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Thema: Reform des EEG Erneuerbare sollen rasant wachsen SEITE 1-3 GÜNSTIGER MIT BUS UND BAHN Mit dem Neun-Euro-Ticket will die Koalition Bürger entlasten SEITE 5 SCHOLZ IM AUSSCHUSS Kanzler erklärt seinen Kurs zum Krieg in der Ukraine SEITE 11 Berlin, 16. Mai 2022 www.das-parlament.de 72. Jahrgang | Nr. 20 | Preis 1 € | A 5544 ENERGIEWENDE Der Bundestag berät über das Bündel an Gesetzentwürfen des Klimaschutzministers Habecks Erneuerungspaket A ls Klimaschutzminister Ro- KOPF DER WOCHE Das Ende einer langen Debatte n n a m h c s u B o r ü b n e t e n d r o e g b A © Marco Buschmann Einen „Anachronismus“ nannte der Justizminister den Paragrafen 219a Strafgesetzbuch, der die Werbung für Schwangerschafts- abbrüche unter Strafe stellt. Eine „Ungerechtigkeit“, die die Regierung nun abschaffen werde. Der Liberale wurde vergangene Woche qua Amt zum Gesicht eines rechtspolitischen Meilensteins: Mit der Streichung will die Bundesregierung eine lange und heftig geführte Debatte um den Umgang mit Infor- mationen über Schwangerschaftsabbrüche beenden. Mit der Gesetzesreform soll zu- gleich eine Rehabilitation der nach 219a ver- urteilten Medizinerinnen und Mediziner ein- hergehen, die auf den Webseiten ihrer Arzt- praxen über die Möglichkeiten und Metho- den eines Schwangerschaftsabbruches infor- miert hatten (siehe Seite 9). emu T ZAHL DER WOCHE 94.956 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche gab es in Deutschland im Jahr 2021. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ging die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 5,4 Prozent zurück. 96 Prozent aller gemel- deten Abbrüche wurden nach der soge- nannten Beratungsregelung vorgenommen. ZITAT DER WOCHE »Werbung ist mit der Würde des Unge- borenen nicht vereinbar.« Nina Warken (CDU) in der Debatte über die Streichung des Paragrafen 219a IN DIESER WOCHE WIRTSCHAFT Inflation für Bürgerinnen und Bürger Union fordert Unterstützung Seite 4 INNENPOLITIK Renten wieder eingeführt als geplant Der Dämpfungsfaktor wird früher Seite 6 bert Habeck (Grüne) am Donnerstagmorgen ans Rednerpult trat, um im Bundestag für sein „Oster- paket“ und den beschleu- nigten Ausbau erneuerbarer Energien zu werben, war es gerade erst einige Stunden her, dass Russlands Präsident Wladimir Pu- tin europäische Gasversorger auf eine Sanktionsliste gesetzt hatte. In Deutsch- land betrifft das Gazprom und ihre Töch- ter. Deutschland habe sich auf die Situati- on vorbereitet, der Markt biete Alternati- ven. Es zeige sich hier aber auch, „dass die Auseinandersetzung um Energie eine Waffe ist“, sagte Habeck. Und dass es „eine direk- te Linie von dem Abschied von fossilen Energien aus Russland hin zum Abschied von fossilen Energien insgesamt“ gebe:: Die Lösung seien die Erneuerbaren. Darum ging es an diesem Morgen - um nicht mehr und nicht weniger als die, so Habeck, „größte Energiemarktreform seit Jahren; ich würde sagen: seit Jahrzehnten“. Mit den geplanten Gesetzentwürfen - Kli- maschutz-Sofortprogramm, Windenergie- auf-See, Energiewirtschaftsrecht und ande- re - will Deutschland seine gesamte Kli- ma-, Energie- und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad ausrich- ten und bis 2045 Klimaneutralität erlangt haben. Die Stromversorgung soll bereits 2035 nahezu vollständig auf Erneuerba- ren beruhen. Um das zu erreichen, sollen Ausbaupfade und Ausschreibungsmengen deutlich angehoben werden. Zentrales Mittel der Beschleunigung soll die Veran- kerung des Grundsatzes in allen Rechtsbe- reichen sein, dass die Nutzung erneuerba- rer Energien im überragenden öffentli- chen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient, also bei der Güterabwä- gung im Zweifel vorrangig zu behandeln ist. „Großer Kraftakt“ Der schnellstmögliche Ausbau der Erneuerbaren sei eine zwingen- de und schlüssige Konsequenz aus dem menschengemachten Klimawandel und dem Krieg in der Ukraine, in dessen Folge Deutschland sich seiner Abhängigkeit von russischen Energielieferungen erinnert ha- be, sagte Nina Scheer (SPD). Um sich eine Vorstellung von den Dimensionen des „großen Kraftakts“ machen zu können, den die rechnete Scheer vor: Wenn es 2030, wie prognosti- ziert wird , einen Strombedarf von 750 Te- rawattstunden gebe – und wenn davon 80 Prozent, wie jetzt geplant, aus erneuer- baren Quellen kommen sollen, „dann ist Energiewende darstelle, Und jetzt an die Arbeit: Klimaschutzminister Robert Habeck warb im Bundestag für die „größte Energiemarktreform seit Jahren“. © picture-alliance/Flashpic/Jens Krick das so viel, wie wir heute insgesamt ver- brauchen“, sagte Scheer - nämlich 560 Te- rawattstunden. Für die Union erklärte CDU-Politiker An- dreas Jung, man befürworte aus Überzeu- gung und mit Nachdruck das Ziel des Aus- baus von erneuerbaren Energien. Dabei ge- he es CDU/CSU darum, „das, was wir hier tun, in ei- nen europäischen Kontext zu bringen, es auch durch globale Energie- und Klima- partnerschaften voranzu- bringen“. Jung kündigte zu- gleich an, dass es der An- spruch von CDU und CSU in den Beratungen sein wer- de, darauf zu dringen, dass die Potentiale aller Energien ausgeschöpft werden: Es sei unverständlich, dass Wasser- kraft, Biomasse, Geothermie gegenüber Wind und Sonne nachrangig behandelt würden. Michael Kruse von der FDP, die dem Ge- setzentwurf zur Novellierung des EEG im Kabinett nur unter Vorbehalt zugestimmt hatte, weil man Zweifel an der Erreichbar- keit der Ziele hat, machte auch im Parla- »Das, was wir hier machen, muss innovativ sein, muss weltfähig sein.« Andreas Jung (CDU) ment keinen Hehl daraus, dass es, abge- stimmterweise, „an der einen oder anderen Stelle noch Gesprächsbedarf“ gebe. Die Verantwortung für den Erfolg dieses Geset- zes liege jetzt aber beim Bundestag, bei den Abgeordneten. Ausdrücklich in Rich- tung der Union erinnerte Kruse daran, dass die Koalitionsfraktionen in der Vergangenheit be- reits gezeigt hätten, dass man gewillt sei, konstruk- tive Hinweise aufzuneh- men und gute Ideen in die einzu- eigenen Gesetze speisen. Julia Verlinden (Bündnis 90 / Die Grünen) begrüßte das Osterpaket als Startsig- nal für den Turboausbau der Erneuerbaren, hielt aber kritisch fest: Was heu- te im Bundestag beraten werde, hätte schon vor Jahren passieren müssen. Verlinden appellierte an die Abge- ordneten:. „Machen Sie im Wahlkreis Wer- bung für die erneuerbaren Energien. Setzen Sie sich ein für die Freiheitsenergien vor Ort“. Im Parlament würden die Grundla- gen geschaffen, aber gebaut werde vor Ort. „Alle müssen mithelfen, damit wir schnel- ler sind als die Klimakrise.“ Klaus Ernst (Die Linke) wandte sich direkt an den Minister und kam auf die Ereignis- se der Nacht, die Sanktionen Russlands, zurück: Er frage sich, angesichts ständiger Sanktions- und Embargodrohungen gegen- über Putin, ob Deutschlands Politik wirk- lich zielführend sei. Wenn man Russland, das bis jetzt zuverlässig geliefert habe, dau- ernd sage, „wir nehmen euch euren Kram nicht mehr ab“, dann müsse man sich ir- gendwann überlegen: „Was machen dann eigentlich die anderen?“ Es wäre doch „jetzt auch Ihre Aufgabe als Bundesregie- rung“, appellierte er an Habeck, zu schau- en, wie man einen Gaslieferstopp verhin- dern könne, statt über immer neue Sank- tionen nachzudenken, sagte Ernst. In die gleiche Kerbe schlug der AfD-Abge- ordnete Steffen Kotré: „Wenn die Russen jetzt Gegensanktionen machen, dann ist das doch nur eine Reaktion auf den Um- stand, dass Sie angefangen haben, Energie als Waffe einzusetzen“, warf Kotré dem Mi- nister vor. „Sie haben doch vom Ölembar- go gesprochen.“ Wenn der Bumerang zu- rückkomme, müsse man sich nicht wun- dern. Michael Schmidt T ED I TO R IA L Spuren der Macht VON CHRISTIAN ZENTNER Der Hilferuf kam Mitte der Woche. Das Bun- desministerium für Wirtschaft und Klima erbit- tet bei allen Behörden aus Bund, Ländern und Kommunen personelle Unterstützung. Von Bü- rokräften bis zu Referentinnen und Referenten sollen sich Beschäftigte melden. Grund ist der Ukraine-Krieg. Es geht darum, die Wirtschaft zu schützen und die Energiesicherheit jederzeit zu gewährleisten, also um Aufgaben, die nun erheblich komplexer geworden sind. Fast täg- lich müssen neue Wege gesucht werden. Man ahnt, dass in diesem Ministerium derzeit viele Beschäftigte von den vergangenen Mo- naten so gezeichnet sind, wie ihr Minister an der Spitze. Kaum ein Haus ist aktuell so gefor- dert. Als Robert Habeck in der Debatte zu sei- nem Osterpaket ans Rednerpult im Bundestag trat, zeugten Augenringe davon, dass die ver- gangenen Monate Spuren hinterlassen haben. Habeck legte 500 Seiten Gesetzestext vor. Mit der Änderung von rund 50 Gesetzen und Ver- ordnungen soll Deutschland in einer Ge- schwindigkeit unabhängig von Energieimpor- ten und fossilen Rohstoffen werden, die man für die viertgrößte Industrienation der Welt atemberaubend finden kann. Auch deshalb hat das Paket noch keine Mehrheit im Bundestag. Die FDP hat im Kabinett zwar zugestimmt, aber nur unter Vorbehalt. Man habe Zweifel an der Erreichbarkeit der Ziele und wolle auch auf Anregungen der Opposition eingehen. Betrachtet man, dass Habeck für den Ausbau der Windkraft auch noch einen jahrelangen Streit mit dem Umwelt- und dem Verkehrsmi- nisterium in den Bereichen Artenschutz und Flugsicherung lösen musste, scheinen alle an- deren Herausforderungen fast nebenbei erle- digt worden zu sein. Sei es die Einkaufstour für LNG-Gas als Ersatz russischer Gaslieferun- gen oder die historisch einmalige Entschei- dung zur staatlichen Verwaltung der Gazprom Germania. So ganz nebenbei zwangen der Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf Deutsch- land den Wirtschafts- und Klimaminister auch in der Debatte zum Osterpaket zu einer Anpas- sung seiner Rede. Bevor er über die Pläne für seine Klimaschutznovelle sprechen konnte, musste er den Bundestag zunächst darüber in- formieren, dass Russland Gazprom Germania künftig nicht mehr mit Gas beliefere. Man sei aber auf sowas vorbereitet und finde andere Wege. Die Mitteilung hatte sein Ministerium am Vortag der Debatte erreicht. Um 22:30 Uhr. EUROPA UND DIE WELT Mali künftig nicht mehr ausbilden Bundeswehr soll im Krisenland Seite 10 KEHRSEITE Bundestag mit der Bundestagspräsidentin Junge Erwachsene diskutieren Seite 12 MIT DER BEILAGE Das Parlament Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG 64546 Mörfelden-Walldorf 1 2 0 2 0 4 194560 401004 Das Ziel: 100 Prozent klimaneutraler Strom bis 2035 ENERGIEWENDE Mit dem Osterpaket soll der Ausbau von Wind- und Solaranlagen massiv beschleunigt werden Das sogenannte Osterpaket ist die größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten. Mit ihm soll der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt werden, zu Wasser, zu Land und auf dem Dach. Dazu sollen eine ganze Reihe von Gesetzen angepasst werden: das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG), das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG), schließlich das Netzausbaube- schleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) sowie weitere Gesetze und Ver- ordnungen im Energierecht. das Überragendes Interesse Als Herzstück des Pakets wird der Grundsatz verankert, dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Der Ausbau der erneuerbaren Energien an Land und auf See soll auf ein neues Niveau gehoben werden, damit die Stromversor- gung in Deutschland bereits 2035 nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien be- ruht: 2021 waren es 42 Prozent. Um das neue Ausbauziel von 80 Prozent für 2030 zu erreichen, werden die Ausbaupfade deutlich angehoben. Bei der Windenergie an Land auf ein Niveau von zehn Gigawatt (GW) pro Jahr, so dass im Jahr 2030 Wind- energieanlagen an Land im Umfang von insgesamt rund 115 GW in Deutschland installiert wären (2021: 56 GW). Bei der Solarenergie auf ein Niveau von 22 GW pro Jahr, sodass im Jahr 2030 Solaranlagen im Umfang von insgesamt rund 215 GW in Deutschland installiert wären (2021: 59,9 GW). Der Ausbau der Windenergie auf See soll auf zwei gleichberechtigte Säulen ge- stellt werden. Neben der Ausschreibung von bereits voruntersuchten Flächen wer- den zukünftig auch bisher nicht vorunter- suchte Flächen ausgeschrieben. Die Aus- bauziele für Windenergie auf See sollen auf mindestens 30 Gigawatt bis zum Jahr 2030, mindestens 40 Gigawatt bis zum Jahr 2035 und mindestens 70 Gigawatt bis zum Jahr 2045 erheblich gesteigert werden (2021:7,8 GW). Im Interesse der Akteursvielfalt, der Akzep- tanz vor Ort und des Bürokratieabbaus sol- len Wind- und Solarprojekte von Bürger- energiegesellschaften realisiert werden können, ohne dass sie zuvor an einer Aus- schreibung teilnehmen müssen. Der Aus- bau der Netze soll beschleunigt, Hemm- nisse sollen abgebaut und Planungs- und Genehmigungsverfahren verschlankt wer- den. Rechte der Endkunden und Aufsichts- möglichkeiten der Bundesnetzagentur über Energielieferanten sollen gestärkt werden, um die Strom- und Gasverbraucher zu schützen. Der Finanzierungsbedarf für die Erneuerbaren soll über das Sondervermö- gen „Energie- und Klimafonds“ gedeckt, Verbraucher entlastet werden. mis T Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper

Die Debatte zum Ausbau erneuerbare Energien, Energiewirtschaftsrecht im Video

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