Das Parlament - Nr. 10-11 - 07. März 2022 DAS POLITISCHE BUCH 11 Frau Zykunov, aus Ihrem Buch ist deutlich herauszulesen: Sie sind wütend. Auf wen und warum? Ich bin wütend darauf, dass wir noch nicht so weit sind mit der Gleichberechtigung, wie wir dachten. Ich bin wütend darauf, dass mir immer wieder gesagt wird, ich sol- le doch Lösungsvorschläge anbieten, statt zu meckern. Ich bin aber als Mutter und Frau Opfer eines Systems, das durch und durch patriarchal ist. Es kann nicht sein, dass von Frauen erwartet wird, auf ihre Op- ferrolle aufmerksam zu machen und gleichzeitig zu sagen, was sich ändern muss. Doch genau das wird immer wieder gefordert. Anstatt zu überlegen, wo diese Lösungen eigentlich herkommen müssten, nämlich aus dem System: der Politik und der Wirtschaft. Woran liegt es denn, dass wir im Jahr 2022 immer noch nicht so gleichbe- rechtigt sind, wie wir sein müssten? Es gibt so viele Zahlen, die das deutlich machen. Der Klassiker ist der Gender Pay Gap, also der Unterschied in der Bezah- lung von Männern und Frauen. Der liegt noch bei 19 Prozent, der bereinigte Wert immerhin noch bei sechs Prozent. 98 Pro- zent aller Frauen, die Mütter werden, ge- hen in Elternzeit, aber nur 42 Prozent aller Männer, die Väter werden. Von diesen 42 Prozent gehen mehr als drei Viertel nur die obligatorischen zwei Monate, bei den Frauen sind es über 90 Prozent, die zwölf Monate und länger in Elternzeit gehen. Ei- ne Frau wird, wenn sie Mutter geworden ist, am Ende ihres Erwerbslebens fast eine Million Euro weniger an Vermögen ange- häuft haben als ein Mann. 91 Prozent aller Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sind männlich, an Unis werden die Professuren und Lehrstühle zu 75 Prozent von Männern besetzt. Das ist der Stand im Jahr 2022. Um das zu ändern, müssten auch Männer Platz machen. Glauben Sie, Män- ner werden Ihr Buch lesen? Es gilt erst einmal, noch sehr viele Frauen wachzurütteln und ihnen klarzumachen: Du denkst vielleicht, du hättest dir das frei- willig ausgesucht mit den zwölf Monaten Elternzeit. Und dass du danach in Teilzeit gehst. Dass du mit Geld nichts am Hut hast und du dich nicht in den Vordergrund drängen willst. Doch die Chance ist relativ hoch, dass du extrem beeinflusst worden bist seit deiner Geburt als Mädchen. Dass du so sozialisiert wurdest, durch Bücher, Filme und Mütter, Freundinnen und ande- re, die dich erzogen und es dir vorgelebt haben. Es wird noch eine Weile dauern, bis genug Frauen verstanden haben, um was es geht. Erst dann sind die Männer dran. Aber sollten es die Frauen heute nicht einfach alles schon wissen? Warum lassen sich auch gut ausgebildete Frauen immer wieder in die Rolle drängen? Diese Übermutterrolle, die von uns erwar- tet wird, ist sehr lange und stark gewach- sen. Wir reden hier nicht von ein paar Jahr- zehnten, am Ende sind es Jahrhunderte, in denen Frauen eingebläut wurde: Ein Kind gehört zur Mutter. Frauen haben mit Geld nichts am Hut. Frauen durften lange nicht studieren, ihre Debatten durften nicht im öffentlichen Raum stattfinden. Natürlich, wir leben jetzt im 21. Jahrhundert, aber wenn dieses Frauenbild so weitergelebt wird, woher sollst du dann im Jahr 2022 in der Lage sein, das alleine abzustreifen? „Du wirst als Mädchen sozialisiert durch andere, die es dir vorgelebt haben“, sagt Zykunov. © picture-alliance/dpa-tmn/Mascha Brichta »Pralinen reichen nicht« GLEICHBERECHTIGUNG Autorin Alexandra Zykunov über unbezahlte Care-Arbeit und neue alte Rollenbilder gen: Man findet Menschen intuitiv unsym- pathisch, wenn sie anders auftreten, als es ihrer Geschlechterrolle normalerweise zu- geschrieben wird. . Heißt: Will ich verhan- deln „wie ein Mann“, wirke ich unsympa- thisch und werde das Gehalt, die Stelle oder die Beförderung wahrscheinlich ge- nau deswegen auch nicht bekommen. Man kann als Frau im Jahr 2022 fast nur verlie- ren, wenn man sich verhält wie eine Frau, aber man kann auch fast nur verlieren, wenn man sich verhält wie ein Mann. eben weil sie so banal ist. Aber: Strandta- sche-Packen ist politisch, wer das Kind bei Krankheit aus der Kita abholt ist politisch, wie man seine Elternzeit aufteilt ist poli- tisch. Wer weiß, wann welche Schuhgröße zu klein werden wird, ist politisch. Am En- de ist einfach die ganze Arbeit, die hinter Care-Arbeit steckt, unsichtbar und wird Alexandra Zykunov: „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ Ullstein, Berlin 2022; 288 S., 10,99€ÿ von denjenigen, die sich nicht dafür ver- antwortlich fühlen, nicht gesehen. Und das ist ja nicht nur im Urlaub so, das passiert jeden Tag. Das ist eine wahnsinnige An- strengung, die irgendwann zur Überlastung führt. Und nicht nur das: Frauen verlieren dadurch buchstäblich Geld. Nicht nur die vorhin genannten Million an Einkommen und Rente. Care-Arbeit hat ja auch einen monetären Wert. Würde man die unbe- zahlten Care-Arbeitsstunden den Frauen in Deutschland bezahlen, wären das knapp 980 Milliarden Euro jährlich! Jetzt also die Frage nach Lösungen: Wie können Menschen, die Care-Arbeit leisten, entlastet werden? Wir müssen darüber reden, wie Care-Arbeit entlohnt werden kann. Zum Beispiel in Form eines Care-Arbeitsgeldes. Oder einer Care-Arbeitsversicherung, in die Arbeitge- ber und Arbeitnehmer gleichermaßen ein- zahlen. Oder indem man Rentenzuschüsse gibt, und zwar mehr als die drei Renten- punkte, die es aktuell pro Kind gibt. Oder es den Menschen, eben vorwiegend den Frauen, ermöglicht, bei voller Bezahlung in Teilzeit zu arbeiten. Es muss monetär ho- noriert werden, dass Care-Arbeit ein Job ist und zwar ein richtig harter, mit sehr, sehr hohen Ansprüchen. Es kann nicht sein, dass es mit einer Pralinenschachtel zu Mut- tertag getan sein soll. Was erwarten Sie von der Politik? Care-Arbeit muss refinanziert werden und zwar mit mehr als Eltern- oder Kindergeld. Es muss refinanziert werden, dass Frauen im Job Stunden reduzieren und Karriere- chancen verpassen. Das ginge mit Steuer- entlastung oder eben mit einer Teilzeitan- stellung zu Vollzeitentgelt. Damit sie nicht finanziell dafür abgestraft werden, dass sie kleine Kinder oder kranke Familienange- hörige versorgen. Außerdem gehört das Ehegattensplitting abgeschafft. Es kann doch nicht sein, dass dieses Thema auch von der aktuellen Regierung nicht ange- fasst wird! Dieses Ein-Ernährer-Modell setzt völlig falsche Anreize. Jede zweite Ehe wird geschieden und meistens haben dann die Frauen Pech gehabt. Da muss sich radi- kal etwas ändern. Sie befassen sich im Buch auch mit der Pandemie und ihren Folgen. In Sa- chen Care-Arbeit scheint sich wenig zum Guten entwickelt zu haben. Sie zitieren Studien, die zeigen, dass sich Männer noch weniger an Hausarbeit und Kinder- betreuung beteiligen wollen, weil sie im Homeoffice mitbekommen haben, wie an- strengend das ist. Ja, und ich zitiere auch viele Studien der Soziologin Jutta Allmendinger. Sie zer- schmettert immer wieder die Annahme, dass sich Männer plötzlich mehr beteilig- ten, weil sie gesehen hätten, wie viel die Frauen zu Hause leisten. Es stimmt, Coro- na war ein Brennglas und hat öffentlich ge- macht, wie viel Care-Arbeit Frauen leisten. Die Pandemie hat diese Themen auf jeden Fall nach oben gespült. Die Aufmerksam- keit gab es allerdings nur für ein paar Mo- nate in der ersten Welle. In der zweiten, dritten und vierten Welle waren wir sehr schnell wieder zurück beim „Mutti macht das schon“. Was macht Mutti denn? Den gleichen Job wie vorher – und noch mehr. Denn als es wieder möglich war, sind die Männer meist im gleichen Rah- men wie vorher wieder in ihre Büros zu- rückgegangen. Im Zweifelsfall haben die Mütter wegen der schlechten Betreuungssi- tuation ihre ohnehin schon reduzierten Stunden weiter reduziert. Es gab Studien, auch schon vor Corona, die gezeigt haben, dass Männer die Zeit, die sie im Homeof- fice durch das Wegfallen des Arbeitsweges sparen, in Überstunden investieren. Frauen hingegen investieren diese Zeit in Care-Ar- beit. Weil man das von ihnen erwartet. Sie haben noch mehr gepflegt, gekocht, ge- putzt und beschult – Mutti macht es eben. Das Gespräch führte Elana Müller T KURZ REZENSIERT Dmitri Glukhowsky: Outpost. Der Posten. Roman Heyne Verlag, München 2021; 416 S., 20 € „Metro-2022“ lautete am 28. Februar die Schlagzeile der letzten unabhängi- gen russischen Zeitung „Novaja gaze- ta“. Ein Foto zeigte Zivilisten in der Kie- wer U-Bahn, die Schutz vor russischen Bomben suchen. Diese Menschen erle- ben gerade eine Apokalypse, die einer der bekanntesten russischen Schriftstel- ler, Dmitrij Glukhovsky, in seinem Welt- bestseller „Metro-2033“ inszenierte, der in 40 Sprachen übersetzt wurde. Glukhovsky gehört zu den Autoren, die sich offen gegen das politische Regime in ihrer Heimat aussprechen: Das System „entmenschlicht die Menschen, bevor es sie frisst“. Tatsächlich lebt das russische Volk stets in der Erwartung „neuer Kata- strophen“, aktuell ist es der Angriffskrieg gegen die Ukraine. „O Gott! Was für eine Ehre! Was für ei- ne unverdiente Gottesgnade: Ich kenne das russische Alphabet“, jubelte einst der aus der Sowjetunion vertriebene Autor Sergej Dovlatov. Vor ihm hatte schon der russische Schriftsteller Iwan Turgenew „die große, mächtige gerech- te und freie russische Sprache“ als sei- ne Stütze und Hoffnung gewürdigt. Im Gegensatz dazu bricht Glukhovsky mit der Verherrlichung der „heiligen“ russi- schen Sprache und macht aus ihr eine Massenvernichtungswaffe. In seinem dystopischen Roman „Der Posten“ wer- den Menschen, die in einer festgelegten Reihenfolge russische Buchstaben und Wörter aussprechen, zu Besessenen, die selbst ihre eigenen Kinder töten. Der Moskauer Großfürst setzt die Waffe ge- gen die eigene Bevölkerung ein, die er als „Separatisten“ verunglimpft. Da- raufhin isoliert die Menschheit Russ- land, um die Übertragung der Seuche zu verhindern. Dazu gehört auch das Verbot, Russisch zu lernen. Der frühere Journalist Glukhovsky ent- wirft ein düsteres Szenario, dass sich ak- tuell wie eine Parabel Im Kreml herrscht unterdessen ein realer Potentat, der meint, das „wahre und orthodoxe“ Russland zu verkörpern. manu T liest. Jan-Werner Müller: Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit. Wie schafft man Demokratie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021; 271 S., 24 € Alexandra Zyku- Jahrgang nov, ist Journa- 1985, listin und arbei- tet als Co-Redak- tionsleiterin des Magazins „Brigit- te Be Green“. Sie lebt mit Partner und zwei Kindern in Hamburg. l r e b S i s a e r d n A © Alexandra Zykunov an für Sozialwissenschaften Jedes Buch von Jan-Werner Müller, Profes- sor der Princeton University, ist ein Standardwerk, das in viele Sprachen übersetzt wird. In sei- nem neuen exzellent recherchierten und verständlich geschriebenen Buch analysiert er die Dreiecksbeziehung zwischen Freiheit, Gleichheit und Ungewissheit. Ausgangs- punkt seiner Untersuchung sind die aktuel- len innenpolitischen Entwicklungen, insbe- sondere in Europa. Als Befürworter der par- lamentarischen Demokratie gehört Müller zu den scharfen Kritikern des Populismus. Unmissverständlich stellt er sich auf die Seite der unbequemen, politisch engagier- ten Bürger; er unterstützt deren zivilen Un- gehorsam mit Hilfe von „kontrolliertem Rechtsbruch“; denn sie verteidigten die De- mokratie. Müller unterstreicht, Parteien und Medien bildeten zusammen die „kritische Infra- struktur der Demokratie“. Die sozialen Me- dien seien für die sogenannten „Plattform- parteien“ nützlich, bedeuteten aber eine Gefahr zumindest für einige Formen des professionellen Journalismus. Sie ermög- lichten es den Individuen, kollektive Reprä- sentationsansprüche zu stellen, ohne die Demokratie direkt zu gefährden. Das sei bei rechtspopulistischen Regimen anders: Sie bezeichneten NGOs und Demonstratio- nen als Werkzeuge ausländischer Mächte. So stellten die Proteste der Zivilgesellschaft für alle Populisten weltweit ein „besonde- res Problem“ dar. Denn freie Bürgerinnen und Bürger unterminierten den Anspruch der Autokraten, die alleinigen Repräsentan- ten des Volkes zu sein. Von daher sei Putin ein wichtiges „Vorbild für die heutigen Rechtspopulisten“. Obwohl Müllers Buch vor der russischen Aggression gegen die Ukraine geschrieben wurde, hilft es dem Leser, die gefährlichen Sprachmuster der Autokraten zu erkennen. In seiner Kriegsrede zu Beginn der Invasion in die Ukraine bezeichnete der Kreml-Herr- scher die demokratisch gewählte Regie- rung als eine „Meute Drogenabhängiger und Neonazis“, die vom Ausland gesteuert werde. manu T Und wenn es doch gelingt? Wenn du aus dieser Frauenrolle heraustre- ten willst, wirst du auch wieder abgestraft. Denn wenn du „verhandelst wie ein Mann“, verhältst du dich auch wieder nicht deinem Geschlecht entsprechend. Und das hat Folgen. Die Theorien des „unconscious gender bias“ und der „role congruity“ sa- Ein Satz, mit dem Sie Ihren Stand- punkt deutlich machen, lautet: „Das Pri- vate ist politisch. Folglich ist Strandta- sche-Packen politisch. Ja, es ist so lächer- lich und gleichzeitig so wahr, wie es hier steht.“ Was ist daran lächerlich? Naja, natürlich klingt die Aussage „Strand- tasche-Packen ist politisch“ lächerlich, Anzeige Dokumentation des europäischen Integrationsprozesses Werner Weidenfeld | Wolfgang Wessels [Hrsg.] Jahrbuch der Europäischen Integration "!"# Jahrbuch der Europäischen Integration "!"# Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld und Prof. Dr. Wolfgang Wessels (!(&, )"( S., brosch., #",– € ISBN "'#-%-#$#'-'()(-! Das „Jahrbuch der Europäischen Integration "#"!“ zeichnet die europapoli- tischen Ereignisse des Berichtszeitraums "#"#/"#"! nach und informiert über die Arbeit der europäischen Institutionen, die Entwicklung der einzelnen Politikbereiche der EU, Europas Rolle in der Welt und die Europapolitik in den Mitgliedstaaten und Kandidatenländern. Nomos eLibrary nomos-elibrary.de Portofreie Buch-Bestellungen unter nomos-shop.de Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer Nomos Der Staat als Beute RUSSLAND Catherine Belton beschreibt den unerwarteten Aufstieg Wladimir Putins Viel wird dieser Tage gerätselt über die Moti- ve des russischen Präsidenten. Was um alles in der Welt hat Wladimir Putin zu der An- nahme bewogen, die Ukrainer würden die russischen Besatzungstruppen mit Blumen- sträußen empfangen? Wer nach Antworten sucht, die über Küchenpsychologie und Kremlastrologie hinausgehen, wird in Cathe- rine Beltons Buch „Putins Netz“ fündig. Der Untertitel: „Wie sich der KGB Russland zu- rückholte und dann den Westen ins Auge fasste“. Die Hauptthese: Die Geheimdienst- netzwerke des früheren KGB-Offiziers Putin hätten das Land seit den späten 1990er Jah- ren nicht nur aus den Händen der Oligar- chen entrissen. Vielmehr hätten Teile des KGB bereits vor Ende der Sowjetunion eine Zukunft unter Bedingungen der Marktwirt- schaft geplant, mit der Absicht, die eigenen Leute eines Tages wieder an Schaltstellen des russischen Staates zu bringen. „Sie betrachte- ten sich als auserwählt, die Rückkehr Russ- lands zu Weltmacht zu bewerkstelligen und glaubten, dass das Wiedererstarken des Staa- tes und ihre eigenes Schicksal – praktischer- weise – untrennbar miteinander verbunden seien.“ KGB-Vertreter hätten sich mit der or- ganisierten Kriminalität und findigen Funk- tionären, späteren Oligarchen, zusammenge- tan, um Sowjet- und Parteivermögen auf aus- ländischen Konten zu verteilen: Eine Kriegs- kasse für den zu erschaffenden Staatskapita- lismus. In einer „etatistischen Kehrtwende“ hätten Putin und die seinen dann beschlos- sen, die Ressourcen des Landes zurückzuho- len, und Oligarchen, die sie selbst groß ge- macht hatten, in die Schranken zu weisen. Die Autorin geht weit in die Biografie Putins zurück, in seine Jahre als KGB-Mann in Dresden, die Zeit als rechte Hand des Bür- germeisters in St. Petersburg bis zum überra- schenden Aufstieg an die Spitze Russlands und die sich anschließende Dauerpräsident- schaft. Putin wird nicht als der präsidiale Al- leinakteur geschildert, als der er sich so gern gibt. Zuweilen erscheint er wie ein Domp- teur zwischen Raubtieren, von den Seinen „gekettet an die Präsidentschaft, sodass er niemals ohne Weiteres abtreten könne“. Catherine Belton: Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte HarperCollins, Hamburg 2022, 605 S., 26 €ÿ ganzen Reigens Für ihre Thesen bietet die frühere „Financial- Times“-Korrespondentin in Moskau die Aus- sagen eines ehemaliger Kremlbeamter, Geheimdienstler und Oligar- chen auf. Allerdings, und das ist ein Schwach- punkt, beschränkt sie sich bei aller akribi- schen Recherche weitgehend auf diese Kreise. Gern hätte man auch den Blick aus der Mitte der russischen Gesellschaft wie überhaupt von jungen Menschen, die gar keinen ande- ren Mann im Kreml als Putin kennen – und nicht nur von Ehemaligen aus dem „inner circle“, die nun im Londoner Exil Groll tra- gen oder offene Rechnung zu begleichen ha- ben. Nichtsdestotrotz ist das Buch lesenswert, zum Beispiel dort, wo es die Gedankenwelt von Ex-Geheimdienstlern wie Putin und sei- nes Sicherheitberaters Nikolai Patruschew schildert, die Idée fixe etwa, die westliche Welt könne gar nichts anderes im Sinn ha- ben, als Russland zu spalten. Da „Putins Netz“ offenbar glaube, sich im Kampf um das Imperium und um die eigene Selbsterhaltung zu befinden, habe es den westlichen Kurs der Ukraine nicht zulassen können. Die Geheim- dienstler mögen von Anfang an den Samen der Revanche für den Untergang der Sowjet- union gesät haben, schreibt Belton. Aller- dings seien sie von Anfang an dazu ver- dammt gewesen, die Fehler der Vergangen- heit zu wiederholen. Alexander Heinrich T