6 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 3-4 - 17. Januar 2022 Die SPD nimmt in dieser Wahlperiode einen neuen Anlauf, um ihr Hartz IV- Trauma zu überwinden. Anstelle der bisherigen Grundsicherung soll ein Bürgergeld eingeführt werden, dass „die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein soll“. So heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Zwei Jahre lang soll das Bürgergeld Arbeitslosen ohne An- rechnung des Vermögens gewährt werden. Beratungen zwischen Arbeitssuchenden und Job-Centern sollen künftig auf Augen- höhe und auf Basis einer Vertrauensbezie- hung stattfinden. Die gemeinsam verein- barte Teilhabevereinbarung soll die Ein- gliederungsvereinbarung ersetzen, der Ver- mittlungsvorrang soll abgeschafft und die Zuverdienstmöglichkeiten sollen erweitert werden. Für Kerstin Griese (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministeri- um, wird das Bürgergeld einen Beitrag da- zu leisten, „die Menschen besser zu befähi- gen, in Arbeit zu kommen“. In Vertretung des sich in Corona-Quarantäne befindli- chen Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) stellte sie vergangenen Don- nerstag die Grundlinien der Arbeits- und Sozialpolitik der Bundesregierung vor. „Mehr sozialen Fortschritt wagen“ wolle die Regierung, sagte Griese. Ziel sei es, das Leben der Menschen in Deutschland „durch Respekt vor ihrer Leistung, durch höheres Einkommen und durch eine bes- sere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ besser zu machen . Ihre Parteikollegin Dagmar Schmidt (SPD) formulierte es so: Der Sozialstaat müsse in den Dienst derjenigen gestellt werden, die ihn brauchen, „um ihnen das Leben leich- ter zu machen“. Künftig gelte: „Wer in der Grundsicherung ankommt, muss keine Angst haben, das zu verlieren, was er sich erarbeitet hat.“ Mindestlohn Staatssekretärin Griese for- derte zugleich mehr Tempo beim Thema Fachkräftesicherung. Durch mehr Verein- barkeit von Familie und Beruf soll der Weg für Frauen auf dem Arbeitsmarkt frei ge- macht werden. Außerdem soll die qualifi- zierte Zuwanderung verbessert und die Weiterbildung gestärkt werden, sagte Grie- se. Die SPD-Politikerin ging auch auf den geplanten Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro ein. Das sei ein Plus von 22 Prozent und damit „eine der größten Lohnerhö- hungen in der Geschichte Deutschlands“. Gegen einen höheren Mindestlohn hat auch die Union nichts einzuwenden. Es ge- be sehr gute Gründe dafür, sagte Hermann Gröhe (CDU). Ein „politischer“ Mindest- lohn sei aber der falsche Weg. Durch die Aushebelung von mehr als einhundert Ta- rifverträgen werde die Tarifpartnerschaft ge- schwächt, kritisierte er. Was das Bürgergeld angeht, so ist aus seiner Sicht eine damit verbundene bessere Verzahnung unter- schiedlicher Hilfesysteme und die Stärkung der Vermittlung in den Arbeitsmarkt unter- stützenswert. „Einen schrittweisen Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen lehnen wir aber entschieden ab“, machte Gröhe deutlich. Tarifbindung Der langjährige Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, betonte in seiner ersten Rede als Bundestagsabgeordneter der Grünen: „Der ökologische Umbau wird nicht gelin- gen, wenn das Soziale auf der Strecke bleibt.“ Es dürfe daher nicht zu einem wei- Das Ende von Hartz IV SOZIALES Der Mindestlohn soll auf zwölf Euro steigen und das Bürgergeld die Grundsicherung ablösen „Bürgergeld“ hat die Ampel-Koalition eines ihrer sozialpolitischen Projekte getauft. © picture-alliance/SULUPRESS.DE/Torsten Sukrow teren Absinken des Rentenniveaus kom- men. Auch dürfe man nicht länger weg- schauen, „wie die Tarifbindung sinkt und Betriebsratswahlen behindert werden“. Bsirske verlangte zudem, die Erhöhung des Mindestlohns umgehend in Angriff zu nehmen. Johannes Vogel (FDP) verwies darauf, dass die Koalition die Renten stabilisieren wolle – auch durch „mehr Einwanderungspoli- tik“ und die neue Aktienrente. Durchbro- chen werde auch der Stillstand bei der Di- gitalisierung in der Arbeitswelt – durch Weiterbildung ebenso wie durch die Mo- dernisierung der Regelungen zum Home- Office und „mehr Fairness für Selbstständi- ge“. Mit dem neuen Bürgergeld sieht Vogel mehr Chancengerechtigkeit verbunden. Änderungen bei den Zuverdienstregelun- gen in der Grundsicherung seien nötig, weil die jetzigen Regelungen „die Men- schen in der Grundsicherung festhalten, anstatt ihnen eine trittfeste Leiter hinzu- stellen“. Von einem Etikettenschwindel sprach in- des Susanne Ferschl (Linke), wenn Hartz IV künftig Bürgergeld heißt, es aber keine Regelsatzerhöhung gibt. Positiv bewertete sie die geplante Erhöhung des Mindest- lohns auf zwölf Euro, was von der Links- fraktion schon seit 2017 gefordert werde. „Mich würde es freuen, wenn das Projekt zeitnah umgesetzt würde“, sagte sie. Über „aktuelle Probleme“ wollte Rene Springer (AfD) reden. Es gebe eine 5,3-pro- zentige Inflation, die Energiepreise gingen „durch die Decke“ und steigende Diesel- preise ließen den Pendlern den Sprit aus- gehen. Zudem seien die Nahrungsmittel- preise um sechs Prozent gestiegen, „und die Schlangen an den Tafeln werden im- mer länger“. Gleichzeitig, so der AfD-Abge- ordnete, fordere Bundeslandwirtschaftsmi- nister Cem Özdemir (Grüne), die Preise für Lebensmittel zu erhöhen. „Dieses Land wird von einer gesättigten Elite regiert, die sich vom Volk vollkommen abgekoppelt hat“, befand Springer. Götz Hausding T > S T I C HW O RT Arbeit und Soziales > Mindestlohn Der gesetzliche Mindest- lohn soll in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht wer- den. Die Erhöhung soll noch in diesem Jahr erfolgen. > Bürgergeld Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) will die Koali- tion ein Bürgergeld einführen. Es soll in den ersten beiden Jahren der Bedürftig- keit ohne Anrechnung des Vermögens gewährt werden. > Aktienrente Zur langfristigen Stabili- sierung von Rentenniveau und Renten- beitragssatz ist der Einstieg in eine teil- weise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen. Ren- tenkürzungen schließt die Koalition aus. »Wir lassen uns das nicht bieten« INNERES Kampfansage gegen Gewalt bei Corona-Protesten Nicht nur die wechselnden Virusvarianten und Inzidenzzahlen beherrschen auch im schon dritten Pandemie-Jahr Alltag und Nachrichtenlage; kaum weniger bestim- men die anhaltenden Proteste gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen mit Regel- verstößen und Übergriffen die öffentliche Diskussion. Kein Wunder also, dass der Umgang mit diesen Protesten vergangene Woche auch die Grundsatzdebatte des Bundestages über innenpolitische Vorha- ben der Ampelkoalition über weite Stre- cken prägte. Dabei nutzte die neue Bun- desinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Gelegen- heit, ein entschiedenes Vor- gehen gegen gewalttätige Gegner der Anti-Corona- Maßnahmen anzukündi- gen. Die Mehrheit der Bevölke- rung verhalte sich in der Pandemie solidarisch und rücksichtsvoll, doch zeigten sich auch „Risse in unserer Gesellschaft, Protest, Er- schöpfung, Wut“, sagte Fae- ser. Protest gehöre zur De- mokratie, doch „lassen Sie sich nicht von Extremisten vor den Karren spannen“, mahnte die Ministerin. Statt sogenannter Spaziergänge sehe man organisierte Aktio- nen an vielen Orten gleichzeitig, bei denen es immer wieder zu Gewalt und massen- haften Verstößen gegen Corona-Regeln komme. Dabei würden Rechtsextremisten zunehmend regional an Einfluss gewin- nen, die nicht gegen Corona, sondern ge- gen die Demokratie kämpften. „Wir lassen uns das nicht bieten“, betonte die Ressortchefin. Bei Gewalt müsse der Rechtsstaat hart durchgreifen; die Täter müssten mit konsequenter Strafverfolgung rechnen. Auch werde man dafür sorgen, dass Hetzer identifiziert und zur Verant- wortung gezogen werden. Das gelte bei Corona-Demonstrationen wie im Internet. Faeser versicherte zugleich, alle extremistischen Bedro- hungen im Blick zu haben. Die größte Gefahr für die Demokratie sei dabei der Rechtsextremismus, dessen Bekämpfung für sie eine besondere Priorität habe, fügte die Ministerin hinzu und kündigte die Vorlage eines Aktionsplans gegen Rechtsextremismus bis Ostern an. Auch Andrea Lindholz (CSU) wertete den Rechtsextremismus als eine „zentrale Be- drohung“. Bei dessen Bekämpfung habe die Bundesregierung die CDU/CSU-Frakti- on „fest an ihrer Seite“. Für die Union sei zugleich wichtig, dass der Kampf gegen je- de Form von Extremismus entschlossen ge- führt werde. In der zurückliegenden Wahl- periode habe man bei den Sicherheitsbe- hörden tausende neue Stellen zur Extre- mismusbekämpfung geschaffen. Diese Be- hörden bräuchten aber auch moderne Be- fugnisse. Dazu stehe weder im Koalitions- vertrag von SPD, Grünen und FPD etwas, noch habe Faeser in ihrer Rede etwas dazu gesagt. Lamya Kaddor (Grüne) sagte, die Demo- kratie in Deutschland sei stark, werde aber aus unterschiedlichen ideologischen Rich- tungen und insbesondere von rechten Netzwerken oder sogenannten Querden- kern bedroht. Wer gegen die Anti-Corona- Maßnahmen protestieren wolle, solle dies unbedingt tun dürfen. Dabei trage aber je- der einzelne selbst die Verantwortung da- für, „mit wem man untergehakt auf Demos mitläuft“, betonte Kaddor, die von einer „Unterwanderung sogenannter Spaziergän- ge durch rechtsextreme Netzwerke“ sprach. Gottfried Curio (AfD) warf der Innenministerin eine „faktenbefreite Diffamie- rung von regierungskriti- schen, friedlichen Spazier- gängern“ vor und beklagte eine „Schikanierung von Ungeimpften“. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei „weg“, doch „das System Merkel“ regiere, fügte Curio hinzu. Zugleich forderte er, illega- le Migranten zurückzuwei- sen oder abzuschieben und abzustellen. Man Zuwanderungsanreize brauche keine „Werbeaktion für Massenmi- gration“ und kein „Aufbauprogramm für Clanbildung“. Konstantin Kuhle (FDP) sah den gesell- schaftlichen Zusammenhalt in Pandemie- Zeiten besonders auf die Probe gestellt. Die Menschen seien der Pandemie und der An- ti-Corona-Maßnahmen müde, was zu Ent- täuschung und Verdruss führe. Alle demo- kratischen Kräfte müssten dafür stehen, „dass diejenigen, die diesen Verdruss und diese Enttäuschung für ihre extremistische Agenda nutzen wollen, damit keinen Er- folg haben können“. Wer Journalisten, Wis- senschaftler, Kommunalpolitiker oder eh- renamtliche Helfer angreife, begehe Straf- taten, die hart bestraft werden müssten. Martina Renner (Linke) be- grüßte, dass unter Faeser aus dem Bundesinnenmi- nisterium „neue Töne“ ins- besondere zum „Kampf ge- gen rechts“ zu vernehmen seien. Die Linke erwarte von der Bundesregierung nun schnelle, wirksame Maßnahmen, um rechte Gewalt und rechten Terror zu stoppen. Zugleich for- derte Renner die Regierung auf, sich in der Migrations- politik für sichere Flucht- wege einzusetzen und den Ländern ihr Einverständnis zu erteilen, wenn diese „Landesaufnahmeprogramme für Schutz- suchende vorlegen“. Dirk Wiese (SPD) beklagte, die Demokra- tie werde von unterschiedlichen Seiten an- gegriffen. Dabei stelle sich die Koalition „allen Verfassungsfeinden, gewaltbereiten Bestrebungen und Verschwörungsideolo- gien“ entgegen, unterstrich Wiese und be- grüßte, dass Faeser den Rechtsextremismus als aktuell größte Gefährdung bezeichnet habe. Richtig sei auch das Bekenntnis im Koalitionsvertrag, „Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst leichter zu entfer- nen“. Helmut Stoltenberg T »Wir sehen hier keine ,Spaziergänge‘, sondern organisierte Aktionen.« Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin »Der Rechts- extremismus ist derzeit eine zentrale Bedrohung für die Sicherheit.« Andrea Lindholz (CSU) Am Familienbild scheiden sich die Geister Ampel legt »Rucksack« ab FAMILIE Die Ampel-Pläne für eine Verantwortungsgemeinschaft stoßen auf Widerstand bei Union und AfD RECHT Streichung der Vorratsdatenspeicherung angekündigt An wesentlichen Plänen der Ampelkoaliti- on in der Familienpolitik scheiden sich die Geister. Einen ersten Vorgeschmack auf die zu erwartenden harten Auseinandersetzun- gen in der neuen Legislaturperiode zwi- schen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf der einen Seite und CDU/CSU und AfD auf der anderen Seite vermittelte die familienpolitische Debatte am vergan- genen Donnerstag. Im Zentrum der Ausei- nandersetzungen werden vor allem das Fa- milienbild und die Gesetzgebung zum Ab- bruch von Schwangerschaften stehen. Hatten sich über viele Jahre die im Bundes- tag vertretenen Parteien weitestgehend auf die Formel „Familie ist, wo Kinder sind“ geeinigt, präsentierte die neue Bundesfami- lienministerin Anne Spiegel (Grüne) zum Auftakt der Debatte die Definition, von der sich die Ampel-Koalitionäre künftig leiten lassen wollen: „Familie – das ist überall dort, wo Menschen Verantwortung fürei- nander übernehmen.“ Die Koalition werde „diese Vielfalt endlich im Recht abbilden und allen Familienformen Anerkennung zukommen lassen“, führte Spiegel aus. Bereits im Wahlkampf hatte sich abge- zeichnet, dass sich SPD, Grüne und FDP an diesem Punkt sehr nahe stehen. Nach der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtli- che Paare in der vergangenen Legislatur wollen sie nun eine weitere Form staatlich anerkannten Zusammenlebens einführen – die sogenannte Verantwortungsgemein- schaft. Laut Koalitionsvertrag soll das Insti- tut der Verantwortungsgemeinschaft jen- seits von Liebesbeziehungen oder der Ehe es „zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verant- wortung zu übernehmen“. Grundlegende Änderungen sind auch im Abstammungsrecht geplant. Dies soll so re- formiert werden, „dass lesbische Mütter, die zusammen ein Kind bekommen, von Anfang an die gleiche rechtliche Anerken- nung als Eltern bekommen“, sagte Spiegel. Zudem kündigte die Ministerin die ersatz- lose Streichung des Paragrafen 219a, in dem das Werbeverbot für Schwanger- schaftsabbrüche verankert ist, an. Damit werde die „vorgestrige Kriminalisierung von Frauen und Ärzteschaft“ beendet, be- tonte Spiegel. »Blankoschein« Bei der Union und der AfD stößt die geplante Verantwortungsge- meinschaft auf erheblichen Widerstand. „Wir lehnen diese ,Ehe light‘ auf jeden Fall ab“, betonte Dorothee Bär (CSU). Die Ehe stehe unter dem Schutz des Grundgesetzes und beinhalte Rechte und Pflichten. „Aber es bleibt nicht mehr viel übrig, wenn es ein Rechtsinstitut gibt, das zwar bei Sonnen- schein unbürokratisch zugänglich und je- derzeit auflösbar sein soll, aber wenn es schwierig wird, auch ganz große Probleme mit sich bringt“, sagte Bär. Die Verantwor- tungsgemeinschaft sei ein „Blankoschein für die Vielehe“. Bei Scheidungen sei schon jetzt kompliziert, das Kindeswohl nicht zu gefährden. „Wie ist es denn dann, wenn es sich um vier Personen handelt? Das passt alles nicht“, führte Bär an. Die Ampel-Ko- alition verwechsle Modernität mit Beliebig- keit. Inhaltlich ganz ähnlich, im Tonfall aber deutlich schärfer, attackierte der AfD-Abge- ordnete Martin Reichardt die familienpoli- tischen Vorstellungen der Ampel-Koalition: „Die neue Familienministerin will Familie neu definieren. Die Mehrheit, also die ge- sellschaftliche Realität, wird umgedeutet und der Ideologie einer links-grünen Polit- blase unterworfen. Im Klartext heißt das: Die Ampel will die traditionelle Familie und damit das Fundament unseres Zusam- menlebens zerstören.“ Elternschaft werde fortan nicht mehr durch naturwissen- schaftliche Fakten, sondern durch lösbare Verträge definiert. „Zwei Frauen können gar kein Kind miteinander bekommen. Das ist Realität, das ist Naturwissenschaft“, sagte Reichardt. Die Familienministerin sei eine „Biologie-Leugnerin“. Abgeordnete der SPD, der Grünen und der FDP hingegen stellten sich demonstrativ hinter die neue Familienministerin und verteidigten deren Pläne. „Wir sorgen da- für, dass schon längst gelebte und gesell- schaftlich vollkommen akzeptierte Lebens- entwürfe und Familienformen endlich auch rechtlich abgebildet werden“, betonte Gyde Jensen (FDP). Die Grünen-Abgeord- nete Ulle Schauws warf der Unionsfraktion vor, genau diesen Fortschritt in den vergan- genen 16 Jahren verhindert zu haben. Schauws kündigte zudem an, nicht nur den Paragrafen 219a abschaffen zu wollen, sondern zugleich den Paragrafen 218 zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches ansiedeln zu wollen. Kindergrundsicherung Unterstützung er- hält die Ampel-Koalition an diesen Punk- ten durchaus auch von der Linksfraktion. Heidi Reichinnek bemängelte jedoch, dass die von Spiegel angekündigte Kinder- grundsicherung bislang völlig unkonkret sei. Diese müsse altersabhängig bis zu 630 Euro Grundbetrag plus eine Erstattung von Kosten für Wohnung und Sonderbe- darfe umfassen. Zudem habe die Ampel auch keine Konzepte gegen Altersarmut und die Unterstützung von Alleinerziehen- den vorgelegt. Alexander Weinlein T KURZ NOTIERT Immunität von Karsten Hilse aufgehoben Mit breiter Mehrheit hat der Bundestag in der vergangenen Woche die Immuni- tät des Abgeordneten Karsten Hilse (AfD) aufgehoben. Damit wird die Ge- nehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens erteilt. Das Plenum folg- te einer Beschlussempfehlung (20/440) des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- nität und Geschäftsordnung. Die AfD- Fraktion stimmte dagegen. pk T Eine Abkehr von alten Zöpfen in der Rechtspolitik hat die Ampelkoalition in der Debatte über die Vorhaben der Bundes- regierung am vergangenen Mittwoch ange- kündigt. Dirk Wiese (SPD) betonte, der Koalitionsvertrag mache gerade auf dem Gebiet des Rechts Fortschritt möglich. Der „beschwerliche Rucksack des Rückschritts“, der bei einigen rechtspolitischen Themen vorhanden gewesen sei, werde der neuen Regierung nicht mehr in die Quere kom- men. Gesellschaftliche Vielfalt werde end- lich anerkannt, sagte Wiese mit Blick auf die geplante Reform des Familienrechts (siehe Text links). Wichtig sei auch, den Pakt für den Rechtsstaat fortzusetzen, den Mieterschutz zu verbessern und die Kinder- rechte ins Grundgesetz zu schreiben. Recht und Freiheit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hob in seiner Re- de den Wert der Freiheit hervor, den es auch unter erschwerten Bedingungen wie der Corona-Pandemie zu schützen gelte. Das Justizministerium werde immer das Ministerium des Rechtsstaates und das Mi- nisterium der Freiheit sein. Buschmann er- klärte: „Wenn es Beschränkungen gibt, die heute nötig, aber morgen unbegründet sind, dann müssen sie in Zukunft fallen.“ Freiheit sei nicht die Abwesenheit von Recht, das Recht eröffne überhaupt erst Möglichkeiten zur Freiheit, und dafür müs- se es durchgesetzt werden. Diese Prinzi- pien würden die Rechtspolitik der neuen Bundesregierung leiten. Helge Limburg (Grüne) sagte, dass das Recht zum Fundament einer freiheitlichen Demokratie gehöre. Das Recht begrenze gerade die Macht des Staates, in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen. Deswegen werde es ein Zeichen der Stärke des Rechtsstaates sein, wenn die Ampelko- alition endlich die zahlreichen Eingriffe, die die Sicherheitsgesetze in den vergange- nen Jahren ermöglicht haben, auf das un- bedingt erforderliche Maß beschränkt. Amira Mohamed Ali (Linke) sagte, eine Überprüfung des Strafrechts sei „sehr sinn- voll“. Gebraucht würden allerdings Taten statt bloßer Ankündigungen. So liege die Cannabis-Legalisierung auf Eis. Auf Kritik stießen die Vorhaben bei der Unionsfraktion. Andrea Lindholz (CDU) warf Buschmann unter anderem vor, nichts zur Bekämpfung der Pandemie gesagt zu haben. Auch andere Schwerpunktsetzun- gen könne sie nicht nachvollziehen. Dazu zähle die Streichung von Paragraf 219a. Kein Verständnis habe sie auch dafür, das Gesetz zur Wiederaufnahme von Strafver- fahren einzukassieren und die Vorratsda- tenspeicherung abzuschaffen. Thomas Seitz (AfD) warf der Bundesregie- rung vor, mit ihrer Politik die Freiheit der Bürger zu beschränken. Das Justizministe- rium unterstehe einer Partei, die viel von Freiheit rede, sich aber längst dem Staat verschrieben habe. Bürger, die ihren Pro- test gegen Impfpflichten kundtäten, könn- ten dies nicht ohne Angst vor Repressalien tun. Michael Wojtek T