Das Parlament - Nr. 9 - 01. März 2021 DEBATTENDOKUMENTATION 5 all diese Instrumente noch gar nicht; wir hatten weder das Kredit- programm SURE noch das Wie- deraufbauinstrument. Wir haben jetzt gesehen: Das funktioniert, das ist notwendig, und das brau- chen wir in solchen Krisen. Ich finde, das darf jetzt nicht wieder vorkommen. Wir müssen besser in Krisen reingehen und auf sie vorbereitet sein. Es wäre doch naiv, anzuneh- men, in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten gebe es keine Krisen mehr oder keine makroökonomi- schen Schocks mehr in Europa. Wir haben jetzt ein gemeinsames Instrument, eine gemeinsame Fis- kalkapazität in Form gemeinsamer Anleihe, die uns vor Krisen schüt- zen kann und die gleichzeitig da- für sorgt, dass wir die notwendi- gen Investitionen tätigen. Wenn wir uns heute mal in sehen Deutschland umschauen, wir doch alle selber vor Ort, dass die große Klimakrise weiter eska- liert. Wir haben gestern den Wald- bericht diskutiert. Ganz viele Bäu- me in Deutschland sind wegen der Klimakrise kaputt und ster- ben. Wir haben erlebt, dass wir in- nerhalb von einer Woche minus 17 Grad und Schneelandschaften hatten, und dann auf einmal Frühling Ende Februar. Das sind riesige Wetterumschwünge, die auch mit der Klimakrise zusam- menhängen. Wenn wir das einse- hen, dann müssen wir doch sa- gen: Wir müssen jetzt massiv in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft investieren, nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Ländern. Das ist jetzt notwendig, und zwar im Ver- kehrsbereich, im Energiebereich, im Agrarbereich, im gesamten In- dustriebereich. Mit dem Wieder- aufbauinstrument haben wir ein Instrument, um das zu machen. Wir als Grüne wollen nicht, dass dieses Instrument nach der Krise einfach weggeschmissen wird, sondern wir wollen, dass es ein Nachfolgeinstrument gibt, und sagen: zwar unter voller Kontrolle des Parlaments. Wir Europäischen können doch nicht In Europa schützen wir uns nicht vor Krisen, wir investieren nicht ge- meinsam. Das wäre keine kluge, keine vorausschauende Politik, meine Damen und Herren. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Axel Schäfer (Bochum) (SPD)) Dennis Rohde, SPD: Wir werden diesem Eigenmittelbeschluss zustimmen den Geist von Solidarität und den Geist des Miteinanders, und des- halb vielen Dank dafür. Und ja, wir leiten auch einen Paradigmen- wechsel in der Fiskalpolitik ein. Ja, die Europäische Union bekommt erstmals die Möglichkeit, auch selbst am Kapitalmarkt tätig zu werden. Wir verstehen Europa als etwas, was nicht nur wirtschaftlich definiert ist und Europa bleibt eine Schicksalsge- meinschaft. Deshalb will ich gar nicht über das Technokratische sprechen und darüber, ob das jetzt richtig oder falsch ist, dass sich die Europäische Union am Kapital- markt bedienen kann. ist: Europa Die Frage ist doch: Welches po- litische Ziel steckt dahinter? Das politische Ziel ist doch, dass es ei- nen Aufbruch in ganz Europa gibt, dass wir die Zukunftsherausforde- rungen, die für ganz Europa vor uns liegen, nicht verschlafen, dass wir einen Aufbruch schaf- fen und diesen Kontinent wirt- schaftlich wieder aufrichten, dass wir die Krise nutzen, um Wirt- Ich will an dieser Stelle noch mal deutlich sagen: Diejenigen, die versucht haben, diese Krise mit Nationalismus zu bekämpfen, die haben den europäischen Bin- nenmarkt nicht verstanden. Die haben nicht verstanden, dass wir in Europa so erfolgreich sind, weil wir zusammenarbeiten. Die haben nicht verstanden, dass die deutsche Wirtschaft von der französischen, von der italie- nischen und der spanischen Wirt- schaft abhängig ist. Diejenigen, die diese Krise mit Nationalismus bekämpfen wollten, hatten eigent- lich die Axt an unsere deutsche Wirtschaft angelegt. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich nicht durch- setzen konnten. Daher bin ich denjenigen, die federführend ver- handelt haben, dankbar, dass es ihnen gelungen ist, auch den Na- tionalismus aus anderen Staaten zurückzuweisen, dass es ihnen ge- lungen ist, dass wir heute sagen können: Europa ist an dieser Krise nicht zerbrochen, Europa wächst in dieser Krise noch stärker zu- sammen als je zuvor. Ich finde, das ist ein wichtiges und ein star- kes Signal. Man sagt oft einzelnen Politi- kern, einzelnen Funktionsträgern, auch ehemaligen Finanzministern nach, sie seien große Europäer. Ich will ganz deutlich sagen: Das, was Bruno Le Maire und Olaf Scholz da vorgelegt haben, das ist groß und europäisch. Das atmet Konstantin Kuhle, FDP: Die Stärkung des Bundestages voranbringen l l o n K e i s u S © Dennis Rohde (*1986) Wahlkreis Oldenburg-Ammerland die Die Verhandlungen um die Eigenmittel waren viel- leicht herausfor- derndsten, die es bisher in der Ge- schichte der Europäischen Union gab. Wir hatten es ja gleich mit zwei Megaherausforderungen zu tun, die bewältigt werden muss- ten. Über Corona haben wir viel gesprochen, auch über die Tatsa- che, dass das Virus nicht nur uns, sondern den ganzen Kontinent, die ganze Welt im Griff hat. Au- ßerdem hatten wir noch den Bre- xit und seine Folgen, die im Mehr- jährigen Finanzrahmen dargestellt werden mussten. Wir standen also vor zwei großen Herausforderun- gen. schaft, Industrie und Gesellschaft zu erneuern und wieder voranzu- bringen. Das sind Investitionen in eine erfolgreiche Zukunft der Eu- ropäischen Union, liebe Kollegin- nen und Kollegen. Der Kollege Fricke stellt mir die Zwischenfrage nicht, aber ich will ihm trotzdem deutlich sagen: Wir als SPD-Fraktion werden diesem Eigenmittelbeschluss als wirklich starkem Signal für die Stärkung der Europäischen Union zustim- men. Ich bin der festen Überzeugung, und auch viele Verfassungsrechtler eigentlich alle, die ich gehört habe sagen: Eine einfache Mehrheit reicht aus. Wir würden uns trotzdem freu- en, wenn am Ende auch die FDP- Fraktion zustimmt. Wenn Sie aber Bauchschmerzen haben sollten, weil Sie meinen, man bräuchte ei- ne Zweidrittelmehrheit: Es liegt in eurer Hand stimmt einfach zu. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) ständnis von Opposition funda- mental von den Grünen: Die Grü- nen sind mittlerweile so heiß aufs Regieren, dass Ihnen die Union, wenn Sie morgens ins Parlament kommen, sonst was vorlegen kann und Sie am Abend dafür stimmen werden. Es geht einfach nicht, meine Da- men und Herren von den Grünen, dass Sie die Oppositionsrolle an dieser Stelle hier in dieser Weise nicht wahrnehmen. Ich will noch etwas Zweites sa- gen. Wer es in Deutschland mit der Großen Koalition aufnimmt, wer sich mit CDU/CSU und SPD anlegt, der bekommt es mittler- weile mit den Grünen zu tun. Und das hat doch mit Opposition nichts mehr zu tun, meine Damen und Herren. Der Kompromiss der europäi- schen Staats und Regierungschefs und auch des Ministerrates sieht eine Schuldenaufnahme vor, bei der es den Regierungen der Mit- gliedstaaten Österreich, Däne- mark, Finnland, Schweden und Fortsetzung auf nächster Seite Klar ist auch, dass der Fokus, auch der europäische Fokus, na- türlich auf diejenigen gerichtet war, die für die Bundesrepublik Deutschland diese Verhandlungen führen, nicht nur, weil wir das größte Bruttonationaleinkommen und die stärkste Volkswirtschaft innerhalb der EU haben, sondern auch, weil wir im letzten Jahr die Ratspräsidentschaft innehatten. Das alles geschah in einer politi- schen Debattenlage, die nicht ein- fach war. Wir alle haben auch heute wieder den dumpfen Natio- nalismus wahrgenommen, mit dem einige versucht haben, diese Krise auszunutzen, um in die 50er-Jahre zurückzugehen. n o i t k a r f s g a t s e d n u B - P D F © Konstantin Kuhle (*1989) Landesliste Niedersachsen Eines ist, glaube ich, in der bisherigen Debatte noch gar nicht hinreichend zum Aus- druck gekommen: Wenn die Bun- desregierung alleine einen Eigen- mittelbeschluss vorgelegt hätte, dann sähe der ganz anders aus als dieser Eigenmittelbeschluss, den wir heute hier diskutieren, der un- ter maßgeblichem Regierungsein- fluss der Niederländer, der Öster- reicher, der Schweden, der Dänen und der Finnen steht. Und, lieber Kol- lege Rohde, der französische Fi- nanzminister Le Maire ist kein bes- serer oder schlech- terer Europäer als Mark Rutte, der sich in ganz we- Weise sentlicher eingesetzt dafür hat, dass zur Konditionalität bei der Auszah- lung einzelner Tranchen kommt. Ich will hier auch ganz deutlich sagen: Lieber Bundesfinanzminis- ter Scholz, Sie haben es leider ver- es säumt, der sozialdemokratisch ge- führten Regierung in Dänemark dafür zu danken, dass sie in dieser Situation auch auf haushalterische Solidität geachtet hat. Das wäre hier die richtige Ansage für einen Bundesfinanzminis- ter gewesen. Lieber Kollege Kindler, ich fühle mich natürlich an- gesprochen, weil ich mich sehr darü- ber gefreut habe, dass es eine Eini- gung für einen Not- fallmechanismus und für einen Auf- hörmechanismus angesichts die- ser schlimmen Pandemie in der Europäischen Union gibt. Nur, ei- nes unterscheidet die Freien De- mokraten mit Blick auf das Ver- Die Konditio- nalitäten müssen durch den Haus- haltsausschuss überprüft werden können.