Das Parlament - Nr. 36 - 05. September 2022 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 11 Hortest du noch oder preppst du schon? KRISENVORSORGE Sogenannte Prepper bereiten sich mit Vorräten und Trainings akribisch auf mögliche Notlagen vor. Was in der aktuellen Lage sinnvoll erscheint, kann jedoch schnell in Verschwörungsgedanken und Gewaltfantasien übergehen Konserven, Gaskocher, Trockenfleisch: Prepper wissen, wie man am besten durch eine Krise kommt – welcher Art auch immer. © picture-alliance/dpa/Henning Kaiser T agelanger Stromausfall, leere Supermarktregale, kein Trinkwasser, Plünderungen, brennende Autos, Chaos auf den Straßen. Bei diesen Sze- nen denken die meisten Menschen wohl an Katastrophenfilme oder zumindest an etwas, das ganz weit weg passiert, aber nicht in Deutschland. Für ei- nige sind solche Szenarien jedoch keine Fiktion. „Prepper“ (vom englischen Wort für vorbereiten „to prepare“) fürchten ei- nen tatsächlichen Zusammenbruch der In- frastruktur, eine massive Umweltkatastro- phe, einen Atomunfall oder einen kriegeri- schen Angriff. Diese Menschen wollen sich deshalb so gut wie möglich auf den „Ernst- fall“ vorbereiten. Wie und in welchem Um- fang sie das tun, ist jedoch ganz unter- schiedlich. Die Prepper-Szene ist groß und vielfältig, reichen vom harmlosen Selbstversorger bis zum rechts- extremen Verschwörungstheoretiker. ihre Mitglieder 3,5 Kilo Nudeln Mit dem Beginn der Co- rona-Pandemie mit ihren Lieferengpässen und Lockdowns ist vielleicht jeder ein biss- chen zum Prepper geworden – könnte man zumindest meinen. Schließlich fingen viele Leute an, Lebensmittel und Hygieneartikel zu horten. Und sogar die Bundesregierung empfiehlt bereits seit Jahren, sich mit einem für pro unter anderem Vorrat an Trinkwasser und Lebensmitteln für mindestens zehn Tage einzudecken. Das wä- ren Person 20 Liter Wasser, 3,5 Kilogramm Getreide oder Getreideprodukte, Brot, Nudeln, Kar- toffeln oder Reis. Dazu noch 2,5 Kilogramm Obst und Nüsse und nochmal etwa genauso viel an Milch und Milchprodukten. Eine auf der Homepage des Bundes- Bevölkerungs- amtes schutz und Katastrophenhil- fe verfügbare 68-seitige Bro- schüre listet zudem auf, wel- che Ausrüstungsgegenstände man bereithalten sollte (et- wa Batterien, Kerzen, Feuer- zeuge, Feuerlöscher, Cam- pingkocher und Decken). Das klingt alles schon recht aufwendig? Die wenigsten Menschen in Deutschland dürften nicht einmal einen Teil der aufgelisteten Dinge im Haus haben, geschweige denn so organi- siert, dass man sie im Notfall schnell zur Hand hätte. Denn dies alles anzuschaffen, ist das eine, es zu verwalten, zu lagern, die Haltbarkeit im Blick zu behalten, das ande- re. Und das ist es dann auch, was den Klopa- pier-und-Nudel-Horter vom „echten“ Prep- per unterscheidet. Prepper packen Notfall- rucksäcke, falls man schnell das Haus, die »Es gibt Tag- X-Strategen, die Fässer mit Lebensmitteln im Wald vergraben « Gabriele Keller, Autorin Stadt oder gleich das Land verlassen muss. Sie legen in Kellern oder in Verstecken im Garten oder Wald große Mengen an Vorrä- ten an und beschäftigen sich mit dem Bau von Erdkühlschränken und unabhängiger Energieversorgung. Das Internet bietet für Interessierte eine kaum zu überblickende Fülle an Infor- mationen. Blogger laden Videos hoch, in denen sie ihre Vorbereitungen erläu- tern, in Foren werden Lis- ten verschickt, mit deren Hilfe man sich vorbereiten soll. In Chatgruppen tau- schen sich die Mitglieder über Equipment aus, be- ratschlagen sich über die besten Methoden zum Herstellen von Zahnpasta oder dem Haltbarmachen von Lebensmitteln und diskutieren die Wahr- scheinlichkeiten von befürchteten Szena- rios. So unübersichtlich wie der Informations- fluss ist die Prepperszene selbst – und sie lässt viel Raum für den extrem rechten Rand. Autorin und Journalistin Gabriela Keller definiert die Gruppe in ihrem 2021 erschienenen Buch „Prepper. Bereit für den Untergang“ so: „Auf der einen Seite stehen Normalbürger, die lediglich den Empfehlungen der Regierung folgen und Lebensmittel für zehn Tage im Schrank stehen haben. Auf der anderen hartgesot- tene Tag-X-Strategen, die Fässer mit Le- bensmitteln im Wald vergraben und überzeugt sind, dass der Zusammenbruch der Gesellschaft unmittelbar bevorsteht.“ Solidarität und Selbstversorgung Bis zum Beginn der Corona-Pandemie war der breiten Öffentlichkeit tatsächlich eher nur die sehr extreme Seite der Prepper be- kannt. Die Gruppe „Nordkreuz“ beispiels- weise, die Mitte 2017 durch polizeiliche Er- mittlungen aufflog, bestand ausschließlich aus Rechtsextremen, die sich nicht nur auf den „Tag X“ vorbereiteten, sondern auch aktiv auf einen Zusammenbruch der öf- fentlichen Ordnung hinarbeiteten. Sie hor- teten Waffen und Munition und führten „Feindeslisten“ mit den Namen derer, die im Falle eines Umsturzes getötet werden sollten, darunter linke Politiker, Flücht- lingshelferinnen, Medienschaffende. All jene, die sich ausschließlich mit dem Preppen beschäftigen, um bei einem Stromausfall, einem extremen Winter oder bei einer Flut einige Tage versorgt zu sein, beklagen immer wieder, dass sie mit ge- fährlichen, rechtsextremen Fantasten wie den „Nordkreuz“-Mitgliedern in einen Topf geworfen würden. Doch auch wenn viele, vielleicht sogar die meisten Prepper hauptsächlich für sich und ihre Familie vorsorgen wollen, so ist der Grad zwischen Selbstversorgung und Selbstermächtigung recht schmal. Vielen Mitgliedern der Szene ist es des- halb wichtig zu betonen – das liest und hört man in den vielen Beiträgen, die mittlerweile über die Prepper im Internet zu finden sind –, dass sie solidarisch sei- en. Weil er gut vorbereitet sei und im Notfall keine Hilfe brauche, erleichtere seine Vorbereitung es den Behörden, sich um jene zu kümmern, die es von sich aus nicht könnten oder nicht vorgesorgt hätten, sagt beispielsweise Prepper Kon- stantin in einem Video der „Bild“-Zei- tung auf Youtube: „Jeder, der ein biss- chen vorsorgt, entlastet das gesamte Sys- tem in einer Krise.“ Doch was, wenn der „Tag X“ kommt, die Umweltkatastrophe, der Putsch, der Kriegsausbruch? Dann, so denken zu- mindest einige Prepper, werden die, die sich nicht wie sie auf den Notfall vorbe- reitet haben, gezwungenermaßen um die wenigen Ressourcen streiten und versu- chen jene zu bestehlen, die vorbereitet sind. Die Konsequenz? Viele sehen die Not- wendigkeit, sich und ihren Besitz zu es auf verteidigen, zur Not auch mit Waffen- gewalt. Der Blogger Martin Gebhardt hat seiner Webseite survival-compass.de noch so formu- liert: „Steuert eine große Menschen- menge von Unbefugten auf deinen Unterschlupf zu, dann greifst du sofort zum Fluchtrucksack und startest den kontrollierten Rückzug.“ Doch in den unzähligen Telegram-Gruppen, Foren und Youtube-Videos werden auch an- dere Meinungen laut. Dort tauscht man sich offen über Waffen aus; in vielen Fällen über Messer zum Jagen und Beile zum Holzhacken, aber auch über scharfe Waffen. »Knallen alles ab« Ein Mitglied der Tele- gram-Gruppe „Prepper_Deutsch- land_Krisenvorsorge“ etwa postet unter dem Schlagwort #Homedefence einen Link zu einem Youtube-Video mit dem Titel „Luftdruck-Harpunen knallen alles weg“. In diesem erklärt der Verfasser, wa- rum sich Harpunen (per Definition ei- gentlich Wassersportgeräte) auch als Waffe an Land eignen würden und de- monstriert, welchen Schaden die Pfeile anrichten können. Die Inspiration zu dem Video, wie der Verfasser erläutert, stammt aus Filmen über die Zombie- Apokalypse. Elena Müller T Literatur im Archiv, Mikrofilm im Stollen, Kunst im Bunker KULTURGÜTER Wie deutsche Institutionen ihre unersetzbaren Schätze vor Krieg und Katastrophen schützen Edelstahlbehältern mit Das blau-weiße Zeichen mit den Dreiecken und einem Quadrat hat jeder schon mal gesehen, wahrscheinlich ohne zu wissen, was es bedeutet. Es hängt an den Eingän- gen von Baudenkmälern, aber auch an Kul- tureinrichtungen wie Museen, Bibliothe- ken und Archiven, und es steht für einen besonderen Schutz. Nach dem „Haager Ab- kommen“ von 1954 sollen Kulturgüter im Kriegsfall vor Zerstörung, Diebstahl und Plünderung bewahrt werden. Das einzige Objekt, das der Bund in die- sem Sinne selbst betreibt, ist der Barbara- stollen bei Freiburg. Seit 1961 lagern in diesem alten Bergwerk die wichtigsten his- torischen Dokumente auf Mikrofilm. In 1640 jeweils 21.000 Metern Filmstreifen lagern insge- samt über 1,4 Milliarden Aufnahmen. Von der Goldenen Bulle von 1356 bis zum Grundgesetz, über die Baupläne des Kölner Doms bis zum Vertragstext des Westfäli- schen Friedens. Jährlich kommen neue Aufnahmen aus den Landes- und Bundes- archiven hinzu, die bei der Gelegenheit auch ihre Bestände digitalisieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen. „Das sind nicht nur Bildchen von irgend- welchen Urkunden“, sagt Bernhard Preuss, Beauftragter für Kulturgutschutz nach der Haager Konvention. So liege nicht nur das Grundgesetz im Barbarastollen, sondern auch über 30.000 Seiten Unterlagen zu sei- ner Entstehungsgeschichte, sodass man diese auch noch in Jahrhunderten nach- vollziehen könne. Mikrofilm ist eine alte Technik, die aus der Zeit gefallen scheint, doch es gibt weiter- hin gute Gründe, an ihr festzuhalten: Wäh- rend man bei digitalen Formaten auf Tech- nik angewiesen ist, die sich ständig ändert, ist Mikrofilm mit dem bloßen Auge lesbar. Das Material ist beständig, hält mindestens 500 Jahre und die Aufnahmen sind sicher vor Manipulationen. Damit wolle man, so Preuss, Geschichtsfälschung vorbeugen, da- mit sich auch künftige Generationen ihr Urteil über die Dokumente bilden können. „Der Barbarastollen ist unabhängig von der Außenwelt“, sagt Preuss. „Man könnte ihn zumauern und mit den Filmen würde nichts passieren. Sie sind perfekt verpackt, sie brauchen keinen Strom.“ Der Platz soll noch für weitere 30 Jahre reichen. Danach wäre der Stollen theoretisch nach jeder Sei- te verlängerbar. Nur wie lange Mikrofilm noch hergestellt wird, ist unklar. Was im Schwarzwald lagert, ist trotz der riesigen Menge nur ein kleiner Teil des deutschen Kulturschatzes. Der Rest liegt in Archiven, den Depots der Museen und in Magazinen der Bibliotheken. Die größte davon, die Deutsche Nationalbibliothek (DNB), gibt es gleich zweimal: in Leipzig und in Frankfurt am Main. Etwa 46 Millio- nen Medien sind hier versammelt, davon 35 Millionen in physischer Form, zehn Millionen digital. Alles, was seit 1913 in Deutschland in Schrift, Bild und Ton er- schienen ist, gibt es hier mindestens ein- mal. In Frankfurt lagern die Bestände in drei Tiefgeschossen in der Größe von Fuß- elektromagnetischen Impulses, wie sie bei Atombombenexplosionen entstehen, wä- ren die Daten vernichtet. Leipzig hat selbst bereits erlebt, wie Bestän- de verlorengingen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Bestände ausgelagert. Dank einer Bestandsliste konnte die sowje- tische Besatzungsmacht die Bücher als Kriegsbeute zusammensuchen und mit- nehmen, darunter eine Gutenbergbibel. Zwar wurde später einiges wieder zurück- geführt, doch 2006 entschied Moskau, dass der Rest als Kriegsreparation behalten wer- den soll. Seit dem Ausbruch des Krieges ge- gen die Ukraine haben sich Rückgabever- handlungen ohnehin erledigt. Retten, was man tragen kann Der Ukrai- ne-Krieg war auch in Weimar Anlass, sich über Worst-Case-Szenarien Gedanken zu machen. Rund 30 Museen, Schlösser und Parks unterhält die Klassik Stiftung Weimar, zwölf Liegenschaften gehören zum Unesco- Welterbe, darunter die Wohnhäuser von Goethe und Schiller. Spätestens seit dem Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Biblio- thek im Jahr 2004 ist man für Katastrophen besonders sensibilisiert. Nicht nur werden die Meldeanlagen regelmäßig überprüft und man pflegt engen Kontakt zur Berufsfeuer- wehr, auch sind in den Häusern Teams ge- schult, die wichtigsten Kulturschätze zu ret- ten. Kathrin Guinot, Referentin für Brand- und Katastrophenschutz, spricht metapho- risch vom „Tafelsilber“ – eine Priorisierungs- liste legt fest, was dazu zählt. „Vier Leute schnappen sich dann, was sie tragen kön- nen.“ Zu den sensibelsten Beständen zählen neben Gemälden auch Bücher und Handschriften. Im Goethe- und Schiller-Archiv, dem ältes- ten deutschen Literaturarchiv, lagern rund fünf Millionen Manuskriptblätter: von den Weimarer Klassikern über Romantiker wie die von Arnims, bis hin zu Georg Büchner und Friedrich Nietzsche. Die Blätter sind be- sonders empfindlich für starke Temperatur- schwankungen. Sollte im Winter die Hei- zung ausfallen, könnte ein schneller Tempe- ratursturz dafür sorgen, dass sich Luftfeuch- tigkeit festsetzt und das Papier zerstört. Der- zeit werden die Objekte darauf vorbereitet, indem man sie an die Außentemperatur an- passt. „Das Material geht mit dem Außenkli- ma mit“, sagt Guinot. Besonders empfindli- che Objekte lagern in klimastabilen Kisten. Mit der voranschreitenden Klimakrise steht auch die Stiftung vor der Herausfor- derung, dass es immer wärmer und tro- ckener wird. „Die Anlagentechnik ist sa- genhaft teuer in Unterhalt, Wartung und Energieverbrauch“, sagt Guinot. Daher versuche man, weniger davon einzuset- zen. Schon jetzt finden sich Solaranlagen auf den Dächern der Neubauten. Doch bei denkmalgeschützten Altbauten wie Goethes Wohnhaus sind die Möglichkei- ten beschränkt. Lukas Gedziorowski T Lukas Gedziorowski ist Onlineredakteur bei „Deutschlandfunk Kultur“ und freier Autor. Im Barbarastollen lagern 1,4 Milliarden Aufnahmen. © picture-alliance/dpa/Patrick Seeger ballfeldern. „Die haben Bunkerqualität“, sagt Michael Fernau, Repräsentant des Ge- neraldirektors am Standort Leipzig. In Frankfurt gebe es sogar Belüftungen, Toilet- ten und Küchen, geplant als Schutzräume für die Einwohner des Viertel Nordend. „Es muss schon schlimm kommen, wenn eines der Tiefmagazine geschädigt würde.“ Die Kapazität in Frankfurt soll bis zum Jahr 2050 reichen. In Leipzig aber soll es bereits in fünf Jahren eng werden. Angesichts der politischen Weltlage ist für Fernau „ziem- lich sicher“, dass der geplante fünfte Erwei- terungsbau Schutzräume bekommen wird. Bereits jetzt hat die DNB Notfallpläne für Feuer, Wasser und Krieg. Ein eigenes Refe- selbständig. rat für den Bestandsschutz kümmert sich darum und „stellt laufend Überlegungen an“, so Fernau. Bei der Wärmeversorgung ist der Standort Leipzig dank Geothermie weitgehend Problematisch kann aber ein Stromausfall werden, da die Bücher, die fortlaufend ins Regal gestellt werden, nur elektronisch auffindbar sind, und viele Medien kühl gehalten werden müssen. Zwar habe man eine Notstromver- sorgung – aber die läuft mit Diesel und der Tank reicht nur für zwei bis drei Wochen. Für den Fall eines Nuklearangriffes gibt es aber keine Sicherheit für digitale Medien. Die sind zwar im mehrfacher Ausführung auf Servern gesichert, doch im Falle eines