder auch 900 Abgeordneten. Diese Entwick- lung braucht einen Deckel.« Wie weit muss das Parlament Ihrer Ansicht nach überhaupt die Zusammen- setzung der Bevölkerung widerspiegeln? Es wird ja auch argumentiert, dass es beispielsweise nicht unbedingt Rentner im Parlament braucht, um die Interessen von Rentnern zu vertreten. Wir sind uns sicher einig, dass das Parla- ment nie alles abbilden kann. Das wäre ei- ne Illusion. Die Abgeordneten müssen alle in der Lage sein, sich in andere Lebenswel- ten hineinzufinden und sie nachzuvollzie- hen. Viele sind in ihren Wahlkreisen sehr verankert und reden mit allen Gruppierun- gen, mit allen Bürgerinnen und Bürgern. Diese Erfahrungen in das Parlament mitzu- nehmen, ist die Kunst, dafür muss man nicht immer zwingend selbst aus einer be- stimmten Gruppe kommen. Viel Streit gibt es seit Jahren über die Größe des Bundestages. Wird die im April eingesetzte Kommission zur Reform des Wahlrechts erneut eingesetzt, um Vor- schläge zu einer Reduzierung der Man- datszahl zu erarbeiten, und hoffen Sie da auf konsensfähige Empfehlungen? Ich warte die Koalitionsverhandlungen ab, weil ich gehört habe, dass diese Frage auch Thema in diesen Gesprächen werden soll. Ich werde mir dann anschauen, wie die Vorschläge aussehen und was die Fraktio- nen vorlegen. Ich habe sie öffentlich aufge- fordert, das jetzt zu machen, und finde es daher gut, dass die drei Parteien das Thema auf die Tagesordnung ihrer Koalitionsver- handlungen gesetzt haben. Wenn das aber nicht stattfindet oder ich merke, dass es zu lange dauert, dann muss die Kommission zur Reform des Wahlrechts wieder einge- richtet werden, finde ich. Wir müssen das in dieser Legislatur rechtzeitig machen – und nicht erst kurz bevor die nächste Wahl vor uns steht. Es gibt ja zahlreiche Vorschläge zur Verkleinerung des Parlaments, etwa über eine Reduzierung der Wahlkreise oder ei- ne Begrenzung des Ausgleichs von Über- hangmandaten, die eine Partei hat, wenn sie mehr Direktmandate gewinnt ent- ihrem Zweitstimmenergebnis als spricht. Sehen Sie einen Königsweg? Ich kenne viele Vorschläge und weiß, wie schwierig das ist. Ich bin zum Beispiel in meinem Wahlkreis direkt gewählt, und wenn man die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten verringern will, muss man die Wahlkreise vergrößern. Das ist ein Pro- blem, wenn man gleichzeitig auch Bürger- nähe will, und war entsprechend immer ein Streitpunkt zwischen den Fraktionen. Für die Parteien, deren Abgeordnete vor- wiegend über die Listen ins Parlament kommen, ist das nicht maßgeblich. Es wird also eine Mischung aus mehreren Maßnah- men geben müssen, um die Zahl der Abge- ordneten wirksam zu begrenzen. Auch wenn die Zusammensetzung des Parlaments dann nicht exakt den Zweit- stimmenergebnis der Parteien entspricht? Ja. Weil wir sonst irgendwann bei 800 oder auch 900 Abgeordneten landen. Diese Ent- wicklung braucht einen Deckel. Die kleine- ren Parteien finden es naturgemäß nicht gerecht, wenn dieser Ausgleich vor allem zu ihren Lasten beschnitten wird. Das ist der Konflikt, und es ist Aufgabe der Frak- tionen, da einen Kompromiss zu finden. SPD, Grüne und FDP wollen das Wahlalter für Bundestags- und Europa- wahlen auf 16 Jahre senken. Wie realis- tisch ist das angesichts der dabei notwen- digen Zweidrittelmehrheit für eine ent- sprechende Grundgesetzänderung? Ich persönlich bin für die Absenkung, habe aber schon gehört, dass die Union dem wahrscheinlich nicht zustimmen wird. Deshalb weiß ich nicht, wie realistisch es ist, dafür eine Mehrheit zu finden. Viel- leicht kann man die Kolleginnen und Kol- legen in der Unionsfraktion überzeugen; auch dort sind Jüngere da- zugekommen und sorgen vielleicht für einen Mei- nungsumschwung. Man muss aber auch auf Argu- mente der Gegner einge- hen: Wenn die Volljährig- keit erst ab 18 Jahren gilt, kann ich verstehen, wenn gefragt wird, warum man dann schon ab 16 Jahren den Bundestag wählen können soll. Da muss man miteinander besprechen, wie das zusammengeht. Das Gespräch führten Alexander Heinrich und Helmut Stoltenberg. T Bärbel Bas (53) gehört seit 2009 als stets direkt gewählte Abgeordnete dem Bundestag an, zu dessen Präsidentin sie vergangene Woche gewählt wurde. Von 2013 bis 2019 war die Sozialdemokratin aus Duisburg Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion und danach deren stellvertretende Vorsitzende. Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper