6 MONARCHIEN DER WELT Das Parlament - Nr. 1-2 - 03. Januar 2022 Z weieinhalb Minuten lang durchquert Emmanuel Ma- cron am Abend des 7. Mai 2017 zur Musik von Beet- hovens 9. Sinfonie den Hof des Louvre. Der 39-Jährige betritt mit seinem Sieg bei der Präsident- schaftswahl die politische Bühne als jüngs- ter Staatschef des Landes und gleichzeitig als einer, der nicht wie sein Vorgänger François Hollande ein „normaler“ Präsi- dent sein will. Ganz im Gegenteil: Das Konzept des republikanischen Monarchen ersteht mit Macron wieder auf. „Das Ganze grenzt an das Zeremoniell einer Selbstkrö- nung“, schreibt der Historiker Joseph de Weck in seinem Buch „Emmanuel Macron. Der revolutionäre Präsident“ zur Siegesfei- er vor der Pyramide des Louvre. Schon von der Verfassung her ist der Präsi- dent in Frankreich eine Art demokratisch legitimierter König. Er ernennt den Regie- rungschef, leitet die Kabinettssitzungen, löst die Nationalversammlung auf, setzt Referenden an, ist Oberbefehlshaber über die Streitkräfte und kontrolliert die Atom- waffen. Eine Machtfülle, die Charles de Gaulle zu verdanken ist. Der Anführer der „Résistance“ gegen die NS-Besatzung war letzter Ministerpräsident der instabilen Vierten Republik, die nach dem Krieg be- gann. 1958 verwandelte er inmitten der Wirren des Algerienkrieges die parlamenta- rische Demokratie in ein Präsidialsystem, das dem Staatschef fast monarchische Kompetenzen gibt. Auf den Vorwurf, er vereine zu viel Macht auf sich, antwortete er ironisch: „Glauben Sie, dass ich mit 67 Jahren noch eine Karriere als Diktator be- ginnen will?“ Seine Position stärkte er 1962 mit der Direktwahl des Präsidenten durch das Volk. Beschlüsse verlesen Seither verfügen die Hausherren (bisher gab es keine Frauen an der Staatsspitze) im Elysée-Palast über eine Machtfülle, wie es sie in Europa sonst nicht gibt. Wie stark die Rolle ihres Staatschefs ist, konnten die Französinnen und Franzo- sen in der Pandemie erleben: Während in Deutschland die Ministerpräsidenten jede Woche miteinander um geeignete Auflagen stritten, tagte Macron hinter verschlosse- nen Türen mit seinem inneren Ministerzir- kel, dem Verteidigungskabinett. Heraus ka- men Beschlüsse, die der Präsident abends um 20.00 Uhr im Fernsehen verlas, ohne dass vorher jemand wusste, was er verkün- den würde. Mehr als 35 Millionen Men- schen saßen am 16. März 2020 vor ihren Fernsehgeräten, als der Präsident düster er- klärte: „Wir sind im Krieg.“ Macron ist in der komfortablen Situation, in der Nationalversammlung, der ersten Parlamentskammer, zusammen mit seinen Koalitionspartnern eine absolute Mehrheit zu haben. Schwieriger wird es, wenn eine „Kohabitation“ herrscht, der Staatschef al- so keine Mehrheit in der Nationalver- sammlung hat und mit einem Regierungs- chef der Opposition zusammenarbeiten muss. Doch egal wie die Mehrheiten sind: Dem Präsidenten bleibt als letzte Möglich- keit der Artikel 49-3, der ein Gesetz ohne Abstimmung in der Nationalversammlung umsetzt. François Hollande machte mehr- mals davon Gebrauch. Opposition auf der Straße „In der Archi- tektur der Fünften Republik sind die de- mokratischen ‚Checks and balances‘, die in anderen Ländern der Macht der Exekutive Schranken setzen, schwach ausgebildet. Die Straße übernimmt darum die eigentli- che Funktion der parlamentarischen Op- position: der exekutiven Macht Grenzen aufzuzeigen“, schreibt de Weck. Auch de Gaulle verlor durch den Druck der Straße seine Aura der Autorität. 1968 vereinten sich Studenten und Gewerkschaften zu ei- ner großen Protestbewegung, die das Land zeitweise lahm legte. Millionen Menschen Royaler Stil FRANKREICH Der Präsident ist eine Art demokratisch legitimierter König Präsident Macron legt Wert auf Statussymbole und präsentiert sich gerne in einem prachtvollen Umfeld wie hier auf Schloss Versailles. © picture-alliance/dpa/Blondet Eliot/Abaca gingen auf die Straße und setzten soziale Reformen wie eine Anhebung des Mindest- lohns um 35 Prozent durch. Zwar gewan- nen die Konservativen nach den Protesten die Parlamentswahlen, doch de Gaulle musste 1969 nach einem verlorenen Refe- rendum zurücktreten. Gleichwohl ist er noch heute der beliebtes- te Politiker Frankreichs. Das Dorf Colom- bey-les-deux-Eglises, irgendwo im ostfran- zösischen Niemandsland gelegen, ist ein politischer Wallfahrtsort geworden. Der Rechtsextremist Eric Zemmour beruft sich ebenso auf den „General“ wie Marine Le Pen, seine Konkurrentin am rechten Rand und alle prominenten Konservativen. Auch Präsident Macron hat auf seinem offiziel- len Foto, das in allen Amtsstuben hängt, de Gaulles Kriegsmemoiren wohl überlegt im Hintergrund arrangiert. In einem Inter- view bekannte er: „In meinem persönli- chen Pantheon befinden sich de Gaulle und Mitterrand.“ Der Sozialist François Mitterrand war nach de Gaulle der andere Präsident, der nach Art eines Monarchen im Elysée-Palast Hof hielt. Wie ein König verteilte er seine größte Gunst: bei Reisen an seinem Tisch im Flugzeug zu sitzen. Klatschpresse Wie ein König schuf er auch Werke, die ihn für die Nachwelt in Er- innerung behielten: Die Glaspyramide am Louvre, die Bastille-Oper und die Türme der neuen Nationalbibliothek. „Ich bin der letzte große Präsident. Der letzte in der Li- nie de Gaulles. Nach mir wird es in Frank- reich keine anderen mehr geben“, sagte er einmal über sich selbst. Dabei gab es nach ihm zumindest noch ei- nen weiteren sozialistischen Präsidenten: François Hollande löste 2012 den konser- vativen Nicolas Sarkozy ab. Der frühere Chef des Parti Socialiste wollte sich von der „Bling-Bling-Präsidentschaft“ seines hy- peraktiven Vorgängers absetzen, der sein Privatleben vor den Augen seiner Lands- leute ausgebreitet hatte. Das ganze Volk erlebte Sarkozys Trennung von seiner Frau Cécilia und die Hochzeit mit dem Ex-Model Carla Bruni mit. Dem Präsidentenamt seinen tat Sarkozy mit amourösen Eskapaden allerdings keinen Gefallen. Während Mitterrand während seiner Präsidentschaft seine uneheliche Tochter verschwieg und Valéry Giscard d’Estaing und Jacques Chirac ihre amourö- sen Abenteuer sorgfältig verbargen, zog mit Sarkozy die Klatschpresse quasi ins Präsi- dentenamt ein. Sie fotografierte auch Sar- kozys Nachfolger Hollande, wie er auf dem Motorroller zu seinem Liebesnest in der Nähe des Elysée fuhr, um sich dort mit der Schauspielerin Julie Gayet zu treffen. Zu den privaten Turbulenzen kam der in- terne Widerstand des linken Parteiflügels, der Hollande jede Autorität raubte. Mit ei- ner Beliebtheitsrate von nur sechs Prozent musste er 2017 auf eine erneute Kandida- tur verzichten. Monarchische Symbole Kein Wunder, dass Macron mit einer „jupiterhaften“ Prä- sidentschaft die Würde des Amtes wieder- herstellen wollte. Für seine Rede zur Lage der Nation berief er Senat und National- versammlung zum Kongress in Versailles zusammen, um die Grundzüge seiner Re- formpolitik zu verkünden. Schon 2015 hat- te er seinen royalen Stil in einem Interview angekündigt: „Es gibt in Frankreichs demo- kratischem Prozess und seiner Funktions- weise einen Abwesenden: den Monarchen. Ich glaube zutiefst, dass die Franzosen sei- nen Tod nicht wollten.“ Persönlichkeiten wie Napoleon oder de Gaulle hätten da- nach versucht, diese Leerstelle zu besetzen. „Den Rest der Zeit füllt die Demokratie diesen Raum nicht aus.“ Zu Beginn seiner Amtszeit setzte Macron deshalb auf die monarchischen Symbole der Macht, die Frankreich seinen Präsiden- ten bietet: Er empfing Wladimir Putin in Versailles, dem Schloss des Sonnenkönigs. Seine Sommerferien verbrachte er – anders als seine Vorgänger – auf Fort Bregançon, einer alten Adelsresidenz im Mittelmeer, wo er Staatsgäste wie Bundeskanzlerin An- gela Merkel empfing. Gelbwesten Doch die betont vertikale Amtsführung Macrons stieß schnell an ihre Grenzen. Seine „petites phrases“, kleine he- rabwürdigende Sätze über sozial Benach- teiligte, beschädigten sein Image. Einem Arbeitslosen riet der ehemalige Invest- mentbanker, er müsse nur die Straße über- queren, um einen Job zu finden. „Verrückt viel Kohle“ nannte der Absolvent mehrerer Eliteschulen die Sozialhilfe, die für Millio- nen Menschen zum Überleben notwendig ist. Zusammen mit der Abschaffung der Vermögenssteuer wurde er so zum „Präsi- denten der Reichen“, gegen den die „Gelb- westen“ 2018 wochenlang gewaltsam pro- testierten. Bis in die Nähe des Elysée zogen die De- monstranten, deren erklärtes Ziel es war, den Präsidenten abzusetzen. Plakate zeig- ten den Staatschef im Gewand von Ludwig XVI., der bekanntlich auf der Guillotine endete. „14. Mai 2017: Wiederherstellung der Monarchie“ stand über einer Fotomon- tage des Präsidenten, der am 14. Mai 2017 sein Amt angetreten hatte. Unter dem Druck der Straße musste Macron die ge- plante Erhöhung der Benzinsteuer, die den Protest ausgelöst hatte, absagen und mit ei- nem Milliardenprogramm die Wut befrie- den. „Die französische Kultur besteht aus Ludwig XIV. und den Bauernaufständen“, sagt der Politologe Nicolas Lebourg. „Wir leben in einer Sehnsucht nach General de Gaulle, doch wenn er an der Macht ist, ver- anstalten wir den Mai 68.“ Bürgerrat Macron erkannte in jenen dra- matischen Tagen, dass er von seinem Olymp hinunter steigen musste, um seine Präsidentschaft zu retten. Wochenlang tin- gelte er durch Gemeindesäle, um sich die Sorgen der Bürger anzuhören: der „grand débat“. Doch der Versuch, seine Landsleute stärker in die Entscheidungsfindung einzu- beziehen, endete schnell wieder. Die Ver- fassungsreform, die beispielsweise Referen- den erleichtern soll, wird bis zu den Präsi- dentschaftswahlen im April nicht mehr umgesetzt. Von den Maßnahmen, die ein per Los bestimmter Bürgerrat zum Klima empfahl, wurde nur ein kleiner Teil umge- setzt. Dennoch führt Macron die Umfragen an. Ihm dürfte allerdings zu denken geben, dass es seit Chirac 2002 kein Staatschef mehr schaffte, wiedergewählt zu werden. Die republikanischen Monarchen regieren nur noch fünf Jahre. Christine Longin T Die Autorin arbeitet als freie Korrespondentin in Paris. Märchenhaft reich und geschäftlich umtriebig VERMÖGEN Viele Königshäuser unterhalten lukrative Geschäftsbeziehungen und investieren global. Die finanziellen Details bleiben allerdings oft im Dunkeln Der Reichtum mancher Königshäuser ist le- gendär. Ins Auge fallen vor allem berühmte Schlösser, Landsitze, Ländereien, der Be- stand an Kunstschätzen, Sammlungen und Juwelen. Wie groß das Vermögen der Mo- narchien jeweils ist, lässt sich kaum ab- schätzen, zumal viele Besitztümer schlicht unverkäuflich sind. Manche Königshäuser sind auch wirtschaftlich umtriebig und mehren aktiv ihren Reichtum, der in teils lukrativen Beteiligungen steckt, etwa Ban- ken, der Rohstoffförderung oder großen Konzernen. Bisweilen tragen Unternehmen den Zusatz „Königlich“ und deuten damit eine frühere oder noch bestehende Verbin- dung zum Königshaus an. Unklare Beteiligungen Wer genau wo be- teiligt ist, bleibt aber oft im Dunkeln und wird manchmal nur durch investigative Recherchen und Indiskretionen öffent- lich, wie unlängst im Fall der britischen Royals durch die sogenannten „Paradise Papers“. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ veröffentlicht regelmäßig Ranglisten mit den vermeintlich reichsten Monarchen, ist dabei aber auch auf grobe Schätzun- gen angewiesen. Der „märchenhafte“ Reichtum mancher Königshäuser stößt zumindest in Europa an fiskalische Grenzen und hat bisweilen auch einen Haken. So ist etwa Königin Elisabeth II. zwar von einem wahrhaft imperialen Besitz der Krone (The Crown) umgeben, der weltweit einmalig sein dürfte, allerdings kann die Queen über die Schätze nicht beliebig verfügen, son- dern muss sogar dafür sorgen, dass die Werte über Generationen erhalten blei- ben. Buckingham Palace und die Kronju- welen gehören der Krone, nicht der Köni- gin. Zuwendungen Unverkäufliche Juwelen Die Einnahmen der Queen beruhen auf drei Säulen: Den staatlichen (Soverein Grant), dem wirtschaftlichen Ertrag aus dem Duchy Lancester, also dem Herzog- tum im Eigentum der Krone (Privy Pur- se), und ihren persönlichen Investitionen und privatem Besitz, zu dem Schloss Bel- moral in Schottland und der Landsitz Sandringham House in der Grafschaft Norfolk gehören (personal wealth and in- come). Die Duchys sind wahre Goldgruben der britischen Monarchie, sie bringen regel- mäßige und hohe Erträge, mit denen un- ter anderem die Royal Family über Gene- rationen hinweg querfinanziert wird. Thronfolger Prinz Charles verfügt über die Einnahmen aus dem Duchy of Corn- wall, dem mit rund 545 Quadratkilome- tern größten und ältesten Landbesitz der Krone. Der als Biobauer bekannte Duke of Corn- wall profitiert von den Erträgen aus Land- wirtschaft, Handel und Immobilien des Herzogtums, außerdem investiert sein Vermögensverwalter global. 2021 lag der Gewinn bei rund 20 Millionen Pfund. Charles und die Queen zahlen aber auch Einkommensteuer. Finanzexperten gehen davon aus, dass die britische Monarchie dem Staat unter dem Strich deutlich mehr Gewinn einbringt als sie kostet, auch weil die Marke Windsor so wertvoll ist. Royal im Namen Bekannt für Reichtum, lukrative geschäftliche Engagements wie auch für den als besonders aufwendig geltenden Lebensstil ist das niederländi- sche Königshaus. Schon in den 1970er Jahren berichtete der „Spiegel“ von Ak- tienpaketen der Königsfamilie bei der damaligen Königlichen Luftfahrtgesell- schaft KLM, Philips, Unilever, dem Stahl- unternehmen Hoogovens, den Fokker- Flugzeugwerken, einer Brauerei, dem Chemiekonzern Akzo und bei Royal Dutch Shell. Der Energieriese Shell gehört zu den größten Industriekonzernen der Erde, macht seinen gigantischen Umsatz aber nach wie vor in der Hauptsache mit Öl und Gas und muss in der Klimakrise um- steuern. Das Unternehmen entstand 1907 durch den Zusammenschluss zweier Fir- t o h s o t o h P / e c n a i l l a - e r u t c i p © Prinz Charles ist erfolgreicher Biobauer. Investmentfirmen men, die im Öltransportgeschäft aktiv wa- ren. An der einen Firma hatte der nieder- ländische König Wilhelm III. eine Beteili- gung erworben. Über die aktuelle Höhe der Beteiligung des Königshauses an Shell sind verschie- dene Schätzungen im Umlauf, genaue Angaben sind auf Wirtschaftsportalen nicht zu finden, was möglicherweise da- mit zu tun hat, dass solche Geschäfte dis- kret über Familienstiftungen oder unbe- kannte abgewickelt werden. Auch Shell macht dazu keine An- gaben. Der Konzern wollte auf Anfrage nicht einmal bestätigen, dass die Königs- familie überhaupt investiert ist. Shell hat unlängst aus Steuergründen die Verlage- rung des Konzerns nach Großbritannien beschlossen. Damit fällt die Bezeichnung „Royal Dutch“ weg. Auf der Homepage des Königshauses wird auf Hinweise zum privatwirtschaftlichen Engagement eben- falls verzichtet. Dafür werden die staatli- chen Zuwendungen an die Mitglieder des Königshauses erläutert, die sich aus der Verfassung ergeben. Steuern Aus den Steuergeldern für die Königsfamilien ergeben sich in den kon- stitutionellen Monarchien Europas be- stimmte Kontrollrechte der demokratisch gewählten Parlamente und Regierungen. Die Monarchen müssen auch damit le- ben, dass die Öffentlichkeit die jeweiligen Kosten und bekannten finanziellen Enga- gements kommentiert und hinterfragt. Das ist in Monarchien ohne demokrati- sche Grundstruktur anders. In der absoluten Monarchie Saudi-Ara- biens etwa ist der Staats- und Regierungs- chef zugleich Herrscher über eine giganti- sche Wirtschaftsmacht, gegen die sich eu- ropäische Königshäuser geradezu un- scheinbar ausnehmen. So verfügt Saudi- Arabien über Ölreserven von geschätzt 298 Milliarden Barrel, fast drei Mal mehr, als Russland aufzuweisen hat. Als der saudische Ölkonzern Saudi Aram- co im Dezember 2019 an die Börse ging, zeigte sich die Wirtschaftskraft des Golf- staates erneut auf eindrucksvolle Weise. Dabei wurden gerade einmal 1,5 Prozent der Firmenanteile platziert, den Rest hält weiterhin der Staat, vertreten durch den König und den Kronprinzen. Der Börsen- wert von Saudi Aramco liegt bei rund 1,8 Billionen Euro. Mit dem erlösten Geld aus dem Börsengang will die Königsfami- lie gezielt investieren, um die Wirtschaft des Landes zukunftsfest zu machen. pk T