Das Parlament - Nr. 50 - 13. Dezember 2021 ZUKUNFT DES WOHNENS 13 Home sweet home MENSCHEN UND WOHNUNGEN Zwischen Mirkoapartments, Cohousing und Mietersorgen Die Angst und der Kampf um die gemieteten vier Wände »Unser Beispiel zeigt, dass sich Widerstand auszahlen kann.« Patrick Neumann Mehrfamilienhäuser aus der Gründerzeit sind angesagt in Berlin. Große Fenster, ho- he Wände und Stuck an den Decken. Liegt ein solches Haus auch noch im Szenebe- zirk Kreuzberg, machen Immobilienunter- nehmen Millionen locker, um solcher Ob- jekte habhaft zu werden. Luxussaniert las- sen sich die einzelnen Einheiten als Eigen- tumswohnungen mit sattem Gewinn ver- kaufen. Den Bewohnern solcher Häuser, deren Miete Dank Milieuschutzregelungen noch nicht ins unermessliche gestiegen ist, macht das Angst. Manchmal weckt es aber auch den Widerstand – wie etwa im Falle der Reichenberger Straße 55. Als bekannt wurde, dass das sanierungsbedürftige Haus mit insgesamt 22 Wohnungen an die bayri- sche BOW 3 GmbH verkauft worden ist, schrillten bei den Mietern die Alarmglo- cken. Die Praktiken der zur ALW-Unter- gehören- nehmensgruppe den Gesellschaft waren von anderen Häusern in Kreuz- berg bekannt: Drangsalie- rung der Mieter mit dem Ziel der Entmietung und der Umwandlung in Eigen- tumswohnungen. Denn Mi- lieuschutz hin oder her: Nach sieben Jahren wäre es dem Besitzer der seinerzei- tigen Rechtslage zufolge möglich, die Wohnungen einzeln zu verkaufen. Das Bezirksamt hätte das nicht verhindern können. Die Bewohner der Reichenberger Straße 55 stellten sich dem entgegen. Im Verein „Rei- chenberger zusammengeschlossen kämpften sie darum, in ihren Wohnungen bleiben zu dürfen. Mit Erfolg. Fünf Jahre nach dem Verkauf an die AWL ist das zwi- schenzeitlich an die Deutsche Wohnen AG (DW) übergangene Haus ab 1. Januar 2022 im Besitz der landeseigenen Wohnungs- baugesellschaft HOWOGE. „Unser Beispiel zeigt, dass sich jahrelanger Widerstand aus- zahlen kann“, sagt Patrick Neumann, Mie- ter und Sprecher des Vereins. Der freiberuf- liche Kommunikationsberater initiierte die Proteste, knüpfte Netzwerke und fand Kon- takte in die Politik. Dabei war auch er anfangs überrascht, als es hieß, das Haus sei für 3,35 Millionen Euro verkauft worden. „Wir haben uns ge- fragt: Warum zahlt jemand so viel Geld für unsere Bruchbude?“ Schließlich war nicht davon auszugehen, dass angesichts des happigen Kaufpreises und der eher be- scheidenen Mieteinnahmen von rund 75.000 Euro jährlich die AWL 45 Jahre warten will, ehe das Haus Rendite abwirft. „Vom Geschäftsmodell der Entmietung ha- ben wir durch eine Kiez-Initiative erfah- ren“, erzählt er. Bei Bizim-Kiez hatten sich mehrere von Entmietung durch die AWL- Gruppe bedrohte Hausgemeinschaften zu- sammengeschlossen. Da es eine Aussage der Inhaber, bei der Reichenberger Straße 55 auf eine Um- wandlung abzuzielen, nicht gab, agierte Neumann und sein Verein proaktiv und machte die Medien auf die Gefahr der Ver- 55“ drängung aufmerksam. Berliner und über- regionale Zeitungen berichteten, der RBB war da und bei Spiegel TV lief ein Beitrag, in dem der 102-jährige Willi Hoffmann, der seit 40 Jahren in dem Haus lebte, mit all seiner Lebenserfahrung sagte: „Wir wer- den alle rausfliegen, wenn wir nichts tun.“ »Share Deal« Das Handeln der Mieter zei- tigte Erfolg. Der Medienrummel rund um die widerspenstigen Mieter war der AWL offenbar zu viel. Um sich des Problems zu entledigen, verkaufte sie das Haus – mit sattem Gewinn und zu Lasten des Landes Berlin. Verkauft wurde nämlich im Grunde nicht das Haus sondern die es besitzende BOW 3 GmbH. „Share Deal“ nennt sich das Ganze. Eine Möglichkeit, Grundsteuer nicht bezahlen zu müssen und das Vor- kaufsrecht von Gemeinden auszuhebeln stellt es dar. Schließlich werden keine Häu- ser sondern Unternehmen verkauft. Neuer Besitzer wurde die Deutsche Wohnen, „ein Konzern, der explizit keine Expertise für den Umgang mit sanierungsbedürftigen Altbauten hat“, wie Patrick Neumann sagt. „Wir ka- men vom schlimmen Fin- ger zur schlimmen Hand.“ Dringend benötigte Sanie- rungen fanden nicht statt, den Heizöltank ließ man im Februar leerlaufen, Be- triebskosten wurden falsch berechnet, Ab- mahnungen grundlos verschickt. Hoff- nungslos überfordert sei die Deutsche Wohnen mit der Bewirtschaftung des Hau- ses gewesen, sagt Patrick Neumann. Den- noch sei ein seit Februar 2019 vorliegendes Kaufangebot der Wohnungsbaugesellschaft Am Ostseeplatz, die sich mit Sanierungen auskennt und für eine gemeinwohlorien- tierte Bewirtschaftung gestanden hätte, re- gelrecht ausgesessen worden. Nach drei Jahren habe die um ein besseres Image bemühte Deutsche Wohnen die Überforderung realisiert und eine Möglich- keit genutzt, das Haus nebst ihrer unbe- quemen Mieter loszuwerden, ist sich Neu- mann sicher. „Sie haben unser Haus im Rückkaufpaket des Landes Berlin entsorgt.“ Das Haus in der Reichenberger Straße ge- hörte zu einem Immobilienpaket, das die Branchenriesen Vonovia und Deutsche Wohnen kurz vor den Wahlen in Berlin für 2,46 Milliarden Euro dem Land verkauft haben. Für die Mieter der Reichenberger Straße 55 hat sich der Kampf gelohnt. Die Um- wandlung von Miet- in Eigentumswoh- nungen ist inzwischen aber auch im Bau- landmobilisierungsgesetz neu geregelt. Ein Verbot gibt es nicht. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt dürfen Wohnungen in Mehrfamilienhäusern aber nur mit Genehmigung der Behörden verkauft werden. Das Genehmigungser- fordernis gilt bei Gebäuden mit mehr als fünf Wohnungen. Götz Hausding Der Autor ist freier Journalist in Berlin. allein in einer eigenen Wohnung leben, hat sich innerhalb von zehn Jahren von 17 auf mehr als 26 Prozent erhöht. Das zeigen Befragungen des Deutschen Studie- rendenwerks und des Personaldienstleisters Studitemps von 2009 und 2019. „Nach Ex- perimenten landen alle Projektentwickler beim Einzelapartment“, sagt Jan-Dirk Mül- ler-Seidler. Er ist Vorstand des Bundesver- bands Micro-Living, der sich 2016 als „Bundesverband für Studentisches Woh- nen“ gegründet hat. Das Deutsche Studen- tenwerk bestätigt den Trend, selbst dort machen die Einzelapartments inzwischen 30 Prozent der angebotenen Plätze aus. Meist sind rasch alle Apartments belegt, auch Corona brachte keine dauerhafte Kri- se. Im Nürnberger „I live“ standen nach Angaben der Hausverwaltung zeitweise zehn Prozent der Apartments leer. Doch inzwischen seien wieder fast alle belegt. Mikroapartments sind bei Kapitalanlegern wegen der hohen Renditeerwartung begehrt. Bei Apartments bis 40 Quadratmeter greifen weder Mietspiegel noch Mietpreisbremse, wenn sie möbliert und auf Zeit ver- mietet werden. Der häufige Mieterwechsel die Chance, in kurzen Abstän- den die Miete zu erhöhen. Die Apartments werden meist als „Rundum-sorglos- Paket“ angeboten. Mit dem Kauf schließt der Eigentümer zugleich ei- nen Mietpoolvertrag ab, die Verwaltung kümmert sich um alles. Steht ein Apart- ment eine Zeit lang leer, wird der Mietaus- fall auf alle Eigentümer umgelegt. Dadurch ist das Risiko für den Einzelnen gering. birgt »Diese Wohnung ist für mich wie eine Mutter, die mich begleitet.« Julio Rodríguez Leben im Mikroapartment: Julio Rodríguez © Jasmin Siebert Minimalistisches Wohnen auf 24 Quadratmetern Im Erdgeschoss, ganz hinten links, direkt vor dem Infoplakat über Nürnberger Rost- bratwürste, wohnt Julio Rodríguez. „Hier habe ich ein sicheres Zuhause gefunden“, sagt der 26-jährige Arzt aus Venezuela über sein Mikroapartment des Anbieters „I live“. Rodríguez ist im Mai 2021 nach Nürnberg gekommen ist, um seinen Facharzt zu ab- solvieren. Für sein 24 Quadratmeter großes möbliertes Apartment mit Bad und Kü- chenzeile zahlt er 545 Euro inklusive Ne- benkostenpauschale, den Mietvertrag schloss er bereits in seiner Heimat ab. Dort wohnte Rodríguez mit seiner Mutter auf 150 Quadratmetern. Sie hätten sich Ge- danken darüber gemacht, ob die Wohnung in Deutschland groß genug sei. Aber Rodrí- guez stellte fest: „Mehr Platz brauche ich nicht.“ Und das Sauberhalten sei einfacher. Für alle 211 Bewohner gibt es im Haus einen Gemeinschafts- Waschmaschinen, raum mit Tischtennis, Ki- cker, Dart und einen Fit- nessraum, in dem ein jun- ger Mann vor einem Nietz- sche-Zitat auf den Stepper tritt. Zitate berühmter Per- sönlichkeiten finden sich an den Wänden der Ge- meinschaftsräume und auf den Aufzugtüren. Jede Eta- ge ist einer anderen Stadt gewidmet: Im 6. Stock, wo man von der Dachterrasse auf den Nürnberger Bahn- hof blickt, ist es Shanghai. Neben Weltstädten ist auch Aalen darun- ter, die Geburtsstadt des Gründers von „I Live“. Das Unternehmen betreibt nach ei- genen Angaben mehr als 4.000 Apart- ments in 28 Häusern in Deutschland und Wien. Das erste Haus wurde 2012 in Aalen eröffnet, das Nürnberger Haus folgte drei Jahre später. In den vergangenen Jahren haben private Investoren etliche Mikroapartment-Anla- gen in ganz Deutschland gebaut. Manche Anbieter locken mit Concierge, Paketraum und Pool. Die Konzepte sind ähnlich, beim Preis sind die Grenzen nach oben of- fen. Rodríguez braucht keine Extras, für ihn ist schnelles WLAN das Wichtigste. „Ich wohne minimalistisch“, sagt er, die meis- ten Regale sind leer. Nur ein Adventskalen- der steht neben Router und Laptop auf sei- nem Schreibtisch. Daneben steht das 1,20 Meter breite Bett. Auf einer Anrichte gegenüber sind Krawatten und Uhren auf- gereiht, darüber hat Rodríguez Fotos seiner Familie aufgestellt. Das Apartment ist durchdacht und funktionell eingerichtet, das Besondere sucht man vergeblich. Doch Rodríguez findet poetische Worte: „Diese Wohnung ist für mich wie eine Mutter, die mich begleitet. Hier habe ich geweint und gewonnen.“ Die ersten Wochen waren schwierig für den jungen Mann, er habe sich einsam gefühlt. Eine WG käme für ihn aber nicht in Frage: „Auf keinen Fall“, sagt er und schüttelt energisch den Kopf. Die Vorstellung, Bad und Küche mit Fremden zu teilen, widerstrebt ihm sichtlich. Es scheint, als gehe es immer mehr jungen Leuten so. Die Zahl der Studierenden, die Wunsch nach Individualität Doch ob Mi- kroapartments wirklich die ersehnte Ent- spannung auf dem Wohnungsmarkt brin- gen, ist fragwürdig. Matthias Anbuhl, Ge- neralsekretär des Deutschen Studenten- werks, sagt: „Grundsätzlich befürworten wir natürlich jeden zusätzlichen Wohn- raum für Studierende. Aber nur ein gerin- ger Teil kann sich die teuren Mieten länge- re Zeit leisten.“ Dazu kommt: Irgendwann entwickeln die meisten Menschen den Wunsch, sich individuell einzurichten. In den Mikroapartments sind die Möbel meist fest verbaut und dürfen nicht ent- fernt werden. Selbst Dübel, Nägel und so- gar Klebestreifen an der Wand sind in manchen Anlagen verboten. Experten warnen bereits seit Jahren vor ei- ner Marktsättigung. Verbandschef Müller- Seidler dagegen ist sich sicher, dass der Boom noch mindestens die nächsten 20 Jahre anhalten werde. Außerdem däch- ten einige seiner Mitglieder künftige Nut- zungen bereits bei der Planung mit. So könnten eines Tages Apartments zusam- mengefasst und aus zwei Minibädern ein größeres, barrierefreies Bad entstehen. Für altengerechte Apartments. Jasmin Siebert T Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Nürnberg. Organisierte den Widerstand: Patrick Neumann © Reichenberger 55 e.V. 30 Kinder und 52 Erwachsene leben im Wohnprojekt Wohnmichel. © Wohnmichel e.V. Eine Gemeinschaft statt nur eine Nachbarschaft »Die Aufnahme neuer Mieter dauert etwa ein dreiviertel Jahr.« Peter Bartels regelmäßig Muss jeder ein Auto, eine Werkstatt, ein Lastenfahrrad, einen Spielplatz, Wohn- raum allein besitzen? Die Bewohner des in Mi- Cohousing-Projekts Wohnmichel chendorf südlich von Berlin finden: Nein. Eine Gemeinschaft mit mehr Verbindlich- keiten als bloße Nachbarschaft setzt auf das Teilen, auf das Engagement für die Mit- bewohner, versteht sich als Lernort der De- mokratie. Im Wohnmichel kann nur ein- ziehen, wer die Gemeinschaftsregeln mit- trägt: So wie die 52 Erwachsenen zwischen 28 und 73 Jahren mit ihren 30 Kindern zwischen vier Monaten und 16 Jahren, die in den fünf Mehrfamilienhäusern mit 2.600 Quadratmetern Wohnfläche auf ei- nem Grundstück von rund 9.000 Quadrat- metern leben, dicht am Wald. Zwei Bewohner haben sich aktuell mit Co- rona infiziert. Zumindest um ihre Versor- gung müssen sie sich nicht sorgen. Es wird für sie mitgekocht und sie werden von Mitbewohnern angerufen. Peter Bartels erzählt, dass es im Wohnmichel sogar schon eine Hausgeburt ge- geben habe. Eltern und Neugeborene wurden von der Gemeinschaft versorgt. Sollte der einstige Immobi- lienfachmann mit seinen 73 Jahren selbst einmal pflegebedürftig werden, möchte er mit seiner Frau vom zweiten Stock ins Erd- geschoss umzuziehen und sich mit weite- ren Mitbewohnern eine Pflegekraft teilen. Und so ging es los. Ehepaar Bartels wollte sich nach dem Auszug der Kinder nicht länger in ihrem Einfamilienhaus in Mi- chendorf verlieren. Darum suchten sie nach Formen gemeinschaftlichen Woh- nens. Cohousing gefiel ihnen gut, dessen Idee in den 1960er Jahren in Dänemark entstand und auch nach Deutschland ge- tragen wurde. Ehepaar Bartels ging auf Be- sichtigungstour nach Stuttgart, Hamburg, Bremen, Leipzig. Und kehrte mit neuen Er- kenntnissen zurück: 1. Sich nicht erst mit den Emotionen der Bewohner befassen, wenn es schon Streit gibt. 2. Das private Ei- gentum aus dem Projekt raushalten. 2014 kauften Bartels das Grundstück. Sie gründeten mit 19 Mitgliedern einen Ver- ein, der das Wohnprojekt vorantreiben sollte. Es wurde die Wohnmichel GmbH gegründet. „51 Prozent gehören heute dem Verein, 49 Prozent dem Miethäusersyndi- kat“, so Peter Bartels. Letzteres berät Haus- projekte, wie sich Akteure gegenseitig vor einer spekulativen Verwertung des gemein- schaftlich geschaffenen Wohneigentums absichern können. Der Verein hat das sie- ben Millionen Euro teure Bauvorhaben ge- plant, finanziert, gebaut und wurde vom Syndikat beraten. Maßgeblich für den Bau war das Öko-Konzept: Die Holzbauweise, ein Heizkonzept mit Wärmepumpen, ei- nem Blockheizkraftwerk, das mit Ökogas arbeitet, sowie Solaranlagen. Die Auswahl der Bewohner war aufwändig. „Wir haben ein Jahr ununterbrochen Leute getroffen“, erinnert sich Peter Bartels. Heu- te dauert der Aufnahmeprozess neuer Mie- ter etwa ein dreiviertel Jahr inklusive Ken- nenlernwochenende an der Seite eines Coachs. Es gilt nicht nur Mieter zu finden, sondern Befürworter einer Lebenshaltung. „Wir fragen auch die Neinsager nach ihren Gründen“, betont Bartels. Eine wichtige demokratische Vorgehensweise. Die Bewohnerin Petra van Rüth, die mit ih- rer Partnerin zu den Urbewohnern gehört, meint, dass es eine Herausforderung dar- stelle, den Alltag mit Kindern und Erwerbs- arbeit mit der vielen Arbeit im Projekt zu verbinden. Dazu zählt auch die Mitarbeit in einer der Arbeitsgruppen wie „Werte und Gemeinschaft“ oder „Carsharing“, de- ren Ziel es ist, den gemeinsamen Fuhrpark von derzeit 25 auf 14 Autos zu reduzieren, der Bahnhof sei schließlich nur wenige Fahrradminuten entfernt, oder die ‚AG Promo“ für die Organisation von Feiern und Treffen. Van Rüth in- vestiert jede Woche etwa ei- nen Arbeitstag ins Projekt. Derzeit plant die „AG Ge- meinschaftshaus“ einen Neubau mit 200 Quadrat- metern, um endlich ausrei- chend Platz zum Feiern, Tanzen und gemeinsamen Essen zu haben, eine große Küche und einen Lager- raum für das gemeinsam bestellte Biogemüse. Rund 900.000 Euro veranschlagt die AG für die Baukosten. Dafür muss Wohnmichel einen Kredit auf- nehmen. Nach einem Aufruf beteiligen sich die Bewohner mit fünf bis 150 Euro monatlich über den Vereinsbeitrag von 20 bis 50 Euro hinaus an den Kosten. Die Berufe der Bewohner spiegeln eine breite Palette wider, vom Sozialwissenschaftler und Ingenieur über Physiotherapeuten, Kaufleute bis zum Hartz-IV-Empfänger. Cohousing kann unterschiedliche Schwer- punkte haben. Wohnmichel hat Ökologie und Soziales gewählt. Ines-Ulrike Rudolph vom Büro „tx – Programmatische Stadtent- wicklung“ in Berlin nennt weitere wie Le- benssituationsgruppen, Mehrgenerationen- gruppen oder Gemeinwesengruppen. Die Zahl der Cohousing-Projekte allein in Berlin schätzt der Projektentwickler Win- fried Härtel auf 1.000. Eine Maßnahme, um der grassierenden Wohnungsnot zu be- gegnen? Für Härtel ist es nicht der geeigne- te Weg, um kurzfristig eine Lösung zu schaffen. Aber, so Rudolph: „Stadt und Land brauchen diese Projekte.“ Damit könnten sie auf die sich ändernden Bedürf- nisse der Bewohner reagieren. Peter Bartels fordert ein Wohn-Gemeinnützigkeitsge- setz, um Boden und Wohnen dem preis- treibenden Markt zu entziehen. Genau das ist im Koalitionsvertrag der neuen Ampel- Regierung festgeschrieben. Bald verlässt ein Bewohner den Wohnmi- chel seiner neuen Liebe wegen. Von dem Gemeinschaftsgut darf er nichts mitneh- men. So steht es im Vertrag. Almut Lüder T Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin