6 WIRTSCHAFT UND FINANZEN Das Parlament - Nr. 39 - 26. September 2022 für Entlasten wollen sie alle. Den- noch stößt der Koalitionsent- ein Inflationsaus- wurf gleichsgesetz (20/3496), das die Bürger angesichts der ho- hen Geldentwertung entlasten soll, bei der Opposition teilweise auf hefti- ge Kritik. Das Gesetz soll der sogenannten kalten Progression entgegenwirken, indem die Beträge steigen, ab denen jeweils ein höherer Steuersatz fällig wird. Wer mehr Lohn bekommt, soll nicht automatisch hö- her besteuert werden. Steigen sollen auch der Grundfreibetrag bei der Einkommen- steuer sowie das Kindergeld, der Kinder- freibetrag und der Unterhaltshöchstbetrag. Ein weiterer Gesetzentwurf der Koalition (20/3530) sieht vor, die Umsatzsteuer auf Gas von derzeit 19 Prozent auf sieben Pro- zent zu senken, befristet bis 31. März 2024. Beide Gesetzentwürfe wurden nach der ers- ten Lesung vergangenen Donnerstag zur weiteren federführenden Beratung an den Finanzausschuss überwiesen. Viel Geld in der Hand INFLATION Kindergeld und Grundfreibetrag sollen steigen, die Umsatzsteuer auf Gas sinken. Kritik an Plänen zum Abbau der kalten Progression Arbeiten unter Hochdruck Bundesfinanz- minister Christian Lindner (FDP) nannte die „galoppierenden Preise“ eine „Bedro- hung für Wohlstand, soziale Sicherheit und die Stabilität unseres Landes“. Daher sei es „die erste Priorität der Bundesregie- rung, diese Inflation zu bekämpfen“. Lind- ner verwies auf bereits beschlossene Maß- nahmen für Sozialleistungsemfänger, auf die anstehende Wohngeldreform sowie auf Entlastungen für Betriebe, an denen die Re- gierung „unter Hochdruck“ arbeite. Jetzt beim Inflationsausgleichsgesetz gehe es um die „Menschen in der Mitte der Gesell- schaft“, die keinen Anspruch auf Sozialleis- tungen haben, aber ebenfalls unter der In- flation leiden. Die Union kündigte ihre Zustimmung an. Johannes Steiniger (CDU) gratulierte Lind- ner und der FDP, dass sie dieses Gesetz durchgesetzt hätten, obwohl es nicht im Koalitionsvertrag stehe und SPD sowie Grüne „eigentlich“ die kalte Progression wollten. Mathias Middelberg (CDU) be- mängelte allerdings, dass die Tarifanpas- sung erst im nächsten Jahr gelten soll und damit inflationsbedingte Mehreinnahmen in diesem Jahr beim Staat verblieben. An der geplanten Umsatzsteuersenkung auf Erdgas kritisierte Alois Rainer (CSU), dass kleine und mittlere Unternehmen „wieder vollständig vergessen“ worden seien. Da die Umsatzsteuer für sie ein durchlaufen- der Posten sei, profitierten sie nicht von der Senkung, würden aber von der geplan- ten Gasumlage voll belastet. Frauke Heiligenstadt (SPD) verwies darauf, dass die jetzt eingebrachten Maßnahmen zusammen mit den schon beschlossenen sowie den geplanten wie Wohngeldreform und Bürgergeld „die umfangreichsten Ent- lastungen seit Bestehen der Bundesrepu- blik“ seien. Ihr Fraktionskollege Michael Schrodi kündigte zudem an: „Wir werden die Energiepreise senken.“ Angesichts der Kritik der Union verwies Schrodi darauf, dass der Kinderfreibetrag rückwirkend für das laufende Jahr erhöht werden solle und der Grundfreibetrag für 2022 bereits rück- wirkend erhöht worden sei. Mit der Feststellung, dass der Ausgleich der kalten Progression vor allem Reiche entlas- te und deshalb falsch sei, überraschte An- dreas Audresch (Grüne). Er sei aber Teil ei- nes Pakets, und dieses sei ein gutes, „das wir jetzt gemeinsam tragen können“. Wei- ter sagte Audresch, für Unternehmen sowie soziale Infrastruktur wie Krankenhäuser, denen angesichts der Energiepreise Scha- den drohe, müsse man jetzt viel Geld in die Hand nehmen. Wobei seine Fraktions- kollegin Katharina Beck ergänzte: „Diese Krise ist so groß, wir können nicht alles ab- federn.“ Für die FDP-Fraktion hob Markus Herbrand hervor, dass erstmals bei einer Inflationsanpassung der Steuertarife der Familien können bald mit einem Inflationsausgleich rechnen. © picture-alliance/dpa-tmn / Christin Klose Eckwert für die „sogenannte Reichensteu- er“ gleich bleibe. Dies sei eine „Gerechtig- keitskomponente“. „Eine glatte Lüge“ nannte Kay Gottschalk (AfD) schon den Titel des Gesetzentwurfs: „Er wird nicht im Entferntesten die Inflati- on ausgleichen.“ Seit Januar 2022 galop- piere die Inflation, ein Ausgleich sei aber erst für 2023 vorgesehen. Sein Fraktions- kollege Klaus Stöber warf der Koalition vor, nicht die Ursachen, sondern die Sympto- me der Krise zu bekämpfen. Ursachen sei- en „Ihre desolate Energiepolitik“ sowie „die vollkommen gescheiterte Sanktions- politik gegen Russland“. Christian Görke (Linke) kritisierte, dass die Steuersenkung auf Gas die Belastung durch die Gasumlage nicht ausgleiche. Vor allem aber laufe sie an den Firmen vorbei, wäh- rend die Gasumlage über die Preise bei den Verbrauchern lande und „neue Preis- schocks“ auslöse. Was die Regierung hier mache, sei „völlig irre und bizarr“. Mit dem Inflationsausgleichsgesetz soll der steuerliche Grundfreibetrag von derzeit 10.347 Euro auf 10.632 Euro im kommen- den Jahr und 10.932 Euro 2024 steigen. Das Kindergeld soll für das erste, zweite und dritte Kind auf einheitlich 237 Euro pro Monat anwachsen, das sind für das ers- te und zweite Kind 18 Euro und für das dritte Kind zwölf Euro mehr. Diese Erhö- hung in einem Schritt soll für die Jahre 2023 und 2024 gelten. Rückwirkend zum 1. Januar 2022 soll der Kinderfreibetrag um 160 Euro auf dann 8.548 Euro steigen und der Unterhaltshöchstbetrag von 9.984 Euro auf 10.347 Euro. Im Jahr 2023 soll der Kinderfreibetrag (inklusive Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf) um 140 auf 8.688 Euro angehoben werden und 2024 um 228 Euro auf 8.916 Euro. Die steuerlichen Mindereinnahmen durch diese Maßnahmen werden im nächsten Jahr auf 12,21 Milliarden veranschlagt und im Jahr 2024 auf 17,95 Milliarden. Die Mindereinnahmen durch die Umsatzsteu- ersenkung auf Gas werden bis zum Jahre 2024 auf insgesamt 11,265 Milliarden Euro veranschlagt. Peter Stützle T > STICHWORT Preissteigerung auf Rekordniveau > Verbraucherpreise Im August 2022 blieb der Anstieg der Verbraucherpreise mit plus 7,9 Prozent auf Rekordniveau. Ein hoher Zuwachs der Erzeugerpreise lässt befürchten, dass die Inflationsrate bald zweistellig wird. > Vermögenspreise Immobilien wurden schon seit 2014 jährlich um sechs Pro- zent teurer. Bezieher mittlerer Einkom- men können sich inzwischen kein Wohn- eigentum mehr leisten. Gewinner sind Besitzer von Immobilien, die in acht Jah- ren um 74 Prozent reicher wurden. > Betriebsvermögen Seit 2014 hat sich Betriebsvermögen um 55 Prozent verteu- ert, Aktien wurden im Durchschnitt um 32 Prozent teurer. 140 Milliarden in der Steuertrommel ÜBERGEWINNE Einschnitte für Energiekonzerne geplant »Strompreise müssen ehrlich und fair“ ermittelt werden.« Fritz Güntzler (CDU) »Konzerne stopfen sich aus dem Zufall der Krise die Taschen voll.« Parsa Marvi (SPD) Mit Energielieferungen lässt sich viel Geld verdienen, sehr viel Geld sogar. Das ruft die Politik auf den Plan. Auf allen Ebenen wird darüber nachgedacht, wie von soge- nannten Übergewinnen etwas für die Staatskasse abgezweigt werden kann. Am eifrigsten rührt EU-Kommissionspräsiden- tin Ursula von der Leyen die Steuertrom- mel: 140 Milliarden Euro Mehreinnahmen seien möglich, so die Kommissionspräsi- dentin. Auch in Berlin läuft die Debatte. Eine von der Fraktion Die Linke vorge- schlagene Übergewinnsteuer nach italieni- schem Vorbild stieß aber bei den anderen Fraktio- nen auf Ablehnung. In der Debatte des Bundestages am Donnerstag über einen entsprechenden Antrag der Fraktion Die Linke sprach Markus Herbrand (FDP) von einer „Schnapsidee“. Es gebe keine objektiv an- wendbaren Abgrenzungs- kriterien, welche Unterneh- men überhaupt in Frage kä- men und welche Teile des Gewinns der Unternehmen über Übergewinne versteuert werden sol- len. „Diese Schwierigkeiten alleine führen schon dazu, dass die Übergewinnsteuer rechtlich kaum durchsetzbar ausgestaltet werden kann, denn nicht zu Unrecht stößt eine solche Willkürmaßnahme auf massive verfassungsrechtliche Bedenken.“ In Italien scheitere eine auf Umsätze basierende Übergewinnsteuer gerade „krachend“. für funktioniert nicht Allerdings Markt räumte Herbrand ein, dass es keinen funk- tionierenden Markt im Energiebereich ge- be. Daher müsse es Maßnahmen zur Be- grenzung von Gewinnen geben, die ohne eigens unternehmerisches Handeln derzeit geradezu explodierten. Den Menschen müsse ein Signal gegeben werden, dass sie mit ihren Sorgen wegen der hohen Preise nicht allein gelassen würden. Daher solle es eine Strompreisbremse geben, die nicht über das Steuerrecht, son- dern über einen Eingriff in das Strommarktdesign ge- regelt werde. Mit festgeleg- ten Erlösobergrenzen soll- ten Gewinne definiert wer- den, die keine operative Ursache hätten. Die Mehr- erlöse sollten zu Energie- preissenkungen den Mittelstand genutzt wer- den. Das Problem liege nicht im Steuerrecht, sondern in der Findung der Strompreise. Die Strompreise müssten „ehrlich und fair“ ermittelt werden: „Dann hätten wir das Problem gar nicht, dass die Linken hier adressieren“, sagte Fritz Güntzler (CDU). Höhere Gewinne würden doch bereits heu- te besteuert. Und die Befürworter der Steu- er sollten sich die Frage stellen, ob man bei ausländischen Konzernen überhaupt an diese Gewinne herankommen könne. Au- ßerdem habe zum Beispiel in Großbritan- nien die „Übergewinnsteuer“ dazu geführt, dass die Konzerne ihre Investitionen in er- neuerbare Energien zurückfahren wollten. Daher sei diese Steuer das falsche Instru- ment. Parsa Marvi (SPD) sagte, Unternehmen in einer sozialen Marktwirtschaft sollten mit Leistung, Anstrengung, Pioniergeist und Innovation Gewinne machen – wie zum Beispiel Biontech. „Was wir aber in dieser Lage gar nicht gebrauchen können, sind Energiekonzerne, die nicht wegen außeror- dentlicher Innovation und Leistung, son- dern aus dem Zufall dieser Krise heraus die Taschen vollmachen auf Kosten der Allge- meinheit.“ Was hier zu erleben sei, lasse Anstand vermissen, sei unsolidarisch und breche mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Daher habe die Ampelko- alition eine gemeinsame Linie gefunden, Zufallsgewinne über die Strompreisbremse inzwischen von abzuschöpfen. Albrecht Glaser (AfD), nannte das Abschöpfen von Gewinnen das „Ste- ckenpferd der Linken“. Es eine gebe Staatsquote über 50 Prozent. Man könne den Privatsektor so schmal machen, dass er den Staats- sektor nicht mehr ernähren könne. In sozialistischen Systemen sei das Standard. Die Folgen seien bekannt. Dass die Energiepreise ex- plodiert seien, liege an einer verkorksten Energiepolitik. Glaser warb für die Atom- kraft zur Energiesicherheit und für niedri- gere Strompreise: „Diese Regierung wird nicht umhin kommen, den grünen Elefan- ten durch das Nadelöhr der Kernkraft zu schieben, wenn sie dieses Land nicht vol- lends in den Ruin treiben will.“ Katharina Beck (Grüne) erklärte, Gewinne gehörten zur Marktwirtschaft, denn sie sei- en ein Motor für Ideengenerierung, Experi- mentierfreude und Innovation für die Zu- kunftssicherung des Landes. Wichtig sei je- doch, dass diese Gewinne auf funktionie- renden Märkten erzielt würden. Was pas- siere, wenn Märkte dysfunktional seien, habe man schmerzlich an den Energie- märkten sehen können. Zu Lösung der Zu- fallsgewinnproblemaktik im Strommarkt sei die Strompreisbremse der richtige Schritt. Angesichts der hohen Gewinne der Mineralölkonzerne müsse das Kartellrecht verschärft werden. Man habe es mit einem Oligopol und man- gelndem Wettbewerb zu tun. Christian Görke (Linke) sah einen Sinneswandel in der Koalition im dritten in dem Entlastungspaket, „Fake-Übergewinn- eine steuer“ anmoderiert werde. Für den Sinneswandel habe offenbar die EU-Kommissi- on mit dem Vorschlag der Solidarabgabe zur Abschöpfung von Über- gewinnen gesorgt. Die Linksfraktion begrü- ße die EU-Pläne ausdrücklich. Der Bundestag stimmt in namentlicher Ab- stimmung mit 621 Stimmen gegen 38 Stimmen bei einer Enthaltung einer Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses (20/2450) zu, in der von den Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grü- nen, FDP und AfD eine Ablehnung des An- trags Fraktion Die Linke (20/1848), emp- fohlen wird. Mit dem Vorschlag sollte der Teil der Unternehmensgewinne von Ener- giekonzernen im Geschäftsjahr 2022, der die Gewinne des Vorjahres um mehr als zehn Millionen Euro übersteigt, zusätzlich einer Übergewinnsteuer von 25 Prozent unterworfen werden. hle T »Plumpe Forderungen« Drei Kraftwerke, zwei Vorschläge, ein Streit AKTUELLE STUNDE Debatte über umstrittene Gasumlage ATOMENERGIE Union und AfD fordern den Weiterbetrieb von Reaktoren. Ampel beharrt auf Ausstiegsbeschluss „Sind wir denn hier im Fußballstadion, ist das eine Demo?“, rief Bundeswirtschafts- minister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) ins Plenum. In seiner Rede wäh- rend der Aktuellen Stunde am Mittwoch wurde hörbar, wie sehr Habeck unter Druck steht. Er warf der Unionsfraktion vor, eine „Muss-weg-Opposition“ zu sein. Statt konstruktive Vorschläge zu machen, wie man Unternehmen anstelle einer Gas- umlage helfen könne, stelle sich die Union mit „plumpen Forderungen“ ins Plenum. „Was kommt denn stattdessen? Was ist denn die Antwort darauf?“, fragte Habeck gereizt. Die Debatte war während der vorherigen Fragestunde (20/3428) von dem Unions- abgeordneten Hendrik Hoppenstedt gefor- dert worden. Für die CDU/CSU-Fraktion befand Andreas Jung, dass die Entschei- dung des Bundes, den Gasimporteur Uni- per zu verstaatlichen, die Grundlage für die Gasumlage verändere. Seine Fraktion wer- de die Aufhebung der Umlage mit nament- licher Abstimmung beantragen. Von der SPD bekam Minister Habeck Un- terstützung: „Diese Bundesregierung ist in einem Krisenmanagement, bei dem alle Ministerinnen und Minister verdienen, un- terstützt zu werden“, sagte der Sozialdemo- krat Bernd Westphal. Den Unternehmen würde bereits geholfen, es könnten Leis- tungen beantragt werden und die Hilfen sollten erweitert werden. Der AfD-Abgeordnete Rainer Kraft befand, die Gasumlage könne so, „wie sie vom Mi- nisterium geplant ist, nicht kommen“. Er kritisierte, dass zudem nicht klar sei, wie die Versorgung der Raffinerie in Schwedt ab Januar 2023 sichergestellt werden solle. Aus Sicht des Abgeordneten Dieter Janecek (Grüne) habe die Union „den Heiligen Gral der Schuldenbremse heute endgültig geopfert“. Die Partei dürfe jedoch nicht aus der Verantwortung genommen werden. Schließlich habe sie die große Abhängig- keit von russischem Gas erzeugt. Mehr Tempo forderte Alexander Ulrich (Die Linke) von Habeck. Deutschland brauche keinen Minister, der auf einen milden Winter hoffe, „sondern einen Mi- nister, der macht“. Man brauche ganz drin- gend schnelle und unbürokratische Unter- nehmenshilfen. Lukas Köhler (FDP) betonte, wie richtig die Uniper-Entscheidung gewesen sei und wünschte sich ebenfalls mehr konstruktive Zusammenarbeit bei der Suche nach Lö- sungen gegen die hohen Preise. „Wir dis- kutieren an der genau richtigen Stelle, wie wir die Gasumlage besser machen kön- nen.“ emu T Länger, kürzer, weg: Der seit Monaten schwelende Streit über die Laufzeiten der drei verbliebenen deutschen Atomkraft- werke Emsland, Isar 2 und Neckarwest- heim 2 spitzt sich zu, das zeigten auch zwei Debatten im Bundestag über Gesetz- entwürfe von Union (20/3488) und AfD (20/2592) zur Änderung des Atomgesetzes in der vergangenen Woche. Nach der AfD, deren Vorschlag für einen Weiterbetrieb der Reaktoren im Plenum keine Mehrheit fand, dringt auch die Uni- on mit zunehmender Vehemenz darauf, die Kraftwerke angesichts explodierender Strom- und Gaspreise nicht wie beschlos- sen zum Jahresende vom Netz zu nehmen. Ihr Entwurf sieht vor, sie mindestens bis Ende 2024 weiterlaufen zu lassen. Doch Wirtschaftsminister Robert Habeck und die für nukleare Sicherheit zuständige Ministerin Steffi Lemke (beide Grüne) wol- len allenfalls zwei der drei Kraftwerke als Reserve im Streckbetrieb für den Fall von Netzengpässen im Winter vorhalten. „Blackouts verhindern“ Ein Vorhaben, dessen Machbarkeit zuletzt aber nicht nur die Opposition anzweifelte, sondern auch die AKW-Betreiber. In der Plenardebatte über den Unions-Entwurf warf Steffen Bil- ger (CDU) der Ampel vor, nicht „das Not- wendige“ zu tun, um Blackouts zu verhin- dern. Es sei absurd, mitten in der Energie- krise Kraftwerke abzuschalten. Diese soll- ten so lange laufen, wie es „schlicht not- wendig ist“, forderte er, mindestens bis 2024. Das sei aber kein „Ausstieg aus dem Ausstieg“, beeilte sich Bilger zu versichern. Deutschland „Weltspitze in der Kern- kraft“, hielt Hilse der CDU/CSU vor, und nicht das Land mit der „dümmsten Ener- giepolitik der Welt“. Die Atomkraft sei „unflexibel, riskant und teuer,“ konterte Julia Verlinden (Grüne). „Je länger die Atomkraftwerke laufen, umso länger ste- „Hintertürchen“ Dies bezweifelte jedoch Jakob Blankenburg (SPD): Die Union spre- che zwar nur von einem befristeten Weiter- laufen der Meiler, halte sich aber ein „Hin- tertürchen“ für einen deutlich längeren Be- trieb offen. Fragen der Sicherheit würden dabei offenbar bewusst ausgeblendet: Die turnusmäßige Sicherheitsüberprüfung der Kraftwerke sei 2019 aufgrund der Ende 2022 bevorstehenden Abschaltung unter- blieben. Der Gesetzentwurf sehe aber erst eine Sicherheitsüberprüfung bis Ende 2023 vor. Ein Irrtum, wie das gerade bekannt ge- wordene Ventilleck im Reaktor Isar 2 zeige, so der SPD-Politiker. Inhaltliche Unterstützung für die Union kam von Karsten Hilse (AfD): Doch die Einsicht, dass der Atomausstieg ein Fehler gewesen sei, komme spät, monierte er. Für die aktuelle Misere machte er die Union mitverantwortlich: Ohne den von Kanzle- rin Angela Merkel (CDU) 2011 vorange- triebenen wäre Ausstiegsbeschluss s a t i o W n a J | a p d / e c n a i l l a e r u t c i p © Für den Reservebetrieb vorgesehen: das Atomkraftwerk Isar 2 bei Landshut. hen sie der Energiewende im Weg.“ Mit ei- ner „aufgeplusterten“ Atomdebatte wolle die Union bloß von eigenen Versäumnis- sen beim Ausbau der Erneuerbaren ablen- ken. Als „naiv und falsch“ kritisierte auch Ralph Lenkert (Linke) das Festhalten an der Atomkraft trotz bekannter Gefahren. Für ein größeres Stromangebot brauche es sie nicht, so der Abgeordnete und plädierte stattdessen für die Aufhebung der Preisde- ckel für Solar- und Bioenergie. Skepsis hinsichtlich der Reserve-Pläne ihrer Koalitionspartner ließ jedoch für die FDP Judith Skudelny durchblicken: Ziel sei eine „sichere, saubere und preiswerte Energie- versorgung“. Hierbei könne die Atomkraft übergangsweise einen Beitrag leisten. Und: Wenn man Geld in die Hand nehme, um Reparaturen und Sicherheitsüberprüfungen vorzunehmen – warum nutze man die Kraftwerke nicht für die Produktion Strom, gab sie zu bedenken. Solchen Überlegungen erteilte jedoch Um- weltministerin Steffi Lemke eine klare Ab- sage: Der „in breitem Konsens“ beschlosse- ne Ausstieg komme. Die Sicherheitslage von Atomkraftwerken habe sich durch den Ukrainekrieg radikal verändert – ob zwei AKWs als Reserve im Winter benötigt wür- den, werde geprüft. Sandra Schmid T